Es hätte alles so einfach sein können. Vor ein paar Tagen lancierte Terre des Femmes die Kampagne „#Unhatewomen“ mit dem Ziel, auf psychische Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. „Auch Sprache kann Gewalt sein“, steht auf der Kampagnenwebseite. Und: „Verbale Gewalt gegen Frauen wird millionenfach gehört, geliked und gefeiert – und so zum Teil unseres Alltags und unserer Sprache“.
Im Video der Kampagne lesen Frauen Raptexte vor, unter anderem einen vom Ex-Aggroberlin-Rapper Fler: „Will keine Frauen, ich will Hoes. Sie müssen blasen wie Pros“. Verglichen mit den anderen Beispielen kommen Flers Lyrics bezüglich Frauenverachtung eigentlich noch ganz gut weg. Bei Gzuz und Bonez MC etwa gehts drum, „der Alten die Drogen ins Glas“ zu ballern, „Hauptsache Joe hat seinen Spass“. Und Kurdo und Majoe finden: „Die Bitch muss bügeln, muss sein, wenn nicht gibts Prügel, muss sein“.
Dass Prügel eben ziemlich viel mit Bügeln zu tun haben kann, zeigen Studien immer wieder auf: Praktisch alle Fälle häuslicher Gewalt beginnen mit sprachlicher Erniedrigung der Frau und mit einer Abwertung von weiblich konnotierten Arbeiten wie eben Bügeln. Dass Frauenfeindlichkeit – neben Homophobie und Rassismus – in weiten Teilen des Hip-Hop ein Problem ist, ist nun wirklich nichts Neues. Es wäre also ein Leichtes gewesen, endlich eine weitreichende Debatte darüber zu starten – oder?
Nope.
Eine junge Frau teilte letzte Woche einen Post über die Kampagne in ihrer Instagram-Story, in der sie unter anderem Fler markierte. Kurze Zeit später wurde sie – und übrigens auch andere Frauen, die etwas zur Kampagne gepostet hatten – mit Hassnachrichten überschüttet. Und zwar nicht von mühsamen, aber weitgehend unbekannten Trollen, wie das sonst jeweils der Fall sein kann, sondern von Fler himself (https://twitter.com/magdaphileo/status/1233934999419748352). Nicht viel besser erging es übrigens dem deutschen Komiker mit jüdischen Wurzeln Shakak Shapira, der den Chatverlauf zwischen Fler und der betroffenen Frau erstmals öffentlich machte. Fler drohte Shapira daraufhin in einer Sprachnachricht damit, ihm „so lange aufs Gesicht zu hauen“, bis er „nicht mehr reden kann“.
So weit, so Kindergartengetue seitens eines bald 40-jährigen Mannes. Aber damit nicht genug: Fler setzte ein Kopfgeld von 2000 Euro auf eine zweite Frau aus, die seine Texte im Rahmen der Kampagne kritisierte und postete ein Foto von ihr mit dem Aufruf, „die Nutte ran zu bringen“ auf seinen Social-Media-Kanälen.
Nun denn, Fler fühlt sich angegriffen und geht auf die Hinterbeine. Eine typische Reaktion in Zeiten des dahinsiechenden Patriarchats. Aber ein Macho kommt selten allein und so wurden nicht nur Shapira, sondern auch die Frauen mit Hass von Flers Anhängern überschüttet. Von Vergewaltigungsandrohungen bis hin zu antisemitischen Äusserungen war alles dabei. Das deutsche Hip-Hop-Magazin 16 Bars solidarisierte sich übrigens nicht etwa mit den Frauen oder Shapira, im Gegenteil: Die Redaktion fand, der Komiker solle „die Fresse halten“.
Nach ein paar Tagen gepflegtem Gefetze auf Social Media entwickelt sich die Geschichte nun übrigens langsam in die Richtung, in die sie von Anfang an hätte gehen können: Die Hip-Hop-Magazine Juice und rap.de solidarisieren sich mit den betroffenen Frauen und mit Shapira und fordern endlich Konsequenzen gegen Sexismus im Rap. Fler selber postete übrigens die Terre-des-Femmes-Kampagne auf seinem Instagram-Account und erklärte, dass „Hoe“ im Rapjargon das ultimative Schönheitsideal sei und es ein Kompliment sei, wenn man blasen könne wie ein Pro. Die Frau aus der Kampagne sei aber leider keine Hoe, sondern „ugly“. Rap lebt seit jeher davon, nach oben zu treten, diskriminierende Strukturen auf kunstvolle Art aufzuzeigen und zu kritisieren. Das kann man smart machen wie A Tribe Called Quest oder Kendrick Lamar, man kann es feministisch machen wie die afro-Nuyoricanerin Princess Nokia, man kann es soft und radikal machen wie der Frauenfelder Rapper DAIF. Wie Fler und Konsorten hingegen die einfachste Form der Provokation zu wählen, die nichts von alledem tut, ist aber leider einfach übelst langweilig.
Flers Verhalten spielt der #Unhatewomen-Kampagne als krasse Legitimierung in die Hände. Dass Fler nicht damit dealen kann, dass seine Arbeit kritisiert wird, ist ja noch das eine. Wer im machistoiden Macho-Milieu des Deutschrap sozialisiert wird, neigt wohl schnell zur Selbstüberhöhung. Dass er aber Frauen zuerst verbal bedroht, ihnen physische Gewalt anzutun, und danach öffentlich dazu aufruft, „die Nutte“ ran zu bringen zeigt den exemplarischen Ablauf einer missbräuchlichen Beziehung. Das Schöne an der ganzen Geschichte: Mit seinem Verhalten wird Fler dieser Tage zu einem der stärksten Verkaufsargumente von #Unhatewomen, was ihn quasi zum unfreiwilligen Posterboy einer feministischen Bewegung macht.
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