Firmen und ihren Angestellten hat die Kurzarbeitsentschädigung (KAE) unbürokratisch geholfen. Die direkt von den Corona-Massnahmen betroffenen Selbstständigen, etwa Coiffeur*innen, die Salons schliessen mussten, oder Künstler*innen, die wegen dem Veranstaltungsverbot keine Auftritte mehr hatten, konnten rasch von dem neu eingeführten Corona-Taggeld profitieren. Und auch die sogenannten Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen, sprich die Inhaber*innen einer AG oder einer GmbH, die sich bei ihrer eigenen Firma angestellt haben, erhielten bereits am 20. März Zugang zu einer pauschalen KAE von 3’320.- Franken für eine Vollzeitstelle. Doch dieses rasch aufgespannte Auffangnetz war lückenhaft.
Zuerst waren es die indirekt von den Corona-Massnahmen betroffenen Selbstständigen, die der Bund im Regen stehen liess. Denn obwohl es offensichtlich war, dass zum Beispiel selbstständige Taxifahrer*innen, Fotograf*innen und Dolmetscher*innen keine Arbeit mehr hatten, erhielten sie zu Beginn keinen Rappen (das Lamm berichtete). Anders als ihre bei einer Firma angestellten Berufskolleg*innen.
Erst knapp einen Monat später führte der Bund mit der Anerkennung der sogenannten Härtefälle auch für diese Selbstständigen die Möglichkeit ein, Corona-Taggeld zu beziehen. Eine Unterstützung, die der Bundesrat jedoch bereits wenige Wochen später, nämlich auf den 16. Mai, wieder einstellen wollte. Erst auf politischen Druck von Links hin lenkte Bundesbern trotzdem noch ein und verkündete am 1. Juli die Fortführung der Unterstützung der selbstständigen Härtefälle.
Die einen rein, die anderen raus
Ende gut, alles gut? Nein, denn während das eine Loch geschlossen wurde, wurde gleichzeitig ein neues ausgehoben. In der gleichen Pressemitteilung wurden klammheimlich die Bedingungen für die betroffenen GmbHler und AGler verändert. Angepasst wurden zwei Dinge: Erstens soll ihre Hilfe nicht mehr über die Arbeitslosenversicherung (ALV), sondern in Form eines Corona-Taggelds über die Ausgleichskassen laufen. Zweitens sollen nicht mehr alle coronabedingt in Schwierigkeiten geratenen GmbHler und AGler unterstützt werden, sondern nur noch diejenigen, die im Veranstaltungsbereich tätig sind. Das bedeutet eine massive Einschränkung der Bezugsberechtigten.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), das für die Corona-Taggelder verantwortlich ist, rechtfertigt diese Einschränkung wie folgt: „Selbstständige und Firmeninhaber […] können den Geschäftsgang, die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit und ihren eigenen Lohn selber stark beeinflussen […].“ Deshalb und weil der Bundesrat die Veranstaltungsbranche für „besonders stark beeinträchtigt hält“, schränkte man laut dem BSV den Kreis der Berechtigten dementsprechend auf die Personen ein, die besonders darauf angewiesen seien.
Gleichzeitig weist das BSV aber selber darauf hin, dass man diese Einschränkung nur bei den GmbHlern und AGlern, nicht aber bei betroffenen Selbstständigerwerbenden vorgenommen habe. Dass die KAE auch bei den Firmen nicht nur in die Veranstaltungsbranche fliessen – geschenkt.
Diese Ungleichbehandlung führt zu fragwürdigen Verhältnissen. Zum Beispiel in der Fotobranche: Während bei einer Firma angestellte Fotograf*innen auf KAE zählen können, wenn sie coronabedingt keine Arbeit mehr haben, und selbstständige Fotograf*innen Corona-Taggeld beantragen können, werden Fotograf*innen, die ihre Arbeit im Rahmen einer GmbH oder AG organisiert haben, hängen gelassen.
Falsche Wahrnehmung der Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen
Einer der Betroffenen ist Guy Jost. Er ist gleichzeitig Inhaber und einziger Angestellter eines Ateliers für Fotografie. Also das, was man umgangssprachlich eine Ich-AG nennt. Seine momentane Auftragsbasis sei zwar wieder besser als während des Lockdowns, aber immer noch schlecht, sagt er. Trotzdem hat er lediglich für den Monat Mai Unterstützung erhalten. Für die Monate vorher gab es nichts, weil er die pauschale KAE, die ihm zugestanden hätte, nicht sofort beantragte und KAE nicht rückwirkend ausbezahlt wird. Und für die Monate nach Mai gibt es nichts, weil er nicht im Veranstaltungsbereich tätig ist. Seine Situation ist also alles andere als lustig.
Trotzdem lacht er auf die Frage hin, was er zur Argumentation des BSV meine: „Das ist doch fadenscheinig. Man nimmt einfach, was kommt. Manchmal läuft es besser und manchmal schlechter. Und wenn du wie im Lockdown gar keine Aufträge mehr hast, dann kannst du dein Gehalt erst recht nicht selber bestimmen.“ Tatsächlich trifft das Bild der wohlhabenden Firmeninhaber*innen, die auf dem Rücken ihrer Angestellten das eigene Gehalt nach oben drücken, auf einen Grossteil der Arbeitgeberähnlichen nicht zu, ja kann gar nicht zutreffen.
Denn viele GmbHler und AGler haben gar keine Angestellten, die sie ausbeuten könnten. 36 Prozent der GmbHs und 20 Prozent der AGs bestehen gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2018 nur aus einer Person. Das auch in der Stellungnahme des BSV mitschwingende Bild des absahnenden Firmenchefs mit Jaguar in der Garage ist also zumindest teilweise falsch. Diese Fehleinschätzung kennt auch Jost: „Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass die Leute denken, dass wer eine GmbH oder AG hat, automatisch zu den Gewinnern gehört.“
Natürlich findet man auch viele Spitzenverdiener*innen wie Ärzt*innen oder Anwält*innen bei den arbeitgeberähnlichen Personen. Aber auch Dolmetscher*innen oder Fotograf*innen, die nicht zu den Topverdienenden gehören, können ihre Geschäfte im Rahmen einer GmbH oder AG organisiert haben.
Wie viel sich die arbeitgeberähnlichen Personen im Schnitt tatsächlich auszahlen, weiss indes niemand. Weder das Bundesamt für Statistik noch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) oder die kantonalen Arbeitslosenkassen, wo die Arbeitgeberähnlichen ihre ALV-Beiträge abliefern, haben hierzu Zahlen. Und auch Jost weiss nicht so genau, wie viel er sich vor Corona monatlich ausbezahlen konnte. Er schätzt aber, dass es wohl etwa in derselben Grössenordnung wie der Schweizer Medianlohn gelegen habe. Also bei rund 6’500.- Franken pro Monat. Jetzt sei es deutlich weniger.
So wie Jost geht es momentan vielen anderen Inhaber*innen von GmbHs und AGs. Zum Teil sogar, wenn sie durchaus in der Veranstaltungsbranche tätig sind und damit das Unterstützungskriterium eigentlich erfüllen würden. „Ein befreundeter Fotograf hat bis heute nichts gekriegt. Und das obwohl er mit seiner Ich-GmbH als Eventfotograf unterwegs ist“, erzählt Jost.
Ein weiteres Problem: Wie genau von den kantonalen Kassen ausgelegt wird, wer im Veranstaltungsbereich tätig ist, ist unklar. Das bestätigt auch die SP-Nationalrätin Mattea Meyer, die sich bereits seit Längerem für die staatliche Unterstützung der Corona-Geschädigten einsetzt: „Das Problem hier ist, dass die ‚Veranstaltungsbranche‘ schwierig abzugrenzen ist.“ Solche Branchenlösungen seien meist unbefriedigend, weil immer Leute zwischen den Maschen durchfallen würden. Auch Meyer berichtet von absurden Fällen: „Ich habe kürzlich zwei Konferenz-Dolmetscherinnen getroffen. Die eine war Selbstständige und kriegt Corona-Taggeld, die andere hatte eine Ich-GmbH und weiss noch nicht, ob sie was kriegen wird.“
Willkür im Sozialsystem?
Wie kann es sein, dass Menschen, die im Grunde dieselbe Tätigkeit ausüben und dementsprechend denselben wirtschaftlichen Schwierigkeiten gegenüberstehen, nicht dieselbe oder zumindest eine vergleichbare Unterstützung erhalten? „Arbeitgeberähnliche Personen haben in der Arbeitslosenversicherung eine schwierige Mittelposition zwischen Unselbstständig- und Selbstständigerwerbenden“, sagt Ueli Kieser, Rechtsprofessor und Anwalt für Sozialversicherungsrecht. Sie seien generell nicht leicht einzuordnen. Nur schon, weil es arbeitgeberähnliche Personen in prekären Lagen wie auch Spitzenverdiener*innen gäbe.
Besonders speziell sei jedoch ihre Stellung in der Arbeitslosenversicherung. „Hier befürchtet die Versicherung einen Missbrauch. Denn die arbeitgeberähnliche Person könnte sich selber ‚entlassen‘ und so den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ‚provozieren‘.“
Unabhängig von der Frage, wie und in welchem Ausmass die GmbHler und AGler in der Corona-Krise unterstützt werden sollen, verortet Kieser den Ursprung des Problems in Vor-Corona-Zeiten. Denn alle arbeitgeberähnlichen Personen würden zwar in die ALV einzahlen, hätten aber kein Recht, Leistungen zu beziehen – weder vor noch nach der COVID-Phase.
Es bleibe die Frage, ob die reine Befürchtung des Rechtsmissbrauchs als Rechtfertigung für diese eigenartige Lösung genüge, meint Kieser. In anderen Fällen gehe die Sozialversicherung nämlich anders mit Missbrauchsrisiken um. Beispielsweise könne im konkreten Einzelfall die Leistung verweigert werden, was hin und wieder auch geschehe. „Nur gerade bei den arbeitgeberähnlichen Personen wird eine pauschale Schwarz-Weiss-Lösung gewählt. Der Gesetzgeber müsste sich dieser Frage einmal vertieft annehmen.“
Klar ist: Ein gewisses Missbrauchsrisiko besteht überall. Bei Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen genauso wie bei den Selbstständigen, die einfach keine Aufträge mehr annehmen können. Oder auch bei grösseren Firmen, wo die Kurzarbeitsentschädigungen in Form von Dividenden am Schluss in den Taschen von Privaten landen können. Dementsprechend problematisch ist es, dass der Bund gegenüber den einen Gruppen grosszügiger ist als gegenüber den anderen.
Natürlich sollen Unterstützungsgelder nur dorthin fliessen, wo sie auch wirklich gebraucht werden. Aber eine Branche, eine Firma oder ein Mensch ist von Corona betroffen oder nicht. Und wer betroffen ist, sollte unterstützt werden – egal, ob angestellt, selbstständig, GmbHler oder AGler. Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Das legt auch unsere Verfassung (Art. 9) so fest.
Die Würfel sind noch nicht endgültig gefallen
Das letzte Wort in dieser Sache ist aber noch nicht gesprochen. Die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) hat bereits Ende Mai auf Antrag von Meyer eine Motion eingereicht, in der gefordert wird, dass der Entscheid vom 20. Mai, mit dem die Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen von der KAE-Pauschale zum Corona-Taggeld verlegt wurden, rückgängig gemacht werden soll. Den betroffenen GmbHlern und AGlern würde so wieder eine Pauschale von 3’320.- Franken zustehen – wie zu Beginn der Krise vergütet über die ALV. Ob der Vorstoss in der kommenden Herbstsession eine Chance haben wird, hängt nun von den bürgerlichen Parteien ab. Eine Minderheit der Kommissionsmitglieder, allesamt Teil der SVP-Fraktion, lehnt die Motion jedoch ab.
Aber auch wenn die Motion der SGK durchkommt, bleibt die Situation für viele GmbHler und AGler, die nun bereits seit Mai darauf warten, dass der Staat ihnen unter die Arme greift, prekär. Unklar ist nämlich, ob ihnen die Pauschale auch noch im Nachhinein zustehen würde. Denn: Anders als das Corona-Taggeld wird die KAE eigentlich nicht rückwirkend erstattet.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 25 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1560 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 875 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 425 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?