Keine Corona-Unter­stüt­zung für GmbHler und AGler

Es scheint eine unend­liche Geschichte zu sein, in welcher den einen geholfen wird und die anderen rat- und hilflos links liegen gelassen werden. 

Firmen und ihren Ange­stellten hat die Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung (KAE) unbü­ro­kra­tisch geholfen. Die direkt von den Corona-Mass­nahmen betrof­fenen Selbst­stän­digen, etwa Coiffeur*innen, die Salons schliessen mussten, oder Künstler*innen, die wegen dem Veran­stal­tungs­verbot keine Auftritte mehr hatten, konnten rasch von dem neu einge­führten Corona-Taggeld profi­tieren. Und auch die soge­nannten Personen in arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Posi­tionen, sprich die Inhaber*innen einer AG oder einer GmbH, die sich bei ihrer eigenen Firma ange­stellt haben, erhielten bereits am 20. März Zugang zu einer pauschalen KAE von 3’320.- Franken für eine Voll­zeit­stelle. Doch dieses rasch aufge­spannte Auffang­netz war lückenhaft.

In mehreren Beiträgen analy­sierte Lamm-Redak­torin Alex Tiefen­ba­cher die Einfüh­rung und Umset­zung der Corona-Hilfe für die Selbstständigen.

Zuerst waren es die indi­rekt von den Corona-Mass­nahmen betrof­fenen Selbst­stän­digen, die der Bund im Regen stehen liess. Denn obwohl es offen­sicht­lich war, dass zum Beispiel selbst­stän­dige Taxifahrer*innen, Fotograf*innen und Dolmetscher*innen keine Arbeit mehr hatten, erhielten sie zu Beginn keinen Rappen (das Lamm berich­tete). Anders als ihre bei einer Firma ange­stellten Berufskolleg*innen.

Erst knapp einen Monat später führte der Bund mit der Aner­ken­nung der soge­nannten Härte­fälle auch für diese Selbst­stän­digen die Möglich­keit ein, Corona-Taggeld zu beziehen. Eine Unter­stüt­zung, die der Bundesrat jedoch bereits wenige Wochen später, nämlich auf den 16. Mai, wieder einstellen wollte. Erst auf poli­ti­schen Druck von Links hin lenkte Bundes­bern trotzdem noch ein und verkün­dete am 1. Juli die Fort­füh­rung der Unter­stüt­zung der selbst­stän­digen Härtefälle.

Die einen rein, die anderen raus

Ende gut, alles gut? Nein, denn während das eine Loch geschlossen wurde, wurde gleich­zeitig ein neues ausge­hoben. In der glei­chen Pres­se­mit­tei­lung wurden klamm­heim­lich die Bedin­gungen für die betrof­fenen GmbHler und AGler verän­dert. Ange­passt wurden zwei Dinge: Erstens soll ihre Hilfe nicht mehr über die Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung (ALV), sondern in Form eines Corona-Taggelds über die Ausgleichs­kassen laufen. Zwei­tens sollen nicht mehr alle coro­nabe­dingt in Schwie­rig­keiten gera­tenen GmbHler und AGler unter­stützt werden, sondern nur noch dieje­nigen, die im Veran­stal­tungs­be­reich tätig sind. Das bedeutet eine massive Einschrän­kung der Bezugsberechtigten.

Das Bundesamt für Sozi­al­ver­si­che­rungen (BSV), das für die Corona-Taggelder verant­wort­lich ist, recht­fer­tigt diese Einschrän­kung wie folgt: „Selbst­stän­dige und Firmen­in­haber […] können den Geschäfts­gang, die Ausrich­tung der Geschäfts­tä­tig­keit und ihren eigenen Lohn selber stark beein­flussen […].“ Deshalb und weil der Bundesrat die Veran­stal­tungs­branche für „beson­ders stark beein­träch­tigt hält“, schränkte man laut dem BSV den Kreis der Berech­tigten dementspre­chend auf die Personen ein, die beson­ders darauf ange­wiesen seien.

Gleich­zeitig weist das BSV aber selber darauf hin, dass man diese Einschrän­kung nur bei den GmbH­lern und AGlern, nicht aber bei betrof­fenen Selbst­stän­dig­er­wer­benden vorge­nommen habe. Dass die KAE auch bei den Firmen nicht nur in die Veranstaltungs­branche fliessen – geschenkt.

Diese Ungleich­be­hand­lung führt zu frag­wür­digen Verhält­nissen. Zum Beispiel in der Foto­branche: Während bei einer Firma ange­stellte Fotograf*innen auf KAE zählen können, wenn sie coro­nabe­dingt keine Arbeit mehr haben, und selbst­stän­dige Fotograf*innen Corona-Taggeld bean­tragen können, werden Fotograf*innen, die ihre Arbeit im Rahmen einer GmbH oder AG orga­ni­siert haben, hängen gelassen.

Falsche Wahr­neh­mung der Personen in arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Positionen

Einer der Betrof­fenen ist Guy Jost. Er ist gleich­zeitig Inhaber und einziger Ange­stellter eines Ateliers für Foto­grafie. Also das, was man umgangs­sprach­lich eine Ich-AG nennt. Seine momen­tane Auftrags­basis sei zwar wieder besser als während des Lock­downs, aber immer noch schlecht, sagt er. Trotzdem hat er ledig­lich für den Monat Mai Unter­stüt­zung erhalten. Für die Monate vorher gab es nichts, weil er die pauschale KAE, die ihm zuge­standen hätte, nicht sofort bean­tragte und KAE nicht rück­wir­kend ausbe­zahlt wird. Und für die Monate nach Mai gibt es nichts, weil er nicht im Veran­stal­tungs­be­reich tätig ist. Seine Situa­tion ist also alles andere als lustig.

Trotzdem lacht er auf die Frage hin, was er zur Argu­men­ta­tion des BSV meine: „Das ist doch faden­scheinig. Man nimmt einfach, was kommt. Manchmal läuft es besser und manchmal schlechter. Und wenn du wie im Lock­down gar keine Aufträge mehr hast, dann kannst du dein Gehalt erst recht nicht selber bestimmen.“ Tatsäch­lich trifft das Bild der wohl­ha­benden Firmeninhaber*innen, die auf dem Rücken ihrer Ange­stellten das eigene Gehalt nach oben drücken, auf einen Gross­teil der Arbeit­ge­ber­ähn­li­chen nicht zu, ja kann gar nicht zutreffen.

Denn viele GmbHler und AGler haben gar keine Ange­stellten, die sie ausbeuten könnten. 36 Prozent der GmbHs und 20 Prozent der AGs bestehen gemäss Zahlen des Bundes­amts für Stati­stik von 2018 nur aus einer Person. Das auch in der Stel­lung­nahme des BSV mitschwin­gende Bild des absah­nenden Firmen­chefs mit Jaguar in der Garage ist also zumin­dest teil­weise falsch. Diese Fehl­ein­schät­zung kennt auch Jost: „Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass die Leute denken, dass wer eine GmbH oder AG hat, auto­ma­tisch zu den Gewin­nern gehört.“

Natür­lich findet man auch viele Spitzenverdiener*innen wie Ärzt*innen oder Anwält*innen bei den arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Personen. Aber auch Dolmetscher*innen oder Fotograf*innen, die nicht zu den Topver­die­nenden gehören, können ihre Geschäfte im Rahmen einer GmbH oder AG orga­ni­siert haben.

Wie viel sich die arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Personen im Schnitt tatsäch­lich auszahlen, weiss indes niemand. Weder das Bundesamt für Stati­stik noch das Staats­se­kre­ta­riat für Wirt­schaft (Seco) oder die kanto­nalen Arbeits­lo­sen­kassen, wo die Arbeit­ge­ber­ähn­li­chen ihre ALV-Beiträge ablie­fern, haben hierzu Zahlen. Und auch Jost weiss nicht so genau, wie viel er sich vor Corona monat­lich ausbe­zahlen konnte. Er schätzt aber, dass es wohl etwa in derselben Grös­sen­ord­nung wie der Schweizer Medi­an­lohn gelegen habe. Also bei rund 6’500.- Franken pro Monat. Jetzt sei es deut­lich weniger.

So wie Jost geht es momentan vielen anderen Inhaber*innen von GmbHs und AGs. Zum Teil sogar, wenn sie durchaus in der Veran­stal­tungs­branche tätig sind und damit das Unter­stüt­zungs­kri­te­rium eigent­lich erfüllen würden. „Ein befreun­deter Foto­graf hat bis heute nichts gekriegt. Und das obwohl er mit seiner Ich-GmbH als Event­fo­to­graf unter­wegs ist“, erzählt Jost.

Ein weiteres Problem: Wie genau von den kanto­nalen Kassen ausge­legt wird, wer im Veran­stal­tungs­be­reich tätig ist, ist unklar. Das bestä­tigt auch die SP-Natio­nal­rätin Mattea Meyer, die sich bereits seit Längerem für die staat­liche Unter­stüt­zung der Corona-Geschä­digten einsetzt: „Das Problem hier ist, dass die ‚Veran­stal­tungs­branche‘ schwierig abzu­grenzen ist.“ Solche Bran­chen­lö­sungen seien meist unbe­frie­di­gend, weil immer Leute zwischen den Maschen durch­fallen würden. Auch Meyer berichtet von absurden Fällen: „Ich habe kürz­lich zwei Konfe­renz-Dolmet­sche­rinnen getroffen. Die eine war Selbst­stän­dige und kriegt Corona-Taggeld, die andere hatte eine Ich-GmbH und weiss noch nicht, ob sie was kriegen wird.“

Willkür im Sozialsystem?

Wie kann es sein, dass Menschen, die im Grunde dieselbe Tätig­keit ausüben und dementspre­chend denselben wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­keiten gegen­über­stehen, nicht dieselbe oder zumin­dest eine vergleich­bare Unter­stüt­zung erhalten? „Arbeit­ge­ber­ähn­liche Personen haben in der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung eine schwie­rige Mittel­po­si­tion zwischen Unselbst­ständig- und Selbst­stän­dig­er­wer­benden“, sagt Ueli Kieser, Rechts­pro­fessor und Anwalt für Sozi­al­ver­si­che­rungs­recht. Sie seien gene­rell nicht leicht einzu­ordnen. Nur schon, weil es arbeit­ge­ber­ähn­liche Personen in prekären Lagen wie auch Spitzenverdiener*innen gäbe.

Beson­ders speziell sei jedoch ihre Stel­lung in der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung. „Hier befürchtet die Versi­che­rung einen Miss­brauch. Denn die arbeit­ge­ber­ähn­liche Person könnte sich selber ‚entlassen‘ und so den Anspruch auf Arbeits­lo­sen­ent­schä­di­gung ‚provo­zieren‘.“

Unab­hängig von der Frage, wie und in welchem Ausmass die GmbHler und AGler in der Corona-Krise unter­stützt werden sollen, verortet Kieser den Ursprung des Problems in Vor-Corona-Zeiten. Denn alle arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Personen würden zwar in die ALV einzahlen, hätten aber kein Recht, Leistungen zu beziehen – weder vor noch nach der COVID-Phase.

Es bleibe die Frage, ob die reine Befürch­tung des Rechts­miss­brauchs als Recht­fer­ti­gung für diese eigen­ar­tige Lösung genüge, meint Kieser. In anderen Fällen gehe die Sozi­al­ver­si­che­rung nämlich anders mit Miss­brauchs­ri­siken um. Beispiels­weise könne im konkreten Einzel­fall die Leistung verwei­gert werden, was hin und wieder auch geschehe. „Nur gerade bei den arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Personen wird eine pauschale Schwarz-Weiss-Lösung gewählt. Der Gesetz­geber müsste sich dieser Frage einmal vertieft annehmen.“

Klar ist: Ein gewisses Miss­brauchs­ri­siko besteht überall. Bei Personen in arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Posi­tionen genauso wie bei den Selbst­stän­digen, die einfach keine Aufträge mehr annehmen können. Oder auch bei grös­seren Firmen, wo die Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gungen in Form von Divi­denden am Schluss in den Taschen von Privaten landen können. Dementspre­chend proble­ma­tisch ist es, dass der Bund gegen­über den einen Gruppen gross­zü­giger ist als gegen­über den anderen.

Natür­lich sollen Unter­stüt­zungs­gelder nur dorthin fliessen, wo sie auch wirk­lich gebraucht werden. Aber eine Branche, eine Firma oder ein Mensch ist von Corona betroffen oder nicht. Und wer betroffen ist, sollte unter­stützt werden – egal, ob ange­stellt, selbst­ständig, GmbHler oder AGler. Jede Person hat Anspruch darauf, von den staat­li­chen Organen ohne Willkür behan­delt zu werden. Das legt auch unsere Verfas­sung (Art. 9) so fest.

Die Würfel sind noch nicht endgültig gefallen

Das letzte Wort in dieser Sache ist aber noch nicht gespro­chen. Die natio­nal­rät­liche Kommis­sion für soziale Sicher­heit und Gesund­heit (SGK) hat bereits Ende Mai auf Antrag von Meyer eine Motion einge­reicht, in der gefor­dert wird, dass der Entscheid vom 20. Mai, mit dem die Personen in arbeit­ge­ber­ähn­li­chen Posi­tionen von der KAE-Pauschale zum Corona-Taggeld verlegt wurden, rück­gängig gemacht werden soll. Den betrof­fenen GmbH­lern und AGlern würde so wieder eine Pauschale von 3’320.- Franken zustehen – wie zu Beginn der Krise vergütet über die ALV. Ob der Vorstoss in der kommenden Herbst­ses­sion eine Chance haben wird, hängt nun von den bürger­li­chen Parteien ab. Eine Minder­heit der Kommis­si­ons­mit­glieder, alle­samt Teil der SVP-Frak­tion, lehnt die Motion jedoch ab.

Aber auch wenn die Motion der SGK durch­kommt, bleibt die Situa­tion für viele GmbHler und AGler, die nun bereits seit Mai darauf warten, dass der Staat ihnen unter die Arme greift, prekär. Unklar ist nämlich, ob ihnen die Pauschale auch noch im Nach­hinein zustehen würde. Denn: Anders als das Corona-Taggeld wird die KAE eigent­lich nicht rück­wir­kend erstattet.


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