Fair­trade Mais­kölb­chen: Genügt das?

Ist Fair­trade wirk­lich schon fair? Oder einfach nur weniger unfair? Diese Frage haben wir denen gestellt, die es am besten wissen sollten: den Maiskölbchen-Farmer. 
cc Jaski (Instagram: @jaski_art)
Illustration: Jaski (Instagram: @jaski_art)

Das Gros der einge­legten Mais­kölb­chen in unseren Super­markt­re­galen wird in Indien ange­baut – also 8’000 Kilo­meter weit entfernt. Wie die Detail­händler diese lange Reise recht­fer­tigen und wieso diese Recht­fer­ti­gung nicht ganz aufgeht, darüber haben wir bereits berichtet. Immerhin: Ein Teil der hier verkauften Mais­kölb­chen aus Indien trägt das Fair­trade-Label von Max Havelaar, und fair ist sicher­lich besser als unfair. Aber ist Fair­trade tatsäch­lich schon fair?

Um diese Frage beant­worten zu können, machen wir uns auf die Suche nach den Produzent:innen. Denn die werden uns diese Frage wohl am besten beant­worten können. Wir wenden uns dafür an Migros und Coop – und erhalten tatsäch­lich auch prompt Antwort. Drei verschie­dene Farmen bauen für die beiden grössten Detail­händler Mais­kölb­chen an: die Hemavathi Agro Producer Company Limited, die Purvik Farmers Producer Company Limited und die Mais­kölb­chen-Koope­ra­tive Golden Indian Village Farm.

Die Farmen sind auch auf der Webseite von Max Havelaar öffent­lich geli­stet. Und dort leicht auffindbar dank eines spezi­fi­schen Fair­trade-Codes, der zum Teil sogar auf die Mais­kölb­chen­glä­sern gedruckt wird. So viel Trans­pa­renz: Das macht einen guten Eindruck, denken wir uns und stellen uns, anders als erwartet, schon einmal auf eine leichte Recherche ein.

Doch das, was dann folgt, ist alles andere als leicht. Denn: Migros und Coop nennen uns zwar die Namen ihrer Produzent:innen – aber keine Kontakt­daten. Die Medi­en­spre­cherin der Migros meint, dass ihr die Mail­adresse der Mais­kölb­chen­farmen gar nicht bekannt sei. Die Frage, wie sie denn unter diesen Umständen mit ihren eigenen Lieferant:innen kommu­ni­ziere, bleibt indes unbeantwortet.

Seit Februar ist unsere Redak­torin mit einer tief­grei­fenden Recherche beschäf­tigt. Das Thema: Sauer einge­legte Mais­kölb­chen. Denn an der Raclette-Beilage zeigt sich mehr Global­po­litik, als man meinen würde. Entstanden ist eine drei­tei­lige Serie:

Statt­dessen sendet sie uns eine Repor­tage aus dem Migros-Magazin von 2015 zu, in welcher darüber berichtet wird, wofür die Bauern und Bäue­rinnen der Golden Indian Village Farm die ihnen zukom­mende Fair­trade-Prämie einsetzten. „Geplant sind eine mobile Kran­ken­sta­tion und ein WC für die Dorf­schule“, heisst es da.

Andere Berichte über Fair­trade-zerti­fi­zierte Produk­ti­ons­stand­orte erzählen ähnliche Geschichten. 2016 hatte Max Havelaar eine Medi­en­reise nach Kenia orga­ni­siert, damit sich die mitge­rei­sten Journalist:innen vor Ort ein Bild von den Vorteilen der Fair­trade-Produk­tion von Rosen machen können. Entstanden ist eine Repor­tage in der Gratis­zei­tung 20 Minuten. „Ich konnte mir Bett und Matratze leisten“, wird eine Rosen­pflückerin darin zitiert. Auf Kredit. Alles dank Fair Trade.

Und die lobende Darstel­lung des Fair­trade-Labels geht noch weiter: Die Arbeiter:innen hätten mit der Zerti­fi­zie­rung auch Gummi­stiefel für die Arbeit im Gewächs­haus erhalten, damit sie nicht mehr mit nassen Socken arbeiten müssten. Die Fair­trade-Prämie habe ausserdem einen Ausbau der Frau­en­klink ermög­licht. Neu seien Wöch­ne­rinnen dort nicht mehr zu dritt mit ihren Babys in einem Bett unter­ge­bracht, sondern nur noch zu zweit. Kriti­sche Fragen stellt die Jour­na­li­stin keine.

Endlich Kontakt

Die Frage, ob das nun wirk­lich schon fair ist im Vergleich zum hier übli­chen Lebens­stan­dard, ist damit eigent­lich schon beant­wortet. Trotzdem würden wir sie gern noch mit einer Person disku­tieren, die tatsäch­lich an der Produk­tion von Fair­trade-Produkten mitar­beitet. So schwierig sollte das ja eigent­lich nicht sein.

Nachdem wir bei der Migros geschei­tert sind, wagen wir also einen zweiten Anlauf – und fragen bei Max Havelaar nach, ob man uns mit den Mais­kölb­chen­farmen in Kontakt bringen könne. Anders als Migros und Coop will man uns dort diesen Wunsch erfüllen. Dafür muss Max Havelaar Schweiz bei der Part­ner­or­ga­ni­sa­tion Fair­trade Network of Asian and Pacific Produ­cers (Fair­trade NAPP) nach­fragen, ob Kontakt herge­stellt werden könne, was schliess­lich auch gelingt. Einige Wochen nach Recher­che­be­ginn erhalten wir drei indi­sche Handynummern.

Ist die Mais­kölb­chen-Produk­tion unter dem Fair­trade-Label wirk­lich schon fair? Oder einfach weniger unfair? Diese Frage konnten wir nun endlich per WhatsApp denje­nigen stellen, die es am besten wissen sollten.

Leider blieben zwei von drei Chats auch nach mehreren Nach­fragen stumm. Nur aus einer Mais­kölb­chen­farm erhalten wir Antworten auf unsere Fragen. Seit vier Jahren arbeite seine Farm mit Fair­trade zusammen, schreibt uns der Direktor und Bauer. Und das habe sich gelohnt: „Fair­trade hat uns dabei geholfen, uns weiter­zu­ent­wickeln“, so der Direktor. „Ausserdem öffnet das Label den Welt­markt für kleine Landwirt:innen, und es bietet einen land­wirt­schaft­li­chen Stan­dard sowie Ausbildungsprogramme.“

Unsere Ausgangs­frage bleibt aller­dings unbe­ant­wortet. Auch nach mehr­ma­ligem Nach­haken. Der Direktor bestä­tigt zwar, dass sein Betrieb von der Koope­ra­tion mit Fair­trade profi­tiert und damit auch, dass Fair­trade besser ist als gar nichts. Aber ob es deswegen wirk­lich schon fair ist, wissen wir weiterhin nicht aus erster Hand.

Weil wir den Land­wirten in Indien nicht mehr errei­chen können, richten wir unsere Frage an Fair­trade Max Havelaar Schweiz. Die Antwort: „Fair­trade Max Havelaar hat das Ziel, Klein­bau­ern­fa­mi­lien und Ange­stellten in Entwick­lungs­län­dern ein besseres Einkommen und gute Arbeits­be­din­gungen zu ermög­li­chen“, so die Medi­en­stelle. Fair­trade sei aber kein Wunder­mittel, das auf einen Schlag alles besser mache. „Für eine nach­hal­tige Wirkung braucht es Zeit.“

Und damit bestä­tigt schliess­lich auch Max Havelaar indi­rekt das Offen­sicht­liche: Nämlich dass die Stan­dards, die ange­wendet werden, nicht dem entspre­chen, was wir uns hier­zu­lande unter fairen Arbeits- und Lebens­be­din­gungen vorstellen. Fair – das sollte doch mehr beinhalten als eine Matratze auf Pump, ein Klo auf der Dorf­schule oder ein halbes Bett in der Frau­en­klinik. Auch wenn ein halbes Bett besser ist als ein Drittel eines Betts.

Konsum vergrös­sert den Graben

Fakt ist: Dank denje­nigen, die sich damit zufrie­den­geben müssen, das Spital­bett zu teilen, sind die Preise in den hiesigen Läden billiger. Was wiederum heisst, dass wir bei jedem Kauf auf Kosten der Maiskölbchenfarmer:innen und der Rosenpflücker:innen ein biss­chen was auf die Seite legen können. Bei normalen Produkten mehr, bei Fair­trade-Produkten weniger.

Doch egal ob Fair­trade oder nicht: Mit jedem Kilo Kaffee, mit jeder Rose aus Kenia und mit jedem Mais­kölb­chen, das wir uns in den Einkaufs­wagen legen, vergrös­sert sich der Graben ein biss­chen mehr. Der Graben zwischen denje­nigen, die sich über eine Toilette freuen sollen, und denje­nigen, die es nicht einmal mehr merken, dass mit der hiesigen Konsum­wirt­schaft andere ausge­beutet werden.

Und mit den erbeu­teten Franken leisten wir uns dann den wohl­ver­dienten Feri­en­flug nach Indien, Kenia oder Thai­land, um gleich noch­mals davon zu profi­tieren, dass man sich dort anders als bei den Schweizer Lohn­vor­stel­lungen gegen wenig Geld von Putz­kräften, Taxifahrer:innen und Gastro­an­ge­stellten bedienen lassen kann. Der Billig­flug ermög­licht den Klassenwechsel.

Das Schmier­mittel dafür: Erdöl. Denn nur mit der Möglich­keit, Tausende von Kilo­meter saugün­stig zurück­zu­legen, kann es sich über­haupt lohnen, Mais­kölb­chen in Indien wachsen zu lassen, Rosen aus Kenia in die Schweiz zu fliegen oder für zwei Wochen nach Thai­land zu reisen. Kleiner Neben­ef­fekt: Klimakrise.

Für unsere Privi­le­gien zahlen die anderen

So gehen unsere Privi­le­gien auf Kosten derje­nigen, die heute oder in Zukunft den Planeten mit uns teilen. Und derje­nigen, für die scheinbar völlig andere Lebens­stan­dards gelten als für uns. Auch wenn ein Fair­trade-Label das Anwachsen des Grabens zwischen denen hier und den anderen dort ein wenig verlang­samen kann – fair ist Fair­trade noch nicht. Denn in der Schweiz würde sich wohl niemand mit einem halben Spital­bett zufrie­den­geben wollen.

Die noch viel grös­sere Frage ist jedoch, wie es sein kann, dass in einem der reich­sten Länder der Welt zu Produkten gegriffen werden kann, die viel­leicht nicht einmal dieses halbe Bett garan­tieren können. „Das finden wir selbst­ver­ständ­lich nicht gut“, schreibt uns Max Havelaar Schweiz dazu zurück. Der Chat aus Indien bleibt jedoch auch bei dieser Frage stumm.

 


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