Nicht alle Firmen zahlen die CO2-Abgabe. Hintertür I: Das Emissionshandelssystem

Seit 2008 zahlen eigent­lich alle Schweizer Firmen und Haus­halte eine CO2-Abgabe auf die fossilen Brenn­stoffe, die sie verbrau­chen. Doch gerade die Firmen, die am meisten Klima­schaden verur­sa­chen, können sich vor der Abgabe drücken. 
Das CO2-Gesetz in acht Folgen - Teil 3. (Illustration: Luca Mondgenast)

Das CO2-Gesetz in acht Folgen: Dieser Artikel ist der dritte Teil einer Serie. Alle Artikel findest du hier.


Fossile Brenn­stoffe wie Heizöl oder Erdgas verur­sa­chen Treib­haus­gase. Über die CO2-Abgabe zahlen wir auf diese Treib­haus­gase unter dem aktu­ellen CO2-Gesetz eine Abgabe von 96 Franken pro Tonne verur­sachtes CO2. Mit dem neuen CO2-Gesetz, über welches wir in ein paar Wochen abstimmen, könnte der Betrag bis auf 210 Franken pro Tonne im Jahr 2030 erhöht werden. Fossile Treib­stoffe wie Diesel oder Benzin fallen hingegen nicht unter die CO2-Abgabe.

Dem einen oder anderen Porte­mon­naie tut die CO2-Abgabe weh. Dennoch ist sie eigent­lich ein faires Instru­ment, um der Klima­er­wär­mung entge­gen­zu­wirken. Denn die Abgabe funk­tio­niert nach dem Verursacher:innenprinzip: Wer CO2 ausstosst, soll auch dafür bezahlen.

Doch nicht alle Verursacher:innen werden gleich zur Kasse gebeten. Beim aktu­ellen und auch beim revi­dierten CO2-Gesetz gibt es Hinter­türen – also Möglich­keiten, die CO2-Abgabe zu umgehen und erst noch davon zu profi­tieren, dass andere sie zahlen. Und das ausge­rechnet für Firmen, welche die grössten Mengen an Klima­gasen verur­sa­chen. Eine dieser Hinter­türen ist der Emis­si­ons­handel. Wer dort mitmacht, muss keine CO2-Abgabe bezahlen.

An Komple­xität kaum zu überbieten

Das Emis­si­ons­han­dels­sy­stem (EHS) ist wohl das kompli­zier­teste Instru­ment in der Klima­po­litik. Dahinter steckt die Idee, einen neuen Markt zu schaffen. Einen Markt, auf dem ein dreckiges Gut gehan­delt wird: das Recht, CO2 in die Luft zu pusten.

Dabei defi­niert die Politik, wie viel Tonnen CO2 maximal in einem Jahr auf Schweizer Boden ausge­stossen werden dürfen. Diese Ober­grenze ist der soge­nannte Cap. Auf der Basis von diesem Cap gibt der Staat Zerti­fi­kate raus. Wenn eine Firma solche Zerti­fi­kate kauft, darf sie dafür eine bestimmte Menge CO2 ausstossen. Um die Emis­sionen runter­zu­bringen, senkt der Staat diese Ober­grenze jedes Jahr ein wenig mehr. Zuständig für die Umset­zung ist das Bundesamt für Umwelt (BAFU).

In der Theorie soll die unsicht­bare Hand des Markts so aufspüren, wo am billig­sten CO2 redu­ziert werden kann. Denn die Firmen, bei denen die Reduk­tionen am wenig­sten kosten, könnten neben ihren eigenen auch die Reduk­tionen der Betriebe über­nehmen, bei denen die nötigen Anpas­sungen teurer wären. Denn: Die EHS-Teilnehmer:innen können die Emis­si­ons­rechte nicht nur bei den regel­mässig vom BAFU durch­ge­führten Verstei­ge­rungen ergat­tern, sondern dürfen sich die Emis­si­ons­rechte auch gegen­seitig verkaufen. Zahlen müssten so beide: die einen, um die für die CO2-Reduk­tion nötigen Schritte umzu­setzen, die anderen für das Recht, CO2 auszustossen.

Das hat für die Firmen einen Vorteil: Es müssen nicht alle gleich stark runter mit ihren Klima­gasen. Doch was in der Theorie gut klingt, hat in der Praxis so einige Haken.

Die grössten Verschmutzer:innen müssen beim EHS mitma­chen. Andere dürfen.

Welche Firmen sich von der CO2-Abgabe befreien lassen können, steht in den Anhängen 6 und 7 der geltenden CO2-Verord­nung. Bran­chen, die von der CO2-Abgabe befreit sind, dafür aber gleich­zeitig am EHS teil­nehmen müssen, sind im Anhang 6 aufge­li­stet. Im Anhang 7 stehen die Bran­chen, in denen die Firmen frei­willig mitma­chen können. Diese dürfen also wählen, ob sie Abgaben auf CO2 bezahlen oder Zerti­fi­kate kaufen möchten. Zudem haben diese Firmen auch noch eine andere Möglich­keit, sich von der CO2-Abgabe zu befreien. Dazu aber mehr im näch­sten Teil unserer CO2-Serie.

Auf der Liste im Anhang 6 stehen die Wirt­schafts­zweige, die am meisten Treib­haus­gase verur­sa­chen: die Produk­tion von Alumi­nium und Zement etwa, aber auch die Metall­ver­ar­bei­tung und gewisse Teile aus der Chemie­branche. Nicht aufge­zählt, aber gleich­falls zur Teil­nahme am EHS verpflichtet ist die Luft­fahrt (aktu­elles CO2-Gesetz, Art. 16a).

Auf der Liste der Frei­wil­ligen befinden sich unter anderem die Uhren­branche, der Anbau von Pflanzen in Gewächs­häu­sern, die Herstel­lung von Getränken und Papier oder die Tabak­ver­ar­bei­tung. Sie stehen gemeinsam auf einer Liste, weil der Bundesrat befürchtet, dass die CO2-Abgabe ihre Wett­be­werbs­fä­hig­keit zu stark beein­träch­tigen könnte. Aber auch bei den Bran­chen auf dieser Liste handelt es sich typi­scher­weise um CO2-inten­sive Wirt­schafts­zweige, wie das BAFU auf Anfrage schreibt.

Wer nun aber denkt, dass die Bran­chen, die auf den Listen 6 und 7 stehen, stärker an die Kandare genommen werden, weil sie viel CO2 ausstossen, liegt weit daneben. Was nach einer Pflicht aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen für einige Firmen als Segen.

Zum Beispiel für den Zement­riesen Holcim. Das SRF-Wirt­schafts­ma­gazin Eco berich­tete Anfang 2020, dass sich bei Holcim durch die Teil­nahme am EHS über die Jahre ziem­lich viele unge­brauchte Emis­si­ons­zer­ti­fi­kate ange­sam­melt haben. Sprich: Holcim hat mehr Emis­si­ons­rechte ergat­tert, als der Konzern für den Ausstoss seiner Treib­haus­gase eigent­lich gebraucht hätte. Emis­si­ons­rechte, die der Zement­riese in den letzten Jahren nicht nutzen musste, hat er zur Seite gepackt. Das SRF schätzt deren Wert auf 40 Millionen Franken. Wie kam es dazu? Antworten finden sich tief in den Details des CO2-Gesetzes.

Der Markt versagt: Die Firmen horten die Zerti­fi­kate, anstatt damit zu handeln

2017 hat die eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle (EFK) die Wirkung des Emis­si­ons­han­dels über­prüft. In ihrem Bericht schreibt die EFK: „Würde das EHS in seiner Rein­form ange­wendet, […] wären die Vermei­dungs­ko­sten für eine bestimmte Menge CO2 theo­re­tisch iden­tisch wie bei der CO2-Abgabe.“ In dieser „Rein­form“ würden die EHS-Firmen also nicht weniger, sondern nur anders für ihren CO2-Ausstoss bezahlen. Die einen, weil sie für Mass­nahmen zur Reduk­tion von CO2 Geld in die Hand nehmen müssen. Und die anderen, weil sie nicht redu­zieren und darum Lizenzen dafür kaufen müssen, um weiterhin verschmutzen zu dürfen. 

Doch von dieser „Rein­form“ ist das derzei­tige EHS-Konstrukt weit entfernt. „Nach den ersten drei Jahren Emis­si­ons­handel […] muss fest­ge­halten werden, dass die Handels­ak­ti­vität zwischen den Firmen schwach ausge­prägt ist. Alle Verkäufer haben Reserven gebildet“, schreibt die EFK. Sprich: Anstatt durch Handel die billig­sten CO2-Reduk­tionen ausfindig zu machen, horten die EHS-Firmen Verschmutzungsrechte.

Dass die Firmen wenig mit Emis­sionen handeln, erstaunt nicht. Im Gegen­teil: Die Verknap­pung des gehan­delten Gutes, also der Emis­si­ons­rechte, ist gerade der Kern des künst­lich geschaf­fenen EHS-Marktes. Und wenn etwas knapper wird, wird es in der Regel teurer. Und wenn zu erwarten ist, dass ein Gut an Wert gewinnt, wird es gehortet. BWL, erste Stunde.

Auf die Frage, ob die EHS-Firmen seit dem Erscheinen des EFK-Berichts stärker unter­ein­ander gehan­delt haben, schreibt uns das Bundesamt für Umwelt (BAFU), dass man dazu keine Infor­ma­tionen habe.

Zu viele gratis verteilte Emissionsrechte

Ein weiteres Problem: Jedes Jahr bekommen alle Firmen, die am EHS teil­nehmen, vom BAFU gratis neue Verschmut­zungs­rechte zuge­teilt. Die einen mehr, die anderen weniger. Das soll die EHS-Firmen in zwei Gruppen teilen. Die Firmen der einen Gruppe produ­zieren CO2-mässig so gut, dass ihnen die Gratis­zer­ti­fi­kate genügen, um übers Jahr zu kommen. Einige haben Ende Jahr sogar noch Emis­si­ons­rechte übrig. Die anderen müssen noch Zerti­fi­kate dazu kaufen, um ihre ausge­stos­senen Klima­gase zu legalisieren.

Da der Schweizer Emis­si­ons­handel Anfang 2020 mit dem EHS der EU zusam­men­ge­schlossen wurde, orien­tiert sich das BAFU beim Verteilen der Gratis­zer­ti­fi­kate an Bezugs­werten aus der EU, den soge­nannten Bench­marks. Sie werden anhand der besten, also treib­haus­gas­ef­fi­zi­en­te­sten 10 % aller EU-Betriebe berechnet und für jede Branche einzeln gesetzt. Zum Beispiel beim Zement: Für die Berech­nung des Zement-Bench­marks werden die besten 10 % der Zementhersteller:innen der EU heran­ge­zogen. Die CO2-Bilanz der besten 10 % der Alu-Fabriken in der EU bestimmen den Alu-Bench­mark der Schweiz und so weiter. Weil viele Schweizer Firmen im euro­päi­schen Vergleich vorne dabei sind, werden in der Schweiz viele Gratis­zer­ti­fi­kate verteilt.

Um die Verknap­pung der Emis­si­ons­rechte trotzdem voran­zu­treiben, wird die Menge der jähr­lich kostenlos zuge­teilten Emis­si­ons­rechte laufend redu­ziert. Und zwar um den „Anpas­sungs­faktor“, der im Anhang 9 der geltenden CO2-Verord­nung steht. 2021 beträgt dieser Anpas­sungs­faktor 0.3. Die Firmen kriegen für das Jahr 2021 also nur 30 % der Gratis­zer­ti­fi­kate, die ihnen laut dem Bench­mar­king zustehen würden.

Das klingt streng. Doch da steht noch etwas anderes im Anhang 9. Der Anpas­sungs­faktor 0.3 gilt nämlich nur für die Firmen, die nicht im Anhang des Beschlusses 2019/708/EU aufge­führt sind. Auf dieser Liste stehen Bran­chen, bei denen die Gefahr bestehe, dass Firmen ihre Produk­tion und damit ihre CO2-Emis­sionen ins Ausland verla­gern könnten. Um Carbon Leakage, also das Ausla­gern von CO2 ins Ausland, zu vermeiden, kriegen die Firmen den Anpas­sungs­faktor 1. Und damit 100 % der Gratiszertifikate.

Von den 51 Firmen, die in der Schweiz am EHS teil­nehmen, fallen laut BAFU derzeit 35 in die Kate­gorie «Carbon-Leakage-gefährdet». Nur etwa ein Drittel aller EHS-Firmen hat im 2021 also tatsäch­lich 70 % weniger Gratis­zer­ti­fi­kate gekriegt.

Billige Auslands­zer­ti­fi­kate kaufen und die teuren vom BAFU horten

Und noch etwas hat dazu geführt, dass einige EHS-Firmen Emis­si­ons­rechte bunkern konnten. Die EHS-Teilnehmer:innen durften sich nämlich bis vor Kurzem eine bestimmte Menge ihres CO2-Ausstosses mit soge­nannten CERs (Certi­fied Emis­sion Reduc­tions) erkaufen. Das sind Zerti­fi­kate für Reduk­ti­ons­mass­nahmen, die im Ausland erbracht wurden. Laut dem bereits erwähnten Bericht der EFK waren diese Zerti­fi­kate 2013 bereits ab einem Franken zu haben. Die regu­lären Emis­si­ons­rechte kosteten zu derselben Zeit zwischen 20 und 40 Franken. Laut dem BAFU kosten die CERs heute je nach Quali­täts­stan­dard zwischen ein paar Rappen und 15 Franken.

Die Eidge­nös­si­sche Finanz­kom­mis­sion (EFK) hält fest: „Fast alle Firmen im EHS, auch jene mit einer Über­al­lo­ka­tion an Emis­si­ons­rechten, haben ihren Spiel­raum genutzt, indem sie anstelle der kostenlos zuge­teilten Emis­si­ons­rechte vorerst auslän­di­sche CERs gekauft und abge­geben haben.“ Die Firmen haben sich ihre Emis­si­ons­rechte also mit billigen CERs gesi­chert und die teuren Zerti­fi­kate vom BAFU auf die Seite gepackt. Auch die Firmen, die vom BAFU bereits mehr Emis­si­ons­rechte gratis zuge­teilt bekamen, als sie eigent­lich bräuchten.

Das ist in verschie­dener Hinsicht frag­würdig. Zum einen werden die Firmen damit in Zukunft massiv Gewinn machen, weil die gehor­teten Zerti­fi­kate voraus­sicht­lich an Wert zulegen werden. Durch die Möglich­keit, CERs zu kaufen, kamen aber auch mehr Emis­si­ons­rechte auf den Emis­si­ons­markt, als von den Gesetzgeber:innen eigent­lich vorge­sehen waren. Denn die über die CERs erkauften Emis­si­ons­rechte kamen zusätz­lich zum im CO2-Gesetz vorge­se­henen Cap auf den Emis­si­ons­markt. Das führte dazu, dass der Fahr­plan zur CO2-Reduk­tion nicht einge­halten werden konnte. Zwischen 2013 und 2015 haben CERs den Cap um 4 % ange­hoben, schreibt die EFK.

Die Emis­si­ons­rechte laufen nicht ab

Die Ansamm­lung von Emis­si­ons­rechten im Wert von 40 Millionen Franken beim Zement­riesen Holcim hat also mehrere Ursa­chen: Erstens hat sich auch Holcim mit CERs einge­deckt. Zwei­tens schneidet der Konzern vergli­chen mit anderen euro­päi­schen Zementproduzent:innen gut ab, wodurch ihm eine grosse Menge Gratis­zer­ti­fi­kate zuge­teilt wird. Und drit­tens geniesst Holcim die Vorteile der Einstu­fung der Zement­branche als Carbon-Leakage-gefährdet. Der Zement­her­steller kriegte also immer 100 % der gratis zuge­teilten Emis­si­ons­rechte. Aus all diesen Gründen sitzt Holcim jetzt auf einem Berg Zertifikate.

Da erstaunt es nicht, dass der Holcim-Chef im Inter­view mit der Sonn­tags­zei­tung Anfang 2020 höhere Preise für CO2-Emis­si­ons­rechte forderte. Denn auch seine Zerti­fi­kate würden stark aufge­wertet. Und: Die Zerti­fi­kate haben kein Ablauf­datum. Sowohl unter dem geltenden CO2-Gesetz (Art 48) wie auch unter dem revi­dierten CO2-Gesetz (Art. 77) können die EHS-Firmen die gehor­teten Emis­si­ons­rechte noch in kommenden Jahren einsetzen oder verkaufen. Also auch in der Handel­s­pe­riode, in die wir mit dem Jahr 2021 soeben gestartet sind. Der WWF Schweiz fordert hingegen, dass bis Ende 2020 gratis zuge­teilte Emis­si­ons­rechte nicht in die neue Periode über­tragen werden dürfen. Denn in der gerade eben abge­schlos­senen Handel­s­pe­riode lief nicht immer alles rund.

Nach der Schlies­sung der Tamoil-Raffi­nerie im Wallis wurde der Cap nicht angepasst

Dies zeigt auch der Fall Tamoil im Kanton Wallis. Mitte 2015 stellte die Erdöl­raf­fi­nerie in Collombey den Betrieb ein. Bis dahin war die Walliser Erdöl­raf­fi­nerie die mit Abstand grösste Käuferin von Emis­si­ons­rechten im Schweizer EHS. Durch die Schlies­sung der Raffi­nerie wurde ab 2015 im Wallis zwar viel weniger CO2 verur­sacht. Doch damit hatte man bei der Berech­nung des Caps nicht gerechnet. Weil nun mit Tamoil die grösste Nach­fra­gerin nach Schweizer Emis­si­ons­rechten wegfiel, war der Cap plötz­lich viel zu hoch. Trotzdem entschied der Bundesrat damals, dass die für Tamoil vorge­se­henen Verschmut­zungs­rechte im EHS bleiben sollen. Der Cap sei bereits für die gesamte Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 im Voraus fest­ge­legt worden, so die Begründung.

Tatsäch­lich schien der Bundesrat gar keine andere Wahl gehabt zu haben. Laut dem Bericht der Eidge­nös­si­schen Finanz­kon­trolle (Seite 24) wäre es geset­zes­widrig gewesen, wenn das BAFU die Emis­si­ons­rechte von Tamoil nicht verstei­gert hätte. Doch das ist nicht die ganze Wahr­heit. Etwas Spiel­raum wäre dem BAFU nämlich geblieben: Das Bundesamt darf jedes Jahr 5 % der Zerti­fi­kate als Reserve zurück­halten. Dies für den Fall, dass neue Firmen auftau­chen, die eben­falls mit Emis­si­ons­rechten versorgt werden wollen. 

„Bis Anfang dieses Jahres gab es keine gesetz­liche Grund­lage, Emis­si­ons­rechte stillzulegen.“

Bundesamt für Umwelt (Bafu, 2021)

Wir haben das BAFU gefragt, was in den letzten Jahren mit diesen 5 % Reserven passiert ist. Die Antwort: „Sie wurden verstei­gert. Bis Anfang dieses Jahres gab es keine gesetz­liche Grund­lage, Emis­si­ons­rechte stillzulegen.“ 

Die eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle sieht das jedoch anders. Laut ihrem Bericht hätte das BAFU den gesetz­li­chen Spiel­raum gehabt, die 5 % Reserven vom Markt zu nehmen, anstatt sie zu verstei­gern (Seite 24).

Keine CO2-Abgabe zahlen und dafür Geld bekommen

Holcim bunkert Zerti­fi­kate, Tamoil macht die Raffi­nerie zu und flutet den Markt mit Emis­si­ons­rechten. Ob solchen Konstruk­ti­ons­feh­lern geht der grösste von allen fast vergessen. Er ist nämlich so gross, dass man ihn glatt über­sehen könnte und führt uns zurück zur CO2-Abgabe.

Anders als die meisten anderen Firmen müssen die EHS-Firmen ja keine CO2-Abgabe bezahlen. Da die CO2-Abgabe nicht als Steuer, sondern als Lenkungs­ab­gabe gedacht ist, landet sie am Schluss nicht in der Staats­kasse, sondern wird an die Schweizer Haus­halte und Firmen zurück­ver­teilt – auch an die EHS-Firmen. Und das, obwohl diese keinen Rappen in diesen Umver­tei­lungs­topf einbe­zahlt haben. Laut der EFK waren diese Rück­ver­tei­lungs­be­träge beträcht­lich und deckten den Firmen zum Teil sämt­liche Kosten für den Kauf von Emissionsrechten.

„Gene­rell kann gefol­gert werden, dass das Schweizer EHS in der Verpflich­tungs­pe­riode 2013–2020 für die teil­neh­menden Firmen prak­tisch keine direkten Anreize schafft, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren.“

Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle (EFK, 2017)

Die EFK kommt zu einem vernich­tenden Fazit: „Gene­rell kann gefol­gert werden, dass das Schweizer EHS in der Verpflich­tungs­pe­riode 2013–2020 für die teil­neh­menden Firmen prak­tisch keine direkten Anreize schafft, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren.“

Was wird sich an den EHS-Regeln ändern, wenn wir das revi­dierte CO2-Gesetz annehmen?

Von 2013 bis 2020 ging das EHS also ziem­lich in die Hose. Was als markt­freund­lich verkauft wurde, hat sich schlicht als wirkungslos entpuppt. Doch was wird sich ändern, wenn wir in ein paar Wochen das revi­dierte CO2-Gesetz annehmen?

Darum geht es:Geltendes CO2-GesetzNeues CO2-Gesetz
Bench­marks:
Orien­tie­rung an den treib­haus­gas­ef­fi­zien-testen 10%-EU-Betriebe



Die 10%-EU-Benchmarks gelten seit 2013.



Der Schweizer EHS wurde 2020 mit dem Euro­päi­schen EHS verknüpft. Die 10%-EU-Benchmarks bleiben dementspre­chend bestehen. 
Carbon Leakage:
Für Firmen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ihre Produk­tion und damit ihre CO2-Emis­sionen ins Ausland verla­gern könnten, gilt der Anpas­sungs­faktor 1. Sie erhalten 100% der Gratiszertifikate. 
Laut dem Bafu fallen gegen­wärtig mehr als zwei Drittel der Firmen in die Kate­gorie «Carbon-Leakage-gefährdet».



Die Revi­sion des CO2-Gesetzes ändert daran nichts. 






CERs:
Die EHS-Firmen können einen Teil ihrer Emis­si­ons­rechte durch den Kauf von billi­geren Auslands­zer­ti­fi­katen, soge­nannten CERs, decken.






Der Zukauf von billigen CERs war in der Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 zugelassen.








Ab 2021 ist der Zukauf von CERs nicht mehr zuge­lassen. Egal, ob wir das neue Gesetz annehmen oder nicht. Denn diese Ände­rung hat nichts mit der Revi­sion des CO2-Gesetzes zu tun. Der Zukauf von CERs wurde verboten, um die Regeln im Schweizer EHS mit der EU in Einklang zu bringen.
Über­tra­gung der Emis­si­ons­rechte:
Die EHS-Firmen dürfen nicht gebrauchte Emis­si­ons­rechte in die nächste EHS-Phase weiternehmen.
Erlaubt nach Artikel 48 des aktu­ellen CO2-Gesetzes.



Das Über­tragen der gehor­teten Emis­si­ons­rechte in neue Handel­s­pe­ri­oden wäre weiterhin erlaubt (revi­diertes CO2-Gesetz, Artikel 77).
Regu­la­tion:
Kann der Cap beim Wegfall von grossen Playern ange­passt werden?












Das BAFU kann den für eine Handel­s­pe­riode defi­nierten Cap nicht beein­flussen. Die einzige Möglich­keit, die Höhe des Caps zu steuern, ist über die 5% Reserve.









2020 wurde der Schweizer EHS mit dem EHS der EU verknüpft. Dabei wurde das CO2-Gesetz ange­passt. Neu kann der Bundesrat entscheiden, dass nur ein Teil der übrigen Emis­si­ons­rechte verstei­gert wird (aktu­elles CO2-Gesetz, Art. 19 Abs. 5). Eine entspre­chende Rege­lung ist auch im neuen CO2-Gesetz vorge­sehen (revi­diertes CO2-Gesetz, Art. 26 Abs. 5).  
Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe:
Erhalten Firmen, die keine CO2-Abgabe bezahlen, trotzdem etwas zurück bei der Rück­ver­tei­lung der Lenkungsabgabe?





Auch Firmen, die von der CO2-Abgabe befreit sind, erhalten Geld aus dem Rück­ver­tei­lungs­fonds zurück.







Das Parla­ment hat bei der Revi­sion des CO2-Gesetzes beschlossen, dass die EHS-Firmen weiterhin von der Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe profi­tieren sollen, obwohl sie selbst nichts einzahlen. Die Begrün­dung: Die Firmen könnten nicht selbst wählen, ob sie beim EHS mitma­chen oder nicht.

Auch bei einer Annahme des revi­dierten CO2-Gesetzes würden die EHS-Firmen also weiterhin Geld aus dem Topf der CO2-Abgabe erhalten, obwohl sie selbst keine CO2-Abgabe bezahlen. Zudem dürfte die Mehr­heit der Firmen auch künftig als Carbon-Leakage-gefährdet einge­stuft werden. Und die Gratis­zer­ti­fi­kate, die sie dafür bekommen, dürften sie auch unter dem neuen CO2-Gesetz in die nächste Handel­s­pe­riode mitnehmen.

Es gibt aber auch Verbes­se­rungen: So können die EHS-Firmen nicht mehr auf die billigen CERs auswei­chen. Und bei einem zweiten „Fall Tamoil“ könnte das BAFU eingreifen. Diese Anpas­sungen haben aber eigent­lich nichts mit der Revi­sion des CO2-Gesetzes zu tun.

Und ob diese Verschär­fungen tatsäch­lich zu mehr Druck führen werden, ist noch alles andere als klar. Auch wenn die Preise für die Emis­si­ons­rechte in den letzten Wochen erstaun­lich stark gestiegen sind. Denn die Tresore einiger EHS-Firmen sind noch rappel­voll mit Lizenzen zum Verschmutzen.


Damit ihr die Über­sicht nicht verliert – Hier die Schweizer Klima­ge­setz­ge­bung auf einen Blick (oder viel­leicht auf zwei):

Klima­ge­setz­ge­bung in der Schweiz. (Illu­stra­tion: Luca Mond­genast)


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