Man nehme an, das Thema Schwarzarbeit findet einen Weg in hiesige Kinosäle. Das Publikum: irgendwo im bildungsbürgerlichen Milieu zu verorten und entsetzt. Welche Gedanken schweben in diesen Köpfen? Praktischerweise lässt sich dies seit Ende April und der Premiere von Ulrich Grossenbachers neuester Doku empirisch ungefähr wie folgt feststellen: „Schwarzarbeit, bei uns? Schlimm.“ Kurz darauf ergänzt durch die brennende Frage, ob da nicht etwas dagegen unternommen werden sollte. Aber von vorne.
In 109 Minuten Spielzeit flimmert ein Kondensat aus 70 Drehtagen, erstreckt über ein Zeitfenster innerhalb der letzten vier Jahre, auf Baustellen, in Gastrobetrieben und weiteren Arbeitsorten im Kanton Bern, über Deutschschweizer Leinwände. Filmemacher Grossenbacher begleitet dabei fünf Arbeitsmarkt-Kontrolleur*innen durch das Berner Hinterland. Punkto Charakterentwicklung wären sie filmisch ein Volltreffer, doch ist hier alles echt.
Da wären der Gewerkschafts-Dudebro (Frédy Geiser) und sein Sidekick (Stefan Hirt) mit ähnlich ausgeprägtem Klassenkampf-Drive. Nicht fehlen darf der Bad Cop – netterweise kommt er gar in Form eines waschechten Ex-Kantonspolizisten (Christoph Zaugg). Dessen sozial affinerer Partner (Marcos Feijoo): stets bemüht, die Kontrollen menschlicher anzugehen und die actiongierige Furie zu bändigen. Und dort zuletzt die Aspirantin (Regula Aeschbacher). Bei ihr keine Spur des hilflosen „Schmetterlings“ – dem tollpatschigen „Tschugger“-Praktikanten – denn Schwarzarbeit ist trotz ausgiebiger Lacher keine ausnahmsweise hippe SRF-Komödie. Ihr erster Arbeitstag hält dennoch hervorragend als Grund hin, die (Arbeits-)Welt von den alten Hasen erklärt zu bekommen. Durch die Linse des Filmemachers schneiden praktischerweise auch die Ahnungslosen vor der Leinwand mit, wie der Lauschangriff auf Lohndumping aussehen kann.
Eintauchen, ohne Wellen zu werfen
Unsichtbarkeit ist dabei die augenscheinlichste Qualität der Dokumentation. So wirft manche Szene die Frage auf, wie Grossenbacher, als faktische Einmann-Filmcrew, die Verzweiflung eines auf der Baustelle illegal Arbeitenden so hautnah einfängt, ohne ihm in die Quere zu kommen.
Was sich im Berner Outback, ergänzt mit parallelen Szenen aus sieben Ecken der Schweiz, hier aus der Sicht des bis 2019 noch-SP-Nationalrats Corrado Pardini, abspielt, ist schon fast grosses Kino. Denn Schwarzarbeit rast über die Leinwand wie ein aufregender Roadmovie, der dank Polit-Thriller-Elementen rund um Intrigen um das mittlerweile gescheiterte institutionelle Rahmenabkommen mit der EU ordentlich „dark“ daherkommt.
Mal sind es ereignislose Touren durch idyllische Randregionen, auf denen keine Verstösse gegen Arbeitsrechte aufgedeckt werden, dann folgen regelrechte Razzien, bei denen die Protagonist*innen Kantonspolizist*innen auf Menschenjagd losschicken. Eine Mischung aus Adrenalin und verstörenden Fragen; manch einer kontrollierten Person drohen neben hohen Bussen auch das existenzielle Damoklesschwert der Ausweisung.
So sind das Arbeitsrecht und der Aufenthaltsstatus hierzulande eng verstrickt. Einst wurden Arbeitsmigrant*innen vordergründig im Rahmen des Saisonnier-Statuts vom Schweizer Arbeitsmarkt ausgenutzt – ohne Chancen auf ein Leben hierzulande, geschweige denn Familiennachzug. Heute, zwei Jahrzehnte nach dessen Abschaffung, sorgen Gesetze weiterhin dafür, dass Menschen höchstens dann frei sind, wenn sie den Bedürfnissen der Wirtschaft dienen. Alternativ – und für Unternehmen damals wie heute lukrativ – kann die aufenthaltsrechtlich prekäre Lage auch jenseits des Arbeitsgesetzes ausgenutzt werden. Man denke an Menschen mit N‑Status, denen Erwerbsarbeit verwehrt bleibt.
Autoszenen mit ihren Impromptu-Dialogen schaffen Platz für die inneren Widersprüche der Kontrolleur*innen – und den roten Faden der Geschichte. Ihr Anteil an Spielzeit ist keineswegs eine Verzerrung der Realität. Denn die bernischen Kontrolleur*innen verbringen auch „in real life“ rund ein Drittel ihrer Zeit im Auto. Das ist nicht unwichtig. „In dieser Zeit wird vieles erst verdaut“, kommentiert Kontrolleur Hirt im anschliessenden Podium.
Repression trifft die Betroffenen
Auch wenn die Arbeitsmarktkontrolle in erster Linie den Patrons an den Kragen gehen sollte, zeichnet die Doku ein ganz anderes Bild. Nur in seltenen Fällen erhalten sie Bussen, die den dreistelligen Bereich übersteigen. „Ein ‚Büessli‘ für sie, für die ausgebeuteten Schwarzangestellten gibt’s dafür die Ausschaffung“, fasst es Kontrolleur Hirt kurz. „Oft sind Täter*innen zudem bereits aufgrund vergangener Kontrollen bekannt und werden kaum aus dem Verkehr gezogen.“ Auf der Insel mitten in der EU lauern überall ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Schnell entblösst sich die Realität: Mit zahnlosen Arbeitsgesetzen und spärlichen Kontrollen herrschen hierzulande in Sachen Arbeit Wildwest-Zustände.
Die herrschende Mentalität veranschaulichen Szenen mit Gewerkschafter Pardini, in Schwarzarbeit Symbolfigur für die politischen Verstrickungen rund um Lohndumping. Mit ihm zu Besuch in der SRF-Arena oder gar an der Albisgüetlitagung der Sünnelipartei: SVP, FDP und Konsort*innen entlarven sich gegenüber den Angriffen des Sozialdemokraten in jenen Szenen konsequent selbst – die Situation ausgenutzter Menschen interessiert sie nicht. Eher hetzen sie gegen Ausländer*innen. Und abseits der Kameras reiben sie sich wohl die Hände beim Gedanken, Arbeitnehmer*innenrechte auf dem internationalen Arbeitsmarkt zu verscherbeln. Ein Segen für einheimische Unternehmer*innen oder ausländische Firmen, verborgen hinter nie endenden Subunternehmen-Ketten.
Worin genau besteht dabei noch eine Überraschung? Ein Blick in den vollen Saal des Kinos REX zeigt: Im Publikum sitzt eine starke Delegation der gutsituierten Berner Kultur-Intelligenzija. Und die ist empört über diese ach-so-neu wahrgenommene Ungerechtigkeit. Was man denn dagegen machen könne, will ein Anwesender bei der anschliessenden Podiumsdiskussion wissen. Anzumerken gilt, dass dabei nirgendwo einleuchtende Stichworte wie „Besitzverhältnisse“ oder „Enteignung“ fallen.
Welche Möglichkeiten es ausserhalb der Überwindung neoliberaler und kapitalistischer Verhältnisse gibt? Eine Antwort darauf bleibt ebenfalls aus. Keinesfalls vergessen werden sollte, dass Vereine wie die Arbeitsmarktkontrolle Bern (AMKBE) weiterhin im Auftrag des Staates und mit Mitwirkung von Arbeitgebendenverbänden handeln. Letztendlich heisst das, dass durch die obligate Einmischung der polizeilichen Repressionsbehörden nicht die Interessen der Arbeitenden geschützt werden, sondern diejenigen der Behörden. Im Kontext von Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus mit der vollen Härte eines rassistisch motivierten orientierten Grenzregimes.
Dessen ist sich Regisseur Grossenbacher bewusst: „Mit meinem Film will ich Fakten liefern. Dann können sich alle selbst ein Bild machen“, sagt er während des Gesprächs. Journalistisch lässt sich an der Perspektive des Films wenig rütteln. Streiten lässt sich aber sehr wohl darüber, ob Journalismus immer so „hands-off“ wie möglich sein muss. Gerade im Fall der Schwarzarbeit, die trotz ihrer Omnipräsenz im besten Fall eine Prise zurückhaltender Empörung verursacht – um dann gleich wieder vergessen zu werden. Das ist tragisch, denn ihre Existenz gehört zu den logischen Folgen der Liberalisierung des Arbeitsmarkts. Letztere transformierte Outsourcing, Arbeits- und Care-Migration von der Ausnahme zur absoluten Regel.
Ungeachtet dessen ist Schwarzarbeit genau der Film, den Boomer-Journalist*innen und Linksliberale brauchen, um mal wieder über Arbeitsbedingungen in der Schweiz zu sprechen. Er ist ein brillantes Stück Journalismus – zumindest in einer Welt, in der davon ausgegangen werden könnte, dass hinter den Augen vor der Leinwand so etwas wie ein kritischer Gedankenprozess abläuft. Sonst dürfte er ein schönes Beispiel eines gut gemeinten Diskussionsanstosses bleiben, in einer Welt, die schweren Geschützes bedarf.
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