- Ist eine völlig energieautonome Schweiz mit den erneuerbaren Energien möglich?
- Ist es möglich, auch im Winter den Strombedarf mit den Erneuerbaren zu decken? Wenn ja, was müsste man dazu ausbauen/entwickeln? Welche der vielen erneuerbaren Technologien haben den geringsten Effekt auf die Umwelt (auch in Bezug auf Lebensräume/Tiere)?
- Weil ja die erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollen, braucht es doch mehr Photovoltaikzellen. Und in diesen stecken doch Seltene Erden. Und dann hört man doch immer wieder, dass es von diesen Seltenen Erden nicht so viel gibt – und wenn, dann nur in China.
- Wie lange reichen die Seltenen Erden noch?
- Wieviel CO2 braucht Atomenergie?
- Wieviel Prozent unseres Energiebedarfs können wir mit Solarnergie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?
- Wieviel Energie können wir mit einem Ausbau der Windkraftwerke an den bestehenden Standorten ausbauen?
- Wie stark ist die Wasserkraft noch ausbaubar?
- Wie stark wird unser Stromverbrauch steigen, wenn vermehrt Elektroautos gekauft werden?
- Wie sollen die Mehrkosten (Windkraftwerke, Solarpanelplantagen und die für die Einspeisung notwendigen Leitungen mit so wenig Geld finanziert werden?
- Was ist mit den Stromeinsparungsvorgaben, welche Hausbesitzer zwingen werden, ihre Häuser energieeffizienter neu oder umzubauen?
- Womit werden all die Geräte finanziert, welche den neuen Standards nicht entsprechen, um die vorgeschriebenen Ziele bezüglich Energiereduktion zu erreichen?
- Fazit?!
Moritz Gysi: Ist eine völlig energieautonome Schweiz mit den erneuerbaren Energien möglich?
Im Moment importieren wir 75% unseres Energiekonsums von insgesamt 233 TWh (BFE, Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2015) in Form von Erdöl, Gas und Winterstrom. Die restlichen 25% entsprechen grob der inländischen Stromproduktion. Davon kommen nur 64% von erneuerbaren Energiequellen. Auf den gesamten Energiekonsum bezogen heisst das: 16 Prozent werden durch erneuerbare Energien gedeckt (64% x 25% = 16%), also 37 TWh. Wir müssten also unsere aktuelle erneuerbare Energieproduktion bei gleichbleibendem Energiekonsum versechsfachen.
Das ist wohl kaum realistisch. Allerdings muss auch das Einsparpotential berücksichtigt werden, etwa im Gebäudebereich, der mit 40% des Gesamtkonsums (93 TWh) ins Gewicht fällt. Mit gut isolierten Häusern und klugen Lüftungssystemen lässt sich der Netto-Energiebedarf um zwei Drittel, ja vielleicht gar so weit senken, dass wir gar keine Energie für das Heizen produzieren müssen. Angenommen, der Energieverbrauch der Gebäude kann um zwei Drittel (62 TWh) gesenkt werden, so müssen ’nur‘ noch die verbleibenden 223 — 62 TWh = 161 TWh durch Effizienzsteigerung, Konsumreduktion und Zuwachs an erneuerbaren Energien kompensiert werden.
Da es nicht sinnvoll ist, Gebäude (direkt) mit Strom zu beheizen, sollten in einem optimistischen Szenario 31 TWh, die wir immer noch brauchen, um die Häuser zu heizen, mit erneuerbarer thermischer Energie (Holz, Erdwärme, Abwärme, Wärmespeicher) gedeckt werden können. Es blieben also 161 — 31 TWh = 130 TWh.
Aber auch in der Mobilität liesse sich einiges einsparen. Würden alle Privatautos, die heute 57 TWh verschlingen, auf Elektroantrieb umgesattelt, so liesse sich der Energiekonsum in der Mobilität auf ca. 12 TWh reduzieren (siehe auch Wie stark wird unser Stromverbrauch steigen, wenn vermehrt Elektroautos gekauft werden?). Wir könnten also nochmals 45 TWh einsparen. Damit blieben 130 — 45 TWh, oder 85 TWh.
Das Ausbaupotenzial der erneuerbaren Energien (siehe auch mein provisorisches Fazit sowie meine Bemerkungen zur ökologischen Güte der Erneuerbaren in Wieviel Prozent unseres Energiebedarfs können wir mit Solarnergie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?) liegt nach (optimistischen) Schätzungen bei 30 TWh. Zusammen mit den bereits jährlich produzierten 37 TWh könnten die erneuerbaren Energien nach dem Ausbau also 67 TWh an elektrischer Energie bereitstellen. Abzüglich der oben erwähnten, optimistischen Einsparungen im Gebäudebereich und im Verkehr bliebe eine Lücke von 85 — 67 TWh = 18 TWh. Das entspricht rund 8% des heutigen Energiekonsums.
Aber: Dieses Szenario ist sehr optimistisch hinsichtlich der Effizienzsteigerung. Auch ist es fraglich, wie ökologisch ein Elektroautopark wirklich ist. Es wird also, um deine Frage zu beantworten, nicht ohne Abstriche an unserem exorbitanten Energiekonsum gehen. Gesteigerte Effizienz gepaart mit Suffizienz (Genügsamkeit) heisst also die Losung. Mit solchen Abstrichen müssen wir allerdings künftig sowieso rechnen, denn: Wir können nicht darauf setzen, dass das Öl auch künftig so billig und verlässlich in unser Land fliessen wird.
Lou Goetzmann: Ist es möglich, auch im Winter den Strombedarf mit den Erneuerbaren zu decken? Wenn ja, was müsste man dazu ausbauen/entwickeln? Welche der vielen erneuerbaren Technologien haben den geringsten Effekt auf die Umwelt (auch in Bezug auf Lebensräume/Tiere)?
Das ist in der Tat eine grosse Herausforderung. Denn im Winter steht die Sonne viel tiefer am Horizont. Dadurch ist die einfallende Sonnenstrahlung schwächer und die Leistung von Solaranlagen geringer. Zugleich ist der Strombedarf für Licht und Wärmetauscher im Winter höher. Allerdings ist beispielsweise die Leistung von Windrädern im Winter nicht unbedingt geringer; in Deutschland ist sie in den Wintermonaten sogar doppelt so gross wie in den Sommermonaten. Damit liesse sich ein Teil der wegfallenden Solarenergie kompensieren. Weiter könnten Staukraftwerke über den Sommer mehr Wasser zurückhalten, um im Winter mehr Strom zu erzeugen.
Der Rest muss dann über Speicherung kompensiert werden. Das läuft so: Zu Spitzenproduktionszeiten werden die Überschüsse in Energiespeicher überführt. Die einfachste Methode, die gegenwärtig auch praktiziert wird (vor allem für den überschüssigen AKW-Strom), ist das Hochpumpen von Wasser in Stauseen. Dieses Wasser kann bei hohem Strombedarf wieder heruntergelassen werden. Weitere Speichermethoden sind in Entwicklung, beispielsweise Salzwasserbatterien oder die Elektrolyse von Wasser zu Wasserstoff (und Sauerstoff) uvm. Auch könnten Produktionsspitzen in (Reserve-)Autobatterien gespeichert werden. Da wird meines Erachtens in den nächsten Jahren einiges gehen. (Zum mengenmässigen Potential der erneuerbaren Energieträgern siehe auch Wieviel Prozent unseres Energiebedarfs können wir mit Solarenergie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?).
Und den allfälligen Rest werden wir, siehe die Antwort Weil ja die erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollen, braucht es doch mehr Photovoltaikzellen..., mit glücklicher Bescheidenheit (=Suffizienz) kompensieren.
Schliesslich: Welche der erneuerbaren Energien welche Effekte auf Umwelt/Mensch/Tier haben, ist eine sehr umfassende Frage, auf die es wohl keine einfache Antwort gibt. Vielmehr braucht es eine Abwägung der Kosten und Nutzen einer bestimmten Technologie.
Ein paar beispielhafte Probleme:
- Solarpanels brauchen Flächen und stehen damit potentiell in Konkurrenz zu landwirtschaftlichen oder natürlichen Flächen. Solarpanels sollten also ausschliesslich auf Dächern errichtet werden.
- Stauseen emittieren aufgrund ihrer thermischen Schichtung und mikrobieller Gärung in tiefen Schichten ähnlich den Kuhmägen Methan, das durch den Wasserabfluss entweicht. Aber auch da gibt es die Möglichkeit, einen Teil dieses Methans abzufangen (und als Energieträger zu nutzen).
- Windräder stellen eine Gefahr für Vögel dar.
- Geothermische Kraftwerke können Erdbeben auslösen.
Es gibt also nichts zum Nulltarif. Aber es gibt günstigere und teurere Nebenwirkungen, und es gibt solche, die man lindern kann. Was aber sicher am ungünstigsten ist: Nichts tun und weiterhin auf fossile und atomare Energieträger setzen. Denn die haben die übelsten Nebenwirkungen (siehe auch Weil ja die erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollen, braucht es doch mehr Photovoltaikzellen. Und in diesen stecken doch Seltene Erden. Und dann hört man doch immer wieder, dass es von diesen Seltenen Erden nicht so viel gibt – und wenn, dann nur in China.).
Alexandra Tiefenbacher: Weil ja die erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollen, braucht es doch mehr Photovoltaikzellen. Und in diesen stecken doch Seltene Erden. Und dann hört man doch immer wieder, dass es von diesen Seltenen Erden nicht so viel gibt – und wenn, dann nur in China.
Photovoltaikzellen, aber auch die Turbinen in Windrädern enthalten tatsächlich Seltene Erden, und die kommen grösstenteils aus China. Gemäss einer Studie der deutschen Förderbank KfW werden 13 solcher mineralischer Rohstoffe als „kritisch“ oder „sehr kritisch“ in der Beschaffung gewertet. Allein die Tatsache, dass (sogar meine) Google-Suche nach Seltenen Erden vor allem in Trader-Portalen mündete, zeigt, dass ihre Knappheit zumindest schon von jenen als real erachtet wird, die von der Knappheit (anderer) leben. Knapp heisst allerdings nicht unbedingt, dass die Seltenen Erden gleich ‚alle sind‘ (siehe meine Antwort auf deine nächste Frage), sondern vielmehr, dass die Preise steigen werden — und damit die Konkurrenzfähigkeit von Photovoltaik und Windkraft im Vergleich zu Strom aus Atom, Kohle und Gas sinken wird. Denn jene Energieträger kommen mit viel weniger von diesen Seltenen Erden aus.
Und es kommt noch schlimmer: Erneuerbare Energien benötigen pro Watt Leistung über ihre Lebenszeit nicht nur viel mehr Seltene Erden, sondern auch wesentlich mehr von den ‚Wenig Seltenen Erden‘ (Kupfer, Eisen, Silizium und Aluminium) als es ihre dreckigen fossilen und atomaren Brüder tun.
Wie ein französisches Forscherteam in der Fachzeitschrift Nature Geoscience präzisierte: Solarstrom beispielsweise braucht je nach Szenario bis zu 14 mal mehr Beton, 60 mal mehr Eisen, 90 mal mehr Aluminium, 214 mal mehr Kupfer und 25900 mal mehr Glas pro produzierte Leistung als ein Druckwasser-Atomkraftwerk. Und Wasserkraft braucht ca. 40 mal mehr Beton pro erbrachte Leistung als ein AKW. Das Schürfen von solchen nicht seltenen Werkstoffen ist nicht nur klimaschädlich (ca. 10% der CO2-Emissionen werden global dem Minensektor zugerechnet), sondern auch asozial (Europa fördert 1.5% der weltweiten Rohstoffe, verbraucht aber 20% in seiner verarbeitenden Industrie, wo dann mit den Rohstoffen viel höhere Einnahmen erzielt werden als dort, wo sie ‚bloss‘ gefördert wurden) und zerstörerisch für die dortigen Ökosysteme. Dazu kommt, dass künftig die Preise auch für solch basale Rohstoffe steigen werden, was erneuerbare gegenüber den ‚konventionellen‘ Energien verteuert.
Allerdings stehen die ‚konventionellen‘ Energieträger deswegen keinesfalls besser da. Fossile Brennstoffe führen die Ökosysteme durch den gestörten Kohlenstoffzyklus (Versauerung der Meere, verstärkter Treibhauseffekt alias Klimakatastrophe) innert kürzester Zeit an den Rand des Kollaps. Das ist nicht primär ein Problem für das Leben auf der Erde an sich, aber spezifisch für unsere Gattung, die am Ende der Nahrungskette steht und dadurch zu den fragileren Lebewesen zählt.
Zudem sind auch die Förderung (vermehrt nicht-konventionelle Förderung) und der Transport (Pipeline-Lecks) der konventionellen Energieträger umweltschädlich. Und die Atomenergie hinterlässt vom Schürfen des Uranminerals bis zur Entsorgung alter Anlagen und allem, was auf dem Weg in Berührung mit der radioaktiven Materie kommt, einen hochgiftigen, hochgefährlichen und radiotoxischen Müllberg, den unschädlich zu machen wir schlicht nicht in der Lage sind. Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist, hunderttausende Jahre zu warten, bis die Strahlung abgeklungen sein wird.
Es gibt aber Lösungsansätze für das Problem der Seltenen und ‚Wenig Seltenen‘ Erden. China erliess in den Jahren 2010 bis 2015 Exportrestriktionen auf die Seltenen Erden Neodym und Iridium. Das zwang die Industrie kreativ zu werden. So gibt es heute Windturbinen, die ohne Neodym und Iridum gebaut werden. Diese sind zwar leicht weniger effizient, dafür von solch kritischen Rohstoffen unabhängig. Auch jetzt, da die chinesische Regierung den Export der Seltenen Erden für das nächste Halbjahr wiederum um satte 73% gedrosselt hat. Bei einem wenig seltenen Erz wie Kupfer wird im hohen Norden Schwedens ‚lokal‘ Kupfererz gefördert bei (vergleichsweise!) hohen Umwelt- und Sozialstandards – und das alles bei konkurrenzfähigen Preisen. Zudem dürften auch Recycling-Raten und ‑Qualität künftig steigen, sodass netto weniger Frischerz benötigt wird.
Aber: Auch die erneuerbaren Energien sind nur teilweise erneuerbar. Denn auch bei ihnen gibt es Materialverschleiss. Alles auf Erneuerbare umstellen ist zwar für ein reiches Land wie die Schweiz vielleicht (bis aufs Kerosin) möglich; es wird aber gar nicht so ökologisch sein, wie es bisweilen den Eindruck macht. Es gilt also weiterhin: Die einzig wirklich ökologische Energie ist jene, die wir nicht brauchen. Da aber die SVP gerade mit kalten Duschen ihren heissen Krieg für die Erdöl- und Auto-Lobby führt, ist eine Suffizienz-Debatte jetzt nicht zielführend. Ausserdem: Damit eine suffiziente Gesellschaft auch nachhaltig ist, kann auch sie nicht ohne Erneuerbare. Es ist also zum heutigen Zeitpunkt kein Widerspruch, für weniger Energiekonsum und einen Ausbau der erneuerbaren Energien einzutreten.
Alexandra Tiefenbacher: Wie lange reichen die Seltenen Erden noch?
Ökonomen würden sagen: Ewig (sie haben es nicht so mit physischen Grenzen). Aber irgendwann würden sie wegen der Verknappung und der höheren Nachfrage unerschwinglich. So ’selten‘ sind die Seltenen Erden also gar nicht, solange diese Marktlogik greift. Deshalb lautet die richtige Frage: Ab welchem Zeitpunkt (welcher Menge) würden erneuerbare Energien so teuer, dass aus Kostengründen wieder auf fossile und atomare Energieträger ausgewichen würde? Ausser – und das ist gar nicht so unwahrscheinlich – wir würden ab dann, wenn der ökologische Strom teurer wird, schlicht weniger Strom konsumieren. Somit reichten die Seltenen Erden für soviel, wie wir uns leisten wollen oder können.
Alexandra Tiefenbacher: Wie viel CO2 braucht Atomenergie?
Es heisst immer, Atomstrom sei CO2-neutral. Aber das stimmt nicht wirklich. Vor allem die Förderung des Uranminerals sowie dessen Aufbereitung und der Bau und Rückbau von AKWs verbrauchen viel fossile Brennstoffe. Da AKWs jedoch (viel zu) lange am Netz bleiben und dabei viel Strom produzieren, verursachen sie relativ wenig CO2-eq: rund 8g/kWh gemäss (optimistischen) Schätzungen. Zum Vergleich: Energie aus Wasserkraft kommt auf rund 5g/kWh.
Stephan Baumann: Wie viel Prozent unseres Energiebedarfs können wir mit Solarnergie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?
Die geeigneten Gebäudedachflächen werden auf 100 bis 150km^2 geschätzt. Darauf lassen sich mit der heute verfügbaren Technik 12 bis 18 TWh pro Jahr erzeugen. Das entspricht der Strommenge, die erforderlich wäre, um den gesamten motorisierten Individualverkehr auf Stromantrieb umzustellen (siehe unten). Oder ca. 21–31% der gegenwärtigen Stromproduktion. Zum Vergleich: Die heutigen AKWs produzieren 34% des Schweizerischen Stroms. Der Energie Trialog Schweiz schätzt das realisierbare Potential der Photovoltaik etwas konservativer auf 8 bis 12 TWh pro Jahr.
Stephan Baumann: Wie viel Energie können wir mit einem Ausbau der Windkraftwerke an den bestehenden Standorten ausbauen?
Das hängt davon ab, was man unter „bestehenden Standorten“ versteht. Der Kanton Neuenburg beispielsweise hat in seinem Richtplan für Windenergie fünf Zonen ausgezeichnet, in denen Windräder als ökonomisch sinnvoll und mit dem Landschaftsschutz vereinbar begutachtet wurden. Die dort erbringbare Leistung wird auf 0.2 TWh geschätzt, was 20% des Stromverbrauchs im Kanton entspricht. Unter ähnlichen Randbedingungen der Produktivität und des Landschaftsschutzes kommt der Branchenverband Suisse Eole auf ein Potential von 1.5 TWh bis 2030 und 4 TWh bis 2050. Etwas zurückhaltender sind die Schätzungen des Energie Trialog Schweiz (2–3 TWh bis 2050). Bestenfalls könnte also bis 2050 leistungsmässig knapp der gegenwärtige Bedarf des öffentlichen Verkehrs gedeckt werden (siehe nächste Antwort), oder ca. 6 Prozent der heutigen Stromproduktion.
Allerdings ist die Windenergieproduktion volatil; ihre Koppelung an Speichermöglichkeiten (etwa in den Alpen mit Speicherseen, im Jura beispielsweise mit Reserve-Batterien von elektrischen Fahrzeugen) unabdingbar. Weiter müssten künftig Angebot und Nachfrage von Wohnhäusern mittels Smart Grids besser aufeinander abgestimmt werden. Auch so aber bleiben die wetter‑, tageszeitlich- und saisonbedingten Produktionsschwankungen für die Netzstabilität eine grosse Herausforderung.
Stephan Baumann: Wie stark ist die Wasserkraft noch ausbaubar?
Das Bundesamt für Energie hat das Ausbaupotential der Wasserkraft letztmals 2004 abgeschätzt. Gegenwärtig seien 85% des Potentials ausgeschöpft. Eine Steigerung um 15% von 36 TWh jährlich auf 42 TWh bis 2050 liege im Rahmen dessen, was unter Berücksichtigung u.a. der Wirtschaftlichkeit, der Umweltverträglichkeit und der Aktzeptanz in den betroffenen Regionen als möglich erachtet wird. Unter der optimistischen Variante der 8 zusätzlichen TWh müssten da aber im Landschaftsschutz (etwa bei der Grimselstaumauer) Abstriche gemacht werden. Je nach Gewichtung solcher Kriterien liegt also das Steigerungspotential irgendwo zwischen 0 und 8 TWh. Zum Vergleich: Bahn, Tram und Trolleybusse brauchten im Jahr 2009 4.7 TWh an elektrischer Energie.
Stephan Baumann: Wie stark wird unser Stromverbrauch steigen, wenn vermehrt Elektroautos gekauft werden?
Wenn der gesamte motorisierte Individualverkehr (MIV) auf elektrisch schaltet, würden rund 12 TWh elektrische Energie benötigt. Das entspricht ca. 20% des heutigen Jahresverbrauchs an Strom. Zum Vergleich: eine sparsame 3L-Autoflotte mit Verbrennungsmotor bräuchte für dieselbe Leistung 22 TWh Benzin. Aktuell verschleisst unsere effektive Fahrzeugflotte des MIV rund 56 TWh an Benzin/Diesel.
Markus Holzer: Wie sollen die Mehrkosten (Windkraftwerke, Solarpanelplantagen und die für die Einspeisung notwendigen Leitungen mit so wenig Geld finanziert werden?
Im Energiegesetz ist vorgesehen, dass die Mehrkosten einerseits durch die Erhöhung der Netzabgabe (die zusätzlichen 40 Franken pro Jahr und Haushalt), andererseits durch all jene Haushalte und Betriebe getragen werden, die heute bereits freiwillig Ökostrom beziehen und dafür einen Aufpreis bezahlen. Mehr als die ‘obligatorischen’ Subventionen sind im zur Abstimmung stehenden EnG nicht vorgesehen. Den Rest regelt also der Markt.
Markus Holzer: Was ist mit den Stromeinsparungsvorgaben, welche Hausbesitzer zwingen werden, ihre Häuser energieeffizienter neu oder umzubauen?
Zuerst zur Klärung: Im Winter ist der Stromverbrauch tatsächlich auch bei Häusern höher, die nicht direkt (Elektroheizungen) oder indirekt (Wärmetauscher) mit Strom beheizt werden (beispielsweise wegen Umwälzpumpen von Zentralheizungen). Eine Steigerung der (thermischen) Energieeffizienz kann deshalb zu Stromeinsparungen führen. Nun zu Ihrer Frage: Der Abstimmungstext sieht eine Veränderung des CO2-Gesetzes vor (S. 7722 im Abstimmungstext): Ein Drittel der CO2-Abgabe (Lenkungsabgabe auf Erdöl/Erdgas von aktuell 84 Franken pro Tonne CO2 oder ca. 22 Rappen pro Liter Heizöl) oder maximal 450 Millionen jährlich sollen für Gebäudesanierungen zur Verfügung stehen.
Das ist zwar schweizweit nicht sehr viel, aber es gibt noch zwei weitere preissenkende Faktoren zu beachten: Sanierungen werden indirekt weiterhin dadurch subventioniert, dass sie für Hausbesitzer von den Steuern abzugsfähig sind. (Nebenbei bemerkt: Diese Steuereinbussen finanzieren alle, welche nicht Hausbesitzer sind bzw. keine Sanierungen an ihren Häusern durchführen.) Aber noch wichtiger: Für Hausbesitzer rechnet sich eine thermische Isolierung, da die Investitionskosten (jetzt erst recht bei billigem Geld) rasch durch verminderte Kosten für Energieträger amortisiert werden. Der K‑Tipp führt eine ausführliche Liste, auf der die Investitionskosten sowie das korrespondierende Heizkostensparpotential aufgeführt sind. Energetische Sanierungen lohnen sich in vielen Fällen zusammen mit den Steuerabzügen also auch ohne Subventionen. Und: So billig wird das Erdöl/Erdgas wohl nicht bleiben. Weiterhin schlecht isolierte Häuser mit Erdöl zu heizen, liegt also nicht nur der Umwelt auf dem Magen, sondern auch dem Portemonnaie – Tendenz gegenüber den heute sehr tiefen Preisen wohl steigend. Ganz zu Freuden des Erdöl-Lobbyisten Albert Rösti.
Markus Holzer: Womit werden all die Geräte finanziert, welche den neuen Standards nicht entsprechen, um die vorgeschriebenen Ziele bezüglich Energiereduktion zu erreichen?
Geräte, die den neuen Standards nicht entsprechen, werden eben gerade nicht subventioniert. Aber vielleicht meinten Sie: Womit werden die (teureren?) energieeffizienteren Geräte finanziert? Auch hier gilt: Energieeffiziente Geräte verbrauchen einen Bruchteil dessen, was ineffiziente Geräte verbrauchen. Also lohnt sich die Investition i. d. R. wegen geringerer Betriebskosten ganz ohne Subventionsanreize. Bei Kühltruhen beispielsweise lohnt sich der Griff zu den billigeren, aber wenig effizienten Geräte nicht, da über die Jahre der günstigere Kaufpreis durch höhere Betriebskosten überkompensiert wird: Über 15 Jahre können so 800 Franken höhere Kosten für das vermeintlich günstigere Gerät zusammenkommen.
Provisorisches/ergebnisoffenes Fazit:
Auch erneuerbare Energieträger hinterlassen Spuren, nur eben kleinere als die old dirties Öl, Kohle und Atom. Deshalb gibt es zu ihnen keine Alternative – selbst wenn wir zeitgleich effizienter und suffizienter werden, also effizienter Energie konsumieren und vor allem: weniger Energie konsumieren. Die energieautonome Schweiz ist bei gut isolierten Gebäuden und reduzierten Mobilitätsflüssen möglich, auch wenn dafür ziemlich viele Rohstoffe (und fertige Windturbinen und Solarpanels) importiert werden müssen. Denn die Solar‑, die Windenergie und der Ausbau der Wasserkraft könnten dereinst die gesamte Strommenge ersetzen, die unsere alten AKWs hergeben.
Unter den optimistischsten Zahlen stünden der Schweiz 18 (Photovoltaik) + 4 (Wind) + 8 (Ausbau Wasserkraft) = 30 TWh zusätzlichen Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung, oder knapp die Hälfte des heutigen Stromverbrauchs. Also sogar mehr als die gegenwärtig 22 TWh aus den AKWs. Eine ökologische Wende ist damit aber noch nicht eingeläutet, auch wenn die Umstellung auf erneuerbare Energien sich rechnet. Denn die fängt erst dann an, wenn der exzessive Normalkonsum nicht mehr als Weg zum Glück gilt. Das neue Energiegesetz ist da nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber gegenüber dem Nichtstun dennoch ein sehr grosser.
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