Q&A zum Ener­gie­ge­setz: Das wollten die Lamm-Lese­rInnen von unserem Energie-Redaktor wissen

64 Seiten lang ist die Abstim­mungs­vor­lage zum Ener­gie­ge­setz. Trotzdem bleiben viele Fragen offen. Unser Redaktor Jérôme Léchot hat die Fragen von Lese­rInnen beant­wortet. Und noch mehr. 
Der Hoffnungsträger der Erneuerbaren - besser aber auf dem Dach statt auf der Wiese (Foto: Alex Lang)

Moritz Gysi: Ist eine völlig ener­gie­au­to­nome Schweiz mit den erneu­er­baren Ener­gien möglich?

Im Moment impor­tieren wir 75% unseres Ener­gie­kon­sums von insge­samt 233 TWh (BFE, Schwei­ze­ri­sche Gesamt­ener­gie­sta­ti­stik 2015) in Form von Erdöl, Gas und Winter­strom. Die rest­li­chen 25% entspre­chen grob der inlän­di­schen Strom­pro­duk­tion. Davon kommen nur 64% von erneu­er­baren Ener­gie­quellen. Auf den gesamten Ener­gie­konsum bezogen heisst das: 16 Prozent werden durch erneu­er­bare Ener­gien gedeckt (64% x 25% = 16%), also 37 TWh. Wir müssten also unsere aktu­elle erneu­er­bare Ener­gie­pro­duk­tion bei gleich­blei­bendem Ener­gie­konsum versechsfachen.

Das ist wohl kaum reali­stisch. Aller­dings muss auch das Einspar­po­ten­tial berück­sich­tigt werden, etwa im Gebäu­de­be­reich, der mit 40% des Gesamt­kon­sums (93 TWh) ins Gewicht fällt. Mit gut isolierten Häusern und klugen Lüftungs­sy­stemen lässt sich der Netto-Ener­gie­be­darf um zwei Drittel, ja viel­leicht gar so weit senken, dass wir gar keine Energie für das Heizen produ­zieren müssen. Ange­nommen, der Ener­gie­ver­brauch der Gebäude kann um zwei Drittel (62 TWh) gesenkt werden, so müssen ’nur‘ noch die verblei­benden 223 — 62 TWh = 161 TWh durch Effi­zi­enz­stei­ge­rung, Konsum­re­duk­tion und Zuwachs an erneu­er­baren Ener­gien kompen­siert werden.

Da es nicht sinn­voll ist, Gebäude (direkt) mit Strom zu beheizen, sollten in einem opti­mi­sti­schen Szenario 31 TWh, die wir immer noch brau­chen, um die Häuser zu heizen, mit erneu­er­barer ther­mi­scher Energie (Holz, Erdwärme, Abwärme, Wärme­spei­cher) gedeckt werden können. Es blieben also 161 — 31 TWh = 130 TWh.

Aber auch in der Mobi­lität liesse sich einiges einsparen. Würden alle Privat­autos, die heute 57 TWh verschlingen, auf Elek­tro­an­trieb umge­sat­telt, so liesse sich der Ener­gie­konsum in der Mobi­lität auf ca. 12 TWh redu­zieren (siehe auch Wie stark wird unser Strom­ver­brauch steigen, wenn vermehrt Elek­tro­autos gekauft werden?). Wir könnten also noch­mals 45 TWh einsparen. Damit blieben 130 — 45 TWh, oder 85 TWh.

Das Ausbau­po­ten­zial der erneu­er­baren Ener­gien (siehe auch mein provi­so­ri­sches Fazit sowie meine Bemer­kungen zur ökolo­gi­schen Güte der Erneu­er­baren in Wieviel Prozent unseres Ener­gie­be­darfs können wir mit Solarn­ergie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?) liegt nach (opti­mi­sti­schen) Schät­zungen bei 30 TWh. Zusammen mit den bereits jähr­lich produ­zierten 37 TWh könnten die erneu­er­baren Ener­gien nach dem Ausbau also 67 TWh an elek­tri­scher Energie bereit­stellen. Abzüg­lich der oben erwähnten, opti­mi­sti­schen Einspa­rungen im Gebäu­de­be­reich und im Verkehr bliebe eine Lücke von 85 — 67 TWh = 18 TWh. Das entspricht rund 8% des heutigen Energiekonsums.

Aber: Dieses Szenario ist sehr opti­mi­stisch hinsicht­lich der Effi­zi­enz­stei­ge­rung. Auch ist es frag­lich, wie ökolo­gisch ein Elek­tro­au­to­park wirk­lich ist. Es wird also, um deine Frage zu beant­worten, nicht ohne Abstriche an unserem exor­bi­tanten Ener­gie­konsum gehen. Gestei­gerte Effi­zienz gepaart mit Suffi­zienz (Genüg­sam­keit) heisst also die Losung. Mit solchen Abstri­chen müssen wir aller­dings künftig sowieso rechnen, denn: Wir können nicht darauf setzen, dass das Öl auch künftig so billig und verläss­lich in unser Land fliessen wird.

Lou Goetz­mann: Ist es möglich, auch im Winter den Strom­be­darf mit den Erneu­er­baren zu decken? Wenn ja, was müsste man dazu ausbauen/entwickeln? Welche der vielen erneu­er­baren Tech­no­lo­gien haben den gering­sten Effekt auf die Umwelt (auch in Bezug auf Lebensräume/Tiere)?

Das ist in der Tat eine grosse Heraus­for­de­rung. Denn im Winter steht die Sonne viel tiefer am Hori­zont. Dadurch ist die einfal­lende Sonnen­strah­lung schwä­cher und die Leistung von Solar­an­lagen geringer. Zugleich ist der Strom­be­darf für Licht und Wärme­tau­scher im Winter höher. Aller­dings ist beispiels­weise die Leistung von Wind­rä­dern im Winter nicht unbe­dingt geringer; in Deutsch­land ist sie in den Winter­mo­naten sogar doppelt so gross wie in den Sommer­mo­naten. Damit liesse sich ein Teil der wegfal­lenden Solar­energie kompen­sieren. Weiter könnten Stau­kraft­werke über den Sommer mehr Wasser zurück­halten, um im Winter mehr Strom zu erzeugen.

Der Rest muss dann über Spei­che­rung kompen­siert werden. Das läuft so: Zu Spit­zen­pro­duk­ti­ons­zeiten werden die Über­schüsse in Ener­gie­spei­cher über­führt. Die einfachste Methode, die gegen­wärtig auch prak­ti­ziert wird (vor allem für den über­schüs­sigen AKW-Strom), ist das Hoch­pumpen von Wasser in Stau­seen. Dieses Wasser kann bei hohem Strom­be­darf wieder herun­ter­ge­lassen werden. Weitere Spei­cher­me­thoden sind in Entwick­lung, beispiels­weise Salz­was­ser­bat­te­rien oder die Elek­tro­lyse von Wasser zu Wasser­stoff (und Sauer­stoff) uvm. Auch könnten Produk­ti­ons­spitzen in (Reserve-)Autobatterien gespei­chert werden. Da wird meines Erach­tens in den näch­sten Jahren einiges gehen. (Zum mengen­mäs­sigen Poten­tial der erneu­er­baren Ener­gie­trä­gern siehe auch Wieviel Prozent unseres Ener­gie­be­darfs können wir mit Solar­energie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?).

Und den allfäl­ligen Rest werden wir, siehe die Antwort Weil ja die erneu­er­baren Ener­gien ausge­baut werden sollen, braucht es doch mehr Photo­vol­ta­ik­zellen..., mit glück­li­cher Beschei­den­heit (=Suffi­zienz) kompensieren.

Schliess­lich: Welche der erneu­er­baren Ener­gien welche Effekte auf Umwelt/Mensch/Tier haben, ist eine sehr umfas­sende Frage, auf die es wohl keine einfache Antwort gibt. Viel­mehr braucht es eine Abwä­gung der Kosten und Nutzen einer bestimmten Technologie.

Ein paar beispiel­hafte Probleme:

  • Solar­pa­nels brau­chen Flächen und stehen damit poten­tiell in Konkur­renz zu land­wirt­schaft­li­chen oder natür­li­chen Flächen. Solar­pa­nels sollten also ausschliess­lich auf Dächern errichtet werden.
  • Stau­seen emit­tieren aufgrund ihrer ther­mi­schen Schich­tung und mikro­bieller Gärung in tiefen Schichten ähnlich den Kuhmägen Methan, das durch den Wasser­ab­fluss entweicht. Aber auch da gibt es die Möglich­keit, einen Teil dieses Methans abzu­fangen (und als Ener­gie­träger zu nutzen).
  • Wind­räder stellen eine Gefahr für Vögel dar.
  • Geother­mi­sche Kraft­werke können Erdbeben auslösen.

Es gibt also nichts zum Null­tarif. Aber es gibt günsti­gere und teurere Neben­wir­kungen, und es gibt solche, die man lindern kann. Was aber sicher am ungün­stig­sten ist: Nichts tun und weiterhin auf fossile und atomare Ener­gie­träger setzen. Denn die haben die übel­sten Neben­wir­kungen (siehe auch Weil ja die erneu­er­baren Ener­gien ausge­baut werden sollen, braucht es doch mehr Photo­vol­ta­ik­zellen. Und in diesen  stecken doch Seltene Erden. Und dann hört man doch immer wieder, dass es von diesen Seltenen Erden nicht so viel gibt – und wenn, dann nur in China.).

Alex­andra Tiefen­ba­cher: Weil ja die erneu­er­baren Ener­gien ausge­baut werden sollen, braucht es doch mehr Photo­vol­ta­ik­zellen. Und in diesen  stecken doch Seltene Erden. Und dann hört man doch immer wieder, dass es von diesen Seltenen Erden nicht so viel gibt – und wenn, dann nur in China.

Photo­vol­ta­ik­zellen, aber auch die Turbinen in Wind­rä­dern enthalten tatsäch­lich Seltene Erden, und die kommen gröss­ten­teils aus China. Gemäss  einer Studie der deut­schen Förder­bank KfW werden 13 solcher mine­ra­li­scher Rohstoffe als „kritisch“ oder „sehr kritisch“ in der Beschaf­fung gewertet. Allein die Tatsache, dass (sogar meine) Google-Suche nach Seltenen Erden vor allem in Trader-Portalen mündete, zeigt, dass ihre Knapp­heit zumin­dest schon von jenen als real erachtet wird, die von der Knapp­heit (anderer) leben. Knapp heisst aller­dings nicht unbe­dingt, dass die Seltenen Erden gleich ‚alle sind‘ (siehe meine Antwort auf deine nächste Frage), sondern viel­mehr, dass die Preise steigen werden — und damit die Konkur­renz­fä­hig­keit von Photo­vol­taik und Wind­kraft im Vergleich zu Strom aus Atom, Kohle und Gas sinken wird. Denn jene Ener­gie­träger kommen mit viel weniger von diesen Seltenen Erden aus.

Und es kommt noch schlimmer: Erneu­er­bare Ener­gien benö­tigen pro Watt Leistung über ihre Lebens­zeit nicht nur viel mehr Seltene Erden, sondern auch wesent­lich mehr von den ‚Wenig Seltenen Erden‘ (Kupfer, Eisen, Sili­zium und Alumi­nium) als es ihre dreckigen fossilen und atomaren Brüder tun.

Wie ein fran­zö­si­sches Forscher­team in der Fach­zeit­schrift Nature Geosci­ence präzi­sierte: Solar­strom beispiels­weise braucht je nach Szenario bis zu 14 mal mehr Beton, 60 mal mehr Eisen, 90 mal mehr Alumi­nium, 214 mal mehr Kupfer und 25900 mal mehr Glas pro produ­zierte Leistung als ein Druck­wasser-Atom­kraft­werk. Und Wasser­kraft braucht ca. 40 mal mehr Beton pro erbrachte Leistung als ein AKW. Das Schürfen von solchen nicht seltenen Werk­stoffen ist nicht nur klima­schäd­lich (ca. 10% der CO2-Emis­sionen werden global dem Minen­sektor zuge­rechnet), sondern auch asozial (Europa fördert 1.5% der welt­weiten Rohstoffe, verbraucht aber 20% in seiner verar­bei­tenden Indu­strie, wo dann mit den Rohstoffen viel höhere Einnahmen erzielt werden als dort, wo sie ‚bloss‘ geför­dert wurden) und zerstö­re­risch für die dortigen Ökosy­steme. Dazu kommt, dass künftig die Preise auch für solch basale Rohstoffe steigen werden, was erneu­er­bare gegen­über den ‚konven­tio­nellen‘ Ener­gien verteuert.

Aller­dings stehen die ‚konven­tio­nellen‘ Ener­gie­träger deswegen keines­falls besser da. Fossile Brenn­stoffe führen die Ökosy­steme durch den gestörten Kohlen­stoff­zy­klus (Versaue­rung der Meere, verstärkter Treib­haus­ef­fekt alias Klima­ka­ta­strophe) innert kürze­ster Zeit an den Rand des Kollaps. Das ist nicht primär ein Problem für das Leben auf der Erde an sich, aber spezi­fisch für unsere Gattung, die am Ende der Nahrungs­kette steht und dadurch zu den fragi­leren Lebe­wesen zählt.

Zudem sind auch die Förde­rung (vermehrt nicht-konven­tio­nelle Förde­rung) und der Trans­port (Pipe­line-Lecks) der konven­tio­nellen Ener­gie­träger umwelt­schäd­lich. Und die Atom­energie hinter­lässt vom Schürfen des Uran­mi­ne­rals bis zur Entsor­gung alter Anlagen und allem, was auf dem Weg in Berüh­rung mit der radio­ak­tiven Materie kommt, einen hoch­gif­tigen, hoch­ge­fähr­li­chen und radio­to­xi­schen Müll­berg, den unschäd­lich zu machen wir schlicht nicht in der Lage sind. Die einzige Möglich­keit, die wir haben, ist, hundert­tau­sende Jahre zu warten, bis die Strah­lung abge­klungen sein wird.

Es gibt aber Lösungs­an­sätze für das Problem der Seltenen und ‚Wenig Seltenen‘ Erden. China erliess in den Jahren 2010 bis 2015 Export­re­strik­tionen auf die Seltenen Erden Neodym und Iridium. Das zwang die Indu­strie kreativ zu werden. So gibt es heute Wind­tur­binen, die ohne Neodym und Iridum gebaut werden. Diese sind zwar leicht weniger effi­zient, dafür von solch kriti­schen Rohstoffen unab­hängig. Auch jetzt, da die chine­si­sche Regie­rung den Export der Seltenen Erden für das nächste Halb­jahr wiederum um satte 73% gedros­selt hat. Bei einem wenig seltenen Erz wie Kupfer wird im hohen Norden Schwe­dens ‚lokal‘ Kupfererz geför­dert bei (vergleichs­weise!) hohen Umwelt- und Sozi­al­stan­dards – und das alles bei konkur­renz­fä­higen Preisen. Zudem dürften auch Recy­cling-Raten und ‑Qualität künftig steigen, sodass netto weniger Frischerz benö­tigt wird.

Aber: Auch die erneu­er­baren Ener­gien sind nur teil­weise erneu­erbar. Denn auch bei ihnen gibt es Mate­ri­al­ver­schleiss. Alles auf Erneu­er­bare umstellen ist zwar für ein reiches Land wie die Schweiz viel­leicht (bis aufs Kerosin) möglich; es wird aber gar nicht so ökolo­gisch sein, wie es bisweilen den Eindruck macht. Es gilt also weiterhin: Die einzig wirk­lich ökolo­gi­sche Energie ist jene, die wir nicht brau­chen. Da aber die SVP gerade mit kalten Duschen ihren heissen Krieg für die Erdöl- und Auto-Lobby führt, ist eine Suffi­zienz-Debatte jetzt nicht ziel­füh­rend. Ausserdem: Damit eine suffi­zi­ente Gesell­schaft auch nach­haltig ist, kann auch sie nicht ohne Erneu­er­bare. Es ist also zum heutigen Zeit­punkt kein Wider­spruch, für weniger Ener­gie­konsum und einen Ausbau der erneu­er­baren Ener­gien einzutreten.

Alex­andra Tiefen­ba­cher: Wie lange reichen die Seltenen Erden noch?

Ökonomen würden sagen: Ewig (sie haben es nicht so mit physi­schen Grenzen). Aber irgend­wann würden sie wegen der Verknap­pung und der höheren Nach­frage uner­schwing­lich. So ’selten‘ sind die Seltenen Erden also gar nicht, solange diese Markt­logik greift. Deshalb lautet die rich­tige Frage: Ab welchem Zeit­punkt (welcher Menge) würden erneu­er­bare Ener­gien so teuer, dass aus Kosten­gründen wieder auf fossile und atomare Ener­gie­träger ausge­wi­chen würde? Ausser – und das ist gar nicht so unwahr­schein­lich – wir würden ab dann, wenn der ökolo­gi­sche Strom teurer wird, schlicht weniger Strom konsu­mieren. Somit reichten die Seltenen Erden für soviel, wie wir uns leisten wollen oder können.

Alex­andra Tiefen­ba­cher: Wie viel CO2 braucht Atomenergie?

Es heisst immer, Atom­strom sei CO2-neutral. Aber das stimmt nicht wirk­lich. Vor allem die Förde­rung des Uran­mi­ne­rals sowie dessen Aufbe­rei­tung und der Bau und Rückbau von AKWs verbrau­chen viel fossile Brenn­stoffe. Da AKWs jedoch (viel zu) lange am Netz bleiben und dabei viel Strom produ­zieren, verur­sa­chen sie relativ wenig CO2-eq: rund 8g/kWh gemäss (opti­mi­sti­schen) Schät­zungen. Zum Vergleich: Energie aus Wasser­kraft kommt auf rund 5g/kWh.

Stephan Baumann: Wie viel Prozent unseres Ener­gie­be­darfs können wir mit Solarn­ergie decken, wenn wir diese auf den Dächern gewinnen?

Die geeig­neten Gebäu­de­dach­flä­chen werden auf 100 bis 150km^2 geschätzt. Darauf lassen sich mit der heute verfüg­baren Technik 12 bis 18 TWh pro Jahr erzeugen. Das entspricht der Strom­menge, die erfor­der­lich wäre, um den gesamten moto­ri­sierten Indi­vi­du­al­ver­kehr auf Strom­an­trieb umzu­stellen (siehe unten). Oder ca. 21–31% der gegen­wär­tigen Strom­pro­duk­tion. Zum Vergleich: Die heutigen AKWs produ­zieren 34% des Schwei­ze­ri­schen Stroms. Der Energie Trialog Schweiz schätzt das reali­sier­bare Poten­tial der Photo­vol­taik etwas konser­va­tiver auf 8 bis 12 TWh pro Jahr.

Stephan BaumannWie viel Energie können wir mit einem Ausbau der Wind­kraft­werke an den bestehenden Stand­orten ausbauen?

Das hängt davon ab, was man unter „bestehenden Stand­orten“ versteht. Der Kanton Neuen­burg beispiels­weise hat in seinem Richt­plan für Wind­energie fünf Zonen ausge­zeichnet, in denen Wind­räder als ökono­misch sinn­voll und mit dem Land­schafts­schutz vereinbar begut­achtet wurden. Die dort erbring­bare Leistung wird auf 0.2 TWh geschätzt, was 20% des Strom­ver­brauchs im Kanton entspricht. Unter ähnli­chen Rand­be­din­gungen der Produk­ti­vität und des Land­schafts­schutzes kommt der Bran­chen­ver­band Suisse Eole auf ein Poten­tial von 1.5 TWh bis 2030 und 4 TWh bis 2050. Etwas zurück­hal­tender sind die Schät­zungen des Energie Trialog Schweiz (2–3 TWh bis 2050). Besten­falls könnte also bis 2050 leistungs­mässig knapp der gegen­wär­tige Bedarf des öffent­li­chen Verkehrs gedeckt werden (siehe nächste Antwort), oder ca. 6 Prozent der heutigen Stromproduktion.

Aller­dings ist die Wind­ener­gie­pro­duk­tion volatil; ihre Koppe­lung an Spei­cher­mög­lich­keiten (etwa in den Alpen mit Spei­cher­seen, im Jura beispiels­weise mit Reserve-Batte­rien von elek­tri­schen Fahr­zeugen) unab­dingbar. Weiter müssten künftig Angebot und Nach­frage von Wohn­häu­sern mittels Smart Grids besser aufein­ander abge­stimmt werden. Auch so aber bleiben die wetter‑, tages­zeit­lich- und saison­be­dingten Produk­ti­ons­schwan­kungen für die Netz­sta­bi­lität eine grosse Herausforderung.

Stephan BaumannWie stark ist die Wasser­kraft noch ausbaubar?

Das Bundesamt für Energie hat das Ausbau­po­ten­tial der Wasser­kraft letzt­mals 2004 abge­schätzt. Gegen­wärtig seien 85% des Poten­tials ausge­schöpft. Eine Stei­ge­rung um 15% von 36 TWh jähr­lich auf 42 TWh bis 2050 liege im Rahmen dessen, was unter Berück­sich­ti­gung u.a. der Wirt­schaft­lich­keit, der Umwelt­ver­träg­lich­keit und der Aktzep­tanz in den betrof­fenen Regionen als möglich erachtet wird. Unter der opti­mi­sti­schen Vari­ante der 8 zusätz­li­chen TWh müssten da aber im Land­schafts­schutz (etwa bei der Grim­s­el­stau­mauer) Abstriche gemacht werden. Je nach Gewich­tung solcher Krite­rien liegt also das Stei­ge­rungs­po­ten­tial irgendwo zwischen 0 und 8 TWh. Zum Vergleich: Bahn, Tram und Trol­ley­busse brauchten im Jahr 2009 4.7 TWh an elek­tri­scher Energie.

Stephan BaumannWie stark wird unser Strom­ver­brauch steigen, wenn vermehrt Elek­tro­autos gekauft werden?

Wenn der gesamte moto­ri­sierte Indi­vi­du­al­ver­kehr (MIV) auf elek­trisch schaltet, würden rund 12 TWh elek­tri­sche Energie benö­tigt. Das entspricht ca. 20% des heutigen Jahres­ver­brauchs an Strom. Zum Vergleich: eine spar­same 3L-Auto­flotte mit Verbren­nungs­motor bräuchte für dieselbe Leistung 22 TWh Benzin. Aktuell verschleisst unsere effek­tive Fahr­zeug­flotte des MIV rund 56 TWh an Benzin/Diesel.

Markus Holzer: Wie sollen die Mehr­ko­sten (Wind­kraft­werke, Solar­pa­nel­plan­tagen und die für die Einspei­sung notwen­digen Leitungen mit so wenig Geld finan­ziert werden?

Im Ener­gie­ge­setz ist vorge­sehen, dass die Mehr­ko­sten einer­seits durch die Erhö­hung der Netz­ab­gabe (die zusätz­li­chen 40 Franken pro Jahr und Haus­halt), ande­rer­seits durch all jene Haus­halte und Betriebe getragen werden, die heute bereits frei­willig Ökostrom beziehen und dafür einen Aufpreis bezahlen. Mehr als die ‘obli­ga­to­ri­schen’ Subven­tionen sind im zur Abstim­mung stehenden EnG nicht vorge­sehen. Den Rest regelt also der Markt.

Markus Holzer: Was ist mit den Strom­ein­spa­rungs­vor­gaben, welche Haus­be­sitzer zwingen werden, ihre Häuser ener­gie­ef­fi­zi­enter neu oder umzubauen?

Zuerst zur Klärung: Im Winter ist der Strom­ver­brauch tatsäch­lich auch bei Häusern höher, die nicht direkt (Elek­tro­hei­zungen) oder indi­rekt (Wärme­tau­scher) mit Strom beheizt werden (beispiels­weise wegen Umwälz­pumpen von Zentral­hei­zungen). Eine Stei­ge­rung der (ther­mi­schen) Ener­gie­ef­fi­zienz kann deshalb zu Strom­ein­spa­rungen führen. Nun zu Ihrer Frage: Der Abstim­mungs­text sieht eine Verän­de­rung des CO2-Gesetzes vor (S. 7722 im Abstim­mungs­text): Ein Drittel der CO2-Abgabe (Lenkungs­ab­gabe auf Erdöl/Erdgas von aktuell 84 Franken pro Tonne CO2 oder ca. 22 Rappen pro Liter Heizöl) oder maximal 450 Millionen jähr­lich sollen für Gebäu­de­sa­nie­rungen zur Verfü­gung stehen.

Das ist zwar schweiz­weit nicht sehr viel, aber es gibt noch zwei weitere preis­sen­kende Faktoren zu beachten: Sanie­rungen werden indi­rekt weiterhin dadurch subven­tio­niert, dass sie für Haus­be­sitzer von den Steuern abzugs­fähig sind. (Nebenbei bemerkt: Diese Steu­er­ein­bussen finan­zieren alle, welche nicht Haus­be­sitzer sind bzw. keine Sanie­rungen an ihren Häusern durch­führen.) Aber noch wich­tiger: Für Haus­be­sitzer rechnet sich eine ther­mi­sche Isolie­rung, da die Inve­sti­ti­ons­ko­sten (jetzt erst recht bei billigem Geld) rasch durch vermin­derte Kosten für Ener­gie­träger amor­ti­siert werden. Der K‑Tipp führt eine ausführ­liche Liste, auf der die Inve­sti­ti­ons­ko­sten sowie das korre­spon­die­rende Heiz­ko­sten­spar­po­ten­tial aufge­führt sind. Ener­ge­ti­sche Sanie­rungen lohnen sich in vielen Fällen zusammen mit den Steu­er­ab­zügen also auch ohne Subven­tionen. Und: So billig wird das Erdöl/Erdgas wohl nicht bleiben. Weiterhin schlecht isolierte Häuser mit Erdöl zu heizen, liegt also nicht nur der Umwelt auf dem Magen, sondern auch dem Porte­mon­naie – Tendenz gegen­über den heute sehr tiefen Preisen wohl stei­gend. Ganz zu Freuden des Erdöl-Lobby­isten Albert Rösti.

Markus Holzer: Womit werden all die Geräte finan­ziert, welche den neuen Stan­dards nicht entspre­chen, um die vorge­schrie­benen Ziele bezüg­lich Ener­gie­re­duk­tion zu erreichen?

Geräte, die den neuen Stan­dards nicht entspre­chen, werden eben gerade nicht subven­tio­niert. Aber viel­leicht meinten Sie: Womit werden die (teureren?) ener­gie­ef­fi­zi­en­teren Geräte finan­ziert? Auch hier gilt: Ener­gie­ef­fi­zi­ente Geräte verbrau­chen einen Bruch­teil dessen, was inef­fi­zi­ente Geräte verbrau­chen. Also lohnt sich die Inve­sti­tion i. d. R. wegen gerin­gerer Betriebs­ko­sten ganz ohne Subven­ti­ons­an­reize. Bei Kühl­truhen beispiels­weise lohnt sich der Griff zu den billi­geren, aber wenig effi­zi­enten Geräte nicht, da über die Jahre der günsti­gere Kauf­preis durch höhere Betriebs­ko­sten über­kom­pen­siert wird: Über 15 Jahre können so 800 Franken höhere Kosten für das vermeint­lich günsti­gere Gerät zusammenkommen.

Provisorisches/ergebnisoffenes Fazit:

Auch erneu­er­bare Ener­gie­träger hinter­lassen Spuren, nur eben klei­nere als die old dirties Öl, Kohle und Atom. Deshalb gibt es zu ihnen keine Alter­na­tive – selbst wenn wir zeit­gleich effi­zi­enter und suffi­zi­enter werden, also effi­zi­enter Energie konsu­mieren und vor allem: weniger Energie konsu­mieren. Die ener­gie­au­to­nome Schweiz ist bei gut isolierten Gebäuden und redu­zierten Mobi­li­täts­flüssen möglich, auch wenn dafür ziem­lich viele Rohstoffe (und fertige Wind­tur­binen und Solar­pa­nels) impor­tiert werden müssen. Denn die Solar‑, die Wind­energie und der Ausbau der Wasser­kraft könnten dereinst die gesamte Strom­menge ersetzen, die unsere alten AKWs hergeben.

Unter den opti­mi­stisch­sten Zahlen stünden der Schweiz 18 (Photo­vol­taik) + 4 (Wind) + 8 (Ausbau Wasser­kraft) = 30 TWh zusätz­li­chen Strom aus erneu­er­baren Ener­gien zur Verfü­gung, oder knapp die Hälfte des heutigen Strom­ver­brauchs. Also sogar mehr als die gegen­wärtig 22 TWh aus den AKWs. Eine ökolo­gi­sche Wende ist damit aber noch nicht einge­läutet, auch wenn die Umstel­lung auf erneu­er­bare Ener­gien sich rechnet. Denn die fängt erst dann an, wenn der exzes­sive Normal­konsum nicht mehr als Weg zum Glück gilt. Das neue Ener­gie­ge­setz ist da nur ein kleiner Schritt in die rich­tige Rich­tung. Aber gegen­über dem Nichtstun dennoch ein sehr grosser.

 


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