Alpha­mins Zinn­mine im Osten Kongos: Was „konflikt­frei“ wirk­lich bedeutet und wie die Schweiz mitprofitiert 

In Wali­kale im Osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo wird seit Anfang 2019 in der ersten grossen kommer­zi­ellen Zinn­mine “konflikt­freies” Zinn abge­baut. Doch während das Label “konflikt­frei” Konsument*innen ein gutes Gewissen macht, verlieren tausende Kongoles*innen ihre Existenz­grund­lage. Auch die Schweiz profi­tiert davon. 
Zeuge B während den Anhörungen den Kongo-Tribunals in Bukavu, DR Kongo © Screenshot

Über Wali­kale steigt Rauch auf, einzelne Well­blech­dä­cher der anson­sten gras­stroh­ge­deckten Lehm­hütten stechen aus dem Grün der waldigen Land­schaft heraus. Von der Station des Radio Commun­au­taire Wali­kale (RCWA) auf dem Hügel über der Stadt sind Aufschreie und Jubel­rufe zu hören: Der FC Schalke 04 spielt im Achtel­fi­nale der Cham­pions League gegen Manche­ster City und jede*r drängt sich vor einen der wenigen Fern­seher, die in Restau­rants und kleinen Läden aufge­stellt sind.

Wali­kale ist von Bäumen umgeben. Es wirkt, als befände sich die Stadt inmitten eines Natio­nal­parks. Obwohl erst vor Kurzem über 400 bis anhin undo­ku­men­tierte Flach­land­go­rillas in den Wäldern der Gegend iden­ti­fi­ziert wurden, sind hier keine Touri­sten zu finden. Auch die lokale Bevöl­ke­rung scheut das Dickicht des Waldes. Die Menschen aus den umlie­genden Dörfern fliehen vor Rebel­len­gruppen wie der FDLR (Forces démo­cra­tique de libe­ra­tion du Rwanda), Mayi-Mayi oder der NDC-Renové in Zentren wie Wali­kale. Auch Marcelin, eine der beiden unbe­zahlten Prak­ti­kan­tinnen, die an jenem Abend die Radio­sta­tion alleine unter­halten, ist mit ihren Eltern aus dem Nach­bar­ter­ri­to­rium Beni hierher geflohen.

Minen, die es zu verhin­dern galt

Wali­kale ist das grösste der sechs Gebiete der Provinz Nord-Kivu, doch nur ein winziger Teil davon wird land­wirt­schaft­lich bewirt­schaftet: mit Maniok, Palmöl und Koch­ba­nanen. Die Region ist auch für den Honig und die grossen grünen Zitronen bekannt, die direkt am Stras­sen­rand verkauft werden. Bekannter ist Wali­kale jedoch für Zinn, Gold, Diamanten und Coltan. Es gilt als die Region mit den grössten uner­schlos­senen Reserven einiger dieser Boden­schätze welt­weit.

Sechzig Kilo­meter nord­west­lich von Wali­kale wird in Bisie zinn­hal­tiges Kassi­terit abge­baut. Zwischen 2000 und 2015 dienten die Minen bei der Lancie­rung verschie­dener Initia­tiven zur Vermei­dung von Konflikt­mi­ne­ra­lien als Nega­tiv­bei­spiel: Die Bisie Tin Mines waren das, was es zu verhin­dern galt. Wie eine inter­ak­tive Karte der hand­werk­li­chen Berg­bau­ge­biete im Osten der DR Kongo zeigt, wurden die Minen von wech­selnden bewaff­neten Gruppen, inklu­sive Teilen der kongo­le­si­schen Armee, kontrolliert.

Hand­werk­liche Mineure erhielten nur Zugang zur Mine gegen Bezah­lung einer Gebühr und es wurden ille­gale Steuern auf die abge­bauten Mine­ra­lien erhoben. Unter der Kontrolle dieser bewaff­neten Gruppen fanden schwere Vergehen gegen die Bevöl­ke­rung statt: Über­fälle, Mord, Verge­wal­ti­gung und Zwangs­ar­beit. Von dieser Situa­tion haben nicht nur die bewaff­neten Gruppen profi­tiert, sondern oftmals auch die Vorsteher der hand­werk­li­chen Berg­bau­ko­ope­ra­tiven, die mit den bewaff­neten Gruppen kooperierten.

Unter prekären Bedin­gungen wohnten und arbei­teten zwischen 15’000 und 18’000 Menschen in Bisie. Die Mineure bauten das Zinn, welches unge­fähr fünf Prozent des welt­weiten Zinn­be­darfs deckte, mit Pickel und Schaufel im Tagebau und in unter­ir­di­schen Tunnels ab. Träger trans­por­tierten die fünfzig Kilo­gramm schweren Säcke über etliche Kilo­meter, bevor das Metall per Motorrad und Fracht­flug­zeuge in die Grenz­stadt Goma trans­fe­riert wurde.

Heute aber fördert hier die Firma Alphamin Resources durch ihre Toch­ter­firma Alphamin Bisie Mining (ABM) in der ersten grossen kommer­zi­ellen Zinn­mine im Osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo „konflikt­freies“ Zinn. Doch wer profi­tiert wirk­lich von diesem Label, die Mineure, die Bevöl­ke­rung oder die Konzerne?

Vertrei­bung und Arbeitslosigkeit

Alphamin Resources hat ihren Sitz auf Mauri­tius und ist an der Börse in Toronto und Johan­nes­burg kotiert. Bis 2015 hatte das Unter­nehmen seinen Haupt­sitz an der Gott­hard­strasse in Zug. Während dieser Zeit kaufte Alphamin schritt­weise Schürf­rechte an den Bisie Minen und begann mit den ersten Bohrungen. Begün­stigt wurde der Prozess durch den ameri­ka­ni­schen Dodd-Frank Act, der den Handel mit soge­nannten Konflikt­mi­ne­ra­lien aus dem Osten Kongos verhin­dern will. Was jedoch die Lage für die in den Minen arbei­tenden Menschen hätte verbes­sern sollen, war der Anfang eines lange andau­ernden Konflikts.

„2011 musste ich meine Grube aufgeben.“ Stéphane Ikandi steht im Zeugen­stand des Kongo Tribu­nals, einem Theater unter der Leitung des Schwei­zers Milo Rau – gespielt von echten Zeug*innen, Anwält*innen und Jury­mit­glie­dern. Die Anhö­rungen finden im Früh­jahr 2015 an einem fiktiven inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshof in der ostkon­go­le­si­schen Stadt Bukavu statt. Bisie ist einer der drei verhan­delten Fälle.

Ikandi erzählt den Zuhörer*innen, wie hand­werk­liche Mineure wie er die Erze von Bisie schon 2002 entdeckt hatten. Verschie­dene Koope­ra­tiven bauten das Zinn hand­werk­lich ab, alle hatten die nötigen Geneh­mi­gungen. Auch damals hätten Militär und bewaff­nete Gruppen ihre Hände schon im Spiel gehabt. Trotzdem: Die Mineure seien damals gut orga­ni­siert gewesen und hätten der lokalen Bevöl­ke­rung Wali­kales eine Abgabe pro Tonne des abge­bauten Erzes gezahlt. „Wir arbei­teten und waren zufrieden“, sagt Ikandi im Zeugenstand.

Das änderte sich nach der Ankunft von Alphamin in Bisie. Schlei­chend kaufte die Firma die Handels­ge­sell­schaft Mining Proces­sing Congo (MPC) auf. Im Zuge dessen wurden die Mineure nach und nach gezwungen, die Bisie-Minen zu verlassen. Während die kongo­le­si­schen Behörden der Firma 400 Schächte zuspra­chen, blieben für die hand­werk­li­chen Berg­leute gerade einmal neun übrig. Im März 2015 wurden die ersten Berg­leute vertrieben, Menschen verletzt und Häuser zerstört.

Alphamin steht immer wieder in der Kritik lokaler NGOs: Weder habe sich die Firma an die Verein­ba­rungen mit den Koope­ra­tiven gehalten, noch habe sie die Bevöl­ke­rung konsul­tiert. Letz­teres ist bei der Ertei­lung von Minen­kon­zes­sionen gesetz­lich vorge­schrieben. Um ihr Image aufzu­po­lieren, hat sich Alphamin neu posi­tio­niert. So hat sie beispiels­weise die Lowa Alli­ance gegründet, eine lokale gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tion, die Projekte im Bereich Bildung, Elek­tri­zität oder Land­wirt­schaft unter­stützt. Ausserdem verpflich­tete sie sich laut eigenen Angaben zu hohen Nach­hal­tig­keits­stan­dards.

Kein Ende der Gewalt

Trotzdem kam es im Dezember 2017 zu weiteren ille­galen Vertrei­bungen. Ein Unter­su­chungs­be­richt doku­men­tiert etliche Menschen­rechts­ver­let­zungen: Mehr als 16’000 Menschen wurden von Minen­po­lizei und Armee aus den Dörfern um das Minen­ge­lände vertrieben. In den Dörfern befanden sich auch Schulen, Kran­ken­häuser und Märkte. Ohne Alter­na­tive für ein Einkommen mussten nicht nur hand­werk­liche Mineure, sondern auch Landwirt*innen, Verkäufer*innen sowie Träger ihre Arbeit aufgeben. Viele verloren alles, ihre Kinder waren gezwungen, das Schul­jahr zu unterbrechen.

Erst Anfang Januar 2020 kam es erneut zu gewalt­samen Inhaf­tie­rungen von Bergarbeiter*innen durch die Minen­po­lizei. Ange­hö­rige der Betrof­fenen bezeichnen diese als „das Militär von Alphamin“. Berg­leute und lokale Aktivist*innen können sich kaum wehren, ohne sich in Gefahr zu bringen; die zwölf im Januar fest­ge­nom­menen Mineure sind noch heute im Gefängnis und wegen krimi­neller Verschwö­rung, Rebel­lion und Anstif­tung zu ordnungs­wid­rigem Verhalten ange­klagt. Derweil igno­rieren Alphamin und die Behörden gegen­über der Gemeinde ihre Verspre­chungen in Bezug auf die zuge­teilten Gebiete, Infra­struktur und Abgaben.

Alphamin versprach etwa, während der Bauphase rund 1’000 Arbeiter*innen zu beschäf­tigen. Danach sollten 600 dauer­hafte Arbeits­plätze geschaffen werden. Selbst bei Einhal­tung würde das eine verschwin­dend tiefe Beschäf­ti­gungs­rate ergeben, vergli­chen mit den über 10’000 Menschen, die zuvor durch die Mine zumin­dest ein kleines Einkommen erwerben konnten. Doch es kam gar nie soweit. Als im Oktober 2019 die Produk­tion schon in vollem Gang war, hatten gemäss lokalen Aktivist*innen nur 60 Personen aus den umlie­genden Gemeinden bei Alphamin Arbeit gefunden – und dies unter prekären Bedin­gungen, in Tagesverträgen.

Alphamin selbst sieht dies natür­lich anders. Ihr Berg­bau­be­trieb sei ein bedeu­tender Arbeit­geber in der Region Wali­kale. Alphamin räume der lokalen Beschäf­ti­gung Prio­rität ein und hätte in dieser Hinsicht 100 % erreicht. Der letzte tech­ni­sche Report der Firma vom Dezember 2019 kommu­ni­ziert nebst dieser Prozent­zahl jedoch keine effek­tiven Zahlen.

Ein Bericht von 2019 hat den „Migra­ti­ons­pro­zess“ der hand­werk­li­chen Mineure 2017 und 2018 im Lichte der Vorwürfe von Menschen­rechts­ver­let­zungen unter­sucht. Es wird konsta­tiert, dass es in der Arbeit der NGOs und der hand­werk­li­chen Berg­bau­ko­ope­ra­tiven, welche diese Vorwürfe erhoben haben, viele Über­trei­bungen und Unge­nau­ig­keiten gibt. Es ist natür­lich möglich, dass Alphamin gegen­über zu wenig fundierte Vorwürfe erhoben wurden, da auch diese Gegen­seite um lukra­tive Profite betrogen wurde. Es sollte aber nicht über­sehen werden, dass die unab­hän­gigen Berater, die diesen Bericht erstellten, von Alphamin ange­stellt wurden.

Zinn – der Rohstoff aus dem die Zukunft gebaut wird?
Das Massa­chu­setts Insti­tute of Tech­no­logy (MIT) hat eine selbst für die Rohstoff­welt über­ra­schende Vorher­sage gewagt: Der Abbau von Zinn wird das Rohstoff­ge­schäft sein, das am meisten von neuen Tech­no­lo­gien im Bereich von Elek­tro­fahr­zeugen, fort­schritt­li­cher Robotik und erneu­er­baren Ener­gien profi­tieren wird. Noch ist die These zwar umstritten. Aber sollte das MIT mit seiner Prognose Recht haben, ist Zinn der Rohstoff der tech­no­lo­gi­schen Zukunft.
Während in der Schweiz im Rahmen der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive die Rohstoff­branche insge­samt kritisch disku­tiert wird, kommt Zinn nur in Neben­sätzen vor. Dabei steckt nicht nur in jeder Bier­dose und in jedem Mobil­te­lefon Zinn, sondern dieses gehört mit Wolfram, Coltan und Gold auch zu den soge­nannten Konflikt­mi­ne­ra­lien. Dies aufgrund der Gefahr, dass der Handel mit diesen Stoffen in poli­tisch insta­bilen Gebieten bewaff­nete Gruppen finan­ziert, Menschen­rechts­ver­let­zungen fördert und Korrup­tion unterstützt.
Schon seit 10 Jahren verpflichtet deswegen der Dodd-Frank Act börsen­ko­tierte Unter­nehmen in den USA zur Durch­füh­rung von Sorg­falts­prü­fungen in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo und den angren­zenden Ländern. Eine neue EU-Verord­nung, die 2020 in Kraft tritt, soll nun sicher­stellen, dass auch euro­päi­sche Unter­nehmen diese vier Mine­ra­lien aus verant­wor­tungs­vollen und konflikt­freien Quellen beziehen.

Konflikt­mi­ne­ra­lien oder Konfliktmineralien?

Obwohl Tausende von Menschen ihrer Existenz­grund­lage beraubt wurden, sind hand­werk­liche Berg­bau­ak­ti­vi­täten auch heute noch zentral in Wali­kale. Mit Roland und Damien sitze ich bei einem Primus-Bier in einem Plastik­stuhl auf der Veranda des katho­li­schen Parish. Die beiden Prie­ster haben mich zuvor durch das Wohn­zimmer geführt. Mit seinen braunen, schweren, mit weissen Häkel­deck­chen deko­rierten Sofas, den Kruzi­fixen und Bildern von ehema­ligen Prie­stern an den Wänden und den klobigen Tischen und Wand­schränken ist es für diese Gegend sehr üppig einge­richtet. Danke Vatikan.

Roland und Damien erzählen, dass Kinder oft auf eigene Faust in Flüssen und Stollen rund um die Stadt nach Gold suchen. Die beiden Prie­ster über­rascht das nicht. Auch wenn sie diese Arbeit nicht machen würden, könnten die Kinder nicht zur Schule gehen, da den Fami­lien ohnehin das Geld fehle. Durch das Gold­schürfen könnten sie wenig­stens Essen und andere Notwen­dig­keiten kaufen. Ohne diese Verdienst­mög­lich­keit sei die Gefahr grösser, dass sie sich bewaff­neten Gruppen anschliessen. Deren Auswir­kungen auf die Kinder in der Region bekommen auch Damien und Roland immer wieder zu spüren: Zusammen mit Caritas betreibt der Parish ein Zentrum, in dem Kinder­sol­daten reha­bi­li­tiert werden.

Das Narrativ von der Proble­matik von Konflikt­mi­ne­ra­lien ist simpel: Der Rohstoff­abbau, in welchem auch Kinder und Frauen in prekären Bedin­gungen und unter Zwang arbeiten, ermög­liche es bewaff­neten Gruppen, Waffen zu kaufen und Kämpfer*innen zu rekru­tieren. Auch Alphamin stützt sich auf diese verkürzte Sicht. Die Firma schreibt auf ihrer Website: „Der hand­werk­liche Bergbau hat direkt zur Bildung von bewaff­neten Milizen auf der Grund­lage der erzielten und gehan­delten Gewinne beigetragen.“

Dieser direkte Zusam­men­hang wird von lokalen Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen klar zurück­ge­wiesen. 70 kongo­le­si­sche und inter­na­tio­nale Beobachter*innen haben mit einem offenen Brief auf den Dodd-Frank Act reagiert. Darin schreiben sie, die Mass­nahmen hätten es versäumt, die Ursa­chen der Gewalt zu bekämpfen.

Die Rohstoffe, die in der west­li­chen Welt gerade für Konsument*innen gerne in den Mittel­punkt gestellt werden, sind für bewaff­nete Gruppen oftmals nur ein Mittel zur Finan­zie­rung ihrer Konflikte. Viel eher würde durch die Indu­stria­li­sie­rung im Namen dieser Initia­tive das ökono­mi­sche Funda­ment der lokalen Bevöl­ke­rung unter­graben. Das Fazit des Konsor­tiums lautet: „Diese Initia­tiven laufen Gefahr, den Konflikten, die sie anpacken wollen, eher Vorschub zu leisten als sie zu entschärfen.“

Von der Wut zum Antiimperialismus

Zurück im insze­nierten Gerichts­saal des Kongo Tribu­nals in Bukavu. Zeuge B tritt in den Zeugen­stand. Sein Körper und das Gesicht sind verhüllt, seine Stimme unkennt­lich verän­dert. Zeuge B war hand­werk­li­cher Mineur in Bisie, bis er sich der Rebel­len­gruppe Cheka ange­schlossen hatte. „Die Söhne und Töchter Wali­kales profi­tieren nicht vom Reichtum ihrer Erde“, meint er. Das Ziel von Cheka sei es deshalb, die Rechte der Bevöl­ke­rung Wali­kales zu beschützen, die von Alphamin enteignet wurde.

Es ist bekannt, dass der Anführer der bewaff­neten Gruppe Cheka früher ein Mitglied einer der hand­werk­li­chen Berg­bau­ko­ope­ra­tive (COMIMPA) in Bisie war. 2019 stand er vor einem kongo­le­si­schen Mili­tär­ge­richt in Goma, um sich für verschie­dene Verbre­chen zu verant­worten, darunter Massen­tö­tungen, Verge­wal­ti­gungen und der Einsatz von Kindersoldaten.

Die Wut gegen­über Unter­nehmen wie Alphamin bietet neben der fehlenden Existenz­grund­lage gemäss lokalen Aktivist*innen und inter­na­tio­nalen Beobachter*innen ein Nähr­boden für die oft anti­im­pe­ria­li­sti­sche Rhetorik von bewaff­neten Gruppen. Eine kürz­lich erschie­nene Studie bestä­tigt dies. Laut des zuvor erwähnten Unter­su­chungs­be­richts sei gerade für die vielen ehema­ligen Träger die Gefahr sehr gross, sich bewaff­neten Gruppen anzu­schliessen. Sie sind jung und stark, verfügen aber oft nur über eine geringe Schulbildung.

Multi­na­tio­nale Unter­nehmen haben sehr wohl Einfluss auf die Dyna­miken von Konflikten, auch wenn sie postu­lieren, „konflikt­frei“ zu agieren. Anstatt sich dieser Bedin­gungen wirk­lich bewusst zu sein und entspre­chende vorbeu­gende Mass­nahmen zu ergreifen, verwei­gert sich Alphamin bis heute wirk­li­cher Koope­ra­tion und Konflikt­lö­sung mit der Bevöl­ke­rung und den lokalen Bergbaukooperativen.

Auch die Schweiz profi­tiert vom Label „konflikt­frei“

Alphamin ist sich sicher, dass die Tätig­keiten der Firma in Wali­kale zu wirt­schaft­li­chem Aufschwung und länger­fri­stig zu Frieden in der Region führen. Die Idee: Eine grosse indu­stri­elle Mine bringt Infra­struktur, von der dann auch die Gemeinden um die Mine profi­tieren. So ist Bisie Airport, der von Alphamin unter­hal­tene Flug­platz, der einzige in Wali­kale. Davor waren Flug­zeuge einfach auf einer langen Strasse gelandet.

Weiter hat Alphamin auch eine 38 Kilo­meter lange Strasse mitten durch den Dschungel gebaut. Diese verbindet den Flug­hafen, die Mine und ein Logi­stik-Camp, welches mit einer Barriere abge­si­chert ist und nebst der Admi­ni­stra­tion in hölzernen Büro­ge­bäuden und der Unter­brin­gung der Arbeiter*innen auch dazu dient, die Sicher­heit der Mine zu überwachen.

Die neue Strasse nützt der Bevöl­ke­rung kaum etwas. Zur Mine hat diese ja ohnehin keinen Zugang. Bei den Flügen von Alphamin, auf denen mehr­mals pro Woche bis zu zwölf Personen zwischen Goma und Wali­kale beför­dert werden, sieht es nicht anders aus. Auf meinem Weg nach Wali­kale sass ich neben Geologen, Kontrol­leuren, Finanz­leuten und Regierungsvertreter*innen – einfache Einwohner*innen der Region waren nicht darunter. Und während pro Tag 690 Kubik­meter Wasser bereit­ge­stellt werden, um die Prozess­an­lage der Mine am Laufen zu halten, tragen die Dorfbewohner*innen – zumeist Mädchen und Frauen – ihr Wasser oft über mehrere Kilo­meter in Kani­stern vom nächst­ge­le­genen Fluss nach Hause.

Dass Alphamin zum Aufbau nütz­li­cher Infra­struktur beiträgt, kann nicht gänz­lich von der Hand gewiesen werden. Doch der Nutzen davon ist nicht nur selektiv, sondern dient in erster Linie der Profit­ma­xi­mie­rung der Firma. Und damit auch der Wert­schöp­fung in der Schweiz.

Recher­chen von das Lamm legen nahe, dass das in Bisie gewon­nene Zinn ausschliess­lich über die Schweiz gehan­delt wird. Im Januar 2018 hat Alphamin einen fünf­jäh­rigen exklu­siven Abnah­me­ver­trag mit Gerald Metals in Kampala, der Haupt­stadt des Nach­bar­lands Uganda, verein­bart. Mit Gerald Metals Sàrl unter­hält die Gerald Group mit Sitz in London – nach Glen­core und Trafi­gura der welt­weit führende Rohstoff­händler im Bereich der Nicht­ei­sen­me­talle – ein Toch­ter­un­ter­nehmen in Morges am Genfersee. Diese Nieder­las­sung ist der Handels­kno­ten­punkt der Gerald Group für die Regionen Europa und Afrika.

Sowohl Alphamin wie auch die Gerald Group geben keine Auskunft über die Spur des Zinn­han­dels an den Genfersee. Jedoch hat Gerald Metals am 14. November 2019 bekannt gegeben, dass ihre am Genfersee ansäs­sige Toch­ter­firma Gerald Metals Sàrl die Lowa Alli­ance in Wali­kale mit einer Spende von 126’000 US Dollar unter­stützt. Dass die Firma ein Trink­was­ser­pro­jekt für die Region ermög­licht, ist erfreu­lich. Dass die Schweiz mit grosser Wahr­schein­lich­keit über Gerald Metals Sàrl und deren Steuern an Alpha­mins umstrit­tenen Machen­schaften in Wali­kale kräftig mitpro­fi­tiert, weniger.

Damit ist klar: Von den Initia­tiven im Kampf gegen Konflikt­mi­ne­ra­lien profi­tieren auch grosse Konzerne. Alphamin besitzt nicht nur jetzt schon die Lizenz für die bedeu­tend­sten Zinn­vor­kommen Nord-Kivus, sondern auch fünf weitere Explo­ra­ti­ons­li­zenzen in der Region. Der Zinn­ge­halt des dort abge­bauten Erzes ist unver­gleichbar hoch: mit 4,5 % gar viermal höher als in anderen Zinn­minen. Der hohe Zinn­ge­halt und die kosten­gün­stige Produk­tion verspre­chen sehr hohe Renditen.

Die Bevöl­ke­rung in Wali­kale ist Inve­sti­tionen in ihre Region natür­lich keines­wegs abge­neigt, erhofft sie sich doch dadurch vor allem mehr Stabi­lität und Sicher­heit. Vom wirt­schaft­li­chen Aufschwung vor Ort profi­tieren im Moment jedoch nur wenige. Alphamin und ihre Aktio­näre hingegen können sich auf eine strah­lende Zukunft freuen. Und auch die Schweiz profi­tiert an Rohstoffen mit dem Label „konflikt­frei“ mit. Während der Vertrei­bungen im März 2015 hatte Alphamin ihren Firmen­sitz in der Schweiz. Heute profi­tiert sie durch den Handel mit dem Zinn aus Bisie.

Durch die Indu­stria­li­sie­rung der Mine werden die Gewinne aus dem Bergbau in Bisie gröss­ten­teils in Länder des globalen Nordens trans­fe­riert. Für Tausende Kongoles*innen bedeutet diese Entwick­lung, dass sie aus der legalen Produk­tion ausge­schlossen werden. Anstatt dass die Bevöl­ke­rung Wali­kales einen fairen Gewinn aus dem Abbau ihrer Boden­schätze gewinnt, müssen sie sich mit den Almosen aus den gemein­nüt­zigen Projekten der Lowa Alli­ance zufriedengeben.

Die Autorin dieses Arti­kels war im Februar 2019 mit der lokalen Orga­ni­sa­tion CIYOTA auf Einla­dung des Distrikt-Admi­ni­stra­tors in Wali­kale. CIYOTA bildet Jugend­liche im Osten der DR Kongo in verant­wor­tungs­be­wusster Leader­ship aus. In diesem Artikel werden Eindrücke dieses Besu­ches aufgearbeitet.

 


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