Ausran­giert: das Auto. Vergiftet: der Mais­wur­zel­bohrer. Tot: 200 ÖkoaktivistInnen

Good News vs. Bad News: 1:2. Frank­reich hat nicht nur Le Pen, sondern auch das Auto abge­wählt. Monsanto bringt seine neue Mais­brut im Eiltempo auf die Felder. Und: 2017 könnte für Ökoak­ti­vi­stInnen ebenso gefähr­lich werden wie 2016. 
2017 gehört in Paris auch bald der fernen Vergangenheit an. Zumindest olfaktorisch. (Foto: OliBac)

Wie schlimm steht es wirk­lich um die Welt? Das weiss niemand ganz genau. Eine Nach­richt jagt die nächste – wie einen Über­blick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausge­wählte News häpp­chen­weise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen einmal pro Monat Anhalts­punkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.

Heute: Frank­reich verkauft bald keine Autos mit Erdöl­an­trieb mehr. // Ein neuer Monsanto-Mais wird im Eiltempo in die Natur losgelassen.// 200 Ökoak­ti­vi­stInnen wurden 2016 umgebracht.

Good News 1: Frank­reich sagt: Adieu, Auto!

Was ist passiert? Bald wird in Frank­reich der letzte Auspuff einge­stampft. Das hat der neue Ministre de la Tran­si­tion Écolo­gique und ehema­lige Öko-Akti­vist Nicolas Hulot verkündet: Ab 2040 dürfen keine Diesel- oder Benzin­autos mehr verkauft werden. Paris, so schön fürs Auge, so häss­lich für die Nase, wird also ab ca. 2050, nach dem letzten Diesel­hu­sten, nur noch nach Harn­stoff riechen.

Aber nicht nur das: Ab Herbst darf bei unseren Nach­barn kein Erdöl/Erdgas mehr geför­dert werden, ab 2022 darf kein Kohle­strom mehr erzeugt werden, die Tonne CO2 wird über 100 Euro kosten, und 2050 ist Frank­reich dann klima­neu­tral, wenn man Hulots Worten glauben soll.

Warum ist das wichtig? Weil sich Frank­reich traut, den Klima­killer Nr. 1 in Sachen Mobi­lität frontal anzu­greifen. Während wir hier über ein paar Gramm weniger CO2 für Neuwagen feil­schen, die dann doch nicht zustan­de­kommen (das Lamm berich­tete im letzten Lage der Welt). Und: Frank­reich ist damit nicht alleine. In Norwegen dürfen ab 2025 nur noch Elektro-Autos und Plug-in-Hybride über den Laden­tisch, die Nieder­landen denken laut über ein Verbot von Diesel- und Benzin­fahr­zeugen eben­falls bis 2025 nach, einige deut­sche Bundes­länder wollen ab 2030 nur noch Elek­tro­fahr­zeuge zulassen, und sogar Indien gedenkt, ab 2030 den Verkauf von Benzi­nern und Dies­lern zu verbieten. Volvo hat gar ange­kün­digt, ab 2019 nur noch Elektro- und Hybrid­fahr­zeuge anzu­bieten. Es bleibt zu hoffen, dass die Schweiz nicht erneut zum (diesmal russ-)schwarzen Herz Europas wird.

Aber? Wech­seln die Fran­zosen damit vom Sitz auf den Sattel? Einen solchen Kultur­schock kann der Mini­ster seinen Fran­zö­sinnen dann doch nicht zutrauen. Auch er sich selbst nicht. In der Serie „Dis-moi en quoi tu roules, je te dirai qui tu es...“ (“Sag mir was du fährst, und ich sag dir, wer du bist...“) zeichnet die Zeitung Le Monde jeweils eine Charak­ter­studie einer fran­zö­si­schen Persön­lich­keit — auf Grund­lage ihres Fuhr­parks. Und der ist auch bei Hulot beacht­lich, fährt er doch einen Citroën 2CV („nur für kurze Strecken“), einen russenden Kangoo („prak­tisch, um Mate­rial zu meinem Motor­boot (220 PS) zu fahren“) sowie zwei Elek­tro­autos (Renault Fluence ZE élec­trique und BMW i3, zu mini­ste­rialen Zwecken). Den 2CV mit dem Renault Fluence ZE élec­trique im fran­zö­si­schen Natio­nal­cha­rakter auszu­wech­seln, das könnte Hulot noch gelingen. Woher aber der Strom für die Elek­tro­autos kommen soll, wenn Hulot, der AKW-Gegner, auf lange Sicht die 57 fran­zö­si­schen AKWs abschalten will? Das Lamm hat eine Lösung für Sie, Monsieur Hulot: Wie wärs mit dem vélo? Das läuft mit baguette, ganz écolo!

Bad News 1: Der Mais, der Gene zum Schweigen bringt

Was ist passiert? Auf leisen Sohlen hat sich ein neuer Gentech-Mais auf US-ameri­ka­ni­sche Felder gestohlen. „SmartStax Pro“ heisst die neue Brut von Dow und Monsanto. Sie produ­ziert eine Ribo­nu­clein­säure (RNA), die dem Mais­wur­zel­bohrer, eine billion dollar plague auf US-Mais­fel­dern, an die Borsten rückt.

Das fiese an der neuen Mais­sorte: Frisst sich der Mais­wur­zel­bohrer in die Wurzeln des SmartStax Pro, frisst er auch viele dieser RNA-Stücke. Der Effekt: Er kann ein lebens­wich­tiges Protein nicht mehr herstellen. Das Beson­dere an diesem Trick: Der Mais­wur­zel­bohrer hätte eigent­lich noch die Gene, um dieses  Protein herzu­stellen, aber sie werden nicht mehr in Proteine „über­setzt“. Erst­mals ist mit „SmartStax Pro“ eine gentech­nisch modi­fi­zierte Pflanze mit einem soge­nannten gene silen­cing gegen Insekten in den USA zuge­lassen worden – im Rekord­tempo. Knappe 15 Tage dauerte die öffent­liche Konsul­ta­ti­ons­runde der „Envi­ron­mental Protec­tion Agency“ (EPA). Zu wenig Zeit, damit sich eine gesell­schaft­liche Debatte darüber hätte entfa­chen können.

Warum ist das wichtig? Die Debatte über die neue Biotech­no­logie wäre wichtig gewesen. Denn die Tech­no­logie ist im Prinzip bestechend: Man wähle ein Gen (DNA-Sequenz) aus, das für einen bestimmten Schäd­ling und nur für diesen lebens­not­wendig ist, entwerfe eine korre­spon­die­rende RNA-Sequenz, die das Gen abschalten kann – und schon hat man ein äusserst spezi­fi­sches „Gift“, das nur gegen Schäd­linge vorgeht, die auf dieses Gen ange­wiesen sind.

Anders als Insek­ti­zide wie Nikotin, die auch mensch­liche Nerven­zellen angreifen, oder unspe­zi­fi­sche Herbi­zide wie Glyphosat, die (fast) alle Pflanzen töten, könnte man den Schäd­ling ausser Gefecht setzen, ohne zugleich Nütz­linge zu töten. Im Prinzip. In der Realität sieht es bereits anders aus. Und genau deswegen wäre ein Debatte darüber so wichtig gewesen. Ein Forsche­rIn­nen­team der Univer­sität Kentucky hat fest­ge­stellt, dass diese RNA im SmartStax Pro nicht nur den gierigen Mais­wur­zel­bohrer tötet, sondern auch den nütz­li­chen Mari­en­käfer. Ausserdem ist unklar, wie bekömm­lich die RNA für den mensch­li­chen Körper ist. Das mindeste, was man hier sagen kann: Die Wissen­schaf­te­rInnen streiten sich heftig. Wieder einmal wurde das Vorsor­ge­prinzip umge­stülpt, und die US-Coke-Trin­ke­rInnen (Ja, da hats Mais drin!) müssen als Versuchs­ka­nin­chen herhalten.

Aber? Es ginge wohl auch ohne Dr. Monsan­to­steins neuem Kind. Der Fort­pflan­zungs­zy­klus des Mais­wur­zel­boh­rers liesse sich einfach dadurch bekämpfen, dass man nicht jedes Jahr auf dem selben Feld Mais anpflanzt. In diesen Mais­flauten hat der Bohrer weniger zu fressen – und sein Bestand wird auf ein erträg­li­ches Mass dezi­miert. Aber mit dieser Idee lässt sich kein Geld verdienen. Denn sie ist so alt wie die Land­wirt­schaft selbst — die Patent­rechte darauf wären längst abge­laufen. Dafür wüsste man um die Neben­wir­kungen. Es gibt nämlich keine.

Bad News 2: 2016 starben so viele Ökoak­ti­vi­sten wie nie zuvor — aber 2017 könnte noch schlimmer werden

Was ist passiert? Carlos Maaz Coc war Fischer in Guate­mala. Der See, von dem er lebte, wurde von Abwas­sern aus Minen vergiftet. Dagegen hat er prote­stiert. Und dafür hat er mit seinem Leben bezahlt. Carlos Cod war damit einer von 98 Menschen, die dieses Jahr ermordet wurden, weil sie gegen vergif­tete Fisch­gründe kämpften, weil sie Wilde­re­rInnen im Weg standen, weil sie ihr Stück­chen Land für ihr Vieh und Gemüse behalten wollten oder weil sie sich gegen die Plün­de­rung ihrer kultu­rellen oder natür­li­chen Schätze wehrten. Gemäss der NGO Global Witness sind wir 2017 auf Kurs mit dem bisher tödlich­sten Jahr 2016, bei dem 200 Ökoak­ti­vi­stInnen umkamen.

Warum ist das wichtig? Hier in der Schweiz oder in Deutsch­land stirbt niemand, der sich aufs Gleis kettet, um einen Castor-Trans­port zu stoppen. Dennoch können die Akti­vi­stInnen mit einer guten medialen Abdeckung rechnen.

In Brasi­lien, in Kolum­bien und in den Phil­ip­pinen sterben Klein­bäue­rinnen und Fischer zu Dutzenden, während sie gegen Minen­pro­jekte ankämpfen, die sie um ihre Lebens­grund­lage bringen. Aber es spricht niemand über sie. Nicht einmal die Rich­te­rInnen. Denn diese Morde finden in Gebieten statt, in denen die Justiz keinen Empfang mehr hat.

Und das hat System: Gerade in solchen Rand­ge­bieten, wo der Rechts­staat abwe­send und die Medien schwach sind, können Gross­pro­jekte, die anderswo die mühsame demo­kra­ti­sche Zustim­mung erfor­derten, rasch und notfalls auch mit Gewalt abge­wickelt werden. Gerade deshalb ist es wichtig, dass diese Menschen in den Radius unserer Aufmerk­sam­keit gerettet werden. Auch wenn sie schon tot sind. Damit Projekte, die hier niemals akzep­tieren würden, nicht einfach in Länder ausge­la­gert werden können, in denen Menschen­rechte kaum etwas zählen. Und in denen Umwelt­ge­setze oft nur pro forma existieren.

Aber? Aller­dings liegen die Ursa­chen tiefer. Und hängen manchmal mit scheinbar harm­losen Produkten zusammen. Weil Soja im brasi­lia­ni­schen Norden billiger ange­pflanzt werden kann als bei uns, wird das „Schweizer Fleisch“-Huhn mit solchem Soja gemä­stet. Und wieso ist das brasi­lia­ni­sche Soja so günstig? Nebst dem günstigen Klima und laschen Umwelt­ge­setzen ist es eben auch die unge­strafte Gewalt an Land­losen und Klein­bauern, die eine reibungs­lose Expan­sion der Anbau­flä­chen erlaubt – und damit die Produk­ti­ons­preise senkt. Eben wurden am 24. Mai in Brasi­lien 10 Land­lo­sen­ak­ti­vi­stInnen während einer Konfron­ta­tion mit der Polizei getötet. Auch, weil Gross­grund­be­sitzer durch Geld aus dem Norden, eben durch den Verkauf an uns Schweizer Poulet­kon­su­men­tInnen, mächtig werden – so mächtig, dass sie die Schwa­chen beiseite schieben und notfalls töten können. Mit oder ohne staat­liche Beihilfe.

Einen winzigen Licht­blick in die grosse Misere verschafft uns die Sonnen­blume: In den Bio-Eiern von der Migros hat sie letztes Jahr das blutige Soja ersetzt. Statt 4.75 Fr. pro Schachtel kosten die 6 Eier nun 4.85 Fr. Das soll es uns wert sein.


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