Befreien wir die Welt­meere bald mit Robo­ter­fi­schen von Plastikmüll?

In Japan will ein Roboter ster­benden Menschen helfen, Green­peace möchte mit Drohnen das Bienen­sterben abfe­dern und Gehbe­hin­derte sollen mit einem moto­ri­sierten Exoske­lett bald wieder laufen können. Olga Thiel machte sich für das Lamm auf die Suche nach den Robo­tern der Zukunft und bemerkt, dass die unsicht­baren Helfer bereits da sind. 
Bestäuben bald Roboterbienen unsere Blüten? (Foto: Jacquelyn Orenza)

Pfle­ge­ro­bo­tern für Senio­rInnen – zukünftig mögli­cher­weise auch Betreu­ungs­ro­bo­tern für Kinder – fehlt es nie an Geduld, Zeit und Aufmerk­sam­keit. Obwohl sie uns keine mensch­liche Nähe geben, kommt die Illu­sion dem Original nahe. Der Roboter als mitfüh­lender Begleiter ist auf dem Vormarsch. Er kann uns in jedem Alter zur Seite stehen: Als Baby­sitter, als sexu­eller Gefährte oder, wie bereits heute verbreitet, als Alten­pfleger. Auch mit dem Tod können sich Roboter ausein­an­der­setzen. Etwa das Modell der Robbe „Paro“, das zu thera­peu­ti­schen Zwecken vor allem für Demenz­kranke einge­setzt wird. Das Kuschel­tier gibt Zuwen­dung und ist immer da, wenn gerade niemand anderes Zeit hat. Einen Schritt weiter geht „Seppu­Kuma“, der äusser­lich an einen Teddy­bären erin­nert und Ster­be­hilfe leisten soll. Roboter, die sich um uns kümmern, sind meist vermensch­lichte Maschinen, die zum Ziel unser Wohl­be­finden haben und somit auch Gefühle in uns wecken.

Es gibt aller­dings auch Roboter, die den Menschen unter­stützen, ohne mensch­liche Eigen­schaften vorzu­täu­schen. Beispiel­weise Medi­zin­ro­boter, welche als „Dr. Roboter“ im Opera­ti­ons­saal helfen. Oder das motor­be­trie­bene Roboter-Exoske­lett, ein Gestell, welches Menschen mit Gehbe­hin­de­rung ermög­licht, trotzdem zu laufen. Hier verhilft die Maschine dem Menschen zu Leistungen, zu denen er früher nicht in der Lage war.

Lösen Roboter unsere Umwelt­pro­bleme oder sind sie bereits selbst die Umwelt?

Zur Lösung von globalen Problemen wie etwa der Verschmut­zung der Welt­meere setzen Forsche­rInnen eben­falls auf den tech­ni­schen Fort­schritt. Voll­au­to­ma­ti­sche Meeres­säu­be­rungs­an­lagen oder Roboter-Fische, die die Wasser­ver­schmut­zung über­wa­chen, sind bereits Realität. Intel­li­gente Maschinen, die von der Natur inspi­riert sind und diese sogar über­treffen, zeigen die zuneh­mende Verschmel­zung von Mensch und Umwelt. Die Umwelt wird selbst zum Roboter, wenn Menschen, Räume, Häuser, ja ganze Städte und Land­schaften mit Robo­ter­merk­malen ausge­stattet werden. Selbst­steu­ernde Heizungs­an­lagen und fern­ge­steu­erte Wasch­ma­schinen existieren im „Smart Home“ bereits, smarte Städte sind der logi­sche nächste Schritt. Mit intel­li­genten Maschinen kann die Umwelt neu geschaffen, können die Grenzen der Biologie neu defi­niert werden.

Es stellt sich die Frage: Sollen wir eine „schöne neue Welt“ schaffen oder unsere alte Welt retten? Dieses Gedan­ken­spiel greift die Orga­ni­sa­tion Green­peace in ihrem Projekt „NewBees“ auf. Mini-Drohnen über­nehmen die Aufgabe der Bienen, wenn diese ausge­storben sind. Dabei sind die solar­be­trie­benen Robo­ter­bienen so effi­zient, dass sie die echten Bienen in ihrer Arbeit weit über­treffen. Ein posi­tiver Aspekt des tech­ni­schen Fort­schritts: Wir denken verstärkt über die Bedeu­tung von Mensch­sein und die Zukunft unserer Umwelt nach.

Back to the future? Die Revo­lu­tion ist bereits hier

In Anbe­tracht dieser Zukunfts­phan­ta­sien frage ich mich, ob ich einem Roboter schon mal Auge in Auge gegen­über­stand. Nein – dachte ich zumin­dest. Denn wer genau hinsieht, findet in seinem Alltag überall Roboter. Ohne Roboter müssten wir andere Menschen wieder nach dem Weg fragen, uns in der Schlange vor der bedienten Kasse die Beine in den Bauch stehen und beim Parken des Autos auf unser Augen­mass vertrauen. Selbst­be­die­nungs­kassen, Autos und Rasen­mäher sind Appa­rate, die ihre Umwelt wahr­nehmen und mit dieser inter­agieren können. Sie sammeln über Sensoren Infor­ma­tionen über ihre Umge­bung und können intel­li­gent auf diese reagieren. Genau das macht einen Roboter aus. Eine Maschine braucht also weder Arme und Beine noch Antennen und Kuller­augen, um als Roboter zu gelten.

Nicht alle Roboter können wir anfassen. Roboter sind oftmals gar nicht sichtbar, sondern nur erfahrbar. Apples Siri zum Beispiel ist ein Programm mit Lern­fä­hig­keit, ein soge­nannter Bot – eine Kurz­form vom engli­schen „Robot“. Auch Chat­bots, die uns beispiels­weise beim Online-Einkauf Vorschläge machen, sind robo­ter­ar­tige Systeme. Der Roboter als Freund und Helfer, der dem Menschen die Arbeit abnimmt, ist keine unrea­li­sti­sche Zukunfts­vi­sion mehr. Liegt der Sinn seiner tech­ni­schen Entwick­lung aber nur in der Förde­rung mensch­li­cher Bequemlichkeit?

Unsicht­bare Jobver­nichter oder prak­ti­sche Helferlein?

Momentan nehmen wir Roboter vor allem dann wahr, wenn sie uns behilf­lich sind – oder sein sollten. Denn dass Roboter unseren Alltag verein­fa­chen, bemerken wir meist erst, wenn sie nicht so funk­tio­nieren, wie wir dies gewohnt sind. Ein defekter Bankomat oder ein Stras­sen­name, den das Navi­ga­ti­ons­gerät nicht versteht – und schon schätzen wir den Nutzen von funk­tio­nie­renden und somit hilfs­be­reiten Maschinen umso mehr.

Im Normal­fall sind Roboter zuver­lässig und leisten keine Wider­worte. Dies macht sie zum idealen Mitar­beiter. Fleis­sige Arbeits­ro­boter, die alles besser und schneller können als Menschen, bedrohen bestehende Arbeits­plätze. In diesem Szenario droht dem Auslauf­mo­dell Mensch eine düstere Zukunft. Im Strudel der Angst vor der eigenen Über­flüs­sig­keit könnte sich der Mensch auch gegen den tech­ni­schen Fort­schritt wehren – oder diesen schamlos für sich ausnutzen. Wie der Arbeits­ro­boter zum „Menschen zweiter Klasse“, gar zum Sklaven werden kann, führt die skan­di­na­vi­sche Erfolgs­serie Real Humans eindrück­lich vor.

Die Roboter sind hier — müssen wir uns ändern?

Wirk­liche Spreng­kraft entwickeln intel­li­gente Maschinen erst dann, wenn sie das Leben nicht bloss verein­fa­chen, sondern mit nach­hal­tigen sozialen Verän­de­rungen einher­gehen. Ein Roboter, der Wäsche falten und Einkäufe verstauen kann, der uns Haus- und Pfle­ge­ar­beit abnimmt, ist nur so gut wie die Gesell­schaft, die ihn nutzt. So hat etwa die Erfin­dung von Wasch­ma­schine und Staub­sauger para­do­xer­weise nicht zu mehr Frei­zeit geführt. Statt­dessen wurde mehr geputzt, mehr gewa­schen – vor allem von Frauen. Denn an den bestehenden Geschlech­ter­rollen und der Aufga­ben­ver­tei­lung in der Familie änderte sich nichts. Es braucht also nicht nur prak­ti­sche Maschinen, sondern ein gesell­schaft­li­ches Umdenken.

Auch wenn heute die Doppel­be­la­stung von Frauen durch Arbeit in- und ausser­halb des Hauses nach wie vor besteht, errang die Frau­en­rechts­be­we­gung des letzten Jahr­hun­derts die recht­liche Gleich­stel­lung der Geschlechter. Die Eman­zi­pa­tion des Robo­ters – heraus aus einem unter­wür­figen Verhältnis gegen­über dem Menschen – könnte auch der Maschine zu mehr Rechten verhelfen. Denn um das Zusam­men­leben von Mensch und Maschine auf gesell­schaft­li­cher Ebene zu regeln, werden Robo­ter­rechte – etwa das Anrecht auf Feri­en­tage oder die Bezah­lung eines Robo­ters – zuneh­mend zum poli­ti­schen Verhand­lungs­ge­gen­stand. Ein Vorstoss aus dem EU-Parla­ment fordert allge­meine Regeln, etwa zur Frage, wer bei einem Unfall haftet, für den Umgang mit Robo­tern. Was bedeutet es, wenn sich Poli­ti­ke­rInnen derart stark über die Rechte von Maschinen sorgen, während immer noch viele Menschen zu elenden Bedin­gungen schuften?

Gerade im Arbeits­be­reich steckt im tech­ni­schen Fort­schritt ein grosses Poten­zial, um etwa menschen­un­wür­dige Arbeits­be­din­gungen – „moderne Skla­verei“, wie Amnesty Inter­na­tional es mit Blick auf Katar ausdrückt – zu bekämpfen. Anstelle der zerschun­denen Körper, die uns glit­zernden WM-Stadien und schicke neue Smart­phones zurück­lassen, könnte in Zukunft ein Roboter stehen, dem die Schwerst­ar­beit nicht einmal einen Kratzer zufügt.

Auch wenn ich heute die Vorteile einer Selbst­be­die­nungs­kasse schätze, liegt die Zukunft einer effi­zi­enten Zusam­men­ar­beit von Mensch und Maschine in der Förde­rung von Robo­tern, welche den Menschen nicht ersetzen, sondern gezielt dort helfen, wo sie wirk­lich gebraucht werden.

 


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