Das Jammern der Täter

Der Fall rund um mutmass­liche sexua­li­sierte Über­griffe durch einen ehema­ligen Repu­blik-Jour­na­li­sten zeigt, wie Medien und Kultur daran schei­tern, Betrof­fene zu schützen – und dass Tatper­sonen nicht zur Verant­wor­tung gezogen werden. 
Dieses Jammern der Täter findet gerade in Szenen statt, in denen sich Männer gerne als soft und woke zeichnen. (Illustration: Luca Mondgenast)

Ende August veröf­fent­lichte das SRF Vorwürfe sexua­li­sierter Über­griffe von sechs Frauen aus der Medi­en­branche an einen Star-Jour­na­li­sten des Online­ma­ga­zins Repu­blik. Alleine die Zahl der mutmass­lich Betrof­fenen macht den Fall zu einem der bisher wohl grössten publik gewor­denen Fälle an sexua­li­sierten Grenz­über­schrei­tungen in der Schweizer Medi­en­branche. Seine lang­jäh­rigen Begleiter löschten gemein­same Fotos von Insta­gram, die Repu­blik und die WOZ ordneten Unter­su­chungen an – und ein Gross­teil der Branche hielt laut den Mund.

Gleich­zeitig warf ein Teil der Schweizer Musik­szene ein Auge auf Blau­Blau Records, das Label, das die letzten Jahre die Musik des mutmass­li­chen Täters publi­ziert hatte. Ich hatte das Label bereits ein halbes Jahr vor Bekannt­werden der Vorwürfe über mutmass­lich über­grif­figes Verhalten des Jour­na­li­sten, das ich selbst beob­achtet hatte, infor­miert und eben­falls erwähnt, dass ich mutmass­lich gewalt­tä­tiges Verhalten eines Menschen aus dem Label-Team beob­achtet hatte. 

Folgend legte Blau­Blau Records die Zusam­men­ar­beit mit besagtem Jour­na­li­sten und Musiker nieder und verur­teilte in einem State­ment die mutmass­liche Gewalt des Mannes. Dieje­nige des Team­mit­glieds blieb jedoch uner­wähnt. Die Details des Blau­Blau-Falls sind irrele­vant, aber die Reak­tionen darauf zeigen ein stereo­ty­pi­sches Muster:

Vorwürfe wurden via Social Media laut. Und wer die Vorwürfe teilte, erhielt Direkt­nach­richten aus der Szene rund um das Label, welche die Vorwürfe rela­ti­vierten oder klein­re­deten. Dass die Leitenden alle sehr bestürzt seien und dass man nicht noch mehr auf ihnen rumhacken solle. Ob die denn jetzt alle aus der Musik­szene gejagt werden sollen? Und: Dass man jetzt nicht die Szene spalten solle.

Eine neutrale Haltung gibt es nicht

Wer vor einer „Spal­tung der Szene“ Angst hat, hat nicht genau genug hinge­sehen. Die Schweizer Musik­szene ist bereits gespalten. Auf der einen Seite stehen übli­cher­weise cis Männer mit Europa-Touren und einer Vorliebe für Koks, mit eigenen Clubs, Labels oder Agen­turen und deren gleich­ge­sinnte Freunde. Auf der anderen Seite stehen häufig FLINTA*, die vor der sexua­li­sierten, psychi­schen oder physi­schen Gewalt dieser Männer und den Menschen, die sie ermög­licht haben, geflüchtet sind: in andere Clubs, andere Szenen, andere Städte.

Das ist nicht nur ein Problem der Kultur­szene: Von Gross-WGs über Redak­tionen zu ganzen Bran­chen kennen viele sozialen Struk­turen ähnliche Fälle. Die Spal­tung verläuft häufig ähnlich: Auf der einen Seite stehen Tatper­sonen und Menschen, die das Ausüben von Gewalt tole­rieren und ermög­li­chen. Auf der anderen Seite stehen Betrof­fene und jene, die das nicht tole­rieren. Eine neutrale Posi­tion gibt es nicht.

Wenn eine soziale Gemein­schaft Taten nicht klar verur­teilt oder sie gar bewusst totschweigt, zeigt das (poten­zi­ellen) Tatper­sonen, dass sie Gewalt ausüben dürfen. 

„Jeder Versuch einer neutralen Haltung bedeutet für Betrof­fene einen Zwang zur Recht­fer­ti­gung“, schreibt das Re.ACTion-Kollektiv in „Anti­se­xismus reloaded“, ihrem Hand­buch für anti­se­xi­sti­sche Praxis. Tatper­sonen hingegen benö­tigen nichts anderes als ein schwei­gendes Umfeld, um tätig werden zu können. Wenn eine Commu­nity auf die Vorwürfe eines Über­griffs nicht mit einem klaren Signal reagiert, dass Betrof­fene geschützt und Tatper­sonen Konse­quenzen tragen werden, ermög­licht sie Gewalt.

Das zeigt sich im Fall der Repu­blik in einer Mail, die die Repu­blik-Redak­ti­ons­leiter Constantin Seibt und Chri­stof Moser 2018 an ihr Team verschickten. Sie hatten von mutmass­li­chen Über­griffen durch den Star-Jour­na­li­sten erfahren und wiesen daraufhin ihre Redak­tion an, solche Vorwürfe nicht anzu­spre­chen, denn: „Damit wird die Zusam­men­ar­beit im Haus vergiftet“. Fresse halten mit den Belä­sti­gungs­vor­würfen, das killt den Vibe.

Wenn eine soziale Gemein­schaft Taten nicht klar verur­teilt oder sie gar bewusst totschweigt, zeigt das (poten­zi­ellen) Tatper­sonen, dass sie Gewalt ausüben dürfen. Betrof­fenen und ihnen sozial und demo­gra­fisch ähnli­chen Personen wird zu verstehen gegeben, dass sie es nicht wert sind, geschützt zu werden.

Die zweite Verletzung

Es ist schlimm genug, wenn jemand die Grenzen einer Person über­schreitet und ihre (körper­liche) Auto­nomie verletzt. Wenn andere der betrof­fenen Person aber auch die Schutz­wür­dig­keit oder die eigene Wahr­neh­mung der Verlet­zung abspre­chen, kann das mensch­liche Grund­ver­trauen in die Brüche gehen.

„Second injury“ nennt die Philo­so­phie- und Ethik­pro­fes­sorin Margaret Urban Walker in ihrem Buch „Moral Repair“ solch ein Nicht­ak­zep­tieren oder Nicht­be­nennen einer Verlet­zung. Walker sieht das Scha­dens­po­ten­zial dieser zweiten Verlet­zung als grösser an als das der ursprüng­li­chen Tat. Häufig geschehe dies durch das Abstreiten der Tat selbst. Die wohl belieb­teste Waffe von Tatper­sonen und deren Umfeld dafür ist die Hysterie – ein Klas­siker der Miso­gynie, mit dem der betrof­fenen oder anschul­di­genden Person Verrückt­heit unter­stellt und die Tat als erfunden einge­ordnet wird.

Damit eine Gesell­schaft an die Verlet­zung einer Person glaubt, die sie als weib­lich liest, muss diese die perfekte Menge Trau­ma­sym­ptome zeigen: nicht zu beschä­digt, nicht zu gesund, ein biss­chen Zittern in der Stimme, aber nicht zu viel. Anson­sten wird sie als hyste­risch, als „crazy“, als Lügnerin abgetan, wie auch Lilian Schwerdtner in ihrem Buch „Spre­chen und Schweigen über sexua­li­sierte Gewalt“ feststellt.

Gewalt­fan­ta­sien von Platon bis zur Chaostruppe

Seit Jahr­tau­senden wird sexua­li­sierte Gewalt dabei nicht als Ursache aner­kannt, sondern gar als Lösung dieser angeb­li­chen Verrückt­heit gepre­digt. Bei Platon hiess es, eine Frau werde hyste­risch, wenn ihre Gebär­mutter nicht regel­mässig „mit Samen gefüt­tert“ werde. Heute heisst es: Die muss einfach mal wieder richtig gefickt werden – meistens natür­lich nur hinter geschlos­senen Türen ausge­spro­chen, im „Rüümli“, beim Bier mit den Boys.

Seltener dringt der altgrie­chi­sche Frau­en­hammer auch an die Öffent­lich­keit wie vor ein paar Jahren beim Berner Rap-Kollektiv Chaos­truppe: Zwei von ihnen machten in einem Song die Aussage, eine SVP-Natio­nal­rätin müsse einfach richtig gefickt werden, dann werde sie sicher mora­lisch gut. In einem State­ment zum Song gingen sie nicht auf den Inhalt der Kritik ein, sondern betonten ledig­lich, sie hätten diesen nicht als Chaos­truppe veröffentlicht.

Die sanfter klin­gende, aber genauso miso­gyne Version davon ist schon eher gängig: Die angeb­lich Betrof­fene sei halt eine „crazy Ex“, durch­ge­dreht, der könne man nicht alles glauben. In der Schweizer Rock­musik-Szene wird das wieder und wieder Wort für Wort als Entschul­di­gung dafür genannt, weshalb Musiker*innen wissend mit mutmass­li­chen Tätern Bühnen oder Drogen teilen. Laut Autorin Lilian Schwerdtner ist das eine der primären Methoden, die Tatper­sonen und ihr Umfeld bewusst oder unbe­wusst anwenden, um Betrof­fene zu entmachten.

Häufig stürzen sich cis Männer in ein Wirrwar aus Schuld- und Scham­ge­fühlen, in eine unend­lich wirkende Melan­cholie – als Alter­na­tive dazu, selbst Verant­wor­tung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Wenn der Über­griff als gewalt­tä­tige Hand­lung abge­stritten und weder die Realität der Verlet­zung noch die Schuld der Tatperson aner­kannt werden, sei keine Heilung möglich, schreibt Walker in „Moral Repair“.

Auch Judith Herman schrieb bereits 1992 in „Trauma and Reco­very“, dem Grund­la­gen­werk moderner Trau­ma­the­rapie: „Nachdem öffent­lich aner­kannt wurde, dass eine Person verletzt wurde, muss die Commu­nity die Verant­wor­tung für die Verlet­zung zuweisen und versu­chen, sie zu heilen. Diese beiden Reak­tionen sind notwendig, um bei der verletzten Person einen Sinn von Ordnung und Gerech­tig­keit wiederherzustellen.“

Die trau­rigen Männer

Das Problem dabei: Wenn Tatper­sonen und deren Ermög­li­cher dazu gebracht wurden, die Verlet­zung anzu­er­kennen – beispiels­weise durch sozialen Druck oder Beweis­ma­te­rial –, folgt häufig eine zweite Phase der Vermei­dung von Verant­wor­tung. Sexu­al­wis­sen­schaftler und Männ­lich­keits­ak­ti­vist Kim Posster beschreibt dies im Essay „Männ­lich­keit verraten“ tref­fend als das „Jammern der Täter“. Im Ange­sicht eigener oder naher Täter­schaft würden sich beson­ders häufig cis Männer in ein Wirrwar aus Schuld- und Scham­ge­fühlen, in eine unend­lich wirkende Melan­cholie stürzen – als Alter­na­tive dazu, selbst Verant­wor­tung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Wie Posster analy­siert, geht es dabei nicht Mal um das Leid, das anderen zuge­fügt wurde. Getrauert wird darum, dass Mann seine Macht und Privi­le­gien nur durch die häufig gewalt­volle Abwer­tung anderer aufrecht­erhalten kann – darum, dass man selbst ein Monster sein könnte. Die Frage lautet dann nicht mehr, wie man Gewalt verhin­dern könnte, sondern wie man dafür sorgen kann, dass dieser Mann nicht mehr so traurig sein muss.

„Dabei wird anderen stets in Aussicht gestellt, dass eine Verant­wor­tungs­über­nahme kommen wird, sobald man nur stabil genug wäre, um aus der eigenen Täter­schaft wirk­lich Konse­quenzen ziehen zu können“, schreibt Posster. „Die Verän­de­rung kommt aber in der Regel nie“, statt­dessen werde in der Trauer ausge­harrt, bis die Gesell­schaft den Fall vergessen oder die Verant­wor­tung woan­ders verordnet hat.

Das Umfeld kann diesen Täter­schutz mittragen. So auch geschehen, als verschie­dene Künstler*innen von Blau­Blau Records beschrieben, wie unheim­lich traurig und schlaflos die Leitenden seien – und damit ausdrücken wollten, dass man jetzt nicht Kritik äussern oder Verant­wor­tungs­über­nahme fordern solle. Die Männer brau­chen Zeit, lasst sie in Ruhe mit euren Vorwürfen. Musi­ka­li­sche Wegbe­gleiter des Ex-Repu­blik-Jour­na­li­sten über­nahmen das gleich selbst und äusserten wieder­holt, wie anstren­gend es sei und wie traurig sie seien, dass sie gegen­über gleich mehreren Clubs allfäl­lige Mittä­ter­schaft oder Mitver­ant­wor­tung abstreiten mussten.

Die Schein­welt der Linken

Dieses Jammern der Täter findet gerade in Szenen statt, in denen sich Männer gerne als soft und woke zeichnen, da wo man sich als links, gebildet und „gut“ versteht – wie beispiels­weise in der Kultur­welt oder in der Medienbranche.

Genau dieses Selbst­ver­ständnis kann laut Schwerdtner derweil dazu führen, dass eine Commu­nity Aufar­bei­tung blockiert, statt sie zu fördern. Wie die Autorin weiter beschreibt, ist das Nicht-Wahr­nehmen oder das Vertei­digen von Tatper­sonen in der eigenen Commu­nity primär Selbst­schutz: eine Sehn­sucht nach der naiven, heilen Welt. Die Vorstel­lung eines „wir“, in dem keine sexua­li­sierte Gewalt existiert – im Gegen­satz zur rest­li­chen Gesellschaft.

Dass solch eine Vorstel­lung einer heilen Welt beispiels­weise bei der WOZ vorhanden ist oder war, ist deren Bericht zum eingangs erwähnten Fall zu entnehmen: „Auch in einem selbst­ver­wal­teten und basis­de­mo­kra­tisch orga­ni­sierten Betrieb wie der WOZ kann es zu solchen Verlet­zungen kommen.“

Das Akzep­tieren der eigenen Commu­nity als (poten­ziell) gewalt­voll oder gewal­ter­mög­li­chend ist notwendig, wenn man Gewalt vermeiden oder Heilung ermög­li­chen möchte.

Je mehr man sich und sein Umfeld als „gut“ versteht, desto mehr steht auf dem Spiel, wenn dieses Verständnis in Gefahr gerät. Ein passendes Beispiel zeigte die Chaos­truppe, die findet, die gewalt­ver­herr­li­chenden sexi­sti­schen Rap(e)-Lyrics seien kein Sexismus, da sich das Kollektiv wieder­holt gegen Sexismus posi­tio­nierte. 2021 veröf­fent­lichte die Chaos­truppe ein abschlies­sendes State­ment, in dem sie einsehen, dass sie sich „nicht komplett“ von den Sexis­mus­vor­würfen distan­zieren können.

Oder auch bei Exponent*innen von Netz­cou­rage, dem Verein gegen Gewalt im digi­talen Raum, die versuchten, Texte rund um den Repu­blik-Fall als fiktiv oder nicht kredibel zu framen.

Dieses Aufrecht­erhalten der eigenen heilen Welt ist beson­ders beim Thema Gewalt essen­ziell: Es geht dann nicht nur um eine Person, die man plötz­lich als gewalt­tätig statt als „gut“ sehen muss. Auch die Moral und Macht der eigenen Gemein­schaft steht auf dem Spiel, da sie offen­sicht­lich nicht so gemein­schaft­lich ist wie bisher ange­nommen. Jedoch ist genau das Akzep­tieren der eigenen Commu­nity als (poten­ziell) gewalt­voll oder gewal­ter­mög­li­chend notwendig, wenn man Gewalt vermeiden oder Heilung ermög­li­chen möchte.

Das böse Monster im eigenen Garten

Um das gefähr­dete Selbst­bild dennoch aufrecht­erhalten zu können, wird hie und da die Tatperson schlicht als Monster gezeichnet, das in einer anson­sten heilen Welt wütet. Mit der frist­losen Entlas­sung des mutmass­li­chen Repu­blik-Täters, die auch der Verwal­tungs­rats­prä­si­dent Michel Huis­soud in einem Inter­view mit dem Tages-Anzeiger „Haupt­mass­nahme“ nennt, und Formu­lie­rungen wie „die sofor­tige Tren­nung [war] aufgrund des ausge­wer­teten Mate­rials für die Arbeit­ge­berin alter­na­tivlos“, tut dies die Repu­blik beispiel­haft.

Im selben Inter­view redet Huis­soud auch die Mitver­ant­wor­tung der dama­ligen Redak­ti­ons­lei­tung klein. Wenn das Problem als dasje­nige eines bösen Indi­vi­duums gezeichnet wird, liegt die Lösung nahe: Man muss nur das böse Monster aus dem eigenen sauberen Gärt­chen verjagen und schon ist alles wieder gut. Das Para­dies, die Repu­blik, der Club oder die Szene sind wieder in Sicherheit.

Alle wissen, dass (sexua­li­sierte) Gewalt nicht in Ordnung ist. Tatper­sonen entscheiden sich schlicht dazu, die Grenzen anderer Menschen zu überschreiten.

Wie Kim Posster in „Männ­lich­keit verraten“ aufschlüs­selt, sind Tatper­sonen aber weder Monster, die ihren Trieben unter­liegen, noch tragi­sche Opfer von patri­ar­chalen (Männlichkeits-)Idealen, die von der Gesell­schaft zu Gewalt gezwungen wurden. Und gerade in der Medien- oder Musik­branche sind das auch keine Menschen, die es nicht besser wussten, wie es Anti-Mobbing-Semi­nare oder rein aufklä­rende Aware­ness-Poster oft suggerieren.

Alle wissen, dass (sexua­li­sierte) Gewalt nicht in Ordnung ist. Tatper­sonen entscheiden sich schlicht dazu, die Grenzen anderer Menschen zu über­schreiten, und ihr Umfeld entscheidet sich dazu, dabei tatenlos zuzusehen. 

Und solange weder Tatperson noch Commu­nity dies aner­kennen, ist keine Heilung möglich. Denn, so Walker, „nichts wird einer betrof­fenen Person ihren Schmerz, ihr Leiden, ihre Wut, ihre Entrü­stung und ihre Verun­si­che­rung nehmen können, wenn es nicht dem Akzep­tieren der Verant­wor­tung für die Tat [durch den Täter] entspringt“.

Entschul­di­gungen über Entschuldigungen

Eine Commu­nity muss also sich also selbst als poten­ziell gewalt­tätig oder ‑ermög­li­chend verstehen, (Mit-)Verantwortung über­nehmen, die gesche­hene Gewalt und die Verlet­zung aner­kennen, die mora­li­schen Regeln, die Gewalt verhin­dern oder sank­tio­nieren und die Verant­wor­tungs­über­nahme von Tatperson und Ermög­li­chenden einfordern.

Dabei soll der Fokus stets auf der Heilung von Betrof­fenen statt auf der Betreuung von Tatper­sonen liegen – Betrof­fene müssen, um nicht im Grund­ver­trauen verletzt zu werden, weiterhin Teil der Commu­nity bleiben können. Tatper­sonen und Personen, welche diese Gewalt ermög­li­chen, können und dürfen, so schreiben das Posster, Walker und andere, hingegen ausge­schlossen werden. Um vulnerable Personen zu schützen, um sie durch sozialen Druck zu einer Aufar­bei­tung zu bewegen und um zu beweisen, dass die Teil­habe der Commu­nity an gewisse Regeln gebunden ist.

Dass diese Regeln jedoch – selbst wo sie existieren – ohne Konse­quenzen gebro­chen werden, zeigt sich unter anderem an der beschrie­benen Spal­tung der Musik­szene. Wegbe­gleiter und Ermög­li­cher des Repu­blik-Jour­na­li­sten oder andere Tatper­sonen stehen regel­mässig von St. Gallen bis Bern auf der Bühne. Auch der Repu­blik-Jour­na­list selbst erhielt im Winter und Früh­jahr noch Bühnen, obwohl Clubs (bereits vor der SRF-Recherche) von den Vorwürfen wussten.

Diverse Clubs erwähnten auf Anfrage Gründe wie: Der Club sei halt bereits ausver­kauft und ein Ausladen würde einen Ratten­schwanz mit sich ziehen. Die Artists hätten intern über sexua­li­sierte Gewalt gespro­chen. Die Wegbe­gleiter und Ermög­li­cher hätten jetzt direkt eigent­lich nichts von Über­griffen gesehen oder gewusst. Der Täter habe einmal eine Männer­be­ra­tung besucht.

Entschul­di­gungen gibt es zuhauf. Orte, die Betrof­fenen klar demon­strieren, dass sie sicher werden, gibt’s hingegen ebenso wenige wie Gründe dafür, Tatper­sonen eine Bühne zu bieten: Man wertet den Text einer (meist) männ­li­chen Edel­feder, die Freund­schaft zu Tätern oder das Konzert eines (meist) männ­li­chen Musi­kers als wich­tiger als die physi­sche und psychi­sche Sicher­heit von (meist) FLINTA*.

Korri­gendum 09.04.2024: In einer früheren Version dieses Arti­kels stand erstens, dass das das ganze Berner Rap-Kollektiv Chaos­truppe die Aussagen zur SVP-Natio­nal­rätin vertei­digte. Das ist nicht richtig und wurde entspre­chend geän­dert. Zwei­tens wurde nicht auf das State­ment der Chaos­truppe von 2021 einge­gangen, was in der jetzigen Version des Arti­kels nach­ge­holt wurde.


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