Dem eigenen Körper fremd

Als 13-Jährige befolgte unsere Kolum­ni­stin streng die Tipps von Influencer*innen, die ihren Körper „verbes­sern“ würden. Ein Phänomen, das eine ganze Gene­ra­tion von Teen­agern geprägt hat, die heute mit ihrem Körper nicht zufrieden sind. 
Auf den eigenen Körper zu hören, muss man lernen. (Foto: Pexels / Polina Tankilevitch)

Mit etwa drei­zehn war ich besessen von der „Back to School“-Zeit – die Wochen, in denen man sich als Schüler*in auf das neue Schul­jahr vorbe­reiten musste. Kaum hat es zum letzten Mal vor den Sommer­fe­rien geläutet, machte ich mir bereits eine Liste von Schul­sa­chen, Stiften und Mappen, die ich mir für das kommende Schul­jahr besorgen musste (oder eher wollte). Nichts gab mir so viel Freude wie der Tag, an dem ich mit meiner Mutter in eine Pape­terie ging und meine vorsichtig sortierte Liste abar­beiten konnte. 

Der „Back to School“-Hype, den es damals auf den sozialen Medien gab, ist schwierig zu verstehen für Menschen, die nicht Opfer davon wurden. Von Juni bis August veröf­fent­lichten meist ältere Youtuber*innen etliche Videos zum Thema Schule: Was du kaufen sollst, wie du dich anziehen sollst und was alles in deinem Ruck­sack zu finden sein sollte. Ich habe die Anwei­sungen immer streng befolgt. Auch jene, die mir sagten, wie mein Körper aussehen sollte. 

Wir wuchsen mit Influencer*innen auf, die fast alle dem dama­ligen „Schön­heits­ideal“ entsprachen.

Zu den Empfeh­lungen gehörten nämlich auch Fitness-Tipps, Workout-Routinen und Rezepte, die angeb­lich eigen­ständig für ein krasses Sixpack sorgen sollten. Eine Youtuberin zeigte beispiels­weise, wie man während der Schule mit dem eigenen Ruck­sack seine Arme trai­nieren kann. Eine andere berei­tete einen solch kleinen Gurken­wrap fürs Mittag­essen zu, der – ich schwöre – mir nicht einmal als Znüni gereicht hätte. Es war, als müsste ich nicht nur meinen Ruck­sack für das neue Schul­jahr vorbe­reiten, sondern auch meinen Körper. 

Dass die Gene­ra­tion Z ein ernst­haftes Problem mit ihrem Körper­bild hat, ist keine Neuig­keit. Etliche Studien belegen, wie unzu­frieden junge Menschen mit ihrem eigenen Körper sind. Laut einer Studie von 2016 waren es in der Schweiz 58 Prozent der befragten jungen Menschen: Zu dünn, zu klein, zu gross… zu irgendwas. Ein unend­li­ches Mantra. Die Gene­ra­tion, die unter anderem für Akzep­tanz und body posi­ti­vity bekannt ist, kann in vielen Fällen keine Liebe für den eigenen Körper aufbringen.

Woran liegt das?

Ideale Körper im Netz

Das Handy ist schuld, wie die meisten Mütter sagen würden. Nein, aber wirk­lich, dieses Mal haben sie recht. Soziale Medien beein­flussen das Selbst­bild von jungen Menschen sehr negativ, wie etwa eine briti­sche Studie zeigt.

Das wundert mich kein biss­chen. Wir wuchsen mit Influencer*innen auf, die fast alle dem dama­ligen „Schön­heits­ideal“ entspra­chen. Was unsere Mütter noch in Beauty-Maga­zinen fanden, sahen wir viel omni­prä­senter und getak­teter an unseren Handy-Bild­schirmen. Und sobald andere Körper in den sozialen Medien Platz bekamen, sprach man nur von der Bewun­de­rung für ihren „Mut“, den eigenen Körper zu zeigen – als wäre er etwas, wofür man sich schämen müsste.

Wenn ich nicht alleine einkaufen gehen konnte, um Voll­korn- statt normale Teig­waren zu kaufen, fühlte ich mich erschlagen – als wäre ich gescheitert.

Dass soziale Medien fast nur ein einziges spezi­fi­sches Körpe­rideal reprä­sen­tieren, ist meiner Meinung nach aber nicht das einzige Problem. Die Idee, dass wir stetig an unserem Körper arbeiten sollen, ist ein weiteres, und kein unwich­tiges. Wenn ich zurück an den „Back to School“-Hype meiner Jugend denke, wird mir klar, was für ein Narrativ mir damals schon aufge­zwungen wurde: Am eigenen Körper ist immer etwas zu machen, zu „verbes­sern“. Für die Beauty‑, Fitness- oder Ernäh­rungs­in­du­strie ist es natür­lich ein lukra­tives Geschäft, solche Unsi­cher­heiten zu erzeugen.

Das Dreiste am Ganzen war: Die meisten Influencer*innen, die damals solche Videos gezielt für Mädchen im Schul­alter (!) produ­zierten, waren meist viel älter als wir. Viele von ihnen gingen längst nicht mehr zur Schule und hatten Youtube zu ihrem Job gemacht.

Natür­lich waren ihre Tipps so reali­täts­fern, dass sie für Schüler*innen komplett unum­setzbar waren: Wenn ich nicht alleine einkaufen gehen konnte, um Voll­korn- statt normale Teig­waren zu kaufen, oder wenn ich einfach keine Lust auf irgendein blödes Workout hatte, weil ich sowieso schon Vereins­sport trieb, fühlte ich mich erschlagen – als wäre ich gescheitert. 

Sich selbst kennenlernen

In den sozialen Medien können wir nicht nur unseren Körper mit dem von tausenden anderer Menschen verglei­chen, sondern auch unseren Lebens­stil, unsere Ernäh­rung und wie wir uns im Alltag bewegen. Es entsteht eine gewisse hustle culture (lose über­setzt als Burnout Kultur), sogar wenn es um unsere Körper geht. Man sieht die Influen­cerin, die jeden Morgen um sechs schon im Pilates sitzt, oder die Studentin, die es irgendwie schafft, abends nur den scheiss Gurken­wrap zu essen und meint, es sei alles nur eine Sache der Disziplin.

Dabei geht schnell der Gedanke verloren, dass diese Menschen das machen, weil es für sie, ihren Alltag und ihren Körper passt. Und es nicht etwas ist, das für alle Menschen passen sollte. In diesem Wahn hat man aber keine Zeit, sich selber, seine Grenzen und seinen Körper richtig kennen zu lernen. Alles, was ich je kannte, war: Jetzt ist es nicht gut, aber wenn ich mich genug anstrenge, wird das schon. Viel­leicht finde ich Salat doch nicht so scheuss­lich und eigent­lich brauche ich ein Fitnessabo.

Klima­hy­ste­risch und radikal oder unver­ant­wort­lich und faul: Es wird viel an jungen Menschen rumge­nör­gelt. Schlimmer als die Kritik ist aber ihre fehlende Reprä­sen­ta­tion in der Öffent­lich­keit. Während sich alle Welt über Anliegen der Jugend äussert, finden diese selbst nur in sozialen Netz­werken eine Platt­form. Das ändert nun die Kolumne „Jung und dumm“.

Helena Quarck ist 19 Jahre alt und Schü­lerin. Sie ist als Sieben­jäh­rige aus Brasi­lien in die Schweiz gezogen und musste Deutsch lernen. Diese Beschäf­ti­gung mit Sprache hat sie zum Schreiben gebracht. Helena ist Redak­torin des Jugend­ma­ga­zins Quint.

Ich hatte keine Zeit, um einfach mal zufrieden zu sein. Ich hatte keine Zeit, heraus­zu­finden, wie stark ich eigent­lich sein muss, damit ich mich gut und sogar ein biss­chen krass fühle; wie viel ich essen muss, um mich in der Schule konzen­trieren zu können; wie gut Sport für meine mentale Gesund­heit ist. Youtube, Insta­gram und Tiktok haben mir diese Entschei­dungen genommen. Es galt: Es gibt immer etwas zu tun – hopp!!

Wenn ich an mein 13-jähriges Ich zurück­denke, frage ich mich, wie ich diesen nega­tiven Einfluss hätte verhin­dern können. Und wie ich es immer noch vermeiden kann. Ich bin ratlos, denn gänz­lich auf soziale Medien zu verzichten wollte und will ich auch heute nicht.

Auf den eigenen Körper zu hören, muss man lernen – eine Aufgabe, an der ich stetig dran bin. Also: Hört auf euch. Und schaut zu euren Kindern, die inzwi­schen schon im Spiel­platz­alter Zugang zu Gurken­wrap-Videos haben.


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