Die Migros rühmt sich damit, ganz viel Plastik einge­spart zu haben. Zu Recht?

270 Tonnen Plastik hat die Migros laut eigenen Angaben im Jahr 2018 einge­spart, und sie publi­ziert diese Zahl stolz in den sozialen Medien. Aber ist das wirk­lich eine Zahl, auf die man stolz sein kann? 
Stammen diese Verpackungen auch von Migros-Produkten? (Unsplash)

Vor einiger Zeit rühmte sich die Migros damit, dass sie im vergan­genen Jahr 270 Tonnen Plastik einge­spart hat.

Doch die Migros unter­hält fast 1000 Verkaufs­stellen. Verteilt auf alle Verkaufs­stellen entspre­chen die 270 Tonnen einer Einspa­rung von 740g pro Tag und Filiale. Ist das wirk­lich eine Zahl, mit der man angeben kann? Und wieso hat es in der Migros trotzdem noch Produkte, die doppelt in Plastik gehüllt sind? Das haben wir die Genos­sen­schaft daraufhin direkt über Face­book gefragt:

Liebe Migros, vor ein paar Tagen habt ihr auf Gene­ra­tion M stolz verkündet, dass ihr im letzten Jahr 270 Tonnen Plastik einge­spart habt. Das sieht auf den ersten Blick nach viel aus. Die Migros unter­hält aber auch 1000 Verkaufs­stellen. Einge­spart wurden also 740 Gramm pro Verkaufs­stelle und Tag. Ist das wirk­lich viel?

Wir haben zwei Fragen. Erstens: Wie viel Plastik­müll entsteht bei der Migros gesamt­haft? Und: Wieso findet man bei der Migros immer noch Produkte, die sinnlos doppelt verpackt sind, wie die Bio-Reis­waf­feln auf dem Foto hier?

Vielen Dank für zwei kurze Antworten und liebe Grüsse, das Lamm

Die Migros antwor­tete uns in der Kommen­tar­spalte wie folgt:

Liebes Lamm

Danke euch für die Anfrage. Gerne beant­worten wir diese. Wir rechnen unsere Einspa­rung nicht pro Tag oder pro Verkaufs­stelle, sondern immer pro Produkt. Ich hoffe, ihr findet das eben­falls sinn­voll. Durch­schnitt­lich wird bei uns eine Verpackung pro Woche ökolo­gisch optimiert.

Nun die Antworten wie gewünscht: Wir verstehen euren Unmut bei den Reis-Mais-Waffeln, wir sind da auch bereits dran, Alter­na­tiven zu prüfen. Mögliche Alter­na­tiven wären Bande­rolen, also einen „Streifen“, der die beiden zusam­men­hält. Zurzeit kann ich da aber noch nicht mehr sagen. Wir sind da dran.

Leider können wir euch nicht angeben, wie viel Plastik­ab­fall bei uns gesamt­haft anfällt. Bis 2020 ist unser Gene­ra­tion-M-Verspre­chen, dass wir 6000 Tonnen Verpackungen einsparen und opti­mieren wollen. Das beinhaltet nicht nur Plastik sondern auch Verpackungen aus Glas oder Karton. Warum das so ist haben wir hier im Video kurz aufge­führt: https://youtu.be/ydvMO2SpmCQ

Wir hoffen, dass wir euch weiter­helfen konnten und wünschen einen guten Start in die Woche
Dominik

Nein, so richtig konnte uns die Migros leider nicht weiter­helfen. Denn ob diese 270 Tonnen Plastik viel sind oder nicht, können wir mit dieser Antwort immer noch nicht abschätzen. Ganz so einfach ist das aber auch nicht, denn man muss diese Frage aus verschie­denen Blick­win­keln betrachten.

Einer­seits stellt sich die Frage, ob diese 270 Tonnen einen essen­ti­ellen Teil des gesamten Plastik­ab­falls der Migros ausma­chen. Ander­seits wäre es aber auch wichtig zu wissen, ob die Migros mit diesen 270 Tonnen ihr Einspar­po­ten­zial bezüg­lich Plastik gut ausge­schöpft hat oder ob noch mehr drin liegen würde. Und drit­tens müsste man diese 270 Tonnen mit den Plastik­ein­spa­rungen anderer Detail­händler verglei­chen, um darüber urteilen zu können, ob die Migros hier wirk­lich etwas gelei­stet hat, auf das sie zurecht stolz sein kann. Gehen wir also der Reihe nach.

Konnte die Migros einen essen­zi­ellen Teil ihres Plastiks einsparen?

Um abschätzen zu können, ob es sich bei 270 Tonnen um eine nennens­werte Einspa­rung handelt, müssten wir wissen, wie viel Plastik bei der Genos­sen­schaft insge­samt über die Theken wandert. Dies kann uns die Migros leider nicht sagen. Deshalb haben wir eine eigene Berech­nung angestellt.

Laut eines Berichts des Bundes­amts für Umwelt, verbrau­chen jede Schwei­zerin und jeder Schweizer 125kg Kunst­stoff pro Jahr. Obwohl dieser Bericht schon fast 10 Jahre alt ist, sind das die aktu­ell­sten Zahlen, die man beim Bund über den Schweizer Plastik­ver­brauch hat. Sie beruhen auf Hoch­rech­nungen und Exper­tIn­nen­schät­zungen. Kunst­stoff­ver­packungen machen davon laut dem Bericht 37% aus. Bei einer Bevöl­ke­rungs­zahl von 8.4 Millionen ergibt das für die gesamte Schweiz 388’500 Tonnen Verpackungs­pla­stik pro Jahr. Davon entfallen 65%, also 252’525 Tonnen, auf die privaten Haushalte.

Ein Gross­teil dieser Plastik­ver­packungen wird aus dem Detail­handel kommen. Aber nicht alles. Da wir diese Zahl nicht kennen, gehen wir in unserer Rech­nung davon aus, dass die Hälfte der Plastik­ver­packungen in unserem Haus­halts­müll aus dem Detail­handel stammt – was sicher eine sehr zurück­hal­tende Schät­zung ist. Das wären dann 126’262 Tonnen Plastik-Verpackungs­müll aus den Regalen von Aldi, Migros und co. Laut eigenen Angaben betrug der Markt­an­teil der Migros im Detail­handel 22.1% im Jahr 2018. Wenn man davon ausgeht, dass die Migros etwa gleich viel Plastik im Sorti­ment hat wie andere Detail­händler, dann verkaufte die Migros also auch 22.1% des Verpackungs­mülls. Das wären dann 27’904 Tonnen Plastik­müll. Die einge­sparten 270 Tonnen würden also 1% des gesamten Kunst­stoff­ver­packungs­müll entspre­chen, den die Migros im Jahr 2018 unter die Leute gebracht hat.

Nicht wirk­lich viel. Aber wer weiss: Viel­leicht hat die Migros einfach schon alles opti­miert, was es zu opti­mieren gab?

Hat die Migros das vorhan­dene Reduk­ti­ons­po­ten­zial abgeschöpft?

Die von uns ange­spro­chenen, doppelt einge­schweissten Mais-Reis-Waffeln spre­chen dagegen. Hat man die viel­leicht einfach verschwitzt bei der Migros? Kaum: Denn das Lamm hat bereits 2014 bei der Migros nach­ge­fragt, weshalb diese Waffeln immer, also nicht nur als vorüber­ge­hende Aktion, im Doppel­pack und dadurch zweimal in Plastik gehüllt daher kommen. Damals liess uns die Migros wissen, dass man die Reis­waf­feln aus produk­ti­ons­tech­ni­schen Gründen nicht anders verpacken könne, dass ihre Spezia­li­stInnen aber daran arbeiten würden. Wir haben die Migros mit diesem über vier Jahre alten Verspre­chen konfron­tiert. Auch wieder direkt über Facebook:

Liebe Gene­ra­tion M, vielen Dank für die Antworten. Wir hätten […] eine Folgefrage:

Wir haben euch bereits vor über fünf Jahren einmal gefragt, weshalb es denn sein muss, dass die Reis­waf­feln immer doppelt verpackt daher­kommen. Schon damals meinte die Migros, dass sie diese Frage an ihre Spezia­li­stInnen weiter­leiten wird. Leider haben die Spezia­li­stInnen die Waffeln aber bis heute nicht ausge­packt. Wieso geht das so lange?

Vielen Dank für [...] Folge­ant­worten und liebe Grüsse, das Lamm

Gespannt warteten wir auf eine Antwort der Reis­waffel-Verpackungs-Spezia­li­stInnen. Und die kam:

Unsere Spezia­li­sten haben das mit dem Duopack geprüft, als die Anfrage ursprüng­lich reinkam. Verpackungs­op­ti­mie­rungen sind sehr aufwän­dige Projekte. Die neuen Verpackungen müssen maschi­nell einwand­frei verar­beitbar sein und bei langen Lager­tests den glei­chen Produkt­schutz nach­weisen. Daher setzen wir Opti­mie­rungs­pro­zesse aktuell zuerst bei den Produkten an, wo sich viel Verpackung einsparen lässt und solchen Produkten, die sehr viel verkauft werden. Dies traf bei diesem Produkt, so wie es aussieht, nicht zu, das heisst eine Bande­role o.ä. andere Verpackung genügte den genannten Auflagen nicht bzw. es würde nicht deut­lich viel mehr einge­spart werden.

Dass diese Verpackungs­op­ti­mie­rung zu aufwändig sei, erstaunt das Lamm. Denn um die Verpackung zu opti­mieren, müsste man eigent­lich nur Eines machen: nicht einpacken. Und die vielen einzel­ver­packten Reis­waf­feln, die in der Migros anzu­treffen sind, beweisen, dass der Produkt­schutz auch mit nur einer Folie gewähr­lei­stet werden kann.

Und die Reis-Mais-Waffel ist nicht das einzige Produkt, bei welchem die Verpackungs­spe­zia­li­stInnen noch keine ökolo­gi­sche Opti­mie­rung der Verpackung durch­führen konnten, wie unsere Foto-Repor­tage zeigt. Bei unseren Streif­zügen durch die Regale der grossen Detail­händler fanden wir in Plastik einge­packte Bananen, Leim­stifte im Cello­phan­kleid, plastik­ver­schweisste Abwasch­bür­sten und Abfall­säcke im Plastik­sack. Nicht nur bei der Migros, sondern bei allen Detail­händ­lern. Luft nach oben wäre also vorhanden.

Wie schneidet die Migros im Vergleich mit den anderen Laden­ketten ab?

Viel­leicht ist die Migros mit ihren 270 Tonnen aber immerhin im Bran­chen­ver­gleich Spit­zen­rei­terin. Um das heraus­zu­finden, haben wir bei Volg, Spar, Aldi, Lidl, Coop und Denner nach­ge­fragt, wie es denn bei ihnen so aussieht mit dem Plastik­ab­fall. Sie alle erhielten dasselbe Mail von uns:

Liebe Leute

Ich schreibe für das Magazin  „das Lamm“ an einem Artikel über Plastik­ver­packungen im Detailhandel.

Die Migros hat vor ein paar Wochen bekannt­ge­geben, dass sie bei den Verpackungen im Jahr 2018 270 Tonnen Plastik einge­spart hat.

Darf ich Sie fragen, wie viele Tonnen Plastik beim Ihnen in den Jahren 2017 und 2018 für Verpackungen verbraucht wurden und wie viel man dementspre­chend im Jahr 2018 einsparen konnte? Ich würde nämlich gerne die Zahlen von der Migros mit anderen Detail­händ­lern vergleichen.

Vielen Dank, das Lamm

Sobald wir die Antworten beisam­men­haben, werdet ihr es erfahren. Eines ist aber sicher: Einspar­po­ten­zial gibt es bei allen. Das zeigt unsere Foto-Repor­tage. Und wieso es sich lohnen würde, dieses Einspar­po­ten­tial auch zu nutzen, erfahrt ihr in unserem Listicle zu den wich­tig­sten Vor- und Nach­teilen von Plastikverpackungen.

 


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