Vor einiger Zeit rühmte sich die Migros damit, dass sie im vergangenen Jahr 270 Tonnen Plastik eingespart hat.
Doch die Migros unterhält fast 1000 Verkaufsstellen. Verteilt auf alle Verkaufsstellen entsprechen die 270 Tonnen einer Einsparung von 740g pro Tag und Filiale. Ist das wirklich eine Zahl, mit der man angeben kann? Und wieso hat es in der Migros trotzdem noch Produkte, die doppelt in Plastik gehüllt sind? Das haben wir die Genossenschaft daraufhin direkt über Facebook gefragt:
Liebe Migros, vor ein paar Tagen habt ihr auf Generation M stolz verkündet, dass ihr im letzten Jahr 270 Tonnen Plastik eingespart habt. Das sieht auf den ersten Blick nach viel aus. Die Migros unterhält aber auch 1000 Verkaufsstellen. Eingespart wurden also 740 Gramm pro Verkaufsstelle und Tag. Ist das wirklich viel?
Wir haben zwei Fragen. Erstens: Wie viel Plastikmüll entsteht bei der Migros gesamthaft? Und: Wieso findet man bei der Migros immer noch Produkte, die sinnlos doppelt verpackt sind, wie die Bio-Reiswaffeln auf dem Foto hier?
Vielen Dank für zwei kurze Antworten und liebe Grüsse, das Lamm
Die Migros antwortete uns in der Kommentarspalte wie folgt:
Liebes Lamm
Danke euch für die Anfrage. Gerne beantworten wir diese. Wir rechnen unsere Einsparung nicht pro Tag oder pro Verkaufsstelle, sondern immer pro Produkt. Ich hoffe, ihr findet das ebenfalls sinnvoll. Durchschnittlich wird bei uns eine Verpackung pro Woche ökologisch optimiert.
Nun die Antworten wie gewünscht: Wir verstehen euren Unmut bei den Reis-Mais-Waffeln, wir sind da auch bereits dran, Alternativen zu prüfen. Mögliche Alternativen wären Banderolen, also einen „Streifen“, der die beiden zusammenhält. Zurzeit kann ich da aber noch nicht mehr sagen. Wir sind da dran.
Leider können wir euch nicht angeben, wie viel Plastikabfall bei uns gesamthaft anfällt. Bis 2020 ist unser Generation-M-Versprechen, dass wir 6000 Tonnen Verpackungen einsparen und optimieren wollen. Das beinhaltet nicht nur Plastik sondern auch Verpackungen aus Glas oder Karton. Warum das so ist haben wir hier im Video kurz aufgeführt: https://youtu.be/ydvMO2SpmCQ
Wir hoffen, dass wir euch weiterhelfen konnten und wünschen einen guten Start in die Woche
Dominik
Nein, so richtig konnte uns die Migros leider nicht weiterhelfen. Denn ob diese 270 Tonnen Plastik viel sind oder nicht, können wir mit dieser Antwort immer noch nicht abschätzen. Ganz so einfach ist das aber auch nicht, denn man muss diese Frage aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Einerseits stellt sich die Frage, ob diese 270 Tonnen einen essentiellen Teil des gesamten Plastikabfalls der Migros ausmachen. Anderseits wäre es aber auch wichtig zu wissen, ob die Migros mit diesen 270 Tonnen ihr Einsparpotenzial bezüglich Plastik gut ausgeschöpft hat oder ob noch mehr drin liegen würde. Und drittens müsste man diese 270 Tonnen mit den Plastikeinsparungen anderer Detailhändler vergleichen, um darüber urteilen zu können, ob die Migros hier wirklich etwas geleistet hat, auf das sie zurecht stolz sein kann. Gehen wir also der Reihe nach.
Konnte die Migros einen essenziellen Teil ihres Plastiks einsparen?
Um abschätzen zu können, ob es sich bei 270 Tonnen um eine nennenswerte Einsparung handelt, müssten wir wissen, wie viel Plastik bei der Genossenschaft insgesamt über die Theken wandert. Dies kann uns die Migros leider nicht sagen. Deshalb haben wir eine eigene Berechnung angestellt.
Laut eines Berichts des Bundesamts für Umwelt, verbrauchen jede Schweizerin und jeder Schweizer 125kg Kunststoff pro Jahr. Obwohl dieser Bericht schon fast 10 Jahre alt ist, sind das die aktuellsten Zahlen, die man beim Bund über den Schweizer Plastikverbrauch hat. Sie beruhen auf Hochrechnungen und ExpertInnenschätzungen. Kunststoffverpackungen machen davon laut dem Bericht 37% aus. Bei einer Bevölkerungszahl von 8.4 Millionen ergibt das für die gesamte Schweiz 388’500 Tonnen Verpackungsplastik pro Jahr. Davon entfallen 65%, also 252’525 Tonnen, auf die privaten Haushalte.
Ein Grossteil dieser Plastikverpackungen wird aus dem Detailhandel kommen. Aber nicht alles. Da wir diese Zahl nicht kennen, gehen wir in unserer Rechnung davon aus, dass die Hälfte der Plastikverpackungen in unserem Haushaltsmüll aus dem Detailhandel stammt – was sicher eine sehr zurückhaltende Schätzung ist. Das wären dann 126’262 Tonnen Plastik-Verpackungsmüll aus den Regalen von Aldi, Migros und co. Laut eigenen Angaben betrug der Marktanteil der Migros im Detailhandel 22.1% im Jahr 2018. Wenn man davon ausgeht, dass die Migros etwa gleich viel Plastik im Sortiment hat wie andere Detailhändler, dann verkaufte die Migros also auch 22.1% des Verpackungsmülls. Das wären dann 27’904 Tonnen Plastikmüll. Die eingesparten 270 Tonnen würden also 1% des gesamten Kunststoffverpackungsmüll entsprechen, den die Migros im Jahr 2018 unter die Leute gebracht hat.
Nicht wirklich viel. Aber wer weiss: Vielleicht hat die Migros einfach schon alles optimiert, was es zu optimieren gab?
Hat die Migros das vorhandene Reduktionspotenzial abgeschöpft?
Die von uns angesprochenen, doppelt eingeschweissten Mais-Reis-Waffeln sprechen dagegen. Hat man die vielleicht einfach verschwitzt bei der Migros? Kaum: Denn das Lamm hat bereits 2014 bei der Migros nachgefragt, weshalb diese Waffeln immer, also nicht nur als vorübergehende Aktion, im Doppelpack und dadurch zweimal in Plastik gehüllt daher kommen. Damals liess uns die Migros wissen, dass man die Reiswaffeln aus produktionstechnischen Gründen nicht anders verpacken könne, dass ihre SpezialistInnen aber daran arbeiten würden. Wir haben die Migros mit diesem über vier Jahre alten Versprechen konfrontiert. Auch wieder direkt über Facebook:
Liebe Generation M, vielen Dank für die Antworten. Wir hätten […] eine Folgefrage:
Wir haben euch bereits vor über fünf Jahren einmal gefragt, weshalb es denn sein muss, dass die Reiswaffeln immer doppelt verpackt daherkommen. Schon damals meinte die Migros, dass sie diese Frage an ihre SpezialistInnen weiterleiten wird. Leider haben die SpezialistInnen die Waffeln aber bis heute nicht ausgepackt. Wieso geht das so lange?
Vielen Dank für [...] Folgeantworten und liebe Grüsse, das Lamm
Gespannt warteten wir auf eine Antwort der Reiswaffel-Verpackungs-SpezialistInnen. Und die kam:
Unsere Spezialisten haben das mit dem Duopack geprüft, als die Anfrage ursprünglich reinkam. Verpackungsoptimierungen sind sehr aufwändige Projekte. Die neuen Verpackungen müssen maschinell einwandfrei verarbeitbar sein und bei langen Lagertests den gleichen Produktschutz nachweisen. Daher setzen wir Optimierungsprozesse aktuell zuerst bei den Produkten an, wo sich viel Verpackung einsparen lässt und solchen Produkten, die sehr viel verkauft werden. Dies traf bei diesem Produkt, so wie es aussieht, nicht zu, das heisst eine Banderole o.ä. andere Verpackung genügte den genannten Auflagen nicht bzw. es würde nicht deutlich viel mehr eingespart werden.
Dass diese Verpackungsoptimierung zu aufwändig sei, erstaunt das Lamm. Denn um die Verpackung zu optimieren, müsste man eigentlich nur Eines machen: nicht einpacken. Und die vielen einzelverpackten Reiswaffeln, die in der Migros anzutreffen sind, beweisen, dass der Produktschutz auch mit nur einer Folie gewährleistet werden kann.
Und die Reis-Mais-Waffel ist nicht das einzige Produkt, bei welchem die VerpackungsspezialistInnen noch keine ökologische Optimierung der Verpackung durchführen konnten, wie unsere Foto-Reportage zeigt. Bei unseren Streifzügen durch die Regale der grossen Detailhändler fanden wir in Plastik eingepackte Bananen, Leimstifte im Cellophankleid, plastikverschweisste Abwaschbürsten und Abfallsäcke im Plastiksack. Nicht nur bei der Migros, sondern bei allen Detailhändlern. Luft nach oben wäre also vorhanden.
Wie schneidet die Migros im Vergleich mit den anderen Ladenketten ab?
Vielleicht ist die Migros mit ihren 270 Tonnen aber immerhin im Branchenvergleich Spitzenreiterin. Um das herauszufinden, haben wir bei Volg, Spar, Aldi, Lidl, Coop und Denner nachgefragt, wie es denn bei ihnen so aussieht mit dem Plastikabfall. Sie alle erhielten dasselbe Mail von uns:
Liebe Leute
Ich schreibe für das Magazin „das Lamm“ an einem Artikel über Plastikverpackungen im Detailhandel.
Die Migros hat vor ein paar Wochen bekanntgegeben, dass sie bei den Verpackungen im Jahr 2018 270 Tonnen Plastik eingespart hat.
Darf ich Sie fragen, wie viele Tonnen Plastik beim Ihnen in den Jahren 2017 und 2018 für Verpackungen verbraucht wurden und wie viel man dementsprechend im Jahr 2018 einsparen konnte? Ich würde nämlich gerne die Zahlen von der Migros mit anderen Detailhändlern vergleichen.
Vielen Dank, das Lamm
Sobald wir die Antworten beisammenhaben, werdet ihr es erfahren. Eines ist aber sicher: Einsparpotenzial gibt es bei allen. Das zeigt unsere Foto-Reportage. Und wieso es sich lohnen würde, dieses Einsparpotential auch zu nutzen, erfahrt ihr in unserem Listicle zu den wichtigsten Vor- und Nachteilen von Plastikverpackungen.
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