Dürfen Klima­strei­kende eigent­lich iPhones besitzen?

„Ist ja schön, demon­strierst du gegen die Klima­krise. Wirk­lich! Aber das nützt der Umwelt ja doch nichts, wenn du dir trotzdem ein iPhone aus China oder das Sieben-Franken-T-Shirt aus dem New Yorker kaufst.“ Stille. Es ist alles gesagt, alle Bemü­hungen, Hoff­nungen und Träume gleich im Keim erstickt. Ein Totschlag­ar­gu­ment aus dem Bilder­buch. Viel zu selten wird die Heuchelei dahinter benannt. 

Ein promi­nentes Beispiel: Sobald zur Sprache kommt, dass du an der letzten Klima-Demon­stra­tion warst, kriegst du zu hören, dass Demon­strieren das Klima sowieso nicht rette, was diesen Möch­te­gern-Rebellen eigent­lich einfalle, die Schule dafür zu schwänzen und das mit dem Abfall nach den Demos sei ja auch klima­schäd­lich. Du antwor­test routi­niert, falls dir etwas daran liegt, dem Geschwafel etwas entge­gen­zu­setzen. Und dann, irgend­wann, kommt es, das Totschlag­ar­gu­ment, das Ass aus dem Ärmel, der Trick 77 der Kritiker*innen: „Das allein nützt ja doch nichts. Warum nicht auch noch dies oder das?“ Und dieselbe Leier bei allen Enga­ge­ments, die Herr und Frau Bünzli sonst noch falsch oder unwichtig erscheinen.

Im Kern geht es darum, Aktivist*innen aller Rich­tungen zu kriti­sieren und nieder­zu­ma­chen aufgrund der Tatsache, dass diese Menschen die Frech­heit besitzen, sich aus mora­li­scher Über­zeu­gung für etwas einzu­setzen und ihre Hand­lungen nicht bis in die letzte Konse­quenz durch­zu­dis­zi­pli­nieren. Vor allem linke Aktivist*innen werden mit solchen Pole­miken ange­gangen. Niemand ausser coro­na­leug­nenden Bünzlis würde einem coro­na­leug­nenden Bünzli vorwerfen, dass er ab und zu mit Maske in den Aldi geht, weil es sozial unkom­pli­zierter ist.

Linkes Enga­ge­ment erhält oft das Stigma des Moral­apo­stels. Einmal aufge­drückt, soll es allen erlauben, nach Lücken zu suchen. Dabei verlaufen solche Diskus­sionen selten ergeb­nis­offen. Menschen müssen sich für ihren Akti­vismus recht­fer­tigen, ohne dass dabei die Möglich­keit bestünde, die Kritiker*innen von irgend­etwas zu über­zeugen. Sobald auffällt, dass in der Summe der Hand­lungen der Aktivist*in ein Element fehlt, wird das Enga­ge­ment insge­samt für unbrauchbar erklärt und auf dem Müll­haufen der Moral entsorgt. Das Problem solcher „kriti­schen“ Gerichte nenne ich das Problem der letzten Konsequenz.

Oft werden in solchen Gesprä­chen Themen gegen­ein­ander aufge­wogen, von denen jedes für sich wichtig wäre. Menschen, die für Menschen­rechte auf die Strasse gehen, werden gefragt, warum sie nicht auch für die Rettung des Klimas demon­strieren. Und wer sich für die Rettung der Berg­ente einsetzt, bekommt bestimmt irgend­einen grös­seren Zusam­men­hang um die Ohren geschlagen, in Anbe­tracht dessen die Rettung der Berg­ente doch obsolet erscheinen müsste.

Menschen setzen sich für Themen ein, die sie berühren, die ihnen persön­lich als beson­ders wichtig erscheinen. Die Viel­falt an Dingen, die Menschen dazu bewegen, sich zu enga­gieren, erin­nert uns daran, wie verschieden wir sind. Zum Beispiel arbei­tete die Mathe­ma­ti­kerin Dr. Maria Reiche vierzig Jahre lang daran, die soge­nannten Nazca-Linien in der Wüste Atacama in Peru zu vermessen und zu kartieren. Gleich­zeitig setzte sie sich für den Schutz und Erhalt der Nazca-Linien ein. Ist das nicht ein unglaub­lich bewun­derns­wertes Enga­ge­ment und Werk?

Soll nun Dr. Reiche vorge­worfen werden, dass sie sich nicht für dieses oder jenes auch noch enga­giert hat? Oder soll ihr erklärt werden, dass diese Nazca-Linien ganz und gar unwichtig sind?

Hier ein Gegen­vor­schlag: Wir könnten auch akzep­tieren und aner­kennen, dass die Thematik, die sich das Gegen­über ausge­sucht hat, es Wert ist, sich damit zu beschäf­tigen. Was könnten wir für anre­gende Gespräche haben und vonein­ander lernen! Und wer weiss, viel­leicht gibt es ja sogar Über­schnei­dungen zwischen der Berg­ente in den Alpen und den Nazca-Linien in Peru?

Natür­lich darf poli­ti­sches Enga­ge­ment kriti­siert werden. Aus welcher Moti­va­tion heraus es entsteht und welche Ziele es verfolgt, können wich­tige Fragen sein. Aber bitte, lieber Bünzli, bleiben Sie beim Thema und erwägen Sie beim näch­sten Mal, wenn Sie von einem Enga­ge­ment an die eigene Passi­vität erin­nert werden, die Möglich­keit, dass nicht komplett falsch ist, was Ihr Gegen­über tut.

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