Ein wider­stän­diges Quartier

Das linke Seeufer der Stadt Zürich ist seit jeher umkämpft. Anwohner:innen, Eigentümer:innen und die Stadt ringen auch heute noch um den Raum. Nun soll parti­zi­pa­tive Planung die Bevöl­ke­rung mitein­be­ziehen. Können die Wollishofer:innen nun mitreden? 
Das linke Seeufer ist schon seit Jahrzehnten umkämpft. (Foto: Kira Kynd)

Auf der einen Seite liegt das Gemein­schafts­zen­trum Wollishofen, auf der anderen Seite der See und gegen­über der Bahnhof Wollishofen. Mitten­drin eine Baustelle. Bis vor Kurzem stand hier noch die Auto­ga­rage der Franz AG.

Auf der Baustel­len­ab­sper­rung sind die Logos der Bauun­ter­nehmen KIBAG und Spleiss AG zu erkennen. Zahl­reiche gesprayte Schrift­züge und Sticker deko­rieren die Wand aus Plastik und Holz­balken. Auf der Absper­rung steht nun „Scheiss“, „GIBAB“ oder „KEBOCK“ in den Farben der Logos.

An dieser Stelle will die Eigen­tü­merin des Grund­stücks Karmon AG einen Wohn­block im oberen Preis­seg­ment bauen. Und auf dem angren­zenden Areal hätte die Firma KIBAG ab 2030 Ähnli­ches vorge­habt. Das Indu­strie­areal sollte ursprüng­lich Wohnungen weichen.

Doch die Kommen­tare auf der Baustel­len­ab­sper­rung lassen es erahnen: Seit diese Pläne bekannt wurden, regt sich Wider­stand im Quartier.

Während die Baupläne der Karmon AG bereits beschlos­sene Sache sind, ist beim KIBAG-Areal Einfluss­nahme noch möglich. Anwohner:innen wollen dieses Stück Stadt zu Frei­raum machen, Grün­flache statt Beton­blöcke. Sie orga­ni­sieren sich seit Monaten, lancieren Peti­tionen, demon­strieren, bauen Info­stände auf, halten Sitzungen und Ideen-Nach­mit­tage oder ein „Soli-Znacht“ ab.

Das Gebiet am linken Seeufer ist umkämpft – und das schon seit Jahr­zehnten. Grundbesitzer:innen wollen aus dem ehema­ligen Indu­strie­quar­tier an der Küste ein schickes Viertel schaffen. Die Quar­tier­be­völ­ke­rung kämpft für die Öffnung der Areale. Diese Geschichte wieder­holt sich nun: Anwohner:innen wollen bei der Planung des KIBAG-Areals mitreden.

Die Nach­bar­schaft orga­ni­siert sich

Es ist der 13. September 2021 und der erste Tag, an dem Restau­rants das Covid-Zerti­fikat ihrer Kund:innen kontrol­lieren müssen. Vor dem Ziegel Oh Lac, dem Restau­rant der roten Fabrik, stehen und sitzen Menschen beiein­ander und reden, lachen, rauchen. Der Abend erin­nert an Sommer, trotz bevor­ste­hendem Herbstbeginn.

Am Eingang zum Restau­rant liegen Flyer und diverses Info­ma­te­rial aus: eine zusam­men­ge­hef­tete Broschüre voll mit Fakten und poli­ti­schen Hinter­gründen, ein grosses A3-Papier mit histo­ri­schem Über­blick zur Entwick­lung des Areals.

Norma­ler­weise ist das Restau­rant an Montagen geschlossen. Heute bespielt aber nicht die übliche Restau­rant-Besat­zung den Abend, sondern die Gruppe „Linkes Seeufer für Alle“. Die lose Gruppe besteht aus Quartierbewohner:innen und Menschen, die in der Umge­bung arbeiten, viel Zeit am linken Seeufer verbringen oder sich sonst mit der Areal­ent­wick­lung befassen.

Es regt sich Wider­stand im Quar­tier. (Foto: Kira Kynd)

Die Tische vor der roten Fabrik füllen sich langsam. Besucher:innen stehen vor dem Tresen Schlange, um ein Stück vege­ta­ri­sche Lasagne zu ergat­tern. Ziel des Abends ist nicht nur das Infor­mieren, sondern auch die gemein­same Vorbe­rei­tung für den ersten „Echo­raum“. Das ist Planungs­sprache für den runden Tisch zwischen Stadt, Grundeigentümer:innen und Interessengruppen.

Jeder Tisch erhält nun ein grosses Stück Papier, um Ideen aufzu­schreiben. Mit an einem Tisch sitzt Rita Guggen­heim. Sie ist 72 Jahre alt und wohnt bereits ihr halbes Leben im Quar­tier. Sie hat diese Diskus­sionen schon oft geführt. Die Idee: Der Ort soll eine Art Brache werden. Konkret würde dies bedeuten, dass der Ort selbst­ver­waltet geführt wird und somit Zweck des Areals von den jewei­ligen Mitwir­kenden immer wieder neu defi­niert werden kann. Die bestehende Infra­struktur, also die Gebäude und die Hafen­an­lagen, sollen jedoch bestehen bleiben.

Jeder Tisch präsen­tiert seine Vision für das Areal: Gemein­schafts­gärten, Werk­stätte, Kinder­gärten, Klet­ter­wände, Ufzgi-Hilfe, Ateliers, Platz für Jugend­liche, unkom­mer­zi­elle Räume, mehr Spray­er­wände, Raum für alter­na­tives Wohnen, bestehende Struk­turen erhalten. Die Vorschläge sind verschieden und ähneln sich zugleich: Es wird vor allem von Frei­raum geredet.

Als Letzte präsen­tiert Rita die Ideen ihres Tischs. „Ich setze mich seit 40 Jahren für Frei­räume ein“, sagt sie bestimmt. „Wir wollen hier einen Raum, den wir endlich selbst gestalten können. Wie eine Brache, aber ohne, dass sie bald wieder abge­rissen wird. Ohne, dass fest­steht, was dort passieren muss.“

Nach der Ideen­runde wird rege weiter­dis­ku­tiert. Im Innern des Lokals beginnt ein Konzert, die Beats von J Spitta, einem Rapper aus Wollishofen, dringen durch die offenen Fenster und Türen nach draussen.

Ideen für das Areal sind ausrei­chend vorhanden. Nur was geschieht nun damit und wo liegen die tatsäch­li­chen Hand­lungs­spiel­räume? Ein Blick auf den Stand der Planung und in die Geschichte des linken Seeufers soll für Klar­heit sorgen.

Was bisher geschah

Ange­fangen hat alles mit dem Bauvor­haben der Karmon AG, die Liegen­schafts­ver­wal­terin der Firmen­gruppe A. H. Meyer Holding AG: Zwischen Strasse und Liege­wiese des Savera-Areals plant sie einen sieben­stöckigen Wohn­block mit 68 Mietwohnungen.

Haupt­sorge der Bewohner:innen ist seither, dass die Neubauten die Liege­wiese und das GZ Wollishofen mit mögli­chen Lärm­klagen und weniger Sonnen­stunden bedrohen. Die Pläne auf dem angren­zenden KIBAG Areal treffen auf ähnliche Befürch­tungen. Denn auf dem Areal wären, einer Sonder­bau­vor­schrift von 2008 zufolge, eben­falls teure Liegen­schaften vorgesehen.

Würde dies Realität, könnten Lärm­vor­schriften die umlie­genden Frei­räume und Kultur­orte einschränken. Die Sonder­bau­vor­schrift verfolgt das Ziel, am Ufer­be­reich Wohn­nut­zungen und im hinteren Teil des Areals einen Gewer­be­be­reich zu schaffen. Dem amtli­chen Doku­ment zufolge wäre konkret „eine Lösung mit Einzel­bauten“ und „direktem Seezu­gang“ und „gemischte Gewerbe‑, Handels- oder Dienst­lei­tungs­nut­zungen“ ange­dacht gewesen.

Die Sonder­bau­vor­schrift wurde jedoch aufgrund einer Motion von Gabriele Kisker und Luca Maggi, zwei Mitglieder der Grünen Partei, Anfang 2019 im Gemein­de­par­la­ment gestoppt. Der Stadtrat ist nun bis im Sommer 2022 mit einer neuen Gebiets­pla­nung beauf­tragt. Diese bildet Auftakt des Planungs­pro­zesses der momentan statt­fin­denden soge­nannten „Test­pla­nung“.

Teil dieser Test­pla­nung bildet eine parti­zi­pa­tive Planung. Dabei sitzen Planer:innen und Akteur:innen mit der Öffent­lich­keit zusammen. Der Prozess setzt sich insge­samt aus drei „Echo­räumen“, also runden Tischen, zusammen. Darin tauschen sich Stadt, Grundeigentümer:innen und verschie­dene Inter­es­sen­gruppen aus. Mit am Tisch ist auch ein Planungs­büro, welches die Bedürf­nisse und Wünsche der Teil­neh­menden in einen Master­plan zu über­setzen versucht.

Wie parti­zi­pativ ist parti­zi­pa­tive Planung?

Wie ein solcher Planungs­pro­zess ablaufen kann, erläu­tert Markus Nollert im virtu­ellen Gespräch. Er ist Dozent am Institut für Raum- und Land­schafts­ent­wick­lung der ETH. Eines seiner Fach­ge­biete liegt in der Bürger:innenbeteiligung.

„Grund­sätz­lich gibt es zwei Proto­typen der parti­zi­pa­tiven Planung: Prozesse wie Test­pla­nungen, die norma­ler­weise in einem nicht-öffent­li­chen Rahmen statt­finden und Planungs­pro­zesse, welche die Bevöl­ke­rung aktiv mitein­be­ziehen“, sagt er.

Eine Test­pla­nung findet dann statt, wenn die mögli­chen Nutzungen eines grös­seren Gebiets noch eruiert werden müssen und gleich­zeitig viele Inter­essen von betei­ligten und betrof­fenen Akteur:innen aufein­an­der­prallen. In einer Test­pla­nung erar­beiten zwar Entwurfs­teams in Konkur­renz zuein­ander Lösungs­vor­schläge aus, es gibt jedoch keine klas­si­schen „Gewinner:innen“.

Wie sehr können Stadtbewohner:innen wirk­lich mitreden? (Foto: Kira Kynd)

Das Entschei­dungs­gre­mium formu­liert am Ende Lösungen, die aus mehreren Vorschlägen entstammen. Um diese Empfeh­lungen disku­tieren zu können, ist der Prozess an sich nicht parti­zi­pativ für die Öffent­lich­keit, sondern eine Koope­ra­tion zwischen den Akteur:innen mit Entschei­dungs­macht. Das sind meistens Grundbesitzer:innen und die Stadt oder betrof­fene Akteur:innen wie beispiels­weise Verkehrsbetriebe.

Die zweite Form ist der aktive Mitein­bezug der Bevöl­ke­rung beispiels­weise durch Online­par­ti­zi­pa­tion. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Quar­tier­idee Zürich“. Dies betrifft in der Regel weniger ein gesamtes Gebiet, sondern ein konkretes Areal. Dabei können Anwohner:innen direkt auf die Gestal­tung einwirken.

Der Prozess der Planung in Wollishofen ist eine Misch­form dieser beiden Vari­anten: Eine Test­pla­nung mit Echo­raum. „Die Stadt hat hier wahr­schein­lich bemerkt, dass eine Test­pla­nung ohne Einbezug der Nutzer:innen und Inter­es­sen­gruppen nicht sinn­voll wäre. Deshalb erhalten sie im Rahmen der Echo­gruppe Einblick“, sagt Markus Nollert.

Einblick ist das Stich­wort, direkte Mitsprache besteht nämlich nicht. Die Ausprä­gung der Mitsprache hängt stark vom Planungs­büro, der Bereit­schaft der Eigen­tü­merin und der Auftrags­ge­berin ab. In diesem Fall ist es also die KIBAG und das Hoch­bau­de­par­te­ment Zürich. Gehört ein Grund­stück der Stadt Zürich ist die Berück­sich­ti­gung von Inter­es­sen­gruppen somit einfacher.

Die Möglich­keiten der Mitsprache hängt aber nicht nur von den ange­wandten Prozessen ab, sondern auch vom Infor­ma­ti­ons­fluss. „Ein zentrales Problem ist, dass davon ausge­gangen wird, dass alle, die sich an denselben Tisch setzen sich auch auto­ma­tisch auf Augen­höhe begegnen. Das stimmt aber nicht“, so Antonia Steger von Urban Equipe. Der nicht-gewinn­ori­en­tierte Verein setzt sich für Mitsprache in der Stadt­ent­wick­lung ein. Per Telefon erklärt sie, wo bei parti­zi­pa­tiven Prozessen die Grund­pro­ble­ma­tiken liegen.

Eigentümer:innen bringen Erfah­rung mit und sind oft vertraut mit mögli­chen Stra­te­gien, genauso wie die Stadt, welche die Planungs­pro­zesse am besten kennt. Das schaffe von Anfang an Hier­ar­chien gegen­über der Bevölkerung.

Ein Lösungs­an­satz wäre, dass man der Quar­tier­be­völ­ke­rung im Voraus die Möglich­keit gibt, sich einzu­ar­beiten. Das werde so aber noch gar nicht gemacht, sagt Antonia Steger. „Es wäre radi­kale Trans­pa­renz ange­sagt und es müssten Ressourcen einge­setzt werden, um einen ausge­gli­chenen Infor­ma­ti­ons­stand zu errei­chen.“ So könnte man beispiels­weise vor Verhand­lungen halb­tä­gige Work­shops für die Bevöl­ke­rung veran­stalten oder bestimmte Inhalte digital zugäng­lich als eine Art „Parti­zi­pa­tions-Kit“ aufbereiten.

Die Test­pla­nung als Kompromisslösung

„Die Sach­lage im Fall des Areals in Wollishofen ist verworren“, sagt Markus Nollert. Das Areal ist nämlich eine Wohn­zone 3, das heisst, die Geschoss­zahl ist auf drei Stock­werke begrenzt und ist für „Wohnungen und nicht störende Dienst­lei­stungen“ vorge­sehen. Die Bauzone eines Gebiets wird in der Bau- und Zonen­ord­nung (BZO) der Stadt fest­ge­legt. Die jewei­ligen Zonen geben vor, was wo gebaut werden darf und was nicht.

Das Gebiet am See war nicht immer eine Wohn­zone. Bis 1999 war dort vorwie­gend Indu­strie vorge­sehen. Doch im Jahre 1999 wurde es umge­zont. Über den Grund kann auch der Raum­planer nur speku­lieren. Fakt ist: Wohn­zonen sind die wert­voll­sten Böden.

Frei­räume wie denje­nigen rund um die rote Fabrik gibt es in Zürich kaum noch. Die Nach­frage nach Erho­lungs- und Frei­räumen nimmt jedoch laufend zu. Im kommu­nalen Richt­plan der Stadt sind deshalb weitere 40 Hektare zusätz­liche Frei­räume in Planung. Wirft man einen Blick auf das Leit­bild des Zürcher Seebecken, fällt auf, wie gut die Gebiets­pla­nung rund um das linke Seeufer zu diesem Ziel passt. So ist ein Grund­satz beispiels­weise: „Das Seebecken ist ein hoch­wer­tiger Frei- und Naherho­lungs­raum in der sich stetig verdich­tenden Stadt“ oder „Das Seebecken ist allseits öffent­lich zugänglich“.

„Mit der Test­pla­nung kann man in diesem Fall evalu­ieren, ob die Vorgaben des Zonen­plans für das so Areal noch passen oder nicht“, so Markus Nollert. Während der Test­pla­nung treten alle Betei­ligten mitein­ander in den Dialog, also die Stadt, die KIBAG und weitere Inter­es­sen­gruppen wie die Quar­tier­be­völ­ke­rung. Dabei müssen sich aber vor allem Akteur:innen mit finan­zi­eller und recht­li­cher Betei­li­gung einigen.

Hier sind das die Stadt und die Grund­ei­gen­tü­merin KIBAG. Aus dieser Eini­gung entsteht am Ende idea­ler­weise ein Master­plan, ein Planungs­in­stru­ment ohne recht­liche Verbind­lich­keit. Dieses dient als Grund­lage für weitere plane­ri­sche Schritte, die bis hin zu einer Ände­rung des BZO führen können.

„Ich hoffe, dass während dieser Planung klar wird, dass dieses Gebiet mehr als einen mone­tären Wert hat und eine Lösung gefunden wird, die für die Meisten passt.“ Trotzdem fügt Nollert hinzu: „Am Ende kann aber vieles passieren, da wir die konkreten Pläne der KIBAG nicht kennen.“

Diese Szena­rien klingen zwar opti­mi­stisch, aber auch stark nach Kompro­miss und Misch­formen. Welche Lösungen wären denkbar, wenn die Bevöl­ke­rung direktes Mitspra­che­recht hätte? Was müsste geschehen, damit die Bedürf­nisse der Bevöl­ke­rung kompro­miss­loser in die Planung einfliessen könnten?

Wie viel ist möglich?

Die Über­nahme eines Grund­stücks ist eine Möglich­keit der Stadt, die Komple­xität der Konsens­fin­dung zu verrin­gern. Das könnte durch Verhand­lung mit der KIBAG um den Kauf des Areals oder im extremen Fall durch Enteig­nung geschehen. „Jede Stadt oder Gemeinde hat die Möglich­keit der Enteig­nung“, so Markus Nollert. Konkret handelt es sich um die Über­nahme eines Grund­stückes durch die öffent­liche Hand gegen entspre­chende Entschä­di­gung. Von dieser Stra­tegie wird vor allem für öffent­liche Infra­struktur wie Strassen Gebrauch gemacht.

Enteig­nung werde nur selten in Betracht gezogen, auch wenn öffent­li­ches Inter­esse daran bestünde, sagt auch Antonia Steger. „Kern des Problems bleibt, dass Eigentum in der Schweiz sehr stark geschützt ist. Im deut­schen Grund­ge­setzt steht ‘Eigentum verpflichtet’. Ähnli­ches sucht man in der Schweizer Verfas­sung verge­bens.“ Sobald Eigentum bedroht scheine, würden poli­ti­sche Diskus­sionen schwierig.

Für das Jahr 2022 verfolgt die Stadt einem Inter­view mit der P.S. Zeitung zufolge das Ziel, mehr Grund­stücke in Zürich zu kaufen. Zum Areal selbst gibt das Finanz­de­part­ment Zürich keine Auskunft. Allge­mein gilt jedoch: „Die Stadt kauft Liegen­schaften und Grund­stücke, um mehr billigen Wohn­raum, Frei­raum und öffent­liche Einrich­tungen zu schaffen“, so Kuno Gurnter, Spre­cher von Liegen­schaften Stadt Zürich. Hierbei werde vor allem Ausschau gehalten, ob sich Liegen­schaften in der Nähe vonein­ander befinden, eine Areal­über­bauung möglich wäre und ob der Preis zahlbar ist für die Stadt. „Voraus­set­zung ist, dass die Besit­zerin bereit ist das Grund­stück zu verkaufen.“

Ist das Ergebnis der Test­pla­nung nicht zufrie­den­stel­lend, bleibt der Bevöl­ke­rung die Option, darauf zu reagieren und sich zu orga­ni­sieren. So kann sie als letzter Akt der Mitsprache das Refe­rendum ergreifen oder eine Initia­tive lancieren. Eine Initia­tive ist einem Artikel von Tsüri zufolge durch einzelne Mitglieder der Gruppe „Linkes Seeufer für Alle“ bereits in Planung.

Die Vergan­gen­heit als Anlass zu Optimismus

Schon die Rote Fabrik und das Savera-Areal wurden durch poli­ti­sche Kämpfe der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht. Die Rote Fabrik wird bis heute gemein­schaft­lich verwaltet und die Liege­wiese auf dem Savera-Areal wird rege als Erho­lungs- und Begeg­nungsort genutzt. Rita Guggen­heim war mass­geb­lich in der poli­ti­schen Debatte rund um das Savera-Areal beteiligt.

An einem grauen Nach­mittag sitzt Rita im Ziegel Oh Lac, in der Roten Fabrik. Rita war in den 80ern kurz­zeitig bei der Progres­siven Orga­ni­sa­tion Schweiz (POCH), mischt seither in parti­zi­pa­tiven Planungs­pro­zessen mit und wohnt seit über 30 Jahren im Kreis 2. Sie hat eine Lehre als Hoch­bau­zeich­nerin gemacht – in ihrem Jahr­gang war sie die einzige Frau. Jahre später hat sie den ersten Pilot-Master zu sozialer Stadt­ent­wick­lung absolviert.

Auch dieser Atelier­raum müsste weg, wenn KIBAG seine Pläne umsetzt. (Foto: Kira Kynd)

Auch die heutige Liege­wiese auf dem Savera-Areal neben dem GZ Wollishofen wurde durch nach­bar­schaft­liche Orga­ni­sa­tion erkämpft. Das Savera-Areal wurde 1990 als zusätz­li­cher Seezu­gang für die Bevöl­ke­rung geschaffen. Eigent­lich wäre auf dem angren­zenden Franz-Areal ein fünf­stöckiges Hotel geplant gewesen.

Durch „Umwelt­gruppen“ in verschie­denen Kreisen der Stadt mobi­li­sierten Rita und Mitorganisator:innen in den jewei­ligen Quar­tieren gegen den „Hotel­klotz“. Sie machten musi­zie­rend auf Abstim­mungen aufmerksam, markierten das Bauge­lände mit riesigen Ballonen oder orga­ni­sierten ein grosses Quar­tier­fest mit bekannten Bands und Autor:innen. Nun holt Rita ihre Dias hervor, studiert sie, hält sie ins Licht. Ganz klein ist ein farbiges Fest­zelt zu erkennen.

Schliess­lich wurde über das Bauvor­haben abge­stimmt und das Hotel abge­lehnt. Eine Erfolgs­ge­schichte, die sich so auch heute wieder­holen könnte.

„Ich wünsche mir, dass wir für das KIBAG-Areal den Mut haben, auch etwas zu verlangen, was es in Zürich so noch nicht gibt. Einen Frei­raum, den wir gene­ra­tio­nen­über­grei­fend selbst gestalten können auf unbe­stimmte Zeit. Die Brachen der Stadt sind bald aufge­braucht und was bleibt uns dann?“, so Rita.

Druck von aussen durch Inter­es­sen­gruppen, das Quar­tier und öffent­liche Aufmerk­sam­keit sind Mittel, die sich seit jeher bewähren. Für Rita ein Grund zum Opti­mismus – nur dank den Bewe­gungen der 80er Jahre gibt es heute so viel Frei­raum am linken Seeufer. Und das soll auch so bleiben.

Die Gruppe Linkes Seeufer für Alle hat eine detail­lierte Wissens­da­ten­bank zu zahl­rei­chen poli­ti­schen und histo­ri­schen Entwick­lungen erar­beitet. Für diese Recherche diente diese Daten­bank teil­weise als Unterstützung.


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