„Eine Vagina erzählt die Dinge eben so, wie sie sind!“ 

Am 20. Februar feiert das Thea­ter­stück „Die Vagina-Mono­loge“ in Zürich Premiere. Das Lamm hat mit den beiden Produ­zen­tinnen gespro­chen – über weib­liche Sexua­lität, bestehende Tabus, Wut und die poli­ti­sche Kraft des Mediums Theater. 
Wütend ja, aber nicht nur. Darsteller*innen der Vagina-Monologe bei der Probe. Foto: Claude Hurni

Basie­rend auf 200 Inter­views mit Frauen* zu Themen wie Menstrua­tion, Sexua­lität, sexua­li­sierte Gewalt sowie Bezie­hungen und Geburt schrieb die Drama­ti­kerin und femi­ni­sti­sche Akti­vi­stin Eve Ensler 1996 den ersten Entwurf der Vagina-Mono­loge. Die Mono­loge wurden bereits in über 48 Spra­chen über­setzt und in mehr als 140 Ländern aufgeführt

Die Auffüh­rungen des Stücks finden jeweils im Rahmen der welt­weiten V‑Day-Kampagne statt. Der V‑Day, welcher jeweils am 14. Februar statt­findet, steht für Valen­tine, Victory und Vagina. Wer Lust hat, kann ein Team auf die Beine stellen, sich bei der V‑Day-Orga­ni­sa­tion anmelden und bekommt dann für den Monat Februar für drei Mal die Rechte, das Stück selbst zu insze­nieren und aufzu­führen. Roberta Spano und Justine Burk­halter haben sich der Heraus­for­de­rung ange­nommen und die Mono­loge nach Zürich gebracht. Das Lamm hat mit den beiden Produ­zen­tinnen gesprochen.

das Lamm: Das Stück heisst „Die Vagina-Mono­loge“. Was erzählt denn eine Vagina so? 

Spano: Alles. Oder auch nichts. Im Stück gibt es wütende Vaginas, verletzte, trau­rige, mutige – und befriedigte.

Burk­halter: Eine Vagina erzählt die Dinge eben so, wie sie sind. In den Vagina-Mono­logen geht es um die verschie­den­sten Facetten des Frau*-Seins. Das Beson­dere daran ist, dass die Geschichten, welche erzählt werden, nicht fiktiv, sondern wahr sind. So wird mit dem Stück gezeigt, dass hinter Femi­nismus und Frauen*kampf-Bewegung eben tatsäch­liche, reale Momente von Gewalt und Unter­drückung stehen. Der poli­ti­sche Slogan wird so für mich zur nach­er­zählten Geschichte, an der man teil­haben kann.

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Auf die Beine gestellt haben „Die Vagina-Mono­loge“ in Zürich die beiden Histo­ri­ke­rinnen Roberta Spano und Justine Burk­halter. „Ich war im Produk­ti­ons­team der Vagina-Mono­loge in Basel 2018 dabei“, erzählt Spano. An einer der Auffüh­rungen sass auch Justine Burk­halter im Publikum: „Irgend­wann hatten wir dann mal die Schnaps­idee, das Stück nach Zürich zu bringen. Aus der Schnaps­idee wurde ernst, und so stehen wir heute hier“, sagt Spano. Die Histo­ri­kerin hatte bisher keinerlei Thea­ter­er­fah­rungen – weder hinter noch vor der Bühne. Auch Burk­halter, eben­falls Histo­ri­kerin und Gymna­si­al­leh­rerin, hatte bisher –„abge­sehen von meiner Rolle als Clown im Schul­theater“ – keine Thea­ter­er­fah­rung. Die beiden Frauen nahmen sich dennoch der Heraus­for­de­rung an. Das Produk­ti­ons­team der Zürcher Vagina-Mono­loge besteht nebst Spano und Burk­halter aus vier weiteren Frauen*: Laura Leupi und Hélène Hüsler für die Regie, Nina Loosli für Grafik und Social Media und Céline Stettler als Foto­grafin. Als Cast stehen 12 Frauen* auf der Bühne.

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Und warum ist es für die Öffent­lich­keit wichtig zu erfahren, was eine spezi­fi­sche Vagina zu sagen hat? Ist das nicht etwas sehr Privates, Intimes? 

Burk­halter: Es ist wichtig, weil dadurch ein Moment geschaffen wird, in dem gezeigt werden kann, wie sich die Reali­täten vom Frau*-Sein eben zusam­men­setzen. So wird das, was wir abstrakt als „patri­ar­chale Struk­turen“ bezeichnen, auf eine ganz konkrete, fass­bare Art deut­lich. Die Vagina-Mono­loge wollen Einblick gewähren und sind somit auch ein Stück Erklä­rung, wie eben das Patri­ar­chat auf die Frau* wirkt. Dass dabei in den Mono­logen Inter­views von verschie­den­sten Frauen* verdichtet wurden, zeigt, dass hinter den einzelnen State­ments nicht das Einzel­schicksal steht, sondern die Frau* im Allgemeinen.

Spano: Auch wenn das jetzt viel­leicht etwas abge­dro­schen klingt: Das Private ist poli­tisch – und gehört darum auch in die Öffent­lich­keit. Wir konzen­trieren uns ja viel­mehr auf das Moment der Veräus­se­rung, „mir mached s Muul uf“, als auf das Geschlechts­teil per se. Denn vieles, was in den Mono­logen ange­spro­chen wird, ist immer noch tabui­siert und muss ange­spro­chen und disku­tiert werden.

Welche gesell­schaft­liche oder poli­ti­sche Spreng­kraft seht ihr bei der Entta­bui­sie­rung der weib­li­chen Sexualität? 

Spano: Eine Entta­bui­sie­rung der weib­li­chen Sexua­lität ist meiner Meinung nach auch ein erster Schritt in der Los- und Ablö­sung starrer Geschlech­ter­rollen. Dies ist letzt­lich nötig, um eine Gleich­stel­lung der Geschlechter zu errei­chen. Im Stück spielt Sexua­lität und deren Entta­bui­sie­rung zwar eine Rolle, jedoch nicht die Haupt­rolle. Es geht um einiges mehr. Ich glaube, man tut ihm unrecht, wenn man es nur dahin­ge­hend liest.

Burk­halter: Entta­bui­sie­rung meint nicht in jedem Fall, dass der Umgang mit Sexua­lität progressiv wird. Wie heute mit weib­li­cher Sexua­lität umge­gangen wird, könnte man durchaus als entta­bui­siert betrachten, so omni­prä­sent wie der weib­liche Körper sexuell insze­niert ist. Werbung, Medien, Filme, Musik­vi­deos, Insta­gram – der weib­liche Körper ist over­sexed. Das heisst aber nicht unbe­dingt, dass im Rahmen intim voll­zo­gener Sexua­lität ebenso ein solcher Wandel statt­findet. Nur weil Frauen*körper und deren Sexua­lität perma­nent insze­niert und verwertet werden, heisst das nicht, dass weib­liche Sexua­lität dann auch gleich­be­rech­tigt und einver­nehm­lich voll­zogen wird.

Die weib­liche Sexua­lität und gene­rell der Umgang mit dem weib­li­chen Geschlecht gilt also immer noch als ein Tabu und als etwas Scham­haftes. Hattet ihr keine Angst, mit dem Stück anzuecken?

Burk­halter: Mich nervt es sehr, dass ich mir immer zweimal über­legen muss, ob ich jetzt sagen kann oder darf, dass ich ein Theater mache, das „Vagina-Mono­loge“ heisst, weil die Leute bei „Vagina“ gleich aufhor­chen und teil­weise negativ reagieren. Von Männern in meinem Umfeld spüre ich teil­weise ein Unbe­hagen: Sie können mein Enga­ge­ment nicht richtig einordnen.

Abge­sehen vom Titel das Stücks, kann Theater denn heute über­haupt noch schockieren und bewegen? 

Spano: Ich glaube, ja, das kann es. Ich glaube, Kunst in ihren verschie­denen Facetten kann das. Gewisse Mono­loge sind schockie­rend, weil sie so brutal sind. Oder weil sie, obwohl das Stück schon älter ist, immer noch so aktuell sind.

Burk­halter: Das Schockie­rende an den Vagina-Mono­logen finde ich, dass man als Zuschauer*in die Distanz verliert. Man erlebt zwangs­weise mit. Das finde ich teil­weise auch ziem­lich anstren­gend. Denn die Texte machen betroffen.

Versteht ihr Theater vor diesem Hinter­grund als poli­ti­sches Medium? Welche Wirkung, welche Kraft sprecht ihr dem Theater dabei zu? 

Burk­halter: Theater ist nicht per se poli­tisch. Es wird poli­tisch gemacht. Wir verstehen unser Stück nicht einfach als Unter­hal­tung, sondern auch als poli­ti­sches Moment, weil wir aufklären, sichtbar machen, anprangern.

Spano: Das Theater regt zum Nach­denken an. Das habe ich auch nach Basel gemerkt. Leute haben gesagt, sie hätten sich gewisse Dinge noch nie über­legt oder ihnen seien gewisse Dinge nicht klar; jetzt hätten sie das Bedürfnis, darüber zu spre­chen und die Themen zu diskutieren.

Auf den Werbe­fotos für euer Stück sind schrei­ende Frauen zu sehen, auf der Website gibt es geballte Fäuste. Ist euer Theater ein wütendes Stück? 

Spano: Nicht nur, aber auch. Ein Monolog hat den Titel „Meine Vagina ist wütend“. Diese Symbolik der Wut haben wir aber vor allem gewählt, weil wir den Fokus auf den Moment der Veräus­se­rung legen wollten. Wir wollten nicht, dass das weib­liche Geschlechts­teil quasi Teil des Bran­dings wird. Im Vorder­grund steht statt­dessen: Mir mached s Muul uf, wir haben etwas zu sagen, hör uns zu und dafür stehen wir auch mit geballter Faust hin.

Braucht es diese Wut, um gesell­schaft­li­chen Fort­schritt im Bereich der Geschlech­ter­gleichs­tel­lung zu erreichen? 

Spano: Viel­leicht. Ich glaube, es geht kaum ohne. Mir passiert es immer wieder, dass ich merke, wie wütend ich werde, wenn ich wieder irgend­eine sexi­sti­sche Scheisse höre oder lese. Ich glaube, die Wut passiert. Aber den ganzen Prozess darauf zu fussen, finde ich falsch. Schliess­lich ist Wut eine Emotion – und das macht angreifbar. Wissen und fundierte Argu­mente sind wichtiger.

Burk­halter: Wut ist die erste Reak­tion darauf, dass etwas nicht stimmt. Man darf sie aber nicht mit Aggres­sion gleich­setzen. Wut ist eine Unzu­frie­den­heit, die im besten Fall in Eifer umschlägt – in den Eifer, etwas gegen den Ursprung dieser Wut zu tun.

Die Auffüh­rungen der Vagina-Mono­loge finden vom 20.02.19 bis am 22.02.19 in der Akti­ons­halle der Roten Fabrik in Zürich statt. Weitere Infor­ma­tionen unter http://vdayzurich.ch/. Die Einnahmen der Auffüh­rungen in Zürich werden der Frau­en­be­ra­tung sexu­elle Gewalt gespendet. Es ist eine der Auflagen für die Rechte am Stück, dass ehren­amt­lich gear­beitet wird und die Einnahmen gespendet werden.

 


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