Sachbuch: CO2-Ausstoß zum Nulltarif
Auf der Grundlage dieser Artikelserie ist ein Sachbuch entstanden, welches am 18.02.2024 beim Rotpunktverlag in Zürich erschienen ist. Das Buch „CO2-Ausstoß zum Nulltarif – Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon profitiert“ ist bei uns im Shop oder in der Buchfiliale deines Vertrauens erhältlich.
In Kürze
- Das Lamm veröffentlicht die erste allumfassende Analyse des Schweizer Emissionshandelssystems (EHS).
- Unsere Berechnungen zeigen: Grosskonzerne zahlten über das EHS in den letzten Jahren wenig bis nichts für ihre Emissionen.
- Dem Staat entgingen dabei 2.9 Milliarden Franken an CO2-Abgaben. Gleichzeitig schenkte der Bund allen Firmen im EHS Gratisemissionsrechte.
- Viele Firmen erhielten gar mehr Gratisrechte, als sie selber benötigten. Diese überschüssigen Emissionsrechte haben einen Wert von schätzungsweise 361 Millionen Franken und können von den Firmen am Emissionsmarkt verkauft werden.
Eigentlich muss in der Schweiz eine Abgabe zahlen, wer fossile Brennstoffe verbraucht und damit CO2 verursacht. Das ist eines der Hauptinstrumente der Schweizer Klimapolitik. Die grössten CO2-Verursacher sind davon jedoch ausgenommen, weil das für sie zu teuer würde. Stattdessen müssen sie lediglich beim Emissionshandelssystem (EHS) mitmachen und dort für jede Tonne CO2, die sie verursachen, ein Zertifikat, sprich ein Emissionsrecht, abgeben. Die Zertifikate erhalten die Konzerne jedoch grösstenteils vom Bund zugeteilt. Gratis.
Eine Recherche von das Lamm zeigt nun: Das System funktionierte bis anhin nicht. Schlimmer noch: Die Grossverursacher von CO2-Emissionen nutzten das System, um damit Geld zu verdienen. Emissionsreduktionen, um in nützlicher Frist auf null zu kommen, wurden nicht erreicht.
Der Hauptgrund dafür sind die Gratiszertifikate. Der Bund möchte mit dem Austeilen der Gratiszertifikate verhindern, dass sich die für die Klimagasemissionen verantwortliche Produktion aufgrund hoher CO2-Kosten in ein anderes Land verlagert – Stichwort: Carbon-Leakage. Unsere Recherchen zeigen: So gut wie alle privatwirtschaftlichen Firmen im Schweizer EHS profitierten in der letzten Handelsperiode mit dieser Begründung von einer extra grosszügigen Zuteilung an Gratiszertifikaten.
Das Resultat: Dem Staat entgingen von 2013 bis 2020 nicht nur drei Milliarden Franken an Staatseinnahmen, sondern er verschenkte auch mehr Zertifikate an die EHS-Konzerne, als diese für ihre eigenen Emissionen brauchten. Diese überschüssigen Zertifikate können von den Firmen gewinnbringend verkauft werden. Der aktuelle Gegenwert aller angehäuften Emissionsrechte beläuft sich, Stand 25. Januar 2023, schätzungsweise auf 361 Millionen Franken.
Ein Beispiel: Der Baustoffriese Holcim hat in der letzten Handelsperiode schätzungsweise 1.8 Millionen Franken für seine Klimagasemissionen bezahlt. Würden für den Konzern jedoch dieselben Regeln gelten wie für uns alle, hätte Holcim 833 Millionen hinblättern müssen. Das Fazit: Zwar ist es in der Schweiz nicht mehr kostenlos, das Klima zu belasten – aber nicht alle zahlen denselben Preis.
Denn während die grössten Klimakiller glimpflich davonkommen, bezahlen Privatpersonen und die meisten Schweizer Firmen 120.– Franken CO2-Abgabe auf jede Emissionstonne aus fossilen Brennstoffen. Das wirft Fragen auf: Wieso gibt es in der Schweiz verschiedene Bezahlsysteme für Klimagasemissionen? Wie viele Tonnen Gratisemissionen erhielten die Grosskonzerne? Welche Firmen haben gespart oder gar Profit gemacht bei diesem CO2-Spezialdeal?
Diesen und weiteren Fragen geht das Lamm in der mehrteiligen Serie EHS: Eine Flatrate auf Monsteremissionen nach. Damit veröffentlicht das Lamm erstmals eine allumfassende Analyse der vergangenen EHS-Handelsperiode von 2013 bis 2020.
Artikel 1
Weniger CO2 dank Emissionshandel? Eine Bilanz der letzten Jahre
Die Konzerne mit den meisten Klimagasemissionen rechnen ihre CO2-Kosten im Emissionshandelssystem ab. Das sollte die Klimaverschmutzung bremsen. Gewirkt hat es kaum.
ArtikeL 2
Selbstsabotage beim Klimaschutz. Der Grund: die Wettbewerbsfähigkeit
Damit Klimaverschmutzung für die Verursacher*innen etwas kostet, führte man in der Schweiz 2008 den Zertifikatenhandel ein. Weil das für emissionsintensive Firmen ziemlich teuer werden kann, verschenkt der Staat kostenlose Zertifikate. Unsere Recherche zeigt auf, wer die meisten Gratiszertifikate erhalten hat.
Artikel 3
Klimaumverteilung: Von den KMUs zu den Grosskonzernen
Nur ein paar wenige Firmen dürfen ihre CO2-Emissionen im Emissionshandelssystem abrechnen. Damit ist es für sie nicht nur günstiger, Emissionen zu verursachen. Sie profitieren auch ganz direkt von den CO2-Abgaben der KMU.
Artikel 4
Klimamilliarden für Holcim, Lonza, BASF und Co.
Erstmals zeigen Berechnungen von das Lamm: Der Staat erliess Grosskonzernen CO2-Abgaben in Milliardenhöhe. Wer hat wie stark davon profitiert? Wir bringen Licht in das letzte Jahrzehnt Emissionshandelsdunst.
Artikel 5
Ein Spezialdeal für die Klimakiller. Warum eigentlich?
Von 2013 bis 2020 subventionierte der Staat die emissionsintensivsten Firmen des Landes mit rund 3 Milliarden Franken. Ob das gerechtfertigt ist oder nicht, diskutierte man bereits vor 30 Jahren.
Artikel 6
Wann fällt die Dauerflatrate?
Die EU plant Reformen. Diese könnten das EHS raus aus der Geiselhaft der globalisierten Industrie und rein in eine tatsächliche Dekarbonisierung führen. Der Wermutstropfen: So bald wird sich kaum etwas ändern.
Artikel 7
Braucht es das EHS?
Wer heute Klimagase verursacht, der zahlt. Nur zahlen bis jetzt nicht alle gleich viel, wenn sie das Klima zerstören. Das ist nicht nur unfair, sondern bremst auch die notwendigen CO2-Reduktionen aus. Gehört das EHS deshalb abgeschafft? Eine Einordnung.
Nicht nur die Schweiz, sondern auch die EU setzen trotz all dem stark auf das Emissionshandelssystem. Deshalb wird es sich wohl zu einem der wichtigsten Polit-Instrumente im Kampf gegen die Klimakrise entwickeln. Umso wichtiger wäre es, dass die darin abgewickelten Klimadeals transparent kommuniziert werden. Dies ist bis heute nicht der Fall. Denn die Regeln des EHS sind dermassen verschachtelt und irreführend, dass kaum eine klare Dokumentation und Auswertung möglich ist.
Mehr als einmal haben wir uns während der Recherche gedacht: Das kann doch nicht sein, irgendetwas verstehen wir falsch, übersehen wir. Aber nein: Im Nachhinein hat sich jeweils herausgestellt, dass wir vieles durchaus richtig verstanden haben. Wir hatten lediglich die Absurdität des EHS unterschätzt.
Falls auch du im Laufe der folgenden sieben Artikel an einen Punkt kommst, an dem du denkst: „Das kann nicht sein!“, empfehlen wir dir: „Zweifle nicht nur an dir selbst, sondern auch am System EHS.“ Denn so einiges am Emissionshandelssystem scheint zwar unglaublich – ist aber trotzdem wahr.
Was ist das EHS und wer rechnet seine Klimagasemissionen darin ab?
Im Schweizer Emissionshandelssystem (EHS) werden Rechte für den Ausstoss von Klimagasen gehandelt. Grosse Schweizer Industrieanlagen wie Zementwerke, Raffinerien, Papierfabriken, Stahlkonzerne oder Pharmariesen rechnen ihre Klimakosten im EHS ab – mit dem Ziel, die Emissionen zu senken. Rund 40 Firmen mit etwa 50 verschiedenen Industrieanlagen waren in der vergangenen Handelsperiode im EHS beteiligt. Darunter auch bekannte Namen wie Holcim, BASF, La Roche oder der Flughafen Zürich. Ende 2020 ging die zweite Handelsperiode zu Ende.
Konnte das EHS die Emissionen der Schweizer Industrie reduzieren?
In acht Jahren konnten die EHS-Konzerne laut dem eidgenössischen Emissionshandelsregister ihre Emissionen um 0.6 Millionen Tonnen Klimagase reduzieren. Die für diese Berechnung verwendeten Zahlen werden jedoch durch Austritte und Konkurse verfälscht. Im besten Fall konnten die EHS-Firmen von 2013 bis 2020 rund 10 Prozent Emissionsreduktionen vorweisen. Das ist nicht nichts, aber um in nützlicher Frist auf null zu kommen, ist das deutlich zu langsam.
Wieso sind die Klimakosten für Unternehmen im EHS tiefer als die allgemeingültige CO2-Abgabe?
Wenn Firmen ihre Klimakosten über das Emissionshandelssystem (EHS) abrechnen, sind sie von der CO2-Abgabe (120.– Franken pro Tonne) befreit. Dafür müssen sie für jede Tonne CO2, die sie in die Luft pusten, ein EHS-Zertifikat abgeben. Diese Zertifikate sind aber bedeutend billiger als die CO2-Abgabe (Stand 25. Januar 2023: rund 80.– Franken). Zudem müssen die Firmen nur für einen Bruchteil ihrer Emissionen Zertifikate kaufen. Den Grossteil der Zertifikate erhalten die EHS-Firmen vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) geschenkt.
Wieso verschenkt das BAFU Emissionsrechte?
Die Vergabe der Gratiszertifikate dient dem Schutz vor sogenanntem Carbon-Leakage. Unter Carbon-Leakage versteht man die Abwanderung der Klimagasemissionen in Länder mit weniger hohen Klimakosten. Das Verhindern von Carbon-Leakage durch das Verteilen von Gratiszertifikaten ist dementsprechend eine Mischung aus Klimaschutz und dem Schutz der inländischen Wettbewerbsfähigkeit. Je nach Branche ist jedoch weitgehend unklar, ob es für die betroffenen Firmen überhaupt infrage käme, ins Ausland abzuwandern.
Wie wirken sich die tieferen Klimakosten auf die Dekarbonisierung der Industrie aus?
Die Politik konzipierte ein System, das für CO2 einen Preis einführen sollte, um emissionsintensive Konzerne dazu zu bewegen, das Klima weniger zu belasten. Doch weil das Instrument tatsächlich funktionieren würde, schenkt die Politik den Firmen mit den höchsten Emissionen Gratiszertifikate, um die Kosten für eben diese Unternehmen tief zu halten. Oder anders ausgedrückt: Die grosszügig verteilten Gratiszertifikate scheinen das eigentlich wirksame Instrument zur Reduktion des CO2-Ausstosses zu sabotieren.
Die Spielregeln des EHS werden vorwiegend von der EU vorgegeben. Kann die Schweiz hier überhaupt Einfluss nehmen?
Bis zu einem gewissen Grad schon. Einerseits könnte die Schweiz ihre nationale Klimagesetzgebung besser mit den Regeln des EHS harmonisieren. Zum Beispiel indem den EHS-Konzernen die Differenz zwischen den Kosten im EHS und den CO2-Abgaben trotzdem in Rechnung gestellt würde. Andererseits gibt es eine weitere Bevorteilung der EHS-Konzerne, die auf der Schweizer Gesetzgebung basiert und nichts mit den europäischen Regeln des EHS zu tun hat: Firmen, die über das EHS abrechnen, sind zwar von der CO2-Lenkungsabgabe befreit, profitieren aber trotzdem von deren Rückverteilung. Die CO2-Lenkungsabgabe wird grösstenteils an die Schweizer Bevölkerung zurück verteilt. Damit soll klimafreundliches Verhalten belohnt werden. Aber auch EHS-Firmen erhalten bei dieser Rückverteilung Geld, obwohl sie gar keine CO2-Abgabe bezahlt haben. Bei den EHS-Firmen entwickelt die CO2-Abgabe also genau den gegenteiligen Effekt: Anstatt dass das Geld von klimafeindlich zu klimafreundlich umverteilt wird, fliesst es von klimafeindlich zu ultra-klimafeindlich.
Die vorliegende Recherche bezieht sich auf die vergangene EHS-Handelsperiode. Wie sieht die Zukunft des EHS aus?
Die EU wird den EHS im Rahmen des „Fit for 55“-Programms voraussichtlich verschärfen. Bis die fossile Industrie jedoch tatsächlich adäquat zur Kasse gebeten wird, könnten noch mehrere Jahre vergehen. Die vollständige Abschaffung der Gratiszertifkate ist nach den aktuellen Plänen der EU erst im Jahr 2034 geplant.
Die Recherchen für diesen Artikel wurden vom Peter Hans Hofschneider-Recherchepreis für Wissenschafts- und Medizinjournalismus der Stiftung Experimentelle Biomedizin unterstützt. Der Recherchepreis wird in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Recherche vergeben.
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