Klima­um­ver­tei­lung: Von den KMUs zu den Gross­kon­zernen (3/7)

Nur ein paar wenige Firmen dürfen ihre CO2-Emis­sionen im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem abrechnen. Damit ist es für sie nicht nur günstiger, Emis­sionen zu verur­sa­chen. Sie profi­tieren auch ganz direkt von den CO2-Abgaben der KMU. 
Illustration: Luca Mondgenast

Sach­buch: CO2-Ausstoß zum Nulltarif

Auf der Grund­lage dieser Arti­kel­serie ist ein Sach­buch entstanden, welches am 18.02.2024 beim Rotpunkt­verlag in Zürich erschienen ist. Das Buch „CO2-Ausstoß zum Null­tarif – Das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem und wer davon profi­tiert“ ist bei uns im Shop oder in der Buch­fi­liale deines Vertrauens erhältlich.

In Kürze

  • Das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem (EHS) hat noch weitere Defi­zite. Weil die Firmen, die über das EHS abrechnen, von der CO2-Lenkungs­ab­gabe befreit sind, profi­tieren sie von deren Rück­ver­tei­lung, ohne selbst etwas dazu beizutragen.
  • Obwohl dieses Vorgehen in einer Unter­su­chung durch die eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle kriti­siert wurde, hält das Parla­ment an der Bevor­tei­lung fest. 
  • Auch hier wird einmal mehr klar: In der aktu­ellen Ausge­stal­tung schafft das EHS prak­tisch keinen Anreiz, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren. 

Es geht um 15.7 Millionen Franken. 15.7 Millionen, die auf die Konti der klima­schäd­lich­sten Konzerne der Schweiz flossen. Bezahlt durch die CO2-Lenkungs­ab­gaben aller abga­be­pflich­tigen Unter­nehmen des Landes. 2017 wurden diese 15.7 Millionen in einem Evalua­ti­ons­be­richt als „de facto Subven­tionen“ bezeichnet. Der Bericht endet mit einer klaren Empfeh­lung: Der millio­nen­starke Geld­segen für die emis­si­ons­in­ten­siv­sten Konzerne der Schweiz ist unge­recht­fer­tigt und gehört abgeschafft.

Die Empfeh­lung kommt nicht etwa von einer links-grünen Umwelt­or­ga­ni­sa­tion, sondern von der Eidge­nös­si­schen Finanz­kon­trolle (EFK). „Wir sind ledig­lich Verfas­sung und Gesetzen verpflichtet und haben keine poli­ti­sche Färbung. Wir prüfen nach dem, was der Gesetz­geber wollte“, betont Mathias Rickli von der EFK. 

Rickli leitete 2017 unter der Aufsicht von Emma­nuel Sangra die behörd­liche Analyse des Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem (EHS). Auch Sangra arbeitet bei der EFK und ist Leiter des Fach­be­reichs “Evalua­tion”. Wir treffen die beiden in einem digi­talen Meeting. „Die EFK empfahl dem Bundesamt für Umwelt bereits 2017, diese Bevor­tei­lung der abga­be­be­freiten EHS-Firmen mit einer Geset­zes­än­de­rung aus der Welt zu schaffen“, sagt Sangra. 

Umge­setzt wurde die Empfeh­lung der höch­sten Schweizer Prüfbeamt*innen jedoch bis heute nicht.

Wir alle zahlen die Abgabe auf CO2-Emis­sionen aus Brenn­stoffen wie Erdöl oder Erdgas. Zum Beispiel dann, wenn wir zu Hause mit Erdöl heizen oder wenn Firmen Erdgas in der Produk­tion einsetzen.

Doch wie kann es über­haupt sein, dass in der Schweiz Geld von klei­neren und mitt­leren Firmen an jene Konzerne fliesst, die mit Abstand die höch­sten Treib­haus­gas­emis­sionen verur­sa­chen? Dazu muss man erst verstehen, wie die CO2-Lenkungs­ab­gabe über­haupt funktioniert. 

Wir alle zahlen die Abgabe auf CO2-Emis­sionen aus fossilen Brenn­stoffen wie Erdöl oder Erdgas. Zum Beispiel dann, wenn wir zu Hause mit Erdöl heizen oder wenn Firmen Erdgas in der Produk­tion einsetzen. Die CO2-Abgabe ist im Laufe der letzten Jahre stetig ange­stiegen. Im Moment liegt sie bei 120 Franken pro Tonne Klima­gase. Bezahlen müssen diese Abgaben zwar alle Privat­per­sonen, aber nicht alle Firmen. Von der CO2-Abgabe befreit sind unter anderem jene, die ihre Klima­ko­sten unter dem EHS abrechnen dürfen.

Firmen, die ihre Klima­ko­sten unter dem Emis­si­ons­han­dels­sy­stem abrechnen dürfen, bezahlen keine CO2-Abgabe. Statt­dessen müssen sie für jede ausge­stos­sene Tonne CO2 ein entspre­chendes Zerti­fikat erwerben. Diese Zerti­fi­kate sind nichts anderes als Emis­si­ons­rechte. Dabei gibt es nur eine bestimmte Menge an Zerti­fi­katen und diese Menge, der soge­nannte Cap, wird schritt­weise gesenkt. Diese Verknap­pung soll den Preis der Zerti­fi­kate erhöhen. 

Die Firmen können die Zerti­fi­kate auf zwei Arten beziehen: Entweder sie erwerben sie käuf­lich oder sie bekommen sie geschenkt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verteilt jedes Jahr eine grosse Menge an Gratis­zer­ti­fi­katen an die Schweizer EHS-Firmen, um zu verhin­dern, dass sie ihre Emis­sionen ins Ausland verlagern. 

Zeit­lich ist das EHS in mehr­jäh­rigen Handel­s­pe­ri­oden mit mehr oder weniger gleich­blei­benden Regeln orga­ni­siert. Die letzte Handel­s­pe­riode lief von 2013 bis 2020. 

Wichtig: Die Zerti­fi­kate im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem sind nicht an Projekte gekop­pelt, die der Atmo­sphäre Klima­gase entziehen, wie man das zum Beispiel von Kompen­sa­tionen für Flug­reisen kennt. Bei diesen frei­wil­ligen Kompen­sa­ti­ons­zah­lungen spricht man zwar oft auch von “Zerti­fi­katen”, diese haben aber nichts mit dem EHS zu tun.

Wer darf beim EHS mitmachen?

Grund­sätz­lich sind im EHS Firmen aus den Bran­chen mit den höch­sten Treib­haus­gas­emis­sionen vertreten. Dabei gibt es solche, die beim EHS mitma­chen „müssen“, weil sie im Anhang 6 der CO2-Verord­nung stehen. Auf dieser Liste sind beispiels­weise die Metall- oder die Zement­in­du­strie. Dieses „müssen“ kann jedoch zu Miss­ver­ständ­nissen führen. Denn die Firmen werden hier zu etwas gezwungen, das ihnen bis jetzt vor allem Vorteile verschafft hat.

Zusätz­lich gibt es Bran­chen, die frei­willig beim EHS mitma­chen können. Diese stehen im Anhang 7 der CO2-Verord­nung. Hier befinden sich zum Beispiel die Chemie‑, die Papier- oder die Holz­in­du­strie. Kurzum: Im EHS versam­meln sich die Gross­kon­zerne aus der Ener­gie­pro­duk­tion und der Schwerindustrie. 

Der über­wie­gende Teil der Schweizer Firmen darf aber nicht am EHS teil­nehmen. Diese zahlen statt­dessen für jede Tonne Klima­gase eine CO2-Abgabe von 120.– Franken.

Im EHS regi­striert werden genau genommen nicht die Firmen selbst, sondern die verschie­denen Indu­strie­an­lagen der Firmen – also ein Zement­werk, ein Stahl­werk oder ein Heiz­werk. Deshalb kann eine Firma auch mit mehreren Stand­orten im EHS vertreten sein. 

Wie wird bestimmt, wer wie viele Gratis­zer­ti­fi­kate erhält?

Die Anzahl Gratis­zer­ti­fi­kate, die eine Firma vom BAFU erhält, ist von zwei Faktoren abhängig. Einer­seits erhalten Firmen, die bereits eine gute CO2-Bilanz haben, mehr Gratis­zer­ti­fi­kate als solche, die schlecht dastehen. Was man dabei aber nicht vergessen darf: Auch Firmen bezie­hungs­weise deren Produk­ti­ons­an­lagen, die in diesem Ranking zu den besten zählen, emit­tieren immer noch Unmengen an Klimagasen.

Ander­seits erhalten Firmen, die für ihre Produkte den soge­nannten Carbon-Leakage-Status bean­spru­chen, mehr Gratis­zer­ti­fi­kate als solche ohne. Von Carbon-Leakage spricht man dann, wenn die Klima­gas­emis­sionen wegen hoher Abgaben, Steuern oder anderen Klima­schutz­mass­nahmen in ein anderes Land verla­gert werden, in dem es billiger ist, CO2 zu emittieren. 

In der Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 mussten alle Schweizer EHS-Firmen zusammen 39 Millionen Zerti­fi­kate abgeben. Vom BAFU wurden 38 Millionen Zerti­fi­kate gratis verteilt. Viele Schweizer EHS-Firmen haben deshalb eine beträcht­liche Menge EHS-Zerti­fi­kate beisei­te­legen können. Diese Reser­ve­bil­dung schwächt die Wirkung des EHS-Konzepts ab.

Wie kommen die EHS-Firmen zu den rest­li­chen Zertifikaten?

Einer­seits führt das BAFU regel­mässig Verstei­ge­rungen durch. Ande­rer­seits handeln die EHS-Firmen sowie andere am CO2-Markt inter­es­sierte Akteur*innen unter­ein­ander mit den Emis­si­ons­rechten. Dieser Handel läuft über mehrere Ener­gie­börsen – zum Beispiel über die Euro­pean Energy Exch­ange (EEX) mit Sitz in Leipzig.

Verknüpft mit dem euro­päi­schen EHS und trotzdem anders. Wie geht das?

Seit dem 1. Januar 2020 ist das Schweizer EHS mit dem euro­päi­schen EHS verknüpft. Deshalb gelten in beiden Systemen grund­sätz­lich dieselben Regeln. Da diese EHS-Regeln aber in eine natio­nale Klima­ge­setz­ge­bung einge­bettet sind, bedeutet die Teil­nahme am EHS für eine euro­päi­sche Firma trotzdem nicht zu hundert Prozent dasselbe wie für eine Schweizer Firma. Ein Beispiel: Anders als in den meisten EU-Ländern bezahlen die Firmen, die nicht im EHS sind, in der Schweiz auf fossile Brenn­stoffe eine CO2-Lenkungs­ab­gabe. Diese liegt momentan bei 120 Franken pro Tonne CO2.

Diese Lenkungs­ab­gabe wird gröss­ten­teils an die Schweizer Bevöl­ke­rung zurück­ver­teilt. Aber auch EHS-Firmen erhalten bei dieser Rück­ver­tei­lung Geld, obwohl sie gar keine CO2-Abgabe bezahlt haben. Diese zusätz­li­chen Einnahmen aus der natio­nalen CO2-Abgabe erhalten euro­päi­sche EHS-Firmen nicht.

Die CO2-Abgabe ist keine Steuer, sondern eine Lenkungs­ab­gabe. Das heisst, das Geld landet nicht beim Staat, sondern wird über zwei sepa­rate Rück­ver­tei­lungs­töpfe an Bevöl­ke­rung und Wirt­schaft zurück­ge­geben – zumin­dest zwei Drittel davon. Die Idee dahinter: Wer weniger Klima­gase verur­sacht, zahlt weniger CO2-Abgabe, bekommt aber nach demselben Mass­stab Abgaben zurück­ver­teilt wie alle anderen – macht unter dem Strich also einen Gewinn. Kurzum: Wer umwelt­freund­lich agiert, wird belohnt. 

Dies gilt jedoch nicht für die EHS-Firmen. Dort endet die CO2-Lenkungs­ab­gabe immer in einem Plus – Klima­freund­lich­keit hin oder her. Denn die betei­ligten Firmen kriegen Geld aus dem CO2-Abga­be­topf zurück, ohne dass sie je etwas einzahlen müssen.

Anstatt dass das Geld von klima­feind­lich zu klima­freund­lich umver­teilt wird, fliesst es von klima­feind­lich zu ultra-klimafeindlich.

Bei den EHS-Firmen entwickelt die CO2-Abgabe also genau den gegen­tei­ligen Effekt als ange­dacht: Anstatt dass das Geld von klima­feind­lich zu klima­freund­lich umver­teilt wird, fliesst es von klima­feind­lich zu ultra-klima­feind­lich. Dass diese Art von Umver­tei­lung dem Klima­schutz nicht förder­lich ist und, wie von der EFK empfohlen, abge­schafft werden sollte, liegt auf der Hand.

Das Schweizer CO2-Gesetz unter­scheidet zwischen Emis­sionen aus Brenn­stoffen wie Erdöl oder Erdgas und Emis­sionen aus Treib­stoffen wie Benzin oder Diesel. Für die Regu­la­tion der Brenn­stoffe gibt es neben dem EHS auch die Instru­mente der CO2-Lenkungs­ab­gabe und der Ziel­ver­ein­ba­rung. Den Emis­sionen aus Treib­stoffen will die Politik über das Instru­ment der Kompen­sa­ti­ons­pflicht einen Preis geben. Diese Kompen­sa­ti­ons­pflicht beschränkt sich jedoch auf Treib­stoffe aus dem Stras­sen­ver­kehr – sprich Diesel und Benzin. Für Kerosin gilt die Kompen­sa­ti­ons­pflicht nicht.

Weshalb sind auf der Seite der Brenn­stoffe mehrere verschie­dene Instru­mente entstanden? Der Haupt­grund: Bei der Einfüh­rung der CO2-Abgabe gab es Bedenken, dass emis­si­ons­in­ten­sive und inter­na­tional tätige Schweizer Konzerne nicht mehr wett­be­werbs­fähig wären, wenn sie eine CO2-Abgabe bezahlen müssen. Deshalb hat der Bund für die Sektoren mit den höch­sten Emis­sionen Spezi­al­lö­sungen entworfen. Die dama­lige Diskus­sion lässt sich in dieser SRF-Sendung aus dem Jahr 1995 nachschauen.

Wahr­schein­lich noch mehr Millionen

„Das Bundesamt für Umwelt hat unsere Empfeh­lung damals eigent­lich gut aufge­nommen“, sagt Rickli im Gespräch mit das Lamm. Aber im Laufe des Gesetz­ge­bungs­pro­zesses ist der Vorschlag der EFK vom Parla­ment wieder gekippt worden. Und das, obwohl die Einschät­zung der Expert*innen mögli­cher­weise sogar ein Under­state­ment war.

Denn die 15.7 Millionen, die von 2013 bis 2020 zu den klima­schäd­lich­sten Firmen flossen, berech­neten Sangra und Rickli mit einer CO2-Abgabe von 84 Franken pro Tonne Treib­hausgas. 2018 stieg die Abgabe jedoch auf 96 Franken. „Mit der Erhö­hung der CO2-Abgabe steigt ja auch der Betrag, den die Firmen zurück­er­halten“, erklärt Rickli. In Tat und Wahr­heit könnte es also noch eine grös­sere Summe gewesen sein, die ohne Gegen­lei­stung an die grössten Klimasünder*innen flossen.

Wie viel es tatsäch­lich war, darüber schweigen sich dieje­nigen, die davon profi­tieren, aus. Der Phar­ma­kon­zern Roche schreibt uns auf Anfrage ledig­lich: „Beträge kommu­ni­zieren wir grund­sätz­lich nicht.“ Und die Verpackungs­pro­du­zentin Model AG: „Dazu machen wir keine Angaben.“ Auch vom Baustoffriesen Holcim erhalten wir nur die Antwort, dass man zur Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe nichts sagen will. 

Viele andere ange­fragte EHS-Konzerne bleiben uns eine Antwort ganz schuldig. Wenn man bedenkt, dass es sich dabei um Firmen handelt, die ohne Gegen­lei­stung von KMUs einbe­zahltes Geld erhalten, wirkt diese Intrans­pa­renz noch dreister. 

Die Rück­ver­tei­lung der CO2-Lenkungs­ab­gabe geschieht propor­tional zur AHV-Lohn­summe. Das führt dazu, dass Firmen mit vielen Ange­stellten von der Lenkungs­ab­gabe viel zurück­er­halten. Einige Firmen haben sich dazu entschieden, das CO2-Geld zu spenden. Und zwar für Klima­schutz­mass­nahmen bei der Klimastif­tung Schweiz. Eine Firma, die beim EHS mitmacht, sucht man hier aber vergebens.

Immerhin ein kleiner Trost im Sinne der Gerech­tig­keit bleibt: „Die EHS-Firmen kriegen im Vergleich zu anderen Konzernen eher wenig Rück­ver­tei­lung.“ Und zwar, weil sie trotz hoher Emis­sionen und Umsätzen nicht so viele Ange­stellte haben, erklärt Experte Sangra. Da die Rück­ver­tei­lung propor­tional zur AHV-Lohn­summe erfolgt, fallen die Beträge kleiner aus als bei arbeits­in­ten­siven Unternehmen.

Dass dies stimmt, zeigt ein einfa­cher Vergleich: Auch die Stadt Zürich bezahlt auf den Verbrauch von Erdöl und Erdgas die CO2-Abgabe und erhält bei der Rück­ver­tei­lung Geld zurück. In der Zeit von 2013 bis 2020 erhielt die Stadt laut Entsor­gung und Recy­cling Zürich (ERZ) auf diesem Weg rund 13.8 Millionen Franken. Also fast gleich viel wie alle EHS-Konzerne zusammen. Denn die Stadt beschäf­tigt rund 30’000 Mitar­bei­tende. Und je höher die totale Lohn­summe ist, desto höher fällt die Rück­ver­tei­lung aus dem Topf der CO2-Abgabe aus.

Trotzdem hat die Rück­ver­tei­lung an die EHS-Konzerne dazu beigetragen, dass von 2013 bis 2020 der Druck, CO2-Emis­sionen zu redu­zieren, kleiner wurde, sagt Rickli. „Das ist und bleibt unschön“, bestä­tigt auch Sangra. Laut ihrem Bericht von 2017 hat das so rück­ver­teilte Geld bei einigen Firmen die Kosten für den Kauf von Emis­si­ons­rechten bis 2020 zu hundert Prozent gedeckt.

Schwache Erklä­rungen aus dem Parlament

Weshalb bevor­teilt die Politik die grössten Klimazerstörer*innen? In einem älteren Beitrag begründet FDP-Natio­nalrat Matthias Jauslin gegen­über das Lamm die Ungleich­be­hand­lung damit, dass die EHS-Firmen viele Arbeits­plätze bieten. Ein offen­kundig schwa­ches Argument.

Auch Mitte-Natio­nalrat Stefan Müller-Alter­matt hat bei den letzten Verhand­lungen rund um das CO2-Gesetz der Rück­ver­tei­lung zuge­stimmt. Im selben Beitrag begründet er dies so: „Das EHS hat mit der CO2-Abgabe nicht viel zu tun. Gewisse Firmen werden aber dazu gezwungen, am EHS teil­zu­nehmen.“ Entspre­chend steht ihnen die Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe genauso zu wie allen anderen Firmen, so Müller-Alter­matt. Nur: Laut Art. 41 der CO2-Verord­nung können alle Betreiber*innen von EHS-Anlagen, die weniger als 25’000 Tonnen CO2 pro Jahr emit­tieren, den EHS mit einem soge­nannten „opt-out“ verlassen. 2021 hatten von den 95 Schweizer EHS-Firmen 68 weniger als 25’000 Tonnen CO2 ausge­stossen und hätten dementspre­chend theo­re­tisch aus dem EHS austreten können. Das taten sie aber nicht.

Die Model AG schreibt uns beispiels­weise, dass sie die Möglich­keit für einen „opt-out“ hätte. „In dem Sinne haben wir frei­willig am EHS teil­ge­nommen“, so die Kartonverpackungsproduzentin. 

Die Konzerne verlassen das EHS also keines­wegs flucht­artig, wenn sich ihnen dafür die Möglich­keit bietet. Wieso auch? Wenn Anlagen oder Firmen die CO2-Kosten unter dem EHS abrechnen, wird ihnen damit nicht etwas aufge­brummt. Im Gegen­teil: Das EHS ist eine finan­zi­elle Erleich­te­rung. Und zwar aus zwei Gründen.

Erstens hat das EHS, anders als von Müller-Alter­matt darge­stellt, durchaus etwas mit der CO2-Abgabe zu tun. Denn wer seine Klima­ko­sten nicht unter dem EHS abrechnen kann, unter­steht auto­ma­tisch der CO2-Abgabe. Und diese ist teurer als die Preise, die im EHS zu berappen sind. Momentan zahlen Unter­nehmen über die CO2-Abgabe 120 Franken pro Tonne Klima­gase. Der CO2-Preis im EHS vari­iert zwar, hat aber den Preis der CO2-Abgabe in den letzten Jahren nie über­schritten. Ende Januar 2023 lag der Preis im EHS bei rund 80.– Franken pro Tonne CO2.

Zwei­tens erhalten Firmen je nach Tätig­keits­be­reich im EHS zusätz­liche staat­liche Unter­stüt­zung in Form von Gratis­zer­ti­fi­katen (Artikel 2). Erkenn­bare Nach­teile entstehen den Firmen durch die Teil­nahme am EHS keine. 

In der aktu­ellen Ausge­stal­tung schafft das Ganze prak­tisch keinen Anreiz, um den CO2-Ausstoss zu redu­zieren. Genauso schreiben es die beiden auch in ihrem Bericht.

Zu viel Luft im System

Bleibt die Frage, ob die zwei Experten der EFK trotz allem noch hinter dem Klima­schutz­in­stru­ment EHS stehen. Beide bejahen. Aber: „Es kommt eben auf die Ausge­stal­tung des Systems an“, sagt Sangra. „In der vergan­genen Handel­s­pe­riode hatte es einfach zu viel Luft im System“, ergänzt Rickli. Sprich: Mit den aktu­ellen Regeln schafft das Ganze prak­tisch keinen Anreiz, um den CO2-Ausstoss zu redu­zieren. Genauso schreiben es die beiden auch in ihrem Bericht.

Einen Punkt betonen die zwei Experten zum Schluss unseres Gesprächs beson­ders: Man muss die 15.7 Millionen Franken auch ins Verhältnis setzen zu anderen Vorzügen, die für EHS-Firmen gelten. Vergli­chen mit den Beträgen, die die Firmen durch den Wegfall der CO2-Abgabe sparen, fielen die 15.7 Millionen nicht so stark ins Gewicht. Oder anders: Den Firmen mit den höch­sten Klima­gas­emis­sionen wurden auch noch ganz andere Beträge geschenkt. Die 15.7 Millionen sind nur das Sahne­häub­chen oben drauf.

Wie viel Geld die EHS-Firmen einge­spart haben, weil sie keine CO2-Abgabe bezahlen mussten und wie viel Geld dem Staat dadurch durch die Lappen ging, das halten wir in unserem näch­sten Artikel für euch bereit. So viel sei gespoi­lert: Es sind einige Milliönchen.

Artikel 3
Klima­um­ver­tei­lung: Von den KMUs zu den Gross­kon­zernen
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Die Recher­chen für diesen Artikel wurden vom Peter Hans Hofschneider-Recher­che­preis für Wissen­schafts- und Medi­zin­jour­na­lismus der Stif­tung Expe­ri­men­telle Biome­dizin unter­stützt. Der Recher­che­preis wird in Zusam­men­ar­beit mit dem Netz­werk Recherche vergeben.


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