Fossile Sack­gasse in Basel

In der Schweiz soll ein Flüs­siggas-Terminal gebaut werden. Ein Blick nach Deutsch­land verdeut­licht, welche klima­po­li­ti­sche Gefahr das Projekt birgt. 
Gasspeicher in Schlieren: Gibt es zu viel davon? (Foto: Patrick Federi/ Unsplash)

Am 25. Dezember 2022 hatte die Sonn­tags­zei­tung von einem „Meilen­stein“ in der Schweizer Ener­gie­ge­schichte zu berichten: Noch in diesem Jahr soll im Indu­strie­ge­biet Schwei­zer­halle in der Nähe von Basel der erste Flüs­siggas-Terminal der Schweiz in Betrieb gehen. 

Der Plan sieht so aus: Verflüs­sigtes Erdgas – häufig LNG (liqui­fied natural gas) genannt – würde in Contai­nern per Zug oder Schiff in Schwei­zer­halle ange­lie­fert und in einer Verdamp­fungs­an­lage wieder in die Gasform zurück­ver­wan­delt werden. Die Schweiz müsste dann nicht mehr ihren gesamten Gasbe­darf über Pipe­lines beziehen und wäre unab­hän­giger gegen­über ihren Nach­barn. Dies sei ein wich­tiger Schritt in Rich­tung Versor­gungs­si­cher­heit, so das Fazit der Sonn­tags­zei­tung. „Denn Gas wird so schnell nicht verschwinden.“

Doch genau darin liegt das klima­po­li­ti­sche Problem. Kritiker*innen monieren, LNG-Infra­struk­turen verzö­gern den Über­gang zu einem emis­si­ons­armen Energiesystem.

Fossiler Ener­gie­clu­ster

LNG ist seit der russi­schen Inva­sion in die Ukraine der neuste Trend auf dem Ener­gie­markt. Als Antwort auf das Gasem­bargo haben die euro­päi­schen Ener­gie­un­ter­nehmen ihre Flüs­sig­gas­ka­pa­zi­täten massiv ausge­baut. Statt Erdgas aus Russ­land zu beziehen, soll der Gasbe­darf nun mass­geb­lich durch LNG aus Qatar und den USA gedeckt werden.

Da die konven­tio­nellen Gasvor­kommen zuneh­mend ausge­schöpft sind, wird viel LNG durch das beson­ders schäd­liche Fracking-Verfahren gewonnen. Beson­ders in Deutsch­land wird der Bau von LNG-Termi­nals seit einem Jahr im Schnell­tempo voran­ge­trieben – trotz scharfer Kritik von Umwelt­ver­bänden und aus der Klimabewegung.

Und jetzt will womög­lich auch die Schweiz mitma­chen. Für die LNG-Pläne in Schwei­zer­halle ist der Gasver­bund Mittel­land (GVM) verant­wort­lich, ein Unter­nehmen, das Erdgas und Biogas impor­tiert, und verschie­dene Ener­gie­un­ter­nehmen im Mittel­land und der Nord­west­schweiz belie­fert. Der GVM möchte bei Schwei­zer­halle einen landes­weit bedeu­tenden „Ener­gie­clu­ster“ aufbauen, war in den Zeitungen zu lesen. Neben dem LNG-Terminal soll in den kommenden drei bis fünf Jahren ein grosser Gasspei­cher gebaut werden. Sechs Prozent des Winter­gas­be­darfs könne darin gemäss Unter­neh­mens­an­gaben aufbe­wahrt werden. Zudem liesse sich das mit dem geplanten Bau eines Gaskraft­werkes im selben Gebiet kombinieren.

Konkre­teres zum LNG-Projekt bei Schwei­zer­halle ist nicht bekannt. Noch hält sich der GVM bedeckt. Ein konkreter Entscheid stehe noch aus, wie der CEO von GVM, Rolf Samer, gegen­über das Lamm bekräf­tigt. Aus der in den Medien kommu­ni­zierten Umschlag­menge von 150 Contai­nern pro Jahr lassen sich keine Rück­schlüsse auf die Grösse der geplanten Anlage ziehen. Denn diese Mass­ein­heit ist weder bran­chen­üb­lich noch wirk­lich aussa­ge­kräftig. Aber schon jetzt drängen sich Fragen auf: Ist dieses Projekt über­haupt mit den Klima­zielen vereinbar? Und über­haupt: Ist LNG die einzige Antwort auf die Energiekrise?

Grünes LNG – eine Zukunftsperspektive?

Auf diese Fragen reagiert der GVM auswei­chend: Das Unter­nehmen prüfte „laufend Möglich­keiten, um die Versor­gungs­si­cher­heit der Schweiz sicher­zu­stellen.“ Wie auch für andere poli­ti­sche und wirt­schaft­liche Akteure in der Schweiz scheint die Versor­gungs­lage wich­tiger als die Klima­krise zu sein.

Das könnte daran liegen, dass der LNG-Terminal aus Sicht des GVM keine rein fossile Infra­struktur darstellt. Am Terminal könne auch Biogas und aus erneu­er­baren Ener­gien erzeugter „grüner“ Wasser­stoff umge­schlagen werden, heisst es auf dem Inter­net­portal CNG-Mobi­lity, ein Projekt der Schweizer Ener­gie­firmen Gaznat und GVM. Dies sei ein wich­tiger Schritt hin zu einer „klima­neu­tralen Industrie“.

In Deutsch­land sind aus der LNG-Branche ähnliche Töne zu hören. Die Termi­nals seien „H2-Ready“, so das Schlag­wort für die Umrüst­bar­keit der Anlagen. Jedoch raten Expert*innen zu grosser Vorsicht. In einer umfang­rei­chen Studie von vergan­genem November äusserte das Fraun­hofer Institut für Inno­va­ti­ons­for­schung ernst zu nehmende Vorbe­halte gegen­über dem Argu­ment der Umrü­stung auf nicht-fossile Energieträger.

Zwar sei sie tech­nisch möglich. Jedoch ist sie mit einem beträcht­li­chen finan­zi­ellen und tech­ni­schen Aufwand verbunden und muss von Anfang an geplant werden. Da die künf­tige Nach­frage nach unter­schied­li­chen Ener­gie­trä­gern unge­wiss bleibt und prak­ti­sche Erfah­rungen bei der Umrü­stung fehlen, bestehe laut den Studienautor*innen die Gefahr, dass die LNG-Infra­struk­turen zu gestran­deten Vermö­gens­werten werden.

Auch bei der Deut­schen Umwelt­hilfe bleibt man skep­tisch. Sascha Boden beschäf­tigt sich dort mit dem Thema LNG. Er beob­achtet, wie in Bezug auf die tech­ni­sche und betriebs­wirt­schaft­liche Umsetz­bar­keit vieles unklar bleibt. Gegen­über das Lamm sagt er: „Noch nie wurde ein LNG-Terminal auf einen Wasser­stoff­ter­minal umge­rü­stet. Es fehlt ganz viel Wissen.“ Offen sei auch, wann eine solche Umrü­stung für die Betreiber betriebs­wirt­schaft­lich über­haupt sinn­voll wird. Momentan ist das wohl nicht der Fall: Denn grüner Wasser­stoff ist teuer und nur in geringen Mengen auf dem Welt­markt erhältlich.

Somit rät Boden zur Vorsicht, was die Umrü­stungs­ver­spre­chen angeht. Man müsse den Firmen ganz genau auf die Finger schauen: „Auf deut­scher Seite ist das nur ein leeres Absichts­ver­spre­chen und nicht mit verpflich­tenden Vorgaben verbunden. Ich wäre sehr skep­tisch, ob der Vorha­ben­träger im Fall von Basel das verbind­lich machen würde.“

Wie der Ener­gie­krise begegnen?

Bleibt das Problem des Ener­gie­man­gels. Der Bau von LNG-Infra­struktur ist aus Sicht der vieler der einzige Weg, um in der neuen geopo­li­ti­schen Lage die Gasnach­frage zu decken.

Auch hier lohnt sich ein Blick nach Deutsch­land. Dort werden nämlich mit den neuen LNG-Infra­struk­turen gerade enorme Über­ka­pa­zi­täten geschaffen. Entgegen den Warnungen „gibt es aktuell gar keine Ener­gie­man­gel­lage“, unter­streicht Boden von der Deut­schen Umwelt­hilfe. Er fordert deshalb von der Bundes­re­gie­rung, sie solle eine neue Ausle­ge­ord­nung vornehmen. Sollte sich trotz der Spar­mass­nahmen und des Ausbaus von erneu­er­baren Ener­gien die Notwen­dig­keit von neuen LNG-Infra­struk­turen ergeben, dann müsste deren Lauf­zeit klar begrenzt werden.

Schliess­lich lässt sich eine Ener­gie­man­gel­lage nicht nur über neue Ange­bote an fossilen Ener­gien beheben. In Anbe­tracht der Klima­ka­ta­strophe muss das gesamte Ener­gie­sy­stem verän­dert werden, kommt das deut­sche Konzept­werk Neue Ökonomie in einer Publi­ka­tion zum Schluss. „Fossile Schnell­schüsse“ wie der Bau von LNG-Termi­nals gelte es zu verhin­dern und das Geld statt­dessen in erneu­er­bare Ener­gien und die Gebäu­de­iso­lie­rung zu inve­stieren. Lasse Thiele, der Autor der Studie, regt im Gespräch mit das Lamm eben­falls dazu an, über den Rückbau von ener­gie­in­ten­siven Indu­strien nach­zu­denken und den lebens­not­wen­digen Ener­gie­be­darf zu prio­ri­sieren. Dagegen sei es sehr bedenk­lich, „dass im Jahr 2023 noch immer fossile Abhän­gig­keiten geschaffen werden“.

Wie aus der fossilen Sack­gasse herausfinden?

Und so bleiben die LNG-Termi­nals vor allem eines: Infra­struk­turen, welche die drin­gend nötige Abkehr von fossilen Ener­gien verzö­gern und damit die Klima­ka­ta­strophe verschärfen. In der Fach­sprache gibt es dazu den Begriff Lock-In: Aufgrund ihrer langen Lauf­zeit und der grossen Inve­sti­tionen blockieren neue fossile Infra­struk­turen den Über­gang zu einem emis­si­ons­armen Energiesystem.

Und trotzdem ist der Wider­stand gegen diese Projekte gar nicht so einfach, wie erneut ein Blick auf das nörd­liche Nach­bar­land zeigt. Zwar gab es verschie­dene Aktionen gegen die LNG-Pläne der Regie­rung. Doch der Umwelt­be­we­gung ist es bisher nicht gelungen, den LNG-Ausbau zu stoppen.

Lasse Thiele führt dies unter anderem auf eine Eigen­schaft von LNG-Infra­struk­turen zurück. „Dadurch, dass das LNG zum Teil mehr­fach um die Welt geschifft wird, bevor es verbraucht wird, ist die Betrof­fen­heit von der Förde­rung und Produk­tion der Energie nicht unmit­telbar ersicht­lich.“ Anders als etwa beim Braun­koh­le­ta­gebau sind die zerstö­re­ri­schen Folgen von LNG weniger bild­ge­waltig. Thiele hofft deshalb, dass es der Klima­be­we­gung noch besser als bisher gelingt, Betrof­fene aus unter­schied­li­chen Regionen zu vernetzen und neben den globalen Auswir­kungen auch die lokalen Folgen solcher Infra­struk­tur­pro­jekte zu thematisieren.

Es scheint, als würde die Schweizer Klima­be­we­gung mit dem Projekt in Schwei­zer­halle vor dieselbe Heraus­for­de­rung gestellt.


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