Stell dir vor: Deine Gynäkologin begegnet dir mit einem missbilligenden Blick, als du ihr von deiner Abtreibung erzählst. Dein Psychologe rät dir, „nochmals zu überdenken“, ob du wirklich homosexuell bist. Oder dein Arzt verweigert dir bei der Geburt deines Kindes eine lokale Betäubung, weil er dich als Schwarze Person für schmerzresistenter hält.
Solche Situationen sind für viele Menschen in der Schweiz bittere Realität. Für sie ist der Gang zur gesundheitlichen Betreuung oft von Scham, Unwohlsein und Leid geprägt. Diese Diskriminierungserfahrungen verhindern, dass alle Menschen die medizinische Versorgung erhalten, die ihnen zusteht.
Geplaper, eine Plattform für persönliche Empfehlungen von Gesundheitsfachpersonen, möchte das ändern. Sie bietet ein schweizweites Verzeichnis von medizinischen Fachkräften, die auf Diskriminierungen sensibilisiert sind. „Geplaper möchte die Empfehlungen von Familie und Freund*innen für alle zugänglich machen, auch für Menschen, die keinen Zugang zu solchen Netzwerken haben“, erklärt Sophia Egli, eine der sieben Betreiber*innen.
Vorurteile und Pseudodiagnosen
Die Relevanz von geplaper zeigt sich nicht nur durch persönliche Erfahrungen, sondern auch in wissenschaftlichen Untersuchungen. Laut der Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz neigen medizinische Fachkräfte dazu, bei Überforderung durch Sprachbarrieren oder kulturelle Unterschiede anzunehmen, dass Patient*innen ihre Symptome übertreiben oder gar simulieren. Um diesen Bias sind etliche Pseudodiagnosen bekannt: Mamma-Mia-Syndrom, Mittelmeersyndrom oder Morbus Balkan.
Studien haben belegt, dass Diskriminierungserfahrungen sowohl psychisch als auch physisch krank machen können. “Man muss sich vor Augen führen, dass viele, die rassistisch diskriminiert werden, nicht einfach einmal eine solche Erfahrung machen, sondern schon ihr ganzes Leben lang”, sagt Renate Bühlmann vom Schweizerischen Roten Kreuz gegenüber Swiss Health Web. “Das ist immer wieder ein Trauma, dessen muss man sich als Gesundheitsfachperson bewusst sein.”
Die Einträge auf geplaper.ch entstehen durch Empfehlungen von Personen, die ähnliche Erfahrungen teilen.
Auch der sogenannte Gender Data Gap erschwert vielen Menschen eine gleichwertige medizinische Behandlung: Häufig gilt der cis-männliche Körper als Standard, während andere Geschlechter in medizinischen Daten unterrepräsentiert sind oder gar ganz fehlen.
Von der Community empfohlen
Geplaper basiert auf einem sogenannten Peer-to-Peer-Ansatz: Die Einträge auf der Website geplaper.ch stammen aus der Community der Nutzer*innen, wobei Menschen mit ähnlichen Lebensrealitäten ihre Empfehlungen teilen, um anderen den Zugang zu fairer Gesundheitsversorgung zu erleichtern. “Je mehr Menschen ihre Empfehlungen abgeben, desto nützlicher wird das Verzeichnis”, sagt Sophia Egli.
Die Suchresultate lassen sich entlang Kategorien wie “queerfreundlich”, “antirassistisch” oder “barrierearm” filtern und zeigen, welche Personengruppen eine medizinische Fachkraft empfohlen haben. Um sicherzustellen, dass die Empfehlungen einerseits verlässlich sind und andererseits tatsächlich von Betroffenen und nicht von den Dienstleistenden selbst stammen, prüft das Team jeden Eintrag sorgfältig, wie die Betreiber*innen versichern.
Das Bedürfnis nach diskriminierungsfreier medizinischer Behandlung ist gross.
Negative Erfahrungen mit Gesundheitsfachpersonal sind auf geplaper selbst zwar nicht sichtbar, doch Nutzer*innen können sich an eine der vielen Anlauf- und Beratungsstellen wenden, die auf der Website aufgelistet sind, um Unterstützung zu erhalten. Diese Stellen – von geplaper auch Kompliz*innen genannt – reichen von Testzentren für sexuell übertragbare Krankheiten wie die Aids Hilfe Schweiz und Check-Point, über Anlaufstellen für Gewaltbetroffene wie brava bis hin zu Hilfsangeboten für Personen ohne Papiere wie Santé Sans-Papiers.
“Ausserdem kann man uns melden, wenn man bei einer aufgelisteten Fachperson schlechte Erfahrungen gemacht hat”, so Egli. “Dann schränken wir die Empfehlung ein oder löschen die Fachperson aus unserem Verzeichnis.”
Wissen und Erfahrungen teilen
Das Basler Start-up wurde im Herbst 2023 über ein Crowdfunding initiiert und ist als Kollektiv organisiert – es gibt also keine Chef*innen und wichtige Entscheidungen treffen alle gemeinsam. Der Name geplaper setzt sich aus den Begriffen Gesundheit, Plattform und persönlich zusammen – den zentralen Werten des Projekts. Er ist aber auch eine feministische Wiederaneignung des abwertenden Begriffs “plappern”. Für die Verantwortlichen bedeutet das: das Teilen von Wissen und Erfahrungen unter Patient*innen.
Das Team hinter geplaper besteht aus Personen mit verschiedenen Erfahrungen: Einige arbeiten selbst in Gesundheitsberufen, andere setzen sich auf theoretischer Ebene mit Gesundheit und Gleichstellung auseinander oder sind im Kulturbereich tätig. Die Erfahrung der letzteren mit Stiftungsanträgen ist notwendig. Denn obwohl die Arbeit bei geplaper ehrenamtlich ist, sind die Betreiber*innen der Website auf Spendengelder angewiesen. Sei es, um die Seite zu unterhalten oder damit das Kollektiv zukünftig mehr in Bildungsarbeit investieren kann. “Die Vielfalt der Menschen wird im Gesundheitswesen, in der Forschung und der medizinischen Lehre noch immer nicht ausreichend berücksichtigt”, so die Begründung von Egli.
Die Plattform lebt vom Engagement einer grossen Community.
Das Bedürfnis nach diskriminierungsfreier medizinischer Behandlung zeigt sich auch in den Nutzer*innenzahlen: Über 5000 Personen haben die Plattform seit der Lancierung Ende Juni 2024 besucht. Bislang wurden bereits mehr als 100 Fachpersonen empfohlen und die Zahl wächst mit der zunehmenden Bekanntheit kontinuierlich – alle zwei bis drei Tage kommt eine neue Empfehlung hinzu.
Für eine gerechte Gesundheitsversorgung
Die Betreiber*innen von geplaper wollen nicht nur eine Lücke füllen, sondern sie fordern ein grundlegendes Umdenken im Gesundheitswesen: Weg vom Profitinteresse, hin zu einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung, die für alle zugänglich und erschwinglich ist. “Eigentlich ist es eine Katastrophe, dass es uns braucht”, sagt Egli, die ausserhalb des Kollektivs als Ärztin arbeitet. “Wir hoffen, das staatliche Gesundheitssystem mitzuziehen, damit ein Angebot wie geplaper irgendwann institutionalisiert und entlohnt wird.”
Um den strukturellen Rassismus zu bekämpfen, strebt das Kollektiv an, dass Fachpersonen sich vermehrt auch mit ihren eigenen diskriminierenden Denkmustern auseinandersetzen. Dazu möchten die Betreiber*innen Infomaterial auf ihrer Website integrieren. Denn auch unter dem Medizinpersonal stehen Diskriminierungen und Machtmissbrauch an der Tagesordnung.
In Zukunft will das Kollektiv auch auf verschiedene Communities zugehen, um gemeinsam an geplaper weiterzuarbeiten, damit möglichst viele Perspektiven und Erfahrungen einen Platz finden. Durch die Mithilfe vieler könnte eine gerechte Gesundheitsversorgung für alle ein Stück näher rücken.
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