Oh wie habe ich sie gehasst, die Monopoly-Runden mit meinem fanatischen Bruder, der sich garantiert immer den Paradeplatz unter den Nagel reissen konnte, meiner nach allen Regeln der Kunst bescheissenden Schwester und einer Mutter, der diese Unfairness recht egal war. Ich bin kein Mensch, der begeistert einen ‚Jass chlopft‘. Trotzdem habe ich mich dazu hinreissen lassen, einen ganzen Morgen lang ein Gesellschaftsspiel zu spielen. Aber ich sagte mir, wenn sich Greenpeace, WWF und der Botschafter von Kamerun, die allesamt bestimmt besseres zu tun hätten als ich, die Ehre geben, dann kann ich auch das Lamm an dieser Spielrunde vertreten. Ausserdem würde es um Palmöl gehen. Mein Interesse war geweckt.
Smallholder Nr. 3 spuckt dem Botschafter Kaffee vor die Füsse
Ich bereue meine Zusagen ziemlich schnell: Während sich rechts die Vertretung des Luc-Hoffman-Institutes, eines WWF-Ablegers, neben mich setzt, nimmt zu meiner Linken der kamerunische Botschafter Platz. Das Problem: Er will plaudern. Auf Französisch. Ich nehme einen grossen Schluck Kaffee gegen den Stress, verbrenne mich und pruste den Cappuccino dem Herrn Botschafter fast aufs blütenweisse Hemd. Er findet das lustig, ich nicht so sehr. Zum Glück geht das Spiel gleich los. Mein Französisch ist wirklich sehr eingerostet.
Das Spiel, entwickelt von ETH-ForscherInnen, heisst OPAL und simuliert eine Palmöl-Lieferkette in Kamerun. Wir sind 18 SpielerInnen und ungefähr 9 SpielleiterInnen, die sich an diesem Morgen im wohl schönsten Sitzungszimmer der ETH, hoch oben im Turm des CHN-Gebäude mit Blick über ganz Zürich, versammeln.
Wir werden auf zwei ‚ Täler‘ verteilt, zwischen denen es keine Kommunikation gibt, sprich es sind eigentlich zwei getrennte Spiele. In jedem Tal gibt es einen Grossbauern, einen mittelgrossen Bauern und fünf Kleinbauern. Meine Wenigkeit gehört zu letzteren: Ich bin Smallholder Nr. 3. Zudem werden je zwei SpielerInnen zu einer industriellen Mühle zusammengetan. Und je zwei SpielleiterInnen schmeissen die lokale Dorfmühle.
Was ich nun tun soll? Gute Frage. Ein eigentliches Ziel bekommen wir nicht vorgegeben, aber überleben ist sicher ein guter Ansatzpunkt: Jeder Spieler, jede Spielerin hat eine ID-Karte, auf der die halbjährlichen Lebenskosten der Familie vorgegeben sind. Diese Kosten müssen wir einmal nach den drei Hochsaison-Runden und einmal nach der Nebensaison-Runde zahlen, aus denen ein ‚Jahr‘ besteht.
Nach der Ernte gibt es zwei Optionen: Die lokale Mühle oder die städtische, ‚industrial‘ Mühle. Gewisse NGO-VertreterInnen an meinem Tisch schnauben schon beim Wort‚industrial‘. Das kann ja heiter werden. Die lokale Mühle zahlt einen zu Beginn der Saison festgelegten Preis. Die industrielle Mühle in der Stadt zu beliefern ist natürlich nur mit einem Truck möglich, auch wenn ich sie von meinem Platz aus berühren kann. Realitätsnah: Wieviel die industrielle Mühle zahlt, ist den SpielerInnen, die diese leiten, selbst überlassen.
Mehr wird uns nicht erklärt. Die kamerunischen Bauern seien ja auch nur mässig informiert und das Leben ohnehin voller Überraschungen. Meine Hände werden immer schwitziger.
Aber ich bin nicht die einzige. Ich fange einige ratlose Blicke auf. Man merkt: Auch für Leute, die sich viel mit Palmöl beschäftigt haben, ist das eine ungewohnte Situation. Später wird mit der Leiter der Forschungsgruppe sagen, dass das unter anderem ein Ziel des Spiels ist: Die Leute aus ihren gewohnten Rollen mit den gewohnten Standpunkten und schon gebildeten Meinungen reissen. Wird ihm das gelingen? Werden die NGO-VertreterInnen bald zu gierigen KapitalistInnen?
Jahr 1 oder The struggle is real
In meinem Selbstbild als sehr mässige Spielerin werde ich schon am Ende der ersten Runde bestätigt: Ich stehe kurz vor dem Konkurs. Zwar habe ich bei der Lieferung einen Vertrag mit der industriellen Mühle unterzeichnet, aber dafür noch kein Bargeld erhalten. Denn so funktioniert das in der industriellen Mühle: Vertrag bei Lieferung, Bargeld irgendwann später. Vielleicht sollte ich mich doch den schnaubenden NGO-VertreterInnen anschliessen.
Ein weiteres Problem: Meine Lebenshaltungskosten muss ich zahlen, bevor ich Bares sehe. Ein kurzer Check meines Kontostandes ergibt, dass das unmöglich ist. Mich erfasst Panik. Ich will nicht, dass meine Kinder verhungern. Vor allem nicht bereits in Runde 1. Auch wenn es ‚lediglich‘ fiktive Kinder sind. Doch Rettung naht. Die Spielleitung eröffnet eine Bank, die sich bereit erklärt, meine Verträge gegen Cash aufzukaufen. Natürlich deutlich unter deren Wert. Schweine.
Doch es gäbe noch eine andere Option. Bei Ivo, dem Grossbauern von gegenüber, stapelt sich das Geld (ich bin sicher, wenn mein Bruder hier wäre, wäre er der Grossbauer). Die Stapel reichen gut, um seine Kinder zu ernähren. Neidisch denke ich an all die Festmahle, die er wohl schmeisst und zu denen ich nie eingeladen war. Ich besinne mich, dass das Spiel keine Möglichkeit zu Einladungen zu Festmahlen vorsieht und dass sich mein Neid auf Monopoly-Geld bezieht. Ich schiebe meinen Stolz zur Seite und bitte Ivo um Geld. Ivo ist ein netter Grossbauer: Er gibt mir ein Darlehen, das mich deutlich billiger zu stehen kommt als ein Deal mit der Bank. Ich bin Ivo dankbar, denn meine fiktiven Kinder verdanken ihm ihr Leben — oder zumindest ihre Ausbildung.
Die Mitglieder der Forschungsgruppe tigern um uns herum, belauschen uns und kritzeln hektisch in ihre Notizbücher, intervenieren aber nie. Uns dämmert langsam, dass wir uns hier nicht an ein Regelbüchlein halten müssen und diese Erkenntnis erhöht den Spassfaktor — zumindest bei mir persönlich — deutlich.
Unvorhersehbarkeit nervt
Wir haben Lehrgeld gezahlt, doch jetzt, in der zweiten Runde, verstehen wir ungefähr, wie das Ganze funktioniert. Glauben wir zumindest. Ich teile mir mit Kamerun, das übrigens den mittelgrossen Bauern repräsentiert und ständig auf einem riesigen Taschenrechner herum tippt, die Miete für einen Truck. Gemeinsam machen wir uns auf den weiten Weg zur industriellen Mühle. Aber wir haben uns verspekuliert. Die industrielle Mühle zahlt jetzt zu wenig, als dass wir damit unsere Transportkosten decken könnten. Die lokale Mühle wäre wohl klüger gewesen.
Kamerun beschwert sich bei den BesitzerInnen der Mühle. Aus den verständnislosen Blicken, die er erntet, schliesse ich, dass ich nicht die einzige mit mässigem Französisch bin. Empört nehmen wir den Verlust hin, etwas anderes bleibt uns nicht wirklich übrig.
Um Französisch zu lernen bleibt keine Zeit. Schon stellt sich das nächste Problem: Plötzlich wollen natürlich alle an die lokale Mühle liefern, die leider aber nur eine beschränkte Kapazität hat. Unsere Verhandlungen, wer wo liefern darf, arten in Geschrei aus. Wir schaffen es gerade so, als Dorf genug sozial zu sein, um Smallholder Nr. 2/Luc-Hoffmann-Institut, der absolut pleite ist und es deshalb aus eigener Kraft gar nicht in die Stadt schaffen kann, den Vortritt zu lassen. Danach heisst es Anarchie, dä schnäller isch de gschwinder. Und weil bei Nichtauslieferung die Früchte verderben und die Uhr tickt — pro Runde haben wir nur drei Minuten Zeit -, rennen einfach alle in Panik zu einer Mühle. Meine Laune steigt beim Anblick von Menschen im Anzug, die zu einer imaginären Mühle rennen, damit ihre imaginären Früchte nicht schlecht werden. Was nicht heisst, dass ich nicht auch ein bisschen schubse, um schneller da zu sein.
Kaum ist dieses Unheil abgewendet, liegt uns auch noch die second industry, repräsentiert vom Spielleiter Claude Garcia, in den Ohren, dass wir nicht genug effizient produzieren. Soll doch die verdammte second industry meine Kinder füttern.
Spielen für die Verständigung
Claude Garcia/Spielleiter/second industry leitet die zuständige Forschungsgruppe an der ETH. Er ist Anfang vierzig, halb Spanier, halb Franzose, und sein Englisch ist entsprechend schwer verständlich. Viel Charisma und wohl der eine oder andere Kommunikationsworkshop machen ihn trotzdem zu einem guten Redner. Er trägt Jeans zum V‑Ausschnitts-Pulli und man merkt schnell, dass er seine Spiele liebt. „You are here because we believe that you have knowledge and ideas that we don’t have. And we want to know about them“, begrüsste er uns.
Das Spiel soll Palmöl weder verteufeln noch anpreisen. Garcia will mit dem Spiel besser verstehen, was die Bauern beschäftigt und welche Massnahmen bei ihnen zu welchen Handlungen führen. Und im Fall von heute will er, dass die Schweizer Parteien, zumindest diejenigen, die gekommen sind, einmal von einem anderen Sichtpunkt aus agieren und sich mit den Herausforderungen, wie sie von den tatsächlichen Bauern beschrieben werden, auseinandersetzen. Und er möchte wissen, wie wir diese Situation verändern würden.
Düngen ist böse, Abholzen ist böser
Das dritte Jahre hält plötzlich eine ganz neue Möglichkeit bereit, die Hoffnung und viel Zwietracht sät: Dünger! Die Greenpeace-Vertreterin, ihrerseits Smallholder Nr. 1, versucht sich verzweifelt Gehör zu verschaffen. Dünger sei böse, niemand solle Dünger kaufen. Ivo, dem Grossbauern von gegenüber, ist das egal. Ivo hat genug Cash, also kauft Ivo Dünger. Ich werfe ein, dass wir ja nicht wissen, welche Art Dünger es ist. Vielleicht handelt es sich um einen weniger ‚bösen‘ organischen Dünger. Smallholder Nr. 1 ignoriert mich. Kamerun findet Dünger zwar eine gute Idee, aber in diesem Fall zu teuer. Aus meiner Perspektive als Bauer muss ich ihm mit Blick auf mein Konto und mit Gedanken an meine Kinder beipflichten. Ich kann mir keinen Dünger leisten, zumindest noch nicht. Ivo ist momentan der einzige, der düngt und dafür verächtlichen Blicke von Smallholder Nr. 1 erntet. Ivo ist das egal, Ivo ist damit beschäftigt, sein Geld zu zählen.
Dann kommt im Spiel die Option hinzu, Regenwald abzuholzen, und jetzt ist natürlich die Hölle los. Die Greenpeace-Vertretung/Smallholder Nr. 1 wird kreideweiss im Gesicht und versucht ein Dorfmeeting abzuhalten. Als das misslingt, verlangt sie eine Audienz beim Umweltministerium. Garcia macht sich kurzerhand selbst zum Minister und stimmt einem Treffen zu. Smallholder Nr. 1 will Ausgleichszahlungen, damit wir darauf verzichten, abzuholzen. Das Umweltministerium entgegnet, es sei leider pleite. Diskussion beendet. Greenpeace/Smallholder Nr. 1 kommt frustriert zurück ins Dorf.
Währenddessen versucht Ivo bei der Industrie herauszufinden, wie teuer ihn das Abholzen zu stehen kommt. Die meisten anderen von uns überlegen noch, was wir jetzt mit dieser Information anstellen, als die Runde schon vorbei ist. Ivo war nicht erfolgreich in seinen Verhandlungen und alle anderen waren nicht organisiert genug, überhaupt solche zu starten. Dass bei uns der Regenwald stehen bleibt, ist also vor allem dem Zeitdruck zu verdanken. Nicht so im anderen ‚Tal‘. Da hat es jemand geschafft, Platz für ein weiteres Feld zu gewinnen, eben dort, wo einst Regenwald stand.
Ich überlege, ob die Spielmaster eingegriffen hätten, wenn ich mir den Regenwald einfach genommen hätte. Meine bisherigen Erfahrungen mit dem Spiel lassen mich auf nein tippen. Ich bereue ein wenig, dass ich das unterlassen habe. Natürlich bin ich eigentlich gegen Regenwaldabholzung. Aber jetzt gerade bin ich Smallholder Nr. 3, und Smallholder Nr. 3 hat eine Runde lang schlecht gewirtschaftet und ist dadurch wieder einmal in Geldnot. Leider gibt es keine weitere Runde, in der ich mir Regenwald schnappen könnte, denn das Spiel wird an diesem Punkt abgebrochen.
Debriefing
Etwas frustriert sind wir wohl alle. Kaum jemand, der im Debriefing nicht einwirft, es sei zu wenig Zeit für Diskussionen gelassen worden. Der Gruppenleiter Claude Garcia wiederholt mantramässig, das Modell solle die Hauptsorgen der kamerunischen Bauern aufgreifen, mit denen das Spiel übrigens entwickelt wurde, und die stehen nun einmal unter Druck.
Ich finde auch, dass wir zu wenig Zeit hatten, aber mehr im Sinne von Runden. Das Spiel wird gewöhnlich auch über einen ganzen Tag gespielt, was wohl aufschlussreicher wäre.
Eine Kritik die auch immer wieder aufkommt: Das Spiel biete zu wenig Anreize zu umweltfreundlichem Handeln. Diese Kritik leuchtet mir nicht ganz ein. Also, eigentlich schon — bloss ist das korrekterweise Kritik an der tatsächlichen Situation, die das Spiel ja abbilden will, und nicht am Spiel selbst.
Wenn sich ein Raum voller WesteuropäerInnen ernsthaft darüber ärgert, dass man als Bauern den Preisschwankungen der Mühlen ausgesetzt und ständig im Stress ist, weil die Kinder hungern und deshalb leider keine Dorfmeetings zum Regenwaldschutz abhalten kann, dann ist wahrscheinlich schon mal etwas erreicht. Wenn dann aber die Schuld daran dem Spiel gegeben wird, kann es sein, dass der entscheidende Punkt nicht ganz angekommen ist.
Das Mass an Undifferenziertheit einiger dieser sehr gebildeten und informierten Menschen erstaunt mich. Man hat das Gefühl, sie sind gekommen um ihre bereits gemachte Meinung zu Palmöl aufsagen zu dürfen. Und sie sind trotzig, dass sie das (noch) nicht durften. Die Leute aus ihren angestammten Rollen zu reissen ist wohl schwieriger, als ich mir gedacht hatte.
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