Ände­rung des Geschlechts­ein­trags: Gleich­stel­lung für 75 Franken – schön wärs!

Ende Oktober hat der Bundesrat entschieden: Ab 1. Januar 2022 ist für trans Personen eine unbü­ro­kra­ti­sche Anpas­sung des Geschlechts­ein­trags möglich. Diese für die Schweiz ziem­lich progres­sive Entschei­dung trifft jedoch nicht nur auf Zuspruch. 
Geschlechtseintrag ändern, nur um die Wehrpflicht zu umgehen? Das erscheint einigen als ein naheliegendes Szenario (Foto: Simon Infanger / Unsplash)

„Die Erklä­rung kann von jeder Person abge­geben werden, die inner­lich fest davon über­zeugt ist, nicht dem im Perso­nen­stands­re­gi­ster einge­tra­genen Geschlecht zuzu­ge­hören“, verkün­dete der Bundesrat seinen Entschluss zur verein­fachten Anpas­sung des Geschlechts­ein­trags, welche ab Januar 2022 in Kraft tritt. Dieses Verfahren macht den bisher schweren Weg zur korrekten amtli­chen Regi­strie­rung über eine medi­zi­ni­sche Abklä­rung und einen rich­ter­li­chen Entscheid obsolet.

Bis im Jahr 2017 noch zwangen die Schweizer Gerichte trans Menschen zu opera­tiven Steri­li­sa­tionen und Hormon­be­hand­lungen, um einen passenden Geschlechts­ein­trag erhalten zu können. Mit dem ab Januar in Kraft tretenden Beschluss fällt auch die Bestä­ti­gung einer medi­zi­ni­schen Fach­person weg, die bisher nötig war. Für die sonst lang­same, büro­kra­ti­sche Schweiz ist das ein erstaun­lich progres­siver Schritt.

Absurde Befürch­tungen

Einige Stimmen aller­dings, darunter SVP-Stän­derat Werner Salz­mann, wittern hinter dem bundes­rät­li­chen Beschluss ein Schlupf­loch für Männer, die sich dem Mili­tär­dienst verwei­gern oder früher in Rente wollen. „Bald kann sich jeder für 75 Franken vom Mili­tär­dienst befreien lassen“, titelte die 20 Minuten kürz­lich (und änderte den Online-Titel kurz darauf wieder). Es ist leider nicht der einzige trans­phobe Bericht von 20 Minuten in letzter Zeit. Die Annahme in diesem Artikel: Durch das neue Gesetz würden cis Personen je nach Lust und Laune ihren Geschlechts­ein­trag ändern und damit geschlechts­spe­zi­fi­schen recht­li­chen Unter­schieden bequem aus dem Weg gehen.

Diese Annahme ist nicht nur trans­phob, weil sie trans Menschen unter Gene­ral­ver­dacht stellt, eigent­lich trick­sende cis Menschen zu sein, sie zeugt auch von Igno­ranz gegen­über den prekären Lebens­rea­li­täten von trans Menschen.

Die Kritik setzt ausserdem am falschen Punkt an, da sie nicht die zugrun­de­liege Proble­matik bemän­gelt. Wenn es tatsäch­lich so reiz­voll sein sollte, den Geschlechts­ein­trag zur Umge­hung der Wehr­pflicht zu ändern – dann sollten wir darüber spre­chen, wie sinn­voll diese Wehr­pflicht an sich über­haupt ist. 

Zwar begrüsse der SVP-Stän­derat Salz­mann einen höheren Anteil Frauen im Militär, da diese „dort ihre Fähig­keiten mit einbringen“ und bestimmt „enorm von der tech­ni­schen Ausbil­dung profi­tieren“ könnten. Eine obli­ga­to­ri­sche Dienst­pflicht für Frauen lehne er aber ab. Denn das könne dazu führen, befürchtet Salz­mann, „dass dann einfach weniger Männer ins Militär einrücken“.

Dass es für einen SVP-Poli­tiker und Oberst im Schweizer Militär keine Option ist, die Mili­tär­pflicht gänz­lich abzu­schaffen, liegt auf der Hand. Dass es für jemanden, der Angst davor hat, einige Kandi­daten fürs Militär poten­ziell zu verlieren, aber keine Option ist, die Dienst­pflicht auch auf Frauen auszu­weiten, ist schlicht sexistisch.

Was übri­gens auch sexi­stisch ist: Der Grund, weshalb Frauen in erster Linie vom Mili­tär­dienst ausge­schlossen wurden. Laut dem Schweizer Bundes­ge­richt nämlich, weil Frauen „aufgrund physio­lo­gi­scher und biolo­gi­scher Unter­schiede“ weniger dafür geeignet seien. Dass es unsinnig ist, diese Unter­schei­dung anhand der ange­nom­menen Geni­ta­lien und nicht anhand der tatsäch­li­chen Physio­logie fest­zu­stellen, muss an dieser Stelle nicht gesagt werden. Hinzu kommt, dass die Wehr­pflicht nie nur eine Pflicht war, sondern histo­risch mit dem Wahl­recht verknüpft ist – und somit den Ausschluss der Frauen aus dieser Sphäre lange mitlegitimierte.

Salz­manns Befürch­tungen, dass das Militär unat­trak­tiver werde, sind jedoch berech­tigt: Immer mehr junge Menschen bevor­zugen den Zivil­dienst gegen­über dem Mili­tär­dienst. Die Armee hat schon lange einen schlechten Ruf bei der jungen Gene­ra­tion, weil sie im Mili­tär­dienst keinen Sinn erkennen. Für diese Entwick­lung braucht es keine Gesetzesänderungen.

Für 75 Franken an die Spitze

„Das Geschlecht darf im Schweizer Recht keine Rolle spielen“, sagt auch FDP-Stän­derat Andrea Caroni gegen­über 20 Minuten. Überall dort, wo es einen recht­li­chen Unter­schied zwischen den Geschlech­tern gäbe, könnte die neue Gesetz­ge­bung zu Kompli­ka­tionen führen. Das stimmt einer­seits, doch ganz so einfach ist es nicht: Denn vor dem Gesetz gleich zu sein und tatsäch­liche gesell­schaft­liche Gleich­stel­lung zu erfahren, sind zwei unter­schied­liche Dinge.


Wie schön wäre es, wenn Frauen, non-binäre und trans Personen einfach 75 Franken zahlen könnten, um gesell­schaft­lich gleich­ge­stellt zu sein. Ein paar Scheine und – schwups – sind die Lohn­dis­kri­mi­nie­rung, die Gewalt, die fehlende Reprä­sen­ta­tion und die unbe­zahlte Kinder- und Haus­ar­beit passé. Dass gerade Männer, die immer noch die Spitze der gesell­schaft­li­chen Ordnung besetzen, mit einer Korrektur ihres Geschlechts­ein­trages diese Privi­le­gien aufs Spiel setzen würden, ist dagegen doch recht unwahrscheinlich.


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