Sachbuch: CO2-Ausstoß zum Nulltarif
Auf der Grundlage dieser Artikelserie ist ein Sachbuch entstanden, welches am 18.02.2024 beim Rotpunktverlag in Zürich erschienen ist. Das Buch „CO2-Ausstoß zum Nulltarif – Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon profitiert“ ist bei uns im Shop oder in der Buchfiliale deines Vertrauens erhältlich.
In Kürze
- In der letzten EHS-Handelsperiode (2013 – 2020) entgingen dem Staat insgesamt rund 2.9 Milliarden Franken an Einnahmen aus der CO2-Abgabe.
- Zudem erhielten einige der klimaschädlichsten Firmen Emissionsrechte geschenkt, die mit dem heutigen Zertifikatspreis 361 Millionen Franken wert sind.
- Das Lamm hat berechnet, welche Firmen durch das EHS in den letzten Jahren wie viel eingespart haben. Es sind Zahlen, die so noch nie zuvor veröffentlicht wurden.
- So wie das System in der vergangenen Handelsperiode ausgestalten war, war es vor allem eines: eine millionenschwere Subventionierungsmaschine für emissionsstarke Unternehmen.
Recherchen von das Lamm zeigen: Von 2013 bis 2020 hat der Baustoffriese Holcim schätzungsweise 1.8 Millionen Franken für seine Klimagasemissionen bezahlt. Würden für Holcim dieselben Regeln gelten wie für dich und mich hätte Holcim jedoch 833 Millionen hinblättern müssen. Das Fazit: Zwar ist es in der Schweiz nicht mehr kostenlos, das Klima zu belasten – aber nicht alle zahlen denselben Preis.
Während eine Dose Cola, eine Flasche Olivenöl oder ein Liter Hafermilch für alle gleich viel kostet, zahlen die einen mehr und die anderen weniger für eine Tonne CO2. Ein paar Dutzend Firmen profitieren ganz besonders. Schuld daran ist das Emissionshandelssystem, kurz: EHS.
Das Lamm hat berechnet, welche Firmen durch das EHS in den letzten Jahren wie viel eingespart haben. Zahlen, die so noch nie zuvor veröffentlicht wurden.
Firmen, die ihre Klimakosten unter dem Emissionshandelssystem abrechnen dürfen, bezahlen keine CO2-Abgabe. Stattdessen müssen sie für jede ausgestossene Tonne CO2 ein entsprechendes Zertifikat erwerben. Diese Zertifikate sind nichts anderes als Emissionsrechte. Dabei gibt es nur eine bestimmte Menge an Zertifikaten und diese Menge, der sogenannte Cap, wird schrittweise gesenkt. Diese Verknappung soll den Preis der Zertifikate erhöhen.
Die Firmen können die Zertifikate auf zwei Arten beziehen: Entweder sie erwerben sie käuflich oder sie bekommen sie geschenkt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verteilt jedes Jahr eine grosse Menge an Gratiszertifikaten an die Schweizer EHS-Firmen, um zu verhindern, dass sie ihre Emissionen ins Ausland verlagern.
Zeitlich ist das EHS in mehrjährigen Handelsperioden mit mehr oder weniger gleichbleibenden Regeln organisiert. Die letzte Handelsperiode lief von 2013 bis 2020.
Wichtig: Die Zertifikate im Emissionshandelssystem sind nicht an Projekte gekoppelt, die der Atmosphäre Klimagase entziehen, wie man das zum Beispiel von Kompensationen für Flugreisen kennt. Bei diesen freiwilligen Kompensationszahlungen spricht man zwar oft auch von “Zertifikaten”, diese haben aber nichts mit dem EHS zu tun.
Wer darf beim EHS mitmachen?
Grundsätzlich sind im EHS Firmen aus den Branchen mit den höchsten Treibhausgasemissionen vertreten. Dabei gibt es solche, die beim EHS mitmachen „müssen“, weil sie im Anhang 6 der CO2-Verordnung stehen. Auf dieser Liste sind beispielsweise die Metall- oder die Zementindustrie. Dieses „müssen“ kann jedoch zu Missverständnissen führen. Denn die Firmen werden hier zu etwas gezwungen, das ihnen bis jetzt vor allem Vorteile verschafft hat.
Zusätzlich gibt es Branchen, die freiwillig beim EHS mitmachen können. Diese stehen im Anhang 7 der CO2-Verordnung. Hier befinden sich zum Beispiel die Chemie‑, die Papier- oder die Holzindustrie. Kurzum: Im EHS versammeln sich die Grosskonzerne aus der Energieproduktion und der Schwerindustrie.
Der überwiegende Teil der Schweizer Firmen darf aber nicht am EHS teilnehmen. Diese zahlen stattdessen für jede Tonne Klimagase eine CO2-Abgabe von 120.– Franken.
Im EHS registriert werden genau genommen nicht die Firmen selbst, sondern die verschiedenen Industrieanlagen der Firmen – also ein Zementwerk, ein Stahlwerk oder ein Heizwerk. Deshalb kann eine Firma auch mit mehreren Standorten im EHS vertreten sein.
Wie wird bestimmt, wer wie viele Gratiszertifikate erhält?
Die Anzahl Gratiszertifikate, die eine Firma vom BAFU erhält, ist von zwei Faktoren abhängig. Einerseits erhalten Firmen, die bereits eine gute CO2-Bilanz haben, mehr Gratiszertifikate als solche, die schlecht dastehen. Was man dabei aber nicht vergessen darf: Auch Firmen beziehungsweise deren Produktionsanlagen, die in diesem Ranking zu den besten zählen, emittieren immer noch Unmengen an Klimagasen.
Anderseits erhalten Firmen, die für ihre Produkte den sogenannten Carbon-Leakage-Status beanspruchen, mehr Gratiszertifikate als solche ohne. Von Carbon-Leakage spricht man dann, wenn die Klimagasemissionen wegen hoher Abgaben, Steuern oder anderen Klimaschutzmassnahmen in ein anderes Land verlagert werden, in dem es billiger ist, CO2 zu emittieren.
In der Handelsperiode von 2013 bis 2020 mussten alle Schweizer EHS-Firmen zusammen 39 Millionen Zertifikate abgeben. Vom BAFU wurden 38 Millionen Zertifikate gratis verteilt. Viele Schweizer EHS-Firmen haben deshalb eine beträchtliche Menge EHS-Zertifikate beiseitelegen können. Diese Reservebildung schwächt die Wirkung des EHS-Konzepts ab.
Wie kommen die EHS-Firmen zu den restlichen Zertifikaten?
Einerseits führt das BAFU regelmässig Versteigerungen durch. Andererseits handeln die EHS-Firmen sowie andere am CO2-Markt interessierte Akteur*innen untereinander mit den Emissionsrechten. Dieser Handel läuft über mehrere Energiebörsen – zum Beispiel über die European Energy Exchange (EEX) mit Sitz in Leipzig.
Verknüpft mit dem europäischen EHS und trotzdem anders. Wie geht das?
Seit dem 1. Januar 2020 ist das Schweizer EHS mit dem europäischen EHS verknüpft. Deshalb gelten in beiden Systemen grundsätzlich dieselben Regeln. Da diese EHS-Regeln aber in eine nationale Klimagesetzgebung eingebettet sind, bedeutet die Teilnahme am EHS für eine europäische Firma trotzdem nicht zu hundert Prozent dasselbe wie für eine Schweizer Firma. Ein Beispiel: Anders als in den meisten EU-Ländern bezahlen die Firmen, die nicht im EHS sind, in der Schweiz auf fossile Brennstoffe eine CO2-Lenkungsabgabe. Diese liegt momentan bei 120 Franken pro Tonne CO2.
Diese Lenkungsabgabe wird grösstenteils an die Schweizer Bevölkerung zurückverteilt. Aber auch EHS-Firmen erhalten bei dieser Rückverteilung Geld, obwohl sie gar keine CO2-Abgabe bezahlt haben. Diese zusätzlichen Einnahmen aus der nationalen CO2-Abgabe erhalten europäische EHS-Firmen nicht.
Denn diesen paar wenigen Firmen – es sind lediglich 0.01 Prozent aller Schweizer Firmen – gewährt der Staat einen CO2-Spezialdeal. Obwohl sie mit 10 Prozent der gesamten inländischen Emissionen extrem klimaschädlich produzieren, sind sie von der CO2-Abgabe von 120 Franken pro Tonne befreit, die alle anderen Firmen und Privatpersonen für ihre Brennstoffemissionen bezahlen müssen. Im EHS zahlen sie hingegen aktuell nur etwa 80 Franken für dieselbe Menge (Stand 25. Januar 2023). Erhalten also gerade die grössten Umweltverschmutzer einen Rabatt von 40 Franken?
Das Schweizer CO2-Gesetz unterscheidet zwischen Emissionen aus Brennstoffen wie Erdöl oder Erdgas und Emissionen aus Treibstoffen wie Benzin oder Diesel. Für die Regulation der Brennstoffe gibt es neben dem EHS auch die Instrumente der CO2-Lenkungsabgabe und der Zielvereinbarung. Den Emissionen aus Treibstoffen will die Politik über das Instrument der Kompensationspflicht einen Preis geben. Diese Kompensationspflicht beschränkt sich jedoch auf Treibstoffe aus dem Strassenverkehr – sprich Diesel und Benzin. Für Kerosin gilt die Kompensationspflicht nicht.
Weshalb sind auf der Seite der Brennstoffe mehrere verschiedene Instrumente entstanden? Der Hauptgrund: Bei der Einführung der CO2-Abgabe gab es Bedenken, dass emissionsintensive und international tätige Schweizer Konzerne nicht mehr wettbewerbsfähig wären, wenn sie eine CO2-Abgabe bezahlen müssen. Deshalb hat der Bund für die Sektoren mit den höchsten Emissionen Speziallösungen entworfen. Die damalige Diskussion lässt sich in dieser SRF-Sendung aus dem Jahr 1995 nachschauen.
Nein, die Vorteile von Holcim und Co. gingen in der letzten Handelsperiode noch einiges weiter. Unsere Berechnungen zeigen: Sie hatten auf ihre Monsteremissionen eine regelrechte Flatrate.
Denn erstens mussten die EHS-Firmen nur für einen Bruchteil der von ihren verantworteten Emissionen überhaupt etwas bezahlen, da der Staat ihnen einen Grossteil der Emissionsrechte schenkte. Zweitens erhielten einige Firmen gar mehr von diesen Gratiszertifikaten, als sie brauchten und können diese nun verkaufen. Drittens konnten die EHS-Firmen dank der sogenannten CER-Zertifikaten auch auf Billigzertifikate zurückgreifen. Und viertens profitieren die Schweizer EHS-Firmen zusätzlich davon, dass ein Teil des Geldes, das alle anderen Firmen über die CO2-Abgabe bezahlen, zu ihnen fliesst.
Wir haben ausgerechnet, wer von diesen Firmen wie viel – oder eher wie wenig – für die Zerstörung unseres Planeten bezahlen musste. Dabei konnten wir leider nichts über den letzten Punkt herausfinden: Keine der angeschriebenen Firmen wollte uns darüber informieren, wie viel Geld aus der CO2-Lenkungsabgabe an sie rückverteilt wurde.
Andere Fragen lassen sich aber durchaus beantworten. Denn die dazu benötigten Zahlen sind öffentlich zugänglich: Wie viel Geld haben die Konzerne gespart, weil sie anstatt der teuren CO2-Abgabe lediglich die EHS-Zertifikate bezahlen mussten? Wie viel billiger kamen sie davon, weil sie einen Anteil der Zertifikate zum Nulltarif erhalten haben? Wie viel günstiger wurde ihre Klimarechnung, weil die Konzerne anstatt der teuren EHS-Zertifikaten eine Zeit lang auch die billigen CER-Zertifikate abgeben durften? Und: Wie viel Gewinn könnten die betroffenen Firmen machen, wenn sie die angesparten Zertifikate verkaufen würden?
Der Trick mit den Billigzertifikaten
Neben den staatlichen Emissionsrechten konnten die EHS-Firmen in der vergangenen Handelsperiode auch von sogenannten CER-Zertifikate (Certified Emission Reduction) Gebrauch machen. Ein CER ist ein Zertifikatstyp, der für Klimaschutzprojekte in den Ländern des Globalen Südens ausgestellt wird. Für jede Tonne, die im globalen Süden auf diesem Weg nicht emittiert wird, stellt eine UN-Behörde das Emissionsrecht für eine Tonne Klimagase aus. Schweizer Konzerne können diese Emissionsrechte kaufen.
Diese von der UNO so auf den Markt gebrachten Emissionsrechte konnten in der vergangenen Handelsperiode zu einem gewissen Teil anstelle der staatlichen EHS-Zertifikaten von den EHS-Firmen eingesetzt werden, um genügend Emissionsrechte für die eigenen Emissionen vorweisen zu können. Auch viele Schweizer Industrieunternehmen griffen bei den CERs zu und kamen so um einiges günstiger weg, als wenn sie die teuren EHS-Zertifikate hätten kaufen müssen.
Gehandelt wurden die CERs unter anderem an der EEX, einer Energiebörse in Leipzig. Auf Anfrage erklärt uns die Kommunikationsabteilung der EEX, dass der durchschnittliche Jahrespreise der CERs in den Jahren von 2013 bis 2020 nie über 50 Cent pro Tonne lag – 80 Mal weniger als der Höchstpreis für ein EHS-Zertifikat in derselben Zeitspanne und fast 200 Mal weniger als die damalige CO2-Abgabe. Dies schmälerte natürlich den Klimakostendruck auf die Konzerne und damit die Bereitschaft, die eigene Produktion auf Netto null zu trimmen. In der aktuellen EHS-Handelsperiode werden CERs nicht mehr akzeptiert.
Obwohl allgemein bekannt ist, dass die CER-Preise in der vergangenen Handelsperiode nicht sehr hoch waren, stellte es sich als schwierig heraus, Informationen dazu zu finden, wie hoch beziehungsweise wie tief sie genau waren. Denn die für die CERs zuständige UN-Behörde betreibt zwar eine Facebookseite, auf der die Projekte vorgestellt werden, aber wie sich die CER-Preise in den letzten Jahren entwickelt haben, kann man uns nicht sagen: „We do not have CER price information. It is something settled between CER seller and buyer.“ Man habe keine Informationen zu CER-Preisen. Das sei etwas, was zwischen Käufer*in und Verkäufer*in vereinbart werde. Unsere Frage, ob man uns an eine wissenschaftliche Stelle verweisen könne, die die CER-Preisen der vergangenen Jahre dokumentiert und statistisch analysiert hat, blieb auch nach mehrmaligem Nachfragen unbeantwortet.
Dass dieses Schlupfloch aus der EHS-Regelung verschwunden ist, hat wohl zwei Gründe: Einerseits erhöhten die zugekauften CER-Zertifikate die Gesamtmenge der im EHS zur Verfügung stehenden Emissionsrechte. Dies läuft der Grundidee des EHS zuwider, dass eine staatlich fixierte Gesamtmenge an Emissionsrechten herausgegeben und kontinuierlich gesenkt werden soll. Andererseits waren sie schlichtweg viel zu günstig.
Viel mehr als mit dem CER-Trick haben die EHS-Konzerne in der letzten Handelsperiode jedoch mit der Befreiung von der CO2-Abgabe und den von Bundesbern zugeteilten Gratiszertifikaten gespart. Erstmals zeigen nun Berechnungen von das Lamm, welche Konzerne dank der Teilnahme am EHS wie viel günstiger davon gekommen sind.
Knapp drei Milliarden weniger in der Staatskasse
Hätte zum Beispiel der Chemiekonzern BASF in der vergangenen EHS-Handelsperiode die üblichen CO2-Abgaben zahlen müssen, hätte ihn das rund 24 Millionen Franken gekostet. Im EHS musste BASF hingegen nur für einen Teil seiner Emissionen Zertifikate kaufen – und das erst noch zu einem tieferen Preis. Schlussendlich zahlte der Chemiekonzern laut den Schätzungen von das Lamm für seine Umweltverschmutzung nur knapp 1.2 Millionen Franken. Der Chemiekonzern hat unseren Berechnungen zufolge dank der Teilnahme am EHS also rund 22 Millionen Franken eingespart.
Noch krasser sind die Zahlen bei der Lonza. Hätte die Lonza für ihre Industrieanlagen in Visp die CO2-Abgabe bezahlen müssen, wären das in der vergangenen Handelsperiode laut unseren Berechnungen über 271 Millionen Franken gewesen. Im EHS zahlte die Lonza für ihre Klimaverschmutzung schätzungsweise lediglich 22 Millionen Franken.
Die Summen, die dem Staat durch das EHS entgingen, sind horrend.
Gar noch günstiger kam unseren Berechnungen zufolge der Pharmariese Roche davon. Anders als BASF oder Lonza musste Roche in der vergangenen Handelsperiode für den Standort in Basel so gut wie keine Zertifikate kaufen. Denn dem Pharmariesen wurden jedes Jahr ausser 2013 mehr EHS-Zertifikate gratis zugeteilt, als er für seine Emissionen brauchte.
Bezahlt hat Roche für seine über 200’000 Tonnen Klimagase in Basel also so gut wie nichts. Im Gegenteil: Die Firma hatte am Ende der letzten Handelsperiode gratis zugeteilte Verschmutzungsrechte für rund 52’000 Tonnen CO2 übrig. Der Pharmariese kann diese überschüssigen Zertifikate verkaufen – im Moment für rund 80 Franken pro Stück – und könnte damit einen Gewinn von 4.2 Millionen Franken verbuchen.
Die Daten hinter den Berechnungen von das Lamm sind alle öffentlich einsehbar über das Schweizer Emissionshandelsregister. Neben den jährlichen Emissionen aller EHS-Firmen sind dort auch die zugeteilten Gratiszertifikate aufgelistet. Mit diesen Angaben kann sowohl die Menge an Zertifikate errechnet werden, die von den Firmen tatsächlich gekauft werden musste wie auch die Anzahl an überschüssig erhaltenen Emissionsrechten.
Für die Berechnung der erlassenen CO2-Abgaben wurden die jährlichen Emissionstonnen mit der damals gültigen CO2-Abgabe verrechnet. Für die Berechnung der Kosten, die für die Firmen über das EHS angefallen sind, verwendeten wir die jeweils höchsten Zertifikatspreise aus den vom BAFU durchgeführten Versteigerungen.
Wenn Annahmen getroffen werden mussten, wurden diese stets so gewählt, dass sie für die EHS-Konzerne vorteilhaft waren.
Der Chemiekonzern kann die überschüssigen Zertifikate aber auch noch ein wenig zur Seite legen und darauf spekulieren, dass der Preis weiter ansteigt – was ziemlich sicher eintreffen wird, denn die Verknappung ist staatlich geplant. Kurzum: Anstatt 15.5 Millionen Franken CO2-Abgabe einzukassieren, schenkte der Staat Roche potenzielle Gewinne im Wert von mindestens 4.2 Millionen Franken.
Die mit Abstand beeindruckendsten Zahlen erreicht jedoch der Betonriese Holcim. Wenn Holcim wie die meisten anderen Schweizer Firmen der CO2-Abgabe unterstellt gewesen wäre, hätte der Konzern für seine drei hiesigen Produktionsanlagen in der vergangenen Handelsperiode laut unseren Berechnungen eine Klimarechnung von schätzungsweise 833 Millionen Franken erhalten.
Da Holcim aber von der CO2-Abgabe befreit ist, wird aus dem Einzahlungsschein eine Gutschrift. Denn auch Holcim hat mehr Zertifikate geschenkt bekommen, als nötig gewesen wäre, um alle Emissionen zu decken. Die EHS-Zertifikate, die Holcim vom Bund erhalten hat und dann trotzdem nicht einsetzen musste, haben laut unseren Berechnungen momentan einen geschätzten Wert von über 200 Millionen Franken.
„Das EHS erhöht die Produktionskosten und trägt daher dazu bei, Innovationen und Investitionen zu fördern, die die CO2-Emissionen [...] reduzieren“, schreibt uns der Betonriese Holcim ausweichend auf die Frage, ob man überschüssige Zertifikate verkauft habe. Da dem Betonriesen laut unseren Berechnungen durch das EHS keine Mehrkosten entstanden sind, fragen wir nach, um wie viel die Produktionskosten durch das EHS bei Holcim denn genau gestiegen seien. Die Antwort: Zu den Produktionskosten mache man keine Angaben.
Ob die EHS-Firmen die vom Bund geschenkten Zertifikate tatsächlich in Gewinne umgewandelt haben oder nicht, ist schwer zu sagen. Von allen angefragten EHS-Firmen hat uns lediglich eine Firma darüber transparent Auskunft gegeben: die Perlen Papier Fabrik.
Laut eigenen Angaben verkaufte die Papierfabrik im Geschäftsjahr 2021 insgesamt 330’000 CO2-Zertifikate und verdiente damit 18.1 Millionen Franken. Andere Firmen schrieben uns, dass sie die Zertifikate für etwaige Schwankungen in der Produktion (Kalkfabrik Netstal) oder zur Begleichung der CO2-Schuld in den kommenden Jahren (ERZ) zurückgelegt hätten. Generell lässt sich festhalten: Auf viel Auskunftsfreude stiessen wir mit dieser Frage bei den EHS-Konzernen nicht.
Im Laufe der Recherche stellten wir mehreren EHS-Firmen zwei Fragen. Erstens: Haben Sie überschüssige Zertifikate verkauft? Falls ja: Was haben Sie damit eingenommen? Zweitens: Wie viele Zertifikate haben Sie aktuell noch auf Reserve? Eine wirklich transparente Antwort erhielten wir von den wenigsten Firmen. Beim Schlachtabfallverwerter GZM schien man bereits mit der Fragestellung Mühe zu haben: „Ihre Fragen [...] suggerieren einen tendenziösen Ton – bitte umformulieren“, schrieb uns der Schlachtabfallverwerter. Auf die Nachfrage, was man daran genau tendenziös fände, erhielten wir schlussendlich doch noch eine vage Antwort. Es sei korrekt, dass man die gratis zugeteilten Zertifikate nicht ausgeschöpft habe. Die ungenutzten Zertifikate wurden jedoch nicht verkauft.
Alles in allem entgingen dem Staat in der letzten EHS-Handelsperiode insgesamt rund 2.9 Milliarden Franken an Einnahmen aus der CO2-Abgabe. Über das EHS eingenommen hat der Staat in demselben Zeitfenster bei denselben Firmen lediglich 92 Millionen Franken. Zudem erhielten einige der klimaschädlichsten Firmen Emissionsrechte geschenkt, die mit dem heutigen Zertifikatspreis 361 Millionen Franken wert sind.
So wie das System in der vergangenen Handelsperiode ausgestalten war, war es vor allem eines: eine millionenschwere Subventionierungsmaschine für emissionsstarke Unternehmen.
Eines ist also klar: Beim EHS mitzumachen ist kein Müssen, sondern ein Dürfen. Bleibt noch zu klären, ob diese Bevorteilung berechtigt war. Dafür muss man wohl drei Fragen beantworten. Erstens: Haben die Subventionen für die grössten Klimaverschmutzer*innen der Schweiz ihr Ziel erreicht? Zweitens: Haben die subventionierten Konzerne bezüglich Klimaschutz immerhin vorwärts gemacht? Drittens: Fördern die Subventionen ganz grundsätzlich die richtigen Branchen und Firmen?
Übersichtsartikel
Emissionshandelssystem: Eine Flatrate auf Monsteremissionen
Der Bund erliess den grössten Umweltverschmutzern von 2013 bis 2020 drei Milliarden Franken an CO2-Abgaben und schenkte ihnen gleichzeitig Emissionsrechte im Wert von schätzungsweise 361 Millionen Franken. Das zeigen bislang unveröffentlichte Berechnungen vom Onlinemagazin das Lamm.
Artikel 1
Weniger CO2 dank Emissionshandel? Eine Bilanz der letzten Jahre
Die Konzerne mit den meisten Klimagasemissionen rechnen ihre CO2-Kosten im Emissionshandelssystem ab. Das sollte die Klimaverschmutzung bremsen. Gewirkt hat es kaum.
ArtikeL 2
Selbstsabotage beim Klimaschutz. Der Grund: die Wettbewerbsfähigkeit
Damit Klimaverschmutzung für die Verursacher*innen etwas kostet, führte man in der Schweiz 2008 den Zertifikatshandel ein. Weil das für emissionsintensive Firmen ziemlich teuer werden kann, verschenkt der Staat kostenlose Zertifikate. Unsere Recherche zeigt auf, wer die meisten Gratiszertifikate erhalten hat.
Artikel 3
Klimaumverteilung: Von den KMUs zu den Grosskonzernen
Nur ein paar wenige Firmen dürfen ihre CO2-Emissionen im Emissionshandelssystem abrechnen. Damit ist es für sie nicht nur günstiger, Emissionen zu verursachen. Sie profitieren auch ganz direkt von den CO2-Abgaben der KMU.
Artikel 4
Klimamilliarden für Holcim, Lonza, BASF und Co.
Erstmals zeigen Berechnungen von das Lamm: Der Staat erliess Grosskonzernen CO2-Abgaben in Milliardenhöhe. Wer hat wie stark davon profitiert? Wir bringen Licht in das letzte Jahrzehnt Emissionshandelsdunst.
Artikel 5
Ein Spezialdeal für die Klimakiller. Warum eigentlich?
Von 2013 bis 2020 subventionierte der Staat die emissionsintensivsten Firmen des Landes mit rund 3 Milliarden Franken. Ob das gerechtfertigt ist oder nicht, diskutierte man bereits vor 30 Jahren.
Artikel 6
Wann fällt die Dauerflatrate?
Die EU plant Reformen. Diese könnten das EHS raus aus der Geiselhaft der globalisierten Industrie und rein in eine tatsächliche Dekarbonisierung führen. Der Wermutstropfen: So bald wird sich kaum etwas ändern.
Artikel 7
Braucht es das EHS?
Wer heute Klimagase verursacht, der zahlt. Nur zahlen bis jetzt nicht alle gleich viel, wenn sie das Klima zerstören. Das ist nicht nur unfair, sondern bremst auch die notwendigen CO2-Reduktionen aus. Gehört das EHS deshalb abgeschafft? Eine Einordnung.
Die Recherchen für diesen Artikel wurden vom Peter Hans Hofschneider-Recherchepreis für Wissenschafts- und Medizinjournalismus der Stiftung Experimentelle Biomedizin unterstützt. Der Recherchepreis wird in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Recherche vergeben.
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