Klima­mil­li­arden für Holcim, Lonza, BASF und Co. (4/7)

Erst­mals zeigen Berech­nungen von das Lamm: Der Staat erliess Gross­kon­zernen CO2-Abgaben in Milli­ar­den­höhe. Wer hat wie stark davon profi­tiert? Wir bringen Licht in das letzte Jahr­zehnt Emissionshandelsdunst. 
Illustration: Luca Mondgenast

Sach­buch: CO2-Ausstoß zum Nulltarif

Auf der Grund­lage dieser Arti­kel­serie ist ein Sach­buch entstanden, welches am 18.02.2024 beim Rotpunkt­verlag in Zürich erschienen ist. Das Buch „CO2-Ausstoß zum Null­tarif – Das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem und wer davon profi­tiert“ ist bei uns im Shop oder in der Buch­fi­liale deines Vertrauens erhältlich.

In Kürze

  • In der letzten EHS-Handel­s­pe­riode (2013 – 2020) entgingen dem Staat insge­samt rund 2.9 Milli­arden Franken an Einnahmen aus der CO2-Abgabe. 
  • Zudem erhielten einige der klima­schäd­lich­sten Firmen Emis­si­ons­rechte geschenkt, die mit dem heutigen Zerti­fi­kats­preis 361 Millionen Franken wert sind.
  • Das Lamm hat berechnet, welche Firmen durch das EHS in den letzten Jahren wie viel einge­spart haben. Es sind Zahlen, die so noch nie zuvor veröf­fent­licht wurden.
  • So wie das System in der vergan­genen Handel­s­pe­riode ausge­stalten war, war es vor allem eines: eine millio­nen­schwere Subven­tio­nie­rungs­ma­schine für emis­si­ons­starke Unternehmen.

Recher­chen von das Lamm zeigen: Von 2013 bis 2020 hat der Baustoffriese Holcim schät­zungs­weise 1.8 Millionen Franken für seine Klima­gas­emis­sionen bezahlt. Würden für Holcim dieselben Regeln gelten wie für dich und mich hätte Holcim jedoch 833 Millionen hinblät­tern müssen. Das Fazit: Zwar ist es in der Schweiz nicht mehr kostenlos, das Klima zu bela­sten – aber nicht alle zahlen denselben Preis.

Ein paar Dutzend Firmen profi­tieren ganz beson­ders. Schuld daran ist das Emis­si­ons­han­dels­sy­stem, kurz: EHS.

Während eine Dose Cola, eine Flasche Olivenöl oder ein Liter Hafer­milch für alle gleich viel kostet, zahlen die einen mehr und die anderen weniger für eine Tonne CO2. Ein paar Dutzend Firmen profi­tieren ganz beson­ders. Schuld daran ist das Emis­si­ons­han­dels­sy­stem, kurz: EHS. 

Das Lamm hat berechnet, welche Firmen durch das EHS in den letzten Jahren wie viel einge­spart haben. Zahlen, die so noch nie zuvor veröf­fent­licht wurden.

Firmen, die ihre Klima­ko­sten unter dem Emis­si­ons­han­dels­sy­stem abrechnen dürfen, bezahlen keine CO2-Abgabe. Statt­dessen müssen sie für jede ausge­stos­sene Tonne CO2 ein entspre­chendes Zerti­fikat erwerben. Diese Zerti­fi­kate sind nichts anderes als Emis­si­ons­rechte. Dabei gibt es nur eine bestimmte Menge an Zerti­fi­katen und diese Menge, der soge­nannte Cap, wird schritt­weise gesenkt. Diese Verknap­pung soll den Preis der Zerti­fi­kate erhöhen. 

Die Firmen können die Zerti­fi­kate auf zwei Arten beziehen: Entweder sie erwerben sie käuf­lich oder sie bekommen sie geschenkt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verteilt jedes Jahr eine grosse Menge an Gratis­zer­ti­fi­katen an die Schweizer EHS-Firmen, um zu verhin­dern, dass sie ihre Emis­sionen ins Ausland verlagern. 

Zeit­lich ist das EHS in mehr­jäh­rigen Handel­s­pe­ri­oden mit mehr oder weniger gleich­blei­benden Regeln orga­ni­siert. Die letzte Handel­s­pe­riode lief von 2013 bis 2020. 

Wichtig: Die Zerti­fi­kate im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem sind nicht an Projekte gekop­pelt, die der Atmo­sphäre Klima­gase entziehen, wie man das zum Beispiel von Kompen­sa­tionen für Flug­reisen kennt. Bei diesen frei­wil­ligen Kompen­sa­ti­ons­zah­lungen spricht man zwar oft auch von “Zerti­fi­katen”, diese haben aber nichts mit dem EHS zu tun.

Wer darf beim EHS mitmachen?

Grund­sätz­lich sind im EHS Firmen aus den Bran­chen mit den höch­sten Treib­haus­gas­emis­sionen vertreten. Dabei gibt es solche, die beim EHS mitma­chen „müssen“, weil sie im Anhang 6 der CO2-Verord­nung stehen. Auf dieser Liste sind beispiels­weise die Metall- oder die Zement­in­du­strie. Dieses „müssen“ kann jedoch zu Miss­ver­ständ­nissen führen. Denn die Firmen werden hier zu etwas gezwungen, das ihnen bis jetzt vor allem Vorteile verschafft hat.

Zusätz­lich gibt es Bran­chen, die frei­willig beim EHS mitma­chen können. Diese stehen im Anhang 7 der CO2-Verord­nung. Hier befinden sich zum Beispiel die Chemie‑, die Papier- oder die Holz­in­du­strie. Kurzum: Im EHS versam­meln sich die Gross­kon­zerne aus der Ener­gie­pro­duk­tion und der Schwerindustrie. 

Der über­wie­gende Teil der Schweizer Firmen darf aber nicht am EHS teil­nehmen. Diese zahlen statt­dessen für jede Tonne Klima­gase eine CO2-Abgabe von 120.– Franken.

Im EHS regi­striert werden genau genommen nicht die Firmen selbst, sondern die verschie­denen Indu­strie­an­lagen der Firmen – also ein Zement­werk, ein Stahl­werk oder ein Heiz­werk. Deshalb kann eine Firma auch mit mehreren Stand­orten im EHS vertreten sein. 

Wie wird bestimmt, wer wie viele Gratis­zer­ti­fi­kate erhält?

Die Anzahl Gratis­zer­ti­fi­kate, die eine Firma vom BAFU erhält, ist von zwei Faktoren abhängig. Einer­seits erhalten Firmen, die bereits eine gute CO2-Bilanz haben, mehr Gratis­zer­ti­fi­kate als solche, die schlecht dastehen. Was man dabei aber nicht vergessen darf: Auch Firmen bezie­hungs­weise deren Produk­ti­ons­an­lagen, die in diesem Ranking zu den besten zählen, emit­tieren immer noch Unmengen an Klimagasen.

Ander­seits erhalten Firmen, die für ihre Produkte den soge­nannten Carbon-Leakage-Status bean­spru­chen, mehr Gratis­zer­ti­fi­kate als solche ohne. Von Carbon-Leakage spricht man dann, wenn die Klima­gas­emis­sionen wegen hoher Abgaben, Steuern oder anderen Klima­schutz­mass­nahmen in ein anderes Land verla­gert werden, in dem es billiger ist, CO2 zu emittieren. 

In der Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 mussten alle Schweizer EHS-Firmen zusammen 39 Millionen Zerti­fi­kate abgeben. Vom BAFU wurden 38 Millionen Zerti­fi­kate gratis verteilt. Viele Schweizer EHS-Firmen haben deshalb eine beträcht­liche Menge EHS-Zerti­fi­kate beisei­te­legen können. Diese Reser­ve­bil­dung schwächt die Wirkung des EHS-Konzepts ab.

Wie kommen die EHS-Firmen zu den rest­li­chen Zertifikaten?

Einer­seits führt das BAFU regel­mässig Verstei­ge­rungen durch. Ande­rer­seits handeln die EHS-Firmen sowie andere am CO2-Markt inter­es­sierte Akteur*innen unter­ein­ander mit den Emis­si­ons­rechten. Dieser Handel läuft über mehrere Ener­gie­börsen – zum Beispiel über die Euro­pean Energy Exch­ange (EEX) mit Sitz in Leipzig.

Verknüpft mit dem euro­päi­schen EHS und trotzdem anders. Wie geht das?

Seit dem 1. Januar 2020 ist das Schweizer EHS mit dem euro­päi­schen EHS verknüpft. Deshalb gelten in beiden Systemen grund­sätz­lich dieselben Regeln. Da diese EHS-Regeln aber in eine natio­nale Klima­ge­setz­ge­bung einge­bettet sind, bedeutet die Teil­nahme am EHS für eine euro­päi­sche Firma trotzdem nicht zu hundert Prozent dasselbe wie für eine Schweizer Firma. Ein Beispiel: Anders als in den meisten EU-Ländern bezahlen die Firmen, die nicht im EHS sind, in der Schweiz auf fossile Brenn­stoffe eine CO2-Lenkungs­ab­gabe. Diese liegt momentan bei 120 Franken pro Tonne CO2.

Diese Lenkungs­ab­gabe wird gröss­ten­teils an die Schweizer Bevöl­ke­rung zurück­ver­teilt. Aber auch EHS-Firmen erhalten bei dieser Rück­ver­tei­lung Geld, obwohl sie gar keine CO2-Abgabe bezahlt haben. Diese zusätz­li­chen Einnahmen aus der natio­nalen CO2-Abgabe erhalten euro­päi­sche EHS-Firmen nicht.

Denn diesen paar wenigen Firmen – es sind ledig­lich 0.01 Prozent aller Schweizer Firmen – gewährt der Staat einen CO2-Spezi­al­deal. Obwohl sie mit 10 Prozent der gesamten inlän­di­schen Emis­sionen extrem klima­schäd­lich produ­zieren, sind sie von der CO2-Abgabe von 120 Franken pro Tonne befreit, die alle anderen Firmen und Privat­per­sonen für ihre Brenn­stoff­emis­sionen bezahlen müssen. Im EHS zahlen sie hingegen aktuell nur etwa 80 Franken für dieselbe Menge (Stand 25. Januar 2023). Erhalten also gerade die grössten Umwelt­ver­schmutzer einen Rabatt von 40 Franken?

Das Schweizer CO2-Gesetz unter­scheidet zwischen Emis­sionen aus Brenn­stoffen wie Erdöl oder Erdgas und Emis­sionen aus Treib­stoffen wie Benzin oder Diesel. Für die Regu­la­tion der Brenn­stoffe gibt es neben dem EHS auch die Instru­mente der CO2-Lenkungs­ab­gabe und der Ziel­ver­ein­ba­rung. Den Emis­sionen aus Treib­stoffen will die Politik über das Instru­ment der Kompen­sa­ti­ons­pflicht einen Preis geben. Diese Kompen­sa­ti­ons­pflicht beschränkt sich jedoch auf Treib­stoffe aus dem Stras­sen­ver­kehr – sprich Diesel und Benzin. Für Kerosin gilt die Kompen­sa­ti­ons­pflicht nicht.

Weshalb sind auf der Seite der Brenn­stoffe mehrere verschie­dene Instru­mente entstanden? Der Haupt­grund: Bei der Einfüh­rung der CO2-Abgabe gab es Bedenken, dass emis­si­ons­in­ten­sive und inter­na­tional tätige Schweizer Konzerne nicht mehr wett­be­werbs­fähig wären, wenn sie eine CO2-Abgabe bezahlen müssen. Deshalb hat der Bund für die Sektoren mit den höch­sten Emis­sionen Spezi­al­lö­sungen entworfen. Die dama­lige Diskus­sion lässt sich in dieser SRF-Sendung aus dem Jahr 1995 nachschauen.

Nein, die Vorteile von Holcim und Co. gingen in der letzten Handel­s­pe­riode noch einiges weiter. Unsere Berech­nungen zeigen: Sie hatten auf ihre Monster­emis­sionen eine regel­rechte Flatrate.

Wir haben ausge­rechnet, wer von diesen Firmen wie viel – oder eher wie wenig – für die Zerstö­rung unseres Planeten bezahlen musste.

Denn erstens mussten die EHS-Firmen nur für einen Bruch­teil der von ihren verant­wor­teten Emis­sionen über­haupt etwas bezahlen, da der Staat ihnen einen Gross­teil der Emis­si­ons­rechte schenkte. Zwei­tens erhielten einige Firmen gar mehr von diesen Gratis­zer­ti­fi­katen, als sie brauchten und können diese nun verkaufen. Drit­tens konnten die EHS-Firmen dank der soge­nannten CER-Zerti­fi­katen auch auf Billig­zer­ti­fi­kate zurück­greifen. Und vier­tens profi­tieren die Schweizer EHS-Firmen zusätz­lich davon, dass ein Teil des Geldes, das alle anderen Firmen über die CO2-Abgabe bezahlen, zu ihnen fliesst

Wir haben ausge­rechnet, wer von diesen Firmen wie viel – oder eher wie wenig – für die Zerstö­rung unseres Planeten bezahlen musste. Dabei konnten wir leider nichts über den letzten Punkt heraus­finden: Keine der ange­schrie­benen Firmen wollte uns darüber infor­mieren, wie viel Geld aus der CO2-Lenkungs­ab­gabe an sie rück­ver­teilt wurde. 

Andere Fragen lassen sich aber durchaus beant­worten. Denn die dazu benö­tigten Zahlen sind öffent­lich zugäng­lich: Wie viel Geld haben die Konzerne gespart, weil sie anstatt der teuren CO2-Abgabe ledig­lich die EHS-Zerti­fi­kate bezahlen mussten? Wie viel billiger kamen sie davon, weil sie einen Anteil der Zerti­fi­kate zum Null­tarif erhalten haben? Wie viel günstiger wurde ihre Klima­rech­nung, weil die Konzerne anstatt der teuren EHS-Zerti­fi­katen eine Zeit lang auch die billigen CER-Zerti­fi­kate abgeben durften? Und: Wie viel Gewinn könnten die betrof­fenen Firmen machen, wenn sie die ange­sparten Zerti­fi­kate verkaufen würden?

Der Trick mit den Billigzertifikaten

Neben den staat­li­chen Emis­si­ons­rechten konnten die EHS-Firmen in der vergan­genen Handel­s­pe­riode auch von soge­nannten CER-Zerti­fi­kate (Certi­fied Emis­sion Reduc­tion) Gebrauch machen. Ein CER ist ein Zerti­fi­katstyp, der für Klima­schutz­pro­jekte in den Ländern des Globalen Südens ausge­stellt wird. Für jede Tonne, die im globalen Süden auf diesem Weg nicht emit­tiert wird, stellt eine UN-Behörde das Emis­si­ons­recht für eine Tonne Klima­gase aus. Schweizer Konzerne können diese Emis­si­ons­rechte kaufen.

Diese von der UNO so auf den Markt gebrachten Emis­si­ons­rechte konnten in der vergan­genen Handel­s­pe­riode zu einem gewissen Teil anstelle der staat­li­chen EHS-Zerti­fi­katen von den EHS-Firmen einge­setzt werden, um genü­gend Emis­si­ons­rechte für die eigenen Emis­sionen vorweisen zu können. Auch viele Schweizer Indu­strie­un­ter­nehmen griffen bei den CERs zu und kamen so um einiges günstiger weg, als wenn sie die teuren EHS-Zerti­fi­kate hätten kaufen müssen. 

Gehan­delt wurden die CERs unter anderem an der EEX, einer Ener­gie­börse in Leipzig. Auf Anfrage erklärt uns die Kommu­ni­ka­ti­ons­ab­tei­lung der EEX, dass der durch­schnitt­liche Jahres­preise der CERs in den Jahren von 2013 bis 2020 nie über 50 Cent pro Tonne lag – 80 Mal weniger als der Höchst­preis für ein EHS-Zerti­fikat in derselben Zeit­spanne und fast 200 Mal weniger als die dama­lige CO2-Abgabe. Dies schmä­lerte natür­lich den Klima­ko­sten­druck auf die Konzerne und damit die Bereit­schaft, die eigene Produk­tion auf Netto null zu trimmen. In der aktu­ellen EHS-Handel­s­pe­riode werden CERs nicht mehr akzeptiert. 

Obwohl allge­mein bekannt ist, dass die CER-Preise in der vergan­genen Handel­s­pe­riode nicht sehr hoch waren, stellte es sich als schwierig heraus, Infor­ma­tionen dazu zu finden, wie hoch bezie­hungs­weise wie tief sie genau waren. Denn die für die CERs zustän­dige UN-Behörde betreibt zwar eine Face­book­seite, auf der die Projekte vorge­stellt werden, aber wie sich die CER-Preise in den letzten Jahren entwickelt haben, kann man uns nicht sagen: „We do not have CER price infor­ma­tion. It is some­thing settled between CER seller and buyer.“ Man habe keine Infor­ma­tionen zu CER-Preisen. Das sei etwas, was zwischen Käufer*in und Verkäufer*in verein­bart werde. Unsere Frage, ob man uns an eine wissen­schaft­liche Stelle verweisen könne, die die CER-Preisen der vergan­genen Jahre doku­men­tiert und stati­stisch analy­siert hat, blieb auch nach mehr­ma­ligem Nach­fragen unbeantwortet.

Dass dieses Schlupf­loch aus der EHS-Rege­lung verschwunden ist, hat wohl zwei Gründe: Einer­seits erhöhten die zuge­kauften CER-Zerti­fi­kate die Gesamt­menge der im EHS zur Verfü­gung stehenden Emis­si­ons­rechte. Dies läuft der Grund­idee des EHS zuwider, dass eine staat­lich fixierte Gesamt­menge an Emis­si­ons­rechten heraus­ge­geben und konti­nu­ier­lich gesenkt werden soll. Ande­rer­seits waren sie schlichtweg viel zu günstig. 

Viel mehr als mit dem CER-Trick haben die EHS-Konzerne in der letzten Handel­s­pe­riode jedoch mit der Befreiung von der CO2-Abgabe und den von Bundes­bern zuge­teilten Gratis­zer­ti­fi­katen gespart. Erst­mals zeigen nun Berech­nungen von das Lamm, welche Konzerne dank der Teil­nahme am EHS wie viel günstiger davon gekommen sind.

Knapp drei Milli­arden weniger in der Staatskasse

Hätte zum Beispiel der Chemie­kon­zern BASF in der vergan­genen EHS-Handel­s­pe­riode die übli­chen CO2-Abgaben zahlen müssen, hätte ihn das rund 24 Millionen Franken geko­stet. Im EHS musste BASF hingegen nur für einen Teil seiner Emis­sionen Zerti­fi­kate kaufen – und das erst noch zu einem tieferen Preis. Schluss­end­lich zahlte der Chemie­kon­zern laut den Schät­zungen von das Lamm für seine Umwelt­ver­schmut­zung nur knapp 1.2 Millionen Franken. Der Chemie­kon­zern hat unseren Berech­nungen zufolge dank der Teil­nahme am EHS also rund 22 Millionen Franken eingespart. 

Die Summen, die dem Staat durch das EHS entgingen, sind horrend.

Noch krasser sind die Zahlen bei der Lonza. Hätte die Lonza für ihre Indu­strie­an­lagen in Visp die CO2-Abgabe bezahlen müssen, wären das in der vergan­genen Handel­s­pe­riode laut unseren Berech­nungen über 271 Millionen Franken gewesen. Im EHS zahlte die Lonza für ihre Klima­ver­schmut­zung schät­zungs­weise ledig­lich 22 Millionen Franken. 

Die Summen, die dem Staat durch das EHS entgingen, sind horrend.

Gar noch günstiger kam unseren Berech­nungen zufolge der Phar­ma­riese Roche davon. Anders als BASF oder Lonza musste Roche in der vergan­genen Handel­s­pe­riode für den Standort in Basel so gut wie keine Zerti­fi­kate kaufen. Denn dem Phar­ma­riesen wurden jedes Jahr ausser 2013 mehr EHS-Zerti­fi­kate gratis zuge­teilt, als er für seine Emis­sionen brauchte. 

Bezahlt hat Roche für seine über 200’000 Tonnen Klima­gase in Basel also so gut wie nichts. Im Gegen­teil: Die Firma hatte am Ende der letzten Handel­s­pe­riode gratis zuge­teilte Verschmut­zungs­rechte für rund 52’000 Tonnen CO2 übrig. Der Phar­ma­riese kann diese über­schüs­sigen Zerti­fi­kate verkaufen – im Moment für rund 80 Franken pro Stück – und könnte damit einen Gewinn von 4.2 Millionen Franken verbuchen.

Die Daten hinter den Berech­nungen von das Lamm sind alle öffent­lich einsehbar über das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­re­gi­ster. Neben den jähr­li­chen Emis­sionen aller EHS-Firmen sind dort auch die zuge­teilten Gratis­zer­ti­fi­kate aufge­li­stet. Mit diesen Angaben kann sowohl die Menge an Zerti­fi­kate errechnet werden, die von den Firmen tatsäch­lich gekauft werden musste wie auch die Anzahl an über­schüssig erhal­tenen Emissionsrechten. 

Für die Berech­nung der erlas­senen CO2-Abgaben wurden die jähr­li­chen Emis­si­ons­tonnen mit der damals gültigen CO2-Abgabe verrechnet. Für die Berech­nung der Kosten, die für die Firmen über das EHS ange­fallen sind, verwen­deten wir die jeweils höch­sten Zerti­fi­kats­preise aus den vom BAFU durch­ge­führten Versteigerungen. 

Wenn Annahmen getroffen werden mussten, wurden diese stets so gewählt, dass sie für die EHS-Konzerne vorteil­haft waren.

Der Chemie­kon­zern kann die über­schüs­sigen Zerti­fi­kate aber auch noch ein wenig zur Seite legen und darauf speku­lieren, dass der Preis weiter ansteigt – was ziem­lich sicher eintreffen wird, denn die Verknap­pung ist staat­lich geplant. Kurzum: Anstatt 15.5 Millionen Franken CO2-Abgabe einzu­kas­sieren, schenkte der Staat Roche poten­zi­elle Gewinne im Wert von minde­stens 4.2 Millionen Franken.

Die mit Abstand beein­druckend­sten Zahlen erreicht jedoch der Beton­riese Holcim. Wenn Holcim wie die meisten anderen Schweizer Firmen der CO2-Abgabe unter­stellt gewesen wäre, hätte der Konzern für seine drei hiesigen Produk­ti­ons­an­lagen in der vergan­genen Handel­s­pe­riode laut unseren Berech­nungen eine Klima­rech­nung von schät­zungs­weise 833 Millionen Franken erhalten. 

Da Holcim aber von der CO2-Abgabe befreit ist, wird aus dem Einzah­lungs­schein eine Gutschrift. Denn auch Holcim hat mehr Zerti­fi­kate geschenkt bekommen, als nötig gewesen wäre, um alle Emis­sionen zu decken. Die EHS-Zerti­fi­kate, die Holcim vom Bund erhalten hat und dann trotzdem nicht einsetzen musste, haben laut unseren Berech­nungen momentan einen geschätzten Wert von über 200 Millionen Franken.

„Das EHS erhöht die Produk­ti­ons­ko­sten und trägt daher dazu bei, Inno­va­tionen und Inve­sti­tionen zu fördern, die die CO2-Emis­sionen [...] redu­zieren“, schreibt uns der Beton­riese Holcim auswei­chend auf die Frage, ob man über­schüs­sige Zerti­fi­kate verkauft habe. Da dem Beton­riesen laut unseren Berech­nungen durch das EHS keine Mehr­ko­sten entstanden sind, fragen wir nach, um wie viel die Produk­ti­ons­ko­sten durch das EHS bei Holcim denn genau gestiegen seien. Die Antwort: Zu den Produk­ti­ons­ko­sten mache man keine Angaben.

Ob die EHS-Firmen die vom Bund geschenkten Zerti­fi­kate tatsäch­lich in Gewinne umge­wan­delt haben oder nicht, ist schwer zu sagen. Von allen ange­fragten EHS-Firmen hat uns ledig­lich eine Firma darüber trans­pa­rent Auskunft gegeben: die Perlen Papier Fabrik.

Alles in allem entgingen dem Staat in der letzten EHS-Handel­s­pe­riode insge­samt rund 2.9 Milli­arden Franken an Einnahmen aus der CO2-Abgabe.

Laut eigenen Angaben verkaufte die Papier­fa­brik im Geschäfts­jahr 2021 insge­samt 330’000 CO2-Zerti­fi­kate und verdiente damit 18.1 Millionen Franken. Andere Firmen schrieben uns, dass sie die Zerti­fi­kate für etwaige Schwan­kungen in der Produk­tion (Kalk­fa­brik Netstal) oder zur Beglei­chung der CO2-Schuld in den kommenden Jahren (ERZ) zurück­ge­legt hätten. Gene­rell lässt sich fest­halten: Auf viel Auskunfts­freude stiessen wir mit dieser Frage bei den EHS-Konzernen nicht.

Im Laufe der Recherche stellten wir mehreren EHS-Firmen zwei Fragen. Erstens: Haben Sie über­schüs­sige Zerti­fi­kate verkauft? Falls ja: Was haben Sie damit einge­nommen? Zwei­tens: Wie viele Zerti­fi­kate haben Sie aktuell noch auf Reserve? Eine wirk­lich trans­pa­rente Antwort erhielten wir von den wenig­sten Firmen. Beim Schlacht­ab­fall­ver­werter GZM schien man bereits mit der Frage­stel­lung Mühe zu haben: „Ihre Fragen [...] sugge­rieren einen tenden­ziösen Ton – bitte umfor­mu­lieren“, schrieb uns der Schlacht­ab­fall­ver­werter. Auf die Nach­frage, was man daran genau tenden­ziös fände, erhielten wir schluss­end­lich doch noch eine vage Antwort. Es sei korrekt, dass man die gratis zuge­teilten Zerti­fi­kate nicht ausge­schöpft habe. Die unge­nutzten Zerti­fi­kate wurden jedoch nicht verkauft.

Alles in allem entgingen dem Staat in der letzten EHS-Handel­s­pe­riode insge­samt rund 2.9 Milli­arden Franken an Einnahmen aus der CO2-Abgabe. Über das EHS einge­nommen hat der Staat in demselben Zeit­fen­ster bei denselben Firmen ledig­lich 92 Millionen Franken. Zudem erhielten einige der klima­schäd­lich­sten Firmen Emis­si­ons­rechte geschenkt, die mit dem heutigen Zerti­fi­kats­preis 361 Millionen Franken wert sind.

So wie das System in der vergan­genen Handel­s­pe­riode ausge­stalten war, war es vor allem eines: eine millio­nen­schwere Subven­tio­nie­rungs­ma­schine für emis­si­ons­starke Unternehmen.

Eines ist also klar: Beim EHS mitzu­ma­chen ist kein Müssen, sondern ein Dürfen. Bleibt noch zu klären, ob diese Bevor­tei­lung berech­tigt war. Dafür muss man wohl drei Fragen beant­worten. Erstens: Haben die Subven­tionen für die grössten Klimaverschmutzer*innen der Schweiz ihr Ziel erreicht? Zwei­tens: Haben die subven­tio­nierten Konzerne bezüg­lich Klima­schutz immerhin vorwärts gemacht? Drit­tens: Fördern die Subven­tionen ganz grund­sätz­lich die rich­tigen Bran­chen und Firmen?

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Klima­mil­li­arden für Holcim, Lonza, BASF und Co.
Erst­mals zeigen Berech­nungen von das Lamm: Der Staat erliess Gross­kon­zernen CO2-Abgaben in Milli­ar­den­höhe. Wer hat wie stark davon profi­tiert? Wir bringen Licht in das letzte Jahr­zehnt Emissionshandelsdunst.

Die Recher­chen für diesen Artikel wurden vom Peter Hans Hofschneider-Recher­che­preis für Wissen­schafts- und Medi­zin­jour­na­lismus der Stif­tung Expe­ri­men­telle Biome­dizin unter­stützt. Der Recher­che­preis wird in Zusam­men­ar­beit mit dem Netz­werk Recherche vergeben.


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