Schnip­pel­disko und eine Suppe für 18’000 Leute? So geht Protest auf Berlinerisch!

Kochen ist für viele Privat­sache. Das muss nicht so sein. Letzte Woche habe ich mit 30 Leuten aus sieben verschie­denen Ländern für 18 000 Leute gekocht — und habe damit den Protest gegen gierige und ausbeu­te­ri­sche Agrar­kon­zerne unterstützt. 
Gekocht wird in Töpfen, die 200 Liter fassen. Der Riesenstabmixer namens Robot Coupé hat einen 80 cm langen Stab und schafft 25'000 Umdrehungen pro Minute. Insgesamt werden an diesen zwei Tagen 5000 Portionen Suppe gekocht. Das sind rund 2000 Liter (Foto: Alex Tiefenbacher)

„Wer trägt heute das Geschnit­tene von den Tischen weg?“
„Wer kümmert sich ums Feuer? „
„Wie viele Leute braucht es morgen beim Pots­damer Platz?“
„Und vergesst nicht, dass wir bei der Koch­stelle bei der Hein­rich-Böll-Stif­tung keine Randen verar­beiten dürfen! Die haben Angst um ihren Teppich.“

Es ist später Nach­mittag. Ich steh mit etwa dreissig Leuten in einem Kreis auf der Rampe eines alten Fabrik­ge­bäudes im Berliner Stadt­teil Moabit. Eine der Personen kenne ich. Die anderen habe ich noch nie gesehen. Sacha und Uli leiten die Runde und schreiben die Planung für die näch­sten zwei Tage mit einem dicken Filz­stift auf drei Poster, welche an einem Fenster zwischen den versprayten Wänden hängen. Es werden Aufgaben verteilt, Fragen beant­wortet und Infor­ma­tionen ausge­tauscht. Ich notiere mir meine wich­tig­sten Eckdaten auf dem Handy. Heute um 20 Uhr muss ich Suppe ausgeben. Morgen muss ich um 11 Uhr am Pots­damer Platz sein und danach weiter zum Bran­den­burger Tor.

Sacha vom Liechtensteiner KochKollektiv und Uli von der Wiener Aktionsküche Minimal.is.muss leiten die Planung für die folgenden zwei Tage.
Sacha vom Liech­ten­steiner Koch­Kol­lektiv und Uli von der Wiener Akti­ons­küche Minimal.is.muss leiten die Planung für die folgenden zwei Tage.

Was ich hier mache? Ich koche mit dem Grüppli, das gerade auf der Rampe den Nach­mittag plant, für 18’000 Leute Suppe. Dafür müssen wir 1,5 Tonnen Gemüse klein­schneiden, in Töpfen kochen, die 200 Liter fassen, und mit einem Stab­mixer pürieren, der 80 cm lang ist.

Wieso ich das mache? Morgen ist die grosse „Wir haben es satt!“-Demo in Berlin. Wer hier mitläuft will keine indu­stri­elle Agrar­wirt­schaft, die jedes Jahr tonnen­weise Pesti­zide auf den Feldern verteilt und den jungen Ferkeln bei vollem Bewusst­sein die Schwänze abhackt. Er oder sie möchte gesundes Essen, eine bäuer­lich-ökolo­gi­schere Land­wirt­schaft und fairen Handel.

Leider ist es Januar. Und der Januar kann in Berlin einfach echt saukalt sein. Aber mit einer leckeren und warmen Suppe im Bauch lässt sich ja so einiges aushalten. Und genau das sei es, was er zusammen mit den anderen Koch­ak­ti­vi­stinnen und ‑akti­vi­sten zu dieser Demon­stra­tion beitragen wolle, erklärt mir Sacha vom Liech­ten­steiner Koch­Kol­lektiv. Über eine Berliner Freundin, die aus Schaan stammt, bin ich ins Helfer­team des Koch­Kol­lek­tivs geraten. Die Leute vom Koch­Kol­lektiv schmeissen überall dort ihre Riesen­herd­platten an, wo hung­rige Demon­strie­rende verpflegt werden wollen — sei das in Paris zum Klima­gipfel, bei den G8-Treffen in Amsterdam oder beim veganen Bio-Mittags­tisch auf dem Wochen­markt in Balzers (FL).

Die 1.5 Tonnen Gemüse, die für die Demonstration und die Schnippeldisko verarbeitet werden, stammen von 13 verschiedenen Bauernhöfen aus der Umgebung von Berlin. Lediglich 800 Euro mussten die Demo-Köche den Bauern dafür bezahlen.
Die 1,5 Tonnen Gemüse, die für die Demon­stra­tion und die Schnip­pel­disco verar­beitet werden, stammen von 13 verschie­denen Bauern­höfen aus der Umge­bung von Berlin. Ledig­lich 800 Euro mussten die Demo­kö­chinnen und ‑köche den Bauern dafür bezahlen.

Sacha und seine Crew sind aber bei weitem nicht die einzigen, die sich der Verpfle­gung von demon­strie­renden Menschen­massen verschrieben haben. Für die „Wir haben es satt!“-Demo sind neun solche mobilen Demo-Küchen aus sieben Ländern nach Moabit in die alte Fabrik­halle gekommen. Neben dem Liech­ten­steiner Koch­Kol­lektiv sind Leute von den Berliner Küchen Flaming Kitchen, Fahrende Gerüch­te­küche und Food for Aktion hier. Aus Dresden ist der Black Wok ange­reist. Das Kollektiv Rampen­plan stammt aus den Nieder­landen und die Coccina perdida aus der Tsche­chei. Und auch ein paar Schweizer von Retro­duk­tion seien hier, erklärt mir Sacha. Dann wird er von irgend­woher irgend­wohin gerufen und verschwindet in der inter­na­tio­nalen Küchengemeinschaft.

Ich suche ein Plätz­chen, wo ich mich nütz­lich machen kann. Denn bis zum ersten Fixpunkt sind noch drei Stunden Zeit. Rasch finde ich eines an der Wasch­strasse für die Kartof­feln. Die näch­sten Stunden werde ich meine Finger in eine grosse Wanne mit lauwarmem Wasser tunken und dabei Kartof­feln verschie­den­ster Grösse und Form mit einer hölzernen Bürste polieren. Doch dies geschieht eher nebenbei: Bald gilt meine Aufmerk­sam­keit vor allem der span­nenden Plau­derei mit meinen vielen MitschrubberInnen.

Beim Waschen von 1.5 Tonnen Gemüse hat man viel Zeit um neue Freundschaften zu schliessen.
Beim Waschen von 1,5 Tonnen Gemüse hat man viel Zeit um neue Freund­schaften zu schliessen.

Ich lerne Natalie und Iris aus Zürich kennen. Sie haben gerade drei Wochen Urlaub in Schweden gemacht und wollen auf dem Nach­hau­seweg an die Demo in Berlin. In Schweden seien es eisige minus 17 Grad gewesen, erzählt mir Iris. Dafür hätten sie die Nord­lichter gesehen. Später disku­tiere ich mit Vivian und Seba­stian, die beide gerade ihre Doktor­ar­beit in Umwelt­psy­cho­logie schreiben, und lerne Urs kennen, der seit Jahren keinen festen Wohn­sitz hat. Angeb­lich gäbe es euro­pa­weit nur eine einzige Versi­che­rung, die Menschen ohne festen Wohn­sitz versi­chere. Sie sei irgendwo in Hamburg. Die Stunden vergehen wie im Flug, während sich die Kartof­feln durch unsere Wasch­strasse bewegen.

Ab 18 Uhr ändert sich die Stim­mung. Die Fabrik­halle beginnt sich zu füllen. Da die Koch­ak­ti­vi­stInnen keine Zeit haben, um die 1,5 Tonnen Gemüse alleine klein­zu­schneiden, gibt es am Vorabend zur Demo eine Schnip­pel­disko. Das Motto: Topf, Tanz und Talk. Hier wird Gemüse klein­ge­hackt, bis die Rüst­messer glühen. Dazu gibt es Musik und ein kühles Bier von der Bar. Wer genug hat vom Gemü­se­rü­sten geht in den unteren Stock der Lager­halle und moti­viert sich bei Konzerten, Poetry-Slams und anderen Vorfüh­rungen für die nächste Schnippelrunde.

Beim Schnippeln kann jeder mithelfen die Welt ein wenig besser zu machen und lernt dabei noch spannende Leute kennen.
Beim Schnip­peln kann jeder mithelfen, die Welt ein wenig besser zu machen und lernt dabei noch span­nende Leute kennen.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hier heute Abend so manch einer seine Vivians, Seba­stians und Nata­lies kennen­lernen wird — und das, während man sich für gesunde Nahrungs­mittel und eine tier­ge­rechte Land­wirt­schaft einsetzt. Mitt­ler­weile würden sie vor jedem etwas grös­serem Event eine Schnip­pel­disko machen, erklärt mir Sacha bei einer Ziga­ret­ten­pause an der Feuer­schale. Es sei einfach ein geniales System. Die Leute hätten Spass, würden neue Bekannt­schaften schliessen und die 1,5 Tonnen Gemüse seien im Hand­um­drehen kleingeschnitten.

Die Tische sind an der Schnippeldisko meist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Die Tische sind an der Schnip­pel­disko meist bis auf den letzten Platz gefüllt.

Kurz darauf kommt nun endlich mein erster rich­tiger Einsatz. Es ist 20 Uhr und die Gäste der Schnip­pel­disko kriegen langsam Hunger. Ich schmeisse meinen Ziga­ret­ten­stummel ins Feuer und kriege dafür eine ziem­lich grosse Schöpf­kelle in die Hand gedrückt: „Alles was du sagen musst, ist, dass sie die dreckigen Teller dort hinten in die grünen Kisten stellen sollen und dass da der Spen­den­topf ist”. Das kriege ich hin. Immer wieder werde ich gefragt, wieviel die Suppe koste. „Nix, aber du kannst was spenden, wenn du magst”, darf ich dann zur Antwort geben. Ich ernte an diesem Abend so viele Lächeln wie schon lange nicht mehr. Und das Klim­pern der Spen­denbox ist erstaun­lich oft zu hören.

Gratis Suppe auszu­schenken macht ziem­lich Spass.

Ob das mit dem Geld funk­tio­niere, will ich von Sacha wissen, als wir uns das nächste Mal bei der Feuer­schale begegnen. „Ja”, sagt er, „wir kriegen über die Spenden eigent­lich immer genug zusammen, um das einge­kaufte Essen und das gemie­tete Equip­ment zu bezahlen”. Für das Menü am Pariser Klima­gipfel hätten sie im Vorfeld 17 000 Franken Ausgaben gehabt. Alles kam wieder rein. Ein biss­chen Gott­ver­trauen muss man da schon haben, denke ich mir, als ich gegen Mitter­nacht in Rich­tung U‑Bahn-Station durch die kalte Janu­ar­luft gehe.

Das bunte Treiben der Demo vor der imposanten Silhouette des Potsdamer Platz
Das bunte Treiben der Demo vor der impo­santen Silhou­ette des Pots­damer Platz

Am näch­sten Morgen stehe ich pünkt­lich um 11 Uhr auf dem Pots­damer Platz. Hier wird die Demo starten. Und hier soll die erste Suppen­aus­gabe statt­finden. Neben einem Riesen­huhn und einem aufblas­baren Mega­schwein komme ich auf meiner Suche nach meinem Suppen­stand an nicht wenigen Menschen in Tier­ko­stümen vorbei. „Mein Horn bleibt vorn“, steht auf dem Schild, das eine schwarz-weiss-gefleckte Kuh in die Höhe streckt. Und eine Henne demon­striert mit dem Slogan „Mein Schnabel ist meine Gabel“. Die Szenerie entlockt mir ein Lächeln, das mir aber zumin­dest ein biss­chen im Hals stecken bleibt. Es ist einfach daneben, wie wir die Tiere verstüm­meln, nur damit das Hühner­fleisch in unserem Thai­curry so günstig wie möglich ist.

Die industrielle Agrarwirtschaft kümmert sich herzlich wenig um das Wohl der Tiere. Den Hühnern werden die Schnabelspitzen weggelassert und jungen Ferkeln werden ohne Betäubung die Schwänze abgehackt.
Die indu­stri­elle Agrar­wirt­schaft kümmert sich herz­lich wenig um das Wohl der Tiere. Den Hühnern werden die Schna­bel­spitzen wegge­las­sert und jungen Ferkeln werden ohne Betäu­bung die Schwänze abgehackt.

Vor lauter prote­stie­renden Hühnern und Riesen­schweinen komme ich natür­lich ein wenig zu spät zum Treff­punkt. Aber das ist ziem­lich egal. Der Trans­porter sei mit den Suppen im Stau stecken geblieben, erklärt mir Urs. Mit daran schuld seien sicher auch die 130 Trak­toren, die für die Demo aus ganz Deutsch­land extra nach Berlin gefahren seien. Das muss ich mir anschauen. Und da wir eh nichts zu tun haben, bis die Suppe hier ist, suche ich zwischen der Menschen­masse nach einem Konvoi aus Traktoren.

Finden tue ich sie und ihre Lenke­rInnen auf der Strasse des 17. Juni, aufge­reiht in einer endlos erschei­nenden Kette direkt vor dem Bran­den­burger Tor, wo die Demo enden soll. Vom Sauer­land sei er gekommen, erzählt mir ein Bauer. Das seien über 500 km. Und das mit 14 Kilo­me­tern pro Stunde. Er wollte schon immer einmal mit seinem Traktor über den Pots­damer Platz fahren. Und es sei doch auch wichtig, dass die Bauern die Forde­rungen der Demon­stran­tInnen unter­stützten, meint er schel­misch und streckt mir eine Bioschog­gi­milch entgegen, die er hier den Demon­stran­tInnen umsonst verteilt.

Auch die Bauern sind für eine ökolo­gi­sche Land­wirt­schaft. Aus ganz Deutsch­land reisen sie mit ihren Trak­toren an.

Um 14 Uhr können wir dann endlich anfangen, Suppe auszu­geben — leider erst am Endpunkt der Demon­stra­tion. Umso grösser ist der Hunger der Demon­stran­tInnen. Die Ther­m­obe­hälter leeren sich, die Bäuche füllen sich, und die Stapel mit dreckigen Tellern wachsen. „Jetzt läufts”, sagt Sacha grin­send, und man sieht ihm an, dass er froh ist, die Suppe nun endlich unters Volk bringen zu können.

Der Andrang auf die warme Suppe und ein Stück Brot ist nach mehreren Stunden Demo-Umzug gross.
Der Andrang beim Stand mit der warmen Suppe ist nach mehreren Stunden Demo-Umzug gross.

Auch mir hat das etwas andere Demo-Erlebnis sehr gefallen. Ich stand zwar stun­den­lang in kalten Fabrik­hallen und im eisigen Janu­ar­wind draussen rum. Doch wenn man sich zwischen­durch am Feuer aufwärmen kann oder beim Abwa­schen wieder warme Hände kriegt, geht das eigent­lich ganz gut. Und beim Feier­abend­bier in der Abschluss­runde freue ich mich nicht nur über das leckere Bier, sondern auch über meine glühenden Backen, die langsam wieder auftauen. Ein Gefühl, das man sonst eigent­lich nur nach einem Tag auf der Skipiste kennt. Es wird sicher­lich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich beim Koch­Kol­lektiv mitge­holfen habe.

Ich habe heute nicht nur eine gute Demon­stra­tion auf dem kuli­na­ri­schen Weg unter­stützt und frie­rende Menschen mit einem Teller Suppe glück­lich gemacht. Sondern ich habe auch viele span­nende Leute kennen gelernt. Gerade wenn man, wie ich, neu ist in einer Gross­stadt, ist ein wenig Akti­vismus auch nur schon deshalb wärm­stens zu empfehlen ;-).

Die bunte Demonstration endet vor dem Brandenburger Tor.
Die bunte Demon­stra­tion endet vor dem Bran­den­burger Tor.

PS: Falls auch du einmal mitko­chen willst, dann schreib dem Sacha eine Mail, damit er dich auf die Mailing­liste für die Helfer­or­ga­ni­sa­tion nehmen kann: koch@kollektiv.kitchen


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