Lützerath hat gezeigt: Der Kampf für Klima­ge­rech­tig­keit muss mili­tanter werden

Zur Vertei­di­gung von Lützerath standen die Aktivist*innen der poli­zei­li­chen Repres­sion vor allem mit ihren Körpern entgegen. Das Ergebnis: viele Verletzte. Diese Erfah­rung sollte die radi­kale Linke zum Anlass nehmen, mili­tan­tere Stra­te­gien zu entwickeln, meint unsere Autorin. 
Der matschige Boden war ein willkommenes Mittel zur Verteidigung von Lützerath. (Bild: Editierter Screenshot / Luca Mondgenast)

Die radi­kale, ausser­par­la­men­ta­ri­sche Linke, allen voran die Klima­be­we­gung, hat sich in den letzten Jahren vor allem auf zwei Arten von poli­ti­schen Aktionen fokus­siert, die sich gegen­seitig stützen und ergänzen: Auf der einen Seite gab es zivilen Unge­horsam wie das Besetzen von Kohle­gruben, auf der anderen die Mobi­li­sie­rung von grossen Demon­stra­tionen gegen die Klimakrise.

Lützerath ist ein kleines Dorf in Deutsch­land, das zur Stadt Erkelenz in Nord­rhein-West­fahlen gehört. Alle Gebäude und Grund­stücke wurden von dem Ener­gie­kon­zern RWE aufge­kauft. Neben dem Dorf befindet sich ein riesiger Braun­koh­le­ta­gebau. Auch dort, wo das Dorf liegt, soll die Braun­kohle aus dem Boden geholt werden, weshalb alle Bewohner*innen das Dorf verlassen mussten. Klima­ak­ti­vi­sten wollen nun das weitere Abbag­gern der klima­schäd­li­chen Braun­kohle verhin­dern. In den letzten Wochen und Monaten kam es zu enormen Protest­ak­tionen. Lützerath steht unter anderem für die Einhal­tung der 1.5 Grad Grenze der Klimaerwärmung.

Durch die gemein­samen Aktionen von Ende Gelände, die seit 2015 regel­mässig Massen­ak­tionen zivilen Unge­hor­sams in den deut­schen Braun­koh­le­re­vieren orga­ni­sieren, und ihren eher bürger­li­chen Part­nern wie Fridays for Future oder „Alle Dörfer bleiben“ wurde die mediale Aufmerk­sam­keit erst­mals in grossem Stil auf die Zerstö­rung des Klimas durch die deut­sche Braun­kohle gerichtet. Das war drin­gend nötig, denn das Bewusst­sein über die Zerstö­rung des Klimas ist eine zentrale Voraus­set­zung, um sich über­haupt dagegen orga­ni­sieren zu können.

Aber was genau war jetzt eigent­lich der Unter­schied von Lützerath zu den Aktionen von Ende Gelände und Co?

Vom symbo­li­schen zum mili­tanten Ungehorsam

Im Kampf um Lützerath vereinten die Aktivist*innen viele ihrer Akti­ons­formen, erprobten aber auch neuere, um sich möglichst effektiv gegen den fossilen Kapi­ta­lismus zu orga­ni­sieren. So wurden die etablierten Mobi­li­sie­rungen und der zivile Unge­horsam der letzten Jahre durch eine neue Form der Mili­tanz ergänzt. 

Dabei orien­tierten sich die Aktivist*innen noch immer stark an den Grund­prin­zi­pien des zivilen Unge­hor­sams. Dieser beab­sich­tigt durch symbol­träch­tiges Über­schreiten der gesetz­li­chen Normen die öffent­liche Aufmerk­sam­keit auf einen Miss­stand zu lenken. 

Das Hinaus­gehen über die symbo­li­sche Hand­lung einer Sitz­blockade hin zu gut befe­stigten, besetzten Struk­turen, die man vertei­digen kann – wie den Tunnel beispiels­weise – ist der Über­gang vom Unge­horsam zum mili­tanten Protest.

Da gab es zum Beispiel den über fünf­zehn Meter langen Tunnel, der durch mona­te­lange Arbeit entstand. Das Ziel des Tunnels war es, die Räumung für die Polizei möglichst schwierig zu machen und lange heraus­zu­zö­gern – was auch gelang. Diese Aktion lässt die Grenze zwischen mili­tantem Akti­vismus und zivilem Unge­horsam verschwimmen, da der Tunnel durch diverse Sicher­heits­sy­steme wie dicke Beton­türen und soge­nannte Lock-Ons gegen Räumungen geschützt war.

Mittels Lock-Ons können sich Aktivist*innen an Objekten und eigenen Konstruk­tionen befe­stigen, um ihren Abtrans­port durch die Polizei zu verhin­dern. Zur Vertei­di­gung von Lützerath stellten sich die Aktivist*innen – nicht nur symbo­lisch – der Räumung mit ihren eigenen Körpern entgegen.

Das Hinaus­gehen über die symbo­li­sche Hand­lung einer Sitz­blockade hin zu gut befe­stigten, besetzten Struk­turen, die man vertei­digen kann – wie den Tunnel beispiels­weise – ist der Über­gang vom Unge­horsam zum mili­tanten Protest. Diese Art des „mili­tanten Unge­hor­sams“ ist zwar in Deutsch­land erst durch die Beset­zungen gegen RWE bekannt geworden, gehört jedoch für die Klima­be­we­gung im Verei­nigten König­reich und Frank­reich schon seit Langem zum wider­stän­digen Repertoire.

Eine weitere Stra­tegie, die man im Kampf rund um Lützerath beob­achten konnte, waren die erfolg­rei­chen Versuche von einzelnen Demonstrant*innen aus der Gross­de­mon­stra­tion, die in der Nähe von Lützerath statt­fand, auszu­bre­chen, um nah an das besetzte Dorf heranzukommen. 

Diese Taktik, die sich eben­falls zwischen Mili­tanz und reinem Unge­horsam bewegt, hat seit den Prote­sten gegen die Start­bahn West, ein Peak der Klima­pro­teste in den 70er-Jahren in Deutsch­land, kaum mehr eine Rolle gespielt. Auch im Hamba­cher Forst, dessen Vertei­di­gung 2018 die letzte grosse Aktion der deut­schen Klima­pro­teste war, gab es keine vergleich­baren Aktionen, was die Dimen­sion der Vorbe­rei­tung, Durch­füh­rung und Mili­tanz betrifft.

Repres­sion und Radikalisierung

In den Aktionen rund um Lützerath wurde also viel Krea­ti­vität und Mut bewiesen. Dass der Wider­stand die Räumung nicht noch länger heraus­zö­gern konnte, lag deshalb nicht etwa an den Aktivist*innen selbst, sondern daran, dass die Polizei mit allen Mitteln Angst bei den Verteidiger*innen des kleinen Dorfs verbrei­tete. Um diese Angst zu befeuern, wurde zum Beispiel rund um die Uhr geräumt. Den Aktivist*innen blieb so kaum eine ruhige Minute, um Kräfte zu sammeln oder sich mental zu entspannen.

Genau deshalb wird es bei den Klima­pro­te­sten nicht bei dieser hybriden Mili­tanz bleiben: Während Aktivist*innen durch die brutalen und lebens­ge­fähr­li­chen repres­siven Mass­nahmen der Polizei zwar schnell geräumt werden können, gilt das nicht für Sabo­tagen und Konstruktionen. 

Zudem wurden unzäh­lige Siche­rungs­kabel von der Polizei gekappt, die dazu dienen, mit Stahl­seil befe­stigte Struk­turen wie etwa Hoch­sitze in Höhen bis zu 15 Metern zu stabi­li­sieren. Dadurch wurde das Leben der Besetzer*innen leicht­fertig aufs Spiel gesetzt – in der Hoff­nung, dass diese ihre Beset­zungen frei­willig aufgeben.

Auch Baum­häuser wurden mit Ketten­sägen attackiert, während sich Menschen darin befanden. Dies markiert eine neue Eska­la­tion der Poli­zei­ge­walt, gegen die die radi­kale Linke neue Mittel finden muss. Sich nur mit den eigenen Körpern der Zerstö­rung entge­gen­zu­stellen, ist eine unkal­ku­lier­bare Gefahr, was die massive Zahl an verletzten Aktivist*innen bestätigt.

Genau deshalb wird es bei den Klima­pro­te­sten nicht bei dieser hybriden Mili­tanz bleiben: Während Aktivist*innen durch die brutalen und lebens­ge­fähr­li­chen repres­siven Mass­nahmen der Polizei zwar schnell geräumt werden können, gilt das nicht für Sabo­tagen und Konstruk­tionen. Ein sabo­tiertes Kohle­för­der­band beispiels­weise wird nicht auf einmal wieder in den Regel­be­trieb über­gehen können, nur weil ein paar Aktivist*innen nicht mehr darauf sitzen. Auch ein mit Zucker gefüllter Tank wird durch Poli­zei­ge­walt nicht magi­scher­weise wieder funk­tio­nieren. In solchen Aktionen könnte also die Zukunft der Klima­pro­teste liegen.

Solange junge Menschen im Ange­sicht eines bren­nenden Planeten, einer ausbeu­te­ri­schen Wirt­schaft und eines frei­dre­henden Poli­zei­ap­pa­rats aufwachsen, wird es mili­tante Aktionen im Namen der sozialen Revolte geben.

Um diese Entwick­lung der Radi­ka­li­sie­rung der Klima­be­we­gung durch Poli­zei­willkür und Gewalt­er­fah­rungen zu beob­achten, reicht ein Blick nach Frank­reich, wo Sabo­tagen und mili­tante Massen­ak­tionen den Druck auf die Herr­schenden massiv erhöht haben.

Ein gutes Beispiel waren die Aktionen gegen das Wasser­re­ser­voir in Sainte-Soline, welches das sowieso schon knappe Wasser spei­chern soll, um als zuver­läs­sige Wasser­quelle für Agrar­gross­be­triebe zu dienen. Bei den Prote­sten rund um das Reser­voir konnten sich Klimaaktivist*innen Zugang zur Baustelle verschaffen und diese sabo­tieren, was den Bau wenig­stens für kurze Zeit hinaus­zö­gern konnte.

Gut möglich also, dass es auch im deutsch­spra­chigen Raum an der Zeit ist, vermehrt auf diese Akti­ons­formen zurückzugreifen.

Gefahren und Strategien

Doch die gestei­gerte Mili­tanz sollte nicht zum reinen Selbst­zweck verkommen. Denn damit riskiert die ausser­par­la­men­ta­ri­sche Linke, sowohl bürger­liche Bündnispartner*innen als auch die mediale Deutungs­ho­heit zu verlieren.

Zuletzt konnte man dies bei den Prote­sten gegen die G20 in Hamburg im Jahr 2017 beob­achten: Durch eine fehlende akti­ons­über­grei­fende Stra­tegie sowie einen fehlenden Akti­ons­kon­sens der verschie­denen Grup­pie­rungen wurde verun­mög­licht, dass man das Gipfel­treffen hätte verhin­dern können. Der zivile Unge­horsam einiger Gruppe wurde dabei durch nicht ziel­ge­rich­tete mili­tante Aktionen anderer untergraben. 

Die Folge? Viel Unver­ständnis in der Bevöl­ke­rung. Denn es ist enorm schwierig, Arbeiter*innen zu erklären, dass man auf ihrer Seite steht, während ihr Zuhause gerade zum Schau­platz der totalen Verwü­stung wird.

Und wie kann man Mili­tanz anwenden und gleich­zeitig für eine breite Öffent­lich­keit nach­voll­ziehbar bleiben?

Es ist für die Mili­tanz­de­batte aber auch nicht zwangs­läufig entschei­dend, ob man mili­tante Akti­ons­formen im eigenen mora­li­schen Kompass vertreten kann. Wichtig ist viel mehr, sich zu fragen, wie man sie orga­ni­siert und vor allem, in welchen Kontext sie gesetzt werden.

Solange junge Menschen im Ange­sicht eines bren­nenden Planeten, einer ausbeu­te­ri­schen Wirt­schaft und eines frei­dre­henden Poli­zei­ap­pa­rats aufwachsen, wird es mili­tante Aktionen im Namen der sozialen Revolte geben. Die Frage ist nur: Wie werden sie durch­ge­führt und mit anderen Aktionen zusam­men­ge­dacht? Wie finan­ziert? Und wie kann man Mili­tanz anwenden und gleich­zeitig für eine breite Öffent­lich­keit nach­voll­ziehbar bleiben?

Die neue Mili­tanz­de­batte rund um die Klima­pro­teste muss sich also die Frage stellen, wie die radi­kale Linke mili­tante Aspekte und Taktiken in die eigene wider­stän­dige Stra­tegie einbinden kann – und nicht, ob sie es über­haupt will. Denn diese Entschei­dung hat die Repres­sion von Polizei und Staat schon längst für uns getroffen.


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