Massen­tier­hal­tung: Kein Rand­thema mehr

Die Initia­tive gegen Massen­tier­hal­tung wurde mit 62.9 Prozent abge­lehnt. Das ist noch härter als erwartet. Umsonst war die Initia­tive trotzdem nicht: Die Schweizer Tier­rechts­be­we­gung befindet sich im Aufwind. 
Doch nicht glücklich bis zum Schlachthof. Die Initiative ist verloren, der Kampf um Tierrechte hat gerade erst Fahrt aufgenommen. (Foto: Gemma Evans/Unsplash)

Selbst viele Befürworter*innen haben nicht an einen Sieg der Initia­tive gegen Massen­tier­hal­tung geglaubt. Diesen Pessi­mismus zeigten Erhe­bungen von gfs.bern bereits im Vorfeld. Nun kann man sich zwar sagen, immerhin habe man das Thema Massen­tier­hal­tung lanciert. Doch das alleine ist ein schwa­cher Trost für Tierfreund*innen, und für Tiere ist es über­haupt keiner. Denn die Initia­tive wurde mit 62.9 Prozent Nein-Stimmen an der Urne abgeschmettert.

An der Kampa­gnen­ar­beit des Initia­tiv­teams lag es bestimmt nicht – diese war fehler­frei. Doch die internen Span­nungen im Ja-Lager waren ein grosses Hindernis. Veganer*innen, Tierschützer*innen und Kleinbäuer*innen wollen letzt­lich nicht alle das Gleiche.

Teil­weise mit Augen­rollen konnte man sich auf eine Initia­tive einigen, die im Wesent­li­chen eine Schweiz fordert, die auch im Jahr 2050 noch Aber­mil­lionen Tiere für Fleisch tötet, dabei aber 2018er Bio-Stan­dards einhält. Das war eher ein Kompro­miss als eine Vision.

Fehlende Unter­stüt­zung aus den eigenen Reihen

Ursprüng­lich war alles anders gedacht. Als 2016 die ersten Ideen für eine Initia­tive gegen Massen­tier­hal­tung kursierten, war die Rede von einer Kampagne, die aufrüt­teln sollte. Tierrechtler*innen verspra­chen sich garan­tierte Medi­en­auf­merk­sam­keit für ihre oft igno­rierte und belä­chelte Bewe­gung. Man wollte eine kriti­sche Botschaft zum Thema Tier­aus­beu­tung plat­zieren, auch wenn es vorder­gründig nur um die kras­se­sten Formen von Massen­tier­hal­tung ging.

Klar, mit einer radi­ka­leren Initia­tive hätte man erst recht verloren. Aber ums Gewinnen und Verlieren ging es nicht, sondern ums Lancieren der rich­tigen Diskussion.

Mit der Zeit wuchs jedoch die Ambi­tion, tatsäch­lich zu gewinnen. Also versuchte man, prag­ma­tisch zu sein, nicht zu viel zu fordern. Das vergraulte prompt einen Teil der ursprüng­li­chen Basis.

Sympto­ma­tisch war etwa der Vegi-Verband Swissveg, der sich offen gegen die Initia­tive stellte, weil sie zu moderat war. Dann kamen die Kleinbäuer*innenvereinigungen, KAG Frei­land und Demeter an Bord. Die Kampagne änderte ihren Ton, setzte immer stärker auf Posi­tiv­bei­spiele der klein­bäu­er­li­chen Fleisch- und Eierproduktion.

Gleich­zeitig war die Kampagne etwa dem Schweizer Tier­schutz STS immer noch zu radikal. Er unter­stützte sie zwar ideell, wollte im Abstim­mungs­kampf jedoch nicht in Erschei­nung treten. Auch andere Player mit grosser Ausstrah­lung wollten mit der Initia­tive nichts zu tun haben.

Wo waren beispiels­weise die Zoos, die sich doch den Arten­schutz auf die Fahne schreiben? Immerhin ist die Massen­tier­hal­tung wegen Futter­mit­tel­pro­duk­tion und dazu­ge­hö­riger Habi­tat­zer­stö­rung eine Haupt­ur­sache des globalen Artensterbens.

Und wo waren die Tierärzt*innen? Nun, die Gesell­schaft Schweizer Tier­ärzte GST gab eine Nein-Parole heraus, ohne dafür irgend­einen tier­ärzt­li­chen Grund zu nennen. Das Schweigen dieser Insti­tu­tionen spricht natür­lich Bände über ihre Haltung zu Tieren. Aber das ändert nichts daran, dass die Basis der kompro­miss­ba­sierten Initia­tive letzt­lich nicht breit und begei­stert genug war.

Wie weiter?

Im Abstim­mungs­kampf kamen weitere Schwie­rig­keiten hinzu. Der Stadt-Land-Graben war bereits früh spürbar. So ist Basel-Stadt der einzige Kanton, in dem die Initia­tive ange­nommen wurde. Auch ein Geschlech­ter­graben war beim Thema Tier­schutz zu erwarten. Doch die meisten Zähne biss sich die Ja-Kampagne am Vertrauen des Volks ins Tier­schutz­recht aus.

Eigent­lich hatte die Ja-Seite sehr über­zeu­gend aufge­zeigt, welches Tier­leid in der Schweiz ganz legal herrscht. Insbe­son­dere der Verein Tier im Fokus leistete mit der Veröf­fent­li­chung von Under­cover-Aufnahmen viel Aufklärungsarbeit.

Doch trotz allen depri­mie­renden Fotos aus Schweizer Ställen lautete das stärkste Argu­ment der Nein-Seite, Tiere wären in der Schweiz bereits streng geschützt und es brauche keine Verbes­se­rungen. Der patrio­tisch gefärbte Glaube, bei uns laufe alles gut, lässt sich durch die Realität nicht so leicht erschüttern.

Und dennoch: Die Tier­be­we­gung in der Schweiz ist heute stärker und besser orga­ni­siert als vor der Initia­tive. Senti­ence beschäf­tigte zu Beginn der Sammel­phase zwei Ange­stellte, heute sind es neun. Eine Kampagne im Anschluss an die Initia­tive ist bereits aufge­gleist. Auch andere Gruppen konnten sich vergrös­sern und mit neuen Akti­ons­formen experimentieren.

Die diversen Orga­ni­sa­tionen der eher zersplit­terten Szene stehen wieder in engerem Kontakt. Und sie haben Erfah­rungen gesam­melt im Unter­schriften sammeln, im Alli­anzen schmieden, im Campai­gnen und in der Medienarbeit.

Damit geht es nahtlos weiter. Am Abstim­mungs­sonntag wurden bereits Unter­schriften für Initia­tiven gegen den Import von Pelz und Stopf­leber gesam­melt. Wie bei der Massen­tier­hal­tungs­in­itia­tive ist auch hier das Anliegen ein Under­state­ment. Vorder­hand geht es nur um Pelz und Stopf­leber, lang­fri­stig jedoch um das Verhältnis der Schweiz zur Tier­quä­lerei allgemein.

Auch wenn die Rech­nung bei Pelz und Stopf­leber aufgehen könnte, muss die Schweizer Tier­be­we­gung in Zukunft andere Stra­te­gien finden. Sie braucht eine Vision, zu der sie offen stehen kann, die sie nicht hinter Under­state­ments und Kompro­missen verstecken muss.

Dafür muss sich die Tier­be­we­gung aber selbst einmal klarer werden, was sie mittel- bis lang­fri­stig eigent­lich will. Wie soll die Schweiz aussehen, die im Jahr 2050 keine 80 Millionen Tiere mehr für Fleisch tötet? Was für ein Land­wirt­schafts- und Ernäh­rungs­sy­stem wünschen wir uns konkret? Und wie gelangen wir da hin? Es braucht gute Antworten auf diese Fragen, damit zukünf­tige Tier­wohl-Initia­tiven eine Chance haben.


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