Nach der Flut

Der Wahl­kampf in Deutsch­land war bisher geprägt von persön­li­chen Angriffen auf die Grünen-Kandi­datin. Dabei gäbe es viel Inhalt­li­ches zu disku­tieren: Das Klima­schutz­pro­gramm der Grünen ist nämlich weniger radikal, als es scheint. Nach der Flut­ka­ta­strophe könnten Inhalte wich­tiger werden. 
Bereits 2020 gab es in einigen deutschen Städten gefährliches Hochwasser. Hier etwa in Bonn. (Foto: Mika Baumeister / Unsplash)

Der Wahl­kampf startet mit einer Kata­strophe. Über 150 Menschen sterben in zwei deut­schen Bundes­län­dern wegen Stark­regen. Neben dem akuten Kata­stro­phen­schutz kommt auch die Frage auf: Was tun gegen die Klima­krise? Armin Laschet, Kanz­ler­kan­didat der CDU und Mini­ster­prä­si­dent von Nord­rhein-West­falen, hat darauf keine Antwort. „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik“, sagt er in einem Inter­view, bei der auf den Zusam­men­hang zwischen Klima­krise und der Flut­ka­ta­strophe aufmerksam gemacht wird.

Natür­lich muss bei einer Flut­ka­ta­strophe zuerst den Notlei­denden geholfen werden. Aber eine Antwort, die die Klima­krise ausser Acht lässt, verhöhnt die Opfer. Es ist deshalb wahr­schein­lich, dass die Antworten der Parteien entschei­dend sind für den Wahl­kampf zur deut­schen Bundes­tags­wahl am 26. September.

Am 26. September 2021 wird der deut­sche Bundestag gewählt. Bei der Wahl treten 53 Parteien an, von denen vermut­lich sieben in den Bundestag ziehen werden.

CDU: Christ­lich Demo­kra­ti­sche Union Deutsch­lands, stellt zur Zeit die Bundes­kanz­lerin Angela Merkel. Nach 16 Jahren tritt sie ab. Ihr Kanz­ler­kan­didat ist Armin Laschet, der derzei­tige Mini­ster­prä­si­dent, also Vorsit­zender des Landes­par­la­ments, des Bundes­landes Nordrhein-Westfalen.

CSU: Christ­lich-Soziale Union Deutsch­lands, der bayri­sche Ableger der CDU. Bildet gemeinsam mit dieser eine Frak­tion im Bundestag. Ihr Spit­zen­kan­didat ist Alex­ander Dobrindt.

SPD: Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Partei Deutsch­lands, die älteste Partei Deutsch­lands, ehemals stand sie der Arbeiter:innen-Klasse nah. Nun kämpft sie mit sinkenden Umfra­ge­werten. Ihr Kanz­ler­kan­didat ist Olaf Scholz.

Grüne: Eigent­lich Bündnis 90/Die Grünen. Der Name markiert in gewisser Weise die Einig­keit beider Deutsch­lands: In West­deutsch­land grün­dete sich die Partei Die Grünen als Partei des Umwelt­schutzes, in Ostdeutsch­land stand die Partei der Bürger­be­we­gung nah. Ihre Kanz­ler­kan­di­datin ist Anna­lena Baerbock.

Die Linke: Oft auch Links­partei genannt. Auch Die Linke entstand aus Parteien der beiden Deutsch­lands. Die Links­partei war auch lange nach der Wieder­ver­ei­ni­gung erfolg­reich im Osten Deutsch­lands. Ihre Spitzenkandidat:innen sind Janine Wissler, die dem linken Flügel der Partei ange­hört, und Dietmar Bartsch, der dem soge­nannten Reform­er­lager der Linken angehört.

FDP: Freie Demo­kra­ti­sche Partei, die lange Zeit neben der SPD und CDU in West­deutsch­land mitre­gierte. Die FDP ist markt­li­beral und schei­terte 2013 erst­mals daran, in den Bundestag zu kommen. Zur kommenden Bundes­tags­wahl stellt sie ihren Frak­ti­ons­chef Chri­stian Lindner als Spit­zen­kan­didat auf.

AfD: Alter­na­tive für Deutsch­land, die wie viele rechts­po­pu­li­sti­schen Parteien mit Hetze gegen Geflüch­tete und Leugnen der menschen­ge­machten Klima­krise Wahl­kampf macht.

Es gibt drei Kandidat:innen für das Kanzler:innenamt: den bereits erwähnten Armin Laschet für die Union, Olaf Scholz (SPD) und Anna­lena Baer­bock (Grüne). Neben Baer­bock und Laschet verblasst Scholz als Kanzler:innenkandidat, er ist der Egalste in der Runde. Scholz glaubt typisch SPD, er könne irgendwie allen alles recht machen und zum Schluss weiss niemand so recht, woran er:sie ist.

Armin Laschet dagegen schweigt gerne, weicht jeder Frage gekonnt aus und reagiert in Inter­views gerne belei­digt. In der Zeit sagte er pampig: „An allem, was schief­läuft, bin ich schuld, und alles, was gut läuft, ist die Vorgän­ger­re­gie­rung gewesen.“

Dass die Grünen ins Kanz­leramt streben, ist ein Novum. Als sie im April verkün­deten, dass sie die 40-jährige Anna­lena Baer­bock dazu aufstellen wollen, stiegen die Umfra­ge­werte der Partei rasant. Ende April lag die Partei in Meinungs­um­fragen vorn, hängte sogar die derzei­tige Kanz­lerin-Partei CDU ab.

Eine Grüne als Kanz­lerin, ist das möglich? Kurz schien es so, als sei Deutsch­land im 21. Jahr­hun­dert ange­kommen: eine Partei zu wählen, die für Klima­schutz eintritt, noch dazu eine Mutter von zwei Grund­schul­kin­dern, die sagte, dass sie die Care-Arbeit haupt­säch­lich ihrem Mann über­lassen wird, würde sie Kanz­lerin werden. Noch dazu eine Poli­ti­kerin ohne Regierungserfahrung.

Das beein­druckte die Deut­schen anschei­nend, die Grünen waren auf einem Hoch. Es schien logisch: zwei Jahre Fridays For Future, Umfragen, die bestä­tigen, dass die Deut­schen bereit wären für Mass­nahmen, die das Klima stärker schützen als bislang beschlossen und das Verfas­sungs­ge­richt, das bestä­tigt, dass der Klima­schutz der Bundes­re­gie­rung nicht weit genug geht. Es entschied, dass das deut­sche Klima­schutz­ge­setz teil­weise verfas­sungs­widrig ist, weil Vorgaben fehlen, die Treib­hausgas-Emis­sionen für die Zeit nach 2030 ausrei­chend zu senken. Das Gericht verpflich­tete die deut­sche Bundes­re­gie­rung dazu, nach­zu­bes­sern, um die grund­recht­lich gesi­cherte Frei­heit zu wahren. Dazu eine Kanz­ler­kan­di­datin, die qua Partei für Klima­schutz steht wie keine andere. Was ein Match.

Dann aber schlug die Stim­mung um, eine Klei­nig­keit nach der anderen kam ans Licht: Baer­bock meldete Neben­ein­künfte nach, änderte ihren Lebens­lauf und veröf­fent­lichte ein Buch, in dem sie plagi­iert haben soll. Der Plagi­ats­jäger veröf­fent­lichte seine Vorwürfe scheib­chen­weise in der Bild, die Grünen sahen sich diffa­miert, von „Trum­pismus im Wahl­kampf“ spra­chen einige. Souverän und beson­ders stra­te­gisch waren diese Reak­tionen nicht. Und zack: Die Werte der Grünen sanken bis auf zuletzt 19 Prozent herab, Baer­bock stand im Rampen­licht des Wahl­kampfs, sie und die Grünen wurden immer defensiver.

Es würde nicht mehr über Inhalte gespro­chen werden, beklagten sich viele Grüne. Dabei stellt sich die Frage: Ist das Klima­schutz­pro­gramm der Grünen so radikal?

Die Grünen schreiben in ihrem Wahl­pro­gramm, dass sie ihre „Kraft darauf lenken, Mass­nahmen auf den Weg zu bringen, die uns auf den 1,5‑Grad-Pfad führen“. Sie wollen ab 2030 keine Verbren­nungs­mo­toren mehr zulassen und heben detail­liert hervor, was sie klima­neu­tral gestalten wollen (Sport­ver­an­stal­tungen, Bundes­ver­wal­tungen, Ener­gie­ver­sor­gung). Die Grünen schreiben, dass sie weg von Kohle, Öl und fossilem Gas als Ener­gie­lie­fe­rant und hin zu Sonnen- und Wind­energie wollen. Ange­trieben werden soll das von einem Klimaschutzprogramm.

Die Grünen haben also konkrete Vorschläge, wie der Klima­schutz gestaltet werden soll. Doch reicht das? Schaut man sich das Partei­pro­gramm der Linken an, merkt man schnell: Hier hat man eben­falls verstanden, dass soziale Gerech­tig­keit nicht herge­stellt werden kann in einer Welt, die wegen der Klima­krise lebens­feind­lich wird.

Die Linken wollen laut Wahl­pro­gramm den Verbren­nungs­motor eben­falls bis 2030 verbieten, aber schon vorher klima­neu­tral werden: bis 2035 und nicht erst, wie die Grünen vorschlagen, 2040. Wie die Grünen wollen auch die Linken bis 2030 einen Kohle­aus­stieg, dabei erwähnt die Links­partei explizit, dass das Stein­koh­le­kraft­werk Datteln 4 sofort abge­stellt werden muss. Eine solche Forde­rung sucht man im Wahl­pro­gramm der Grünen verge­bens. Ausserdem fordert Die Linke den Straf­tat­be­stand des „Ökozids“, also die straf­recht­liche Verfol­gung von Umweltzerstörung.

Und auch von weiteren linken Parteien wird Druck auf die Grünen ausgeübt: So haben Klima-Aktivist:innen die Klima­liste gegründet, die die Einhal­tung des Pariser Einkom­mens zur ober­sten Prio­rität erhebt.

Ein Blick ins Wahl­pro­gramm der Parteien zeigt also: Eine Angriffs­fläche auf inhalt­li­cher Ebene wäre auch durchaus bei den Grünen gegeben. Warum fordern sie nicht ähnlich wie die Links­partei, dass Datteln 4 sofort abge­stellt wird? Wieso fordern die Grünen, dass Deutsch­land erst 2040 klima­neu­tral werden soll? Wenn sich das Wahl­pro­gramm schon vorher wie ein Kompro­miss-Katalog liest – was bedeutet das für die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen? Kann so das 1,5‑Grad-Ziel einge­halten werden? Alles Dinge, über die sich disku­tieren liesse. Wer im Vorhinein schon Kompro­misse schliesst, der muss bei Koali­ti­ons­ver­hand­lungen noch weiter von den eigenen Zielen abrücken.

Doch die Klima­pro­gramme von SPD, Union und FDP liefern dazu keine befrie­di­gende Antwort. Es nützt deshalb den anderen Parteien, vor allem der Union, wenn auf Baer­bock und die Grünen einge­dro­schen wird – seien die Vorwürfe noch so klein.

Während disku­tiert wird, ob Baer­bock tatsäch­lich plagi­iert hat, haftet der Union ein Masken­skandal nach dem anderen an: Mitglieder der Union verteilten staat­liche Aufträge ohne Ausschrei­bung an Maskenlieferant:innen, darunter war auch ein Auto­zu­lie­ferer. Bundes­ge­sund­heits­mi­ni­ster Jens Spahn (CDU) soll zudem vorge­schlagen haben, minder­wer­tige FFP2-Masken an obdach­lose und behin­derte Menschen zu verteilen.

Dass auch Laschets Lebens­lauf nicht korrekt war, schien kaum zu inter­es­sieren. Es ist ein Wahl­kampf, der prima ablenkt von den Klima­schutz­pro­grammen der Parteien, und auch davon, wie wenig radikal sich die Grünen posi­tio­nieren, um regie­rungs­fähig zu sein.

Auch hängt viel von den Medien ab, die den Wahl­kampf mitbe­ein­flussen. Es gibt aus dem Ausland finan­zierte Kampa­gnen, die den deut­schen Wahl­kampf beein­flussen, indem sie beson­ders femi­ni­sti­sche und klima­be­wusste Parteien mittels Diffa­mie­rung und Desin­for­ma­tion angreifen. Dazu gibt es in Deutsch­land viele konser­va­tive Medien, die gegen die Grünen anschreiben.

Doch seitens rechter und bürger­li­cher Posi­tion wird oft behauptet, deut­sche Journalist:innen seien zu links oder Grünen-nah. Das führt dazu, dass vermeint­lich linke und Grünen-nahe Medien betont meinungs­ver­schieden mit der „Causa Baer­bock“ umgehen. Die Medi­en­land­schaft ist dadurch in gewisser Weise unausgeglichen.

Die Flut­ka­ta­strophe zwingt die Parteien nun zu einer klaren Posi­tio­nie­rung: Welche Mass­nahmen müssen ergriffen werden, um solche Kata­stro­phen in Zukunft zu verhin­dern? Welche Gesetze müssen beschlossen werden, damit sich die Pariser Klima­ziele einhalten lassen? Die Grünen haben jahre­lange Exper­tise sammeln können, um diese Fragen adäquat zu beant­worten. Sie müssen sich nur trauen, dieses Wissen im Wahl­kampf anzu­wenden. Ohne Kompro­misse. Sonst werden sie von der Links­partei in ihrem Kern­ge­biet übertrumpft.


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