Das CO2-Gesetz scheint zu einem Dauerbrenner zu werden. Nach dem Nein im letzten Sommer wird in Bundesbern bereits der nächste Gesetzesentwurf besprochen. Die wichtigsten Neuerungen haben wir hier zusammengestellt.
Doch: Wer sich mit diesem Gesetz befasst, kann leicht verzweifeln. Die Behörden werfen mit verwirrenden und missverständlichen Formulierungen um sich, dass es einem schwindelig wird.
Deshalb kommt hier ein Best-of der waghalsigsten Beamt:innensprachkunst und den geschicktesten linguistischen Ausweichmanövern aus dem Bericht, der den neuesten Entwurf des CO2-Gesetzes eigentlich erklären sollte.
1) Auch Halbwahrheiten haben kurze Beine
Auf Seite 52 des erläuternden Berichts zum neuen CO2-Gesetz erklärt das Bundesamt für Umwelt (BAFU), weshalb man damit rechnen müsse, dass die Einnahmen aus der CO2-Abgabe in Zukunft zurückgehen könnten: „Aufgrund der sinkenden CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen […] ist davon auszugehen, dass die Einnahmen aus der CO2-Abgabe abnehmen […] werden.“
Das ist nicht falsch. Aber auch nicht komplett richtig. Denn ein wichtiger Grund, weshalb die Einnahmen aus der CO2-Abgabe mit der neuen Vorlage sinken dürften, bleibt unerwähnt. Neu könnten sich mit dem neuen Gesetz nämlich alle Firmen von der CO2-Abgabe befreien lassen und dafür mit dem Bund eine sogenannte Verminderungspflicht eingehen. Wirklich viel vermindern müssen sie dabei aber nicht.
Nicht wenige Firmen dürften deshalb von diesem Angebot Gebrauch machen und in Zukunft eine lasche Verminderungspflicht eingehen, anstatt die teure CO2-Abgabe zu bezahlen. Und das dürfte neben den sinkenden CO2-Emissionen ein mindestens so gewichtiger Grund sein, weshalb die Einnahmen über die CO2-Abgabe abnehmen werden.
2) Wer nicht bezahlt, der gewinnt
Als Lenkungsabgabe wird die CO2-Abgabe zumindest teilweise an die Firmen und privaten Haushalte zurückverteilt. Nach dem CO2-Gesetz, dass jetzt gerade in der Vernehmlassung ist, sollen Firmen, die wegen einer Verminderungspflicht keine CO2-Abgabe bezahlen, von dieser Rückerstattung ausgeschlossen werden: „Wie in der ersten Verpflichtungsphase (2008–2012) sind Betreiber mit Verminderungsverpflichtung von der Rückverteilung der CO2-Abgabe ausgeschlossen“, steht auf Seite 24 des erläuternden Berichts. Wer nichts einbezahlt hat, soll auch nichts zurückkriegen – logisch.
Was nicht im Bericht steht: Im Moment ist das nicht so. In der zweiten Verpflichtungsphase, also von 2013 bis 2024, profitieren diese Firmen von der Rückverteilung. Die Firmen zahlen also nicht nur keine CO2-Abgabe, sondern erhalten auch noch einen Teil der Abgaben zurück, die andere bezahlt haben. Dies zu erwähnen lässt der erläuternde Bericht aus.
3) Versprechen ist ehrlich, halten beschwerlich
Noch etwas soll sich mit dem neuen Gesetz für die Firmen mit einer Verminderungspflicht ändern: „Im Industriebereich soll die Verminderungsverpflichtung für Unternehmen, die sich von der CO2-Abgabe befreien lassen, neu einen Weg hin zu Netto-Null aufzeigen“ (Seite 2, erläuternder Bericht).
Diese Formulierung ist nicht nur irreführend, sondern falsch. Denn das Gesetz würde von den Firmen lediglich verlangen, dass sie aufzeigen, wie sie bis 2040 „keine energetische Nutzung fossiler Brennstoffe“ mehr aufweisen (Art. 31c).
Doch Emissionen fallen bekanntlich nicht nur bei der energetischen Nutzung fossiler Brennstoffe an, sondern zum Beispiel auch über Treibstoffe oder die eingesetzen Rohstoffe. Zwar wird weiter hinten im Bericht die korrekte Formulierung verwendet, an dieser Stelle versprechen die Erläuterungen aber mehr, als das Gesetz tatsächlich fordert. Das BAFU wollte auf Anfrage keine Stellung dazu beziehen.
4) Zum Privileg verpflichtet
Auf Seite 23 des erläuternden Berichts geht es um das Emissionshandelssystem (EHS): „Weiterhin sind […] bestimmte Industrieanlagen zur Teilnahme verpflichtet“, steht da zu lesen. Bei diesen „bestimmten Industrieanlagen“ handelt es sich um die klimaschädlichsten Firmen der Schweiz. Es sind rund 50 Unternehmen. Damit werden die Grossemittent:innen jedoch keineswegs zu mehr Klimaschutz verpflichtet.
Denn anders als die privaten Haushalte oder die meisten anderen Firmen zahlen sie durch ihre „Verpflichtung“ keinen Rappen CO2-Abgabe und das sind immerhin 120.- CHF pro Tonne emittiertes CO2. Und die CO2-Zertifikate, die sie anstelle der CO2-Abgabe vorweisen müssen, werden ihnen zum grössten Teil vom BAFU geschenkt.
Hinzu kommt: Obwohl die EHS-Firmen keine CO2-Abgabe bezahlen, würden sie mit dem neuen Gesetz bei der Rückverteilung der CO2-Abgabe weiterhin einen Anteil zurückerhalten. Und das, obwohl die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) in ihrem Untersuchungsbericht des Emissionshandelssystems von 2017 das Gegenteil empfiehlt (Seite 55).
Die Teilnahme am EHS ist für diese „bestimmten Industrieanlagen“ obligatorisch, da hat der erläuternde Bericht recht. Verpflichtet werden die grössten Klimagasemittent:innen mit dem EHS aber vor allem dazu, aus den Klimaregeln Profit zu ziehen.
5) Sich das Blaue vom Himmel rechnen
Auch an einer anderen Stelle verschwinden die Klimaambitionen bei genauerem Hinschauen: „Insgesamt ist gemäss der langfristigen Klimastrategie bis zum Jahr 2050 eine Verminderung der Treibhausgasemissionen […] auf rund 11.8 Mio Tonnen […] möglich. Dies entspricht einer Reduktion von 79 % gegenüber 2019, der internationale Luftverkehr miteinberechnet“, steht auf Seite 19 des erläuternden Berichts.
Interessant ist hier der Nebensatz über die Luftfahrt. Denn laut Pariser Abkommen sind die Länder nicht verpflichtet, die Emissionen aus dem Flugverkehr miteinzuberechnen. Die Emissionen aus der internationalen Luft- und Schiffsfahrt werden bis heute in den Mechanismen des Pariser Abkommens keinem Land zugeordnet. Trotzdem rechnet die Schweiz diese Emissionen mit ein – oder zumindest versucht sie es so aussehen zu lassen.
Denn: Wenn man in der zitierten „langfristigen Klimastrategie“ nachliest, steht dort auf Seite 53 Folgendes: „Die EP2050+ (Energieperspektiven 2050+) gehen davon aus, dass bis 2050 eine vollständige Umstellung auf synthetische Treibstoffe technisch und wirtschaftlich möglich ist. Damit lägen die CO2-Emissionen [der Luftfahrt] nahezu bei null. Angesichts der begrenzten Potenziale und der nicht gesicherten Wirtschaftlichkeit synthetischer Treibstoffe ist diese Prognose aus heutiger Sicht als optimistisch zu beurteilen, dient aber nachfolgend dennoch als Grundlage.“
Im Klartext: Wir sehen zwar selber, dass es illusorisch ist, die Emissionen aus dem Flugverkehr bis 2050 auf null zu bringen, nehmen das jetzt aber trotzdem mal so an und erreichen damit eine Senkung von 79 Prozent inklusive Luftfahrt. Das BAFU wollte auf Anfrage keine Stellung dazu beziehen.
- Teil 1: Das würde sich ändern
- Teil 2: Lücken und Beschönigungen in der Bundeskommunikation
- Teil 3: Es ist an der Zeit, Profit abzugeben
Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Serie zum neusten CO2-Gesetzesentwurf. Der erste Teil gibt einen Überblick zu den geplanten Neuerungen. Im dritten Teil erklärt unsere Redaktorin, wieso sie der Meinung ist, dass auch mit dem neuesten Vorschlag für ein CO2-Gesetz die Last der Klimakrise nicht gleichmässig verteilt wird.
6) Die Banken auf die lange Bank schieben
„Als global bedeutender Finanzplatz kann die Schweiz […] bei der im Übereinkommen von Paris geforderten klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse eine wichtige Rolle spielen“, steht im erläuternden Bericht zum neuen CO2-Gesetz auf Seite 49.
Gemeint ist hier der Artikel zwei des Pariser Abkommens. Darin steht, dass die Finanzmittelflüsse mit dem Klima in Einklang gebracht werden sollen. Denn: Die Finanzplätze, auch der Schweizer, verantworten durch ihre Investitionen riesige Mengen an Klimagasen.
Doch anders als der erläuternde Bericht suggeriert, nimmt die Schweiz keineswegs eine „wichtige Rolle“ ein in der „klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse“. Dem Finanzplatz würde mit dem neuen Gesetz bis 2030 lediglich die Pflicht zu einer Berichterstattung drohen – jedoch keine Regeln und keine Sanktionen.
Eine wichtige Rolle in dieser Hinsicht würde anders aussehen. Dass der Schweizer Finanzplatz vielleicht auch noch in knapp zehn Jahren sanktionsfrei in klimaschädliche Kohlekraftwerke oder Erdölbohrungen investieren kann, ist kaum mit der Ratifikation des Pariser Klimaabkommen zu vereinbaren.
7) Aus dem Lande, aus dem Sinn
„Trotz Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und zunehmender Wohnfläche sind die Treibhausgasemissionen in der Schweiz zwischen 1990 und 2019 […] pro Kopf von jährlich 8.1 auf 5.4 Tonnen gesunken“, steht auf Seite 10 des erläuternden Berichts. Die Klimagas-Tonnen, die aus den Schweizer Schornsteinen kommen, sind in den letzten Jahren tatsächlich gesunken.
Doch die Schornsteine rauchen für uns nicht nur im Inland. Denn was wir in der Schweiz konsumieren, wird zu einem grossen Teil im Ausland produziert. Die dadurch entstehenden CO2-Emissionen sind in den 8.1 bzw. 5.4 Tonnen nicht einberechnet. Das steht auch so im erläuternden Bericht. Nicht erwähnt wird hingegen, wie viele Schweizer Emissionen auf diese Weise zusätzlich im Ausland anfallen.
Zählt man die importierten Emissionen dazu, haben die Schweizer Zahlen seit 1990 nicht etwa ab, sondern zugenommen. 1990 waren es noch 11.9 Tonnen pro Person. 2015 bereits 14 Tonnen pro Person. Die aktuellen Zahlen dürften den Trend fortsetzen. Die Schweiz hat ihre Emissionen also nicht reduziert, sondern einfach ins Ausland verlagert. Die im Bericht verwendete Formulierung suggeriert das Gegenteil.
8) Nehmen ist seliger als geben
Um die Schweiz auf Kurs zu bringen, müsse „das Engagement im Ausland ausgebaut werden“. So steht es auf Seite 5 des erläuternden Berichts. Wer nun aber denkt, hier ginge es darum, die Schweizer Auslandsemissionen anzugehen, liegt weit daneben. Und laut dem Mechanismus des Pariser Abkommens muss sich die Schweiz tatsächlich nur um die Emissionen kümmern, die auf dem eigenen Territorium entstehen. Für ein Land, das zwei Drittel der Emissionen importiert, sind die Pariser Regeln deshalb ein wahrer Glücksfall.
Trotzdem gab es im CO2-Gesetz, zu dem das Stimmvolk letzten Sommer Nein gesagt hat, einen Mechanismus, der die Schweiz dazu verpflichtet hätte, auch die importierten Emissionen anzugehen (Art.3, Abs. 3). Einen vergleichbaren Artikel sucht man im neuen Gesetzesvorschlag vergebens.
Zwar hat die Eidgenossenschaft Kompensationsabkommen mit Peru, Ghana oder dem Senegal abgeschlossen. Doch was wir dort reduzieren, können sich nicht die Länder anrechnen lassen, wo die Reduktionen tatsächlich stattfinden. Stattdessen landet es auf dem schweizerischen Klimabudgetplan – wird also von den 5.4 Tonnen Inlandemissionen abgezogen. Echtes Engagement sieht anders aus.
9) Wein predigen und Wasser einschenken
Das Pariser Abkommen hält fest, dass die Welt bis in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf Netto-Null sein muss und fordert von allen Ländern die grösstmögliche Ambition – unter Berücksichtigung der jeweiligen Verantwortlichkeiten, Fähigkeiten und nationalen Gegebenheiten (Art. 4). Alle Länder zusammen müssen also bis 2050 mit den Emissionen auf null sein, wobei die Länder, die mehr beitragen können, auch mehr leisten sollen.
Dazu meint der erläuternde Bericht Folgendes: „Es lässt sich die Erwartungshaltung ableiten, dass ein hochentwickeltes Land wie die Schweiz diese Reduktionsvorgaben übertreffen sollte (Seite 9).“ Was nicht drinsteht: Die Schweiz tut das nicht.
Die Schweiz peilt mit dem neuen CO2-Gesetz folgende Reduktionen an: bis 2030 minus 50 % und bis 2050 minus 100 %, also Netto-Null. Damit leistet die Schweiz gerade einmal den Durchschnitt dessen, was das Pariser Abkommen verlangt – obwohl die Schweiz überdurchschnittlich hohe Verantwortung trägt und vergleichsweise grosse Möglichkeiten hätte. Ambitioniert sieht anders aus.
Das finden auch die Wissenschaftler:innen des Climate Action Trackers, der die Klimaziele verschiedener Länder beurteil. Zu den Klimazielen der Schweiz fällen sie das Urteil „ungenügend“.
An einer im September 2021 durchgeführten Fachtagung, an welcher Vertreter:innen von Hilfswerken die Höhe des CO2-Emissionsrestbudgets unter dem Aspekt der Klimagerechtigkeit für die Schweiz diskutierten, fiel die Einschätzung ähnlich aus: nämlich dass die Schweiz aus ethischer Sicht ihr CO2-Restbudget bereits im März 2022 aufgebraucht haben wird.
Auch eine Analyse der International Cryosphere Climate Initiative von 2021 kam zu einem vergleichbaren Resultat. Die Forscher:innen sind der Meinung, dass von einem hochentwickelten Land wie der Schweiz hinsichtlich Klimaschutz mehr erwartet werden kann: nämlich minus 127 % bis 2030.
Das aktuelle Gesetz zielt auf minus 50 % bis 2030. Die grösstmöglichen Ambitionen für ein Land wie die Schweiz sähen anders aus. Die aus dem erläuternden Bericht zitierte Stelle suggeriert einmal mehr das Gegenteil.
Damit ihr die Übersicht nicht verliert – Hier die geplante Schweizer Klimagesetzgebung auf einen Blick (oder vielleicht auf zwei):
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