„Pandora-Papers“: Steu­er­ver­mei­dung made in Switzerland

Erneut bestimmt ein Daten­leck über die Steu­er­tricks von Super­rei­chen die Schlag­zeilen. Dominik Gross von Alli­ance Sud spricht im Inter­view über inter­na­tio­nale Steu­er­ge­rech­tig­keit, inkon­se­quente Steu­er­po­litik – und ein mögli­ches Alternativprogramm. 
Sogenannte Briefkasten-Firmen sind keine Seltenheit. (Foto: Unsplash/Elizabeth Kay)

Ein inter­na­tio­nales Journalist:innennetzwerk hat Anfang Woche ein 3’000 Giga­byte grosses Daten­leck von Kanz­leien in verschie­denen Steu­er­oasen veröf­fent­licht. Die soge­nannten Pandora-Papers bezich­tigen Super­reiche aus aller Welt der Steu­er­ver­mei­dung. Mitten­drin: die Schweiz. Gemäss Tages-Anzeiger sind von den 20’000 Offshore-Struk­turen einer einzigen Firma mehr als ein Drittel mit Schweizer Anwält:innen, Treuhänder:innen und Berater:innen verbunden. Dominik Gross ist Histo­riker und Analyst für inter­na­tio­nale Finanz- und Steu­er­po­litik bei der entwick­lungs­po­li­ti­schen Arbeits­ge­mein­schaft Alli­ance Sud.

Herr Gross, zynisch gefragt: Haben wir irgend­etwas Neues erfahren durch die Pandora-Papers?

Dominik Gross: Nein, die Pandora-Papers haben an sich keine neuen Erkennt­nisse an die Öffent­lich­keit gebracht. Aber sie beinhalten weitere Beispiele von Promi­nenten, Politiker:innen und Staats­ober­häup­tern, die Steu­er­oasen und Brief­ka­sten­firmen zur Steu­er­ver­mei­dung gebrau­chen. Die Enthül­lungen sind erfreu­lich, weil sie hoffent­lich den Druck der Öffent­lich­keit auf die poli­ti­schen Verant­wort­li­chen hoch­halten. Wobei sich ja die bürger­liche Mehr­heit des Schweizer Parla­ments bei diesen Themen als recht unbe­lehrbar erwiesen hat.

Sie spre­chen die Revi­sion des Geld­wä­sche­rei­ge­setzes an. Der Bundesrat wollte auf inter­na­tio­nalen Druck hin die Regeln für Schweizer Anwält:innen und Treuhänder:innen verschärfen – und schei­terte an einer bürger­li­chen Mehr­heit im Nationalrat. 

Genau. Die Pandora-Papers zeigen die spezi­fi­sche Funk­tion der Schweiz im trans­na­tio­nalen Offshore-System auf. Die Schweizer Berater:innen funk­tio­nieren als eine Art Schar­nier zwischen den tatsäch­li­chen Besit­zer:innen der Gelder und den Brief­ka­sten­firmen in Steu­er­pa­ra­diesen, die dann als offi­zi­elle Inhaber:innen der Konten auftreten. Die These ist also, dass Gelder nicht mehr wie früher hier gebun­kert werden, sondern dass die Schweiz viel­mehr als eine Art Trans­mitter funk­tio­niert. Wobei die Pandora-Papers eine wich­tige Frage unbe­ant­wortet lassen: Wo liegen die Konten der Briefkastenfirmen?

Warum ist das wichtig?

Das geht in der Diskus­sion oft vergessen: Auch eine Brief­ka­sten­firma auf den Jung­fern­in­seln oder in Panama braucht ein Konto. Und dieses Konto könnte theo­re­tisch wiede­rum auf einer Schweizer Bank sein. Wir können auch in den Pandora-Papers nicht den ganzen Weg von den Super­rei­chen bis zum Konto, sondern nur bis zur Brief­ka­sten­firma nach­ver­folgen. Über die Frage, ob und wie genau Schweizer Banken in die inter­na­tio­nale Steu­er­ver­mei­dung invol­viert sind, sagen die Pandora-Papers nicht viel aus. Entspre­chend vorschnell ist die Inter­pre­ta­tion, dass gewisse Anwält:innen noch die letzten schwarzen Schafe auf einem anson­sten sauberen Schweizer Finanz­platz sind.

Jetzt findet aber gerade medial eine posi­tive Neube­set­zung des Schweizer Finanz­platzes statt: Banker und FDP-Natio­nalrat Hans-Peter Port­mann stellte Banken Anfang Woche im Tages-Anzeiger sogar als Opfer von skru­pel­losen Anwält:innen dar.

Dass Herr Port­mann die Banken hier etwas vorschnell weiss­wäscht, zeigt schon die recht­liche Lage: Die beiden Geset­zes­ar­tikel, auf denen das Bank­ge­heimnis basiert, haben sich trotz der Einfüh­rung des auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tau­sches (AIA) vor einigen Jahren nicht verän­dert. Zwar tauscht die Schweiz heute Daten auslän­di­scher Kund:innen von Banken in der Schweiz mit vielen Ländern aus, in denen diese Kund:innen ihren Wohn­sitz haben. Es gibt aber viele Wege, den AIA zu umgehen, eben etwa über Brief­ka­sten­firmen, wie sie in den Pandora-Papers auftauchen.

Ein Beispiel hilft zur Illu­stra­tion des Problems: Die Schweiz hat ein AIA-Abkommen mit Nigeria. Wenn jetzt aber ein Ölhändler aus Nigeria mit einer Schweizer Anwalts­kanzlei zusam­men­ar­beitet, die für ihn eine Brief­ka­sten­firma in Panama betreibt, findet kein Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwischen Nigeria und der Schweiz statt, da die Anwalts­kanzlei ja in einem solchen Fall die Inha­berin des Kontos ist.

Das Beispiel erin­nert stark an einen Fall, der im Zuge der „Luanda-Leaks“ bekannt wurde. Dieses Daten­leck zeigte Anfang 2020 die zum Teil krimi­nellen Steu­er­ver­mei­dungs­tricks der ango­la­ni­schen Präsi­den­ten­to­cher Isabel dos Santos auf.

Genau. Wie der briti­sche Guar­dian damals berich­tete, zahlte der staat­liche ango­la­ni­sche Diaman­ten­händler Sodiam indi­rekt über Steu­er­oasen hohe Darlehen an einen Schweizer Juwe­lier in Genf. Was dort mit dem Geld aus Angola genau passierte, ist aller­dings unklar. Fakt ist aber, dass der Juwe­lier in Genf über Jahre trotz der Darlehen Verluste schrieb. Irgendwo muss also dieses Geld hinge­flossen sein.

Ist es aber nicht so, dass die Steu­er­tricks von Konzernen viel stärker ins Gewicht fallen als jene von reichen Einzelpersonen? 

Nein, so gene­rell kann man das nicht sagen. Es gibt verschie­dene Schät­zungen dazu, wie viel Geld insbe­son­dere den Ländern aus dem globalen Süden durch Steu­er­ver­mei­dung von Konzernen und Einzel­per­sonen entgehen. Aber die Tren­nung ist viel­leicht gar nicht so sinn­voll: Hinter den Konzernen stecken Aktionär:innen, die dann auch von der Steu­er­ver­mei­dung der Konzerne profi­tieren. Die Steu­er­tricks von Konzernen und reichen Einzel­per­sonen unter­scheiden sich zwar zum Teil, hängen aber immer eng zusammen.

Was sind die Konse­quenzen für die Menschen in den Ländern, aus denen das Geld abge­zogen wird?

Grund­sätz­lich fehlen den Ländern vor Ort Steu­er­ein­nahmen für den Ausbau wich­tiger Infra­struktur: Strassen, Spitäler, saubere Wasser­lei­tungen. In einem intrans­pa­renten Staat ist es für die Herr­schenden einfach zu behaupten, es sei kein Geld für den Ausbau von Service-Public-Leistungen vorhanden, während sie ihr Geld, mit Hilfe von Schweizer Anwält:innen, in Steu­er­oasen verstecken. Es ist zynisch, wenn bürger­liche Politiker:innen behaupten, die Korrup­tion in den Ländern des globalen Südens sei das eigent­liche Problem, wenn auch Schweizer Anwält:innen und Banken die recht­li­chen Struk­turen anbieten, die diese erst ermög­li­chen. Es stellt sich auch deshalb die Frage, warum sich die bürger­li­chen Parteien so schüt­zend vor diese Offshore-Anwält:innen stellen.

Wie meinen Sie das?

Die Vorschläge für eine stär­kere Regu­lie­rung dieser Anwalts­ge­schäfte waren nicht die Idee von Finanz­mi­ni­ster Maurer, sondern sind auf inter­na­tio­nalen Druck hin entstanden. Da die Schweiz die entspre­chenden inter­na­tio­nalen Stan­dards nicht erfüllt, könnte sie wieder auf schwarzen Listen landen, was für den Finanz­platz schäd­lich ist. Das alles, obwohl diese Offshore-Geschäfte Schweizer Kanz­leien für sich genommen volks­wirt­schaft­lich nicht sehr ins Gewicht fallen.

Die SP plant als Reak­tion auf die Pandora-Papers jetzt eine parla­men­ta­ri­sche Initia­tive einzu­rei­chen. Reine Kosmetik oder ein realer Fortschritt?

Wenn die parla­men­ta­ri­sche Initia­tive durch­kommt, wäre das natür­lich ein grosser Fort­schritt. Natür­lich wären damit nicht alle Probleme gelöst, die wir hier disku­tieren, aber keine parla­men­ta­ri­sche Initia­tive könnte alle Probleme des Schweizer Finanz­platzes auf einmal lösen (lacht).

Mit dem Ja zur Steu­er­re­form und AHV-Finan­zie­rung (STAF) hat die SP aber auch ermög­licht, dass multi­na­tio­nale Konzerne in der Schweiz weiterhin von sehr tiefen Steuern profi­tieren können.

Das stimmt. In diesem Fall hat die SP die globale Verant­wor­tung der Schweiz im Kampf für mehr globale Steu­er­ge­rech­tig­keit weniger hoch gewichtet als zwei jähr­liche Zusatz­mil­li­arden für die AHV. Die natio­nale Perspek­tive verstellt auch links manchmal den Blick auf die trans­na­tio­nale Steu­er­ge­rech­tig­keit. Hier gibt es einen inner­linken Zielkonflikt.

„Etwas pole­misch gesagt finan­ziert sich die Schweiz ihre Schul­den­bremse durch die Gewinn­ver­schie­bungen von Konzernen und Steu­er­flucht von reichen Einzelpersonen.“

Dominik Gross

Der wäre?

Die Schweiz hat eine verhält­nis­mässig strenge Schul­den­bremse – und muss trotzdem keine Spar­po­litik betreiben. Im Gegen­teil: Der Bund verzeich­nete bis zur Corona-Krise über 15 Jahre hinweg einen Über­schuss. Dieser ist zu einem Gross­teil auf die Verrech­nungs­steu­er­ein­nahmen zurück­zu­führen, die aus inter­na­tio­nalen Finanz­strömen resul­tieren, die durch die Schweiz führen. Etwas pole­misch gesagt finan­ziert sich die Schweiz ihre Schul­den­bremse durch die Gewinn­ver­schie­bungen von Konzernen und Steu­er­flucht von reichen Einzel­per­sonen. Sie lebt so massiv auf Kosten von ärmeren Ländern.

Wenn die SP und die Grünen wirk­lich gegen die Steu­er­oase Schweiz vorgehen und gleich­zeitig den heutigen Stan­dard an Service-Public aufrecht­erhalten wollen, müssen sie konse­quen­ter­weise auch für die Abschaf­fung der Schul­den­bremse sein und aufzeigen, wie die wegfal­lenden Steu­er­ein­nahmen ersetzt werden können. Weil so ein Alter­na­tiv­pro­gramm aber fehlt, verstrickt sich Rot-Grün notge­drungen in Widersprüche.

Wie sieht denn Ihr Alter­na­tiv­pro­gramm aus?

In Sachen Steu­er­flucht und Geld­wä­scherei ist ja das Prak­ti­sche, dass wir auf Grund der Untä­tig­keit der bürger­li­chen Mehr­heit in Bundes­bern bei jeden neuen Enthül­lungen wieder dieselben Reform­vor­schläge auflegen können. Sicher­lich bräuchte es ein öffent­li­ches Regi­ster von wirt­schaft­lich Berech­tigten. Dieses würde die Personen, die hinter den Brief­ka­sten­firmen stecken, sichtbar machen. Idea­ler­weise setzt sich der Bundesrat bei der Uno für eine inter­na­tio­nale Lösung ein, und versucht nicht mehr wie heute, zusammen mit anderen Tief­steu­er­län­dern alle Ansätze für mehr Steu­er­ge­rech­tig­keit zu torpe­dieren. Konzerne sollten im Rahmen eines öffent­li­chen Country-by-Country-Reportings verpflichtet werden, öffent­lich zu zeigen, wo sie Gewinne erzielen und Steuern bezahlen. Weiter müsste der AIA ausge­weitet werden und das Bank­ge­heimnis auch gesetz­lich abge­schafft werden.

Und wie gleicht man die Steu­er­ver­luste aus, wenn die Schweizer Steu­er­oase einmal trocken­ge­legt ist?

Die endgül­tige Abschaf­fung des Bank­ge­heim­nisses würde Milli­arden einbringen, weil auch inlän­di­sche Steuervermeider:innen endlich auffliegen und zur Rechen­schaft gezogen werden könnten. Zudem hat die Schweiz im inter­na­tio­nalen Vergleich eine sehr tiefe Schul­den­quote. Sie könnte locker 200 Milli­arden in die Hand nehmen und wäre erst auf dem durch­schnitt­li­chen Schul­den­ni­veau der EU.

Dafür bräuchte es aber eine Locke­rung der Schul­den­bremse. Das so verfüg­bare Geld könnte mittels öffent­li­cher Inve­sti­tionen in einen ökolo­gi­schen Umbau der Volks­wirt­schaft inve­stiert werden, womit grüne Inno­va­tionen geför­dert, produ­zie­rende statt verwal­tende Arbeits­plätze geför­dert, entspre­chende Steu­er­ein­nahmen gene­riert und so die Abhän­gig­keit von der globalen Offshore-Indu­strie redu­ziert werden könnten.

Dieses Inter­view ist zuerst bei der P.S.-Zeitung erschienen. Die P.S.-Zeitung gehört wie Das Lamm zu den verlags­un­ab­hän­gigen Medien der Schweiz.

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