„Richter:innen müssen sich auch nicht mit Werbung finan­zieren“ – ein Gespräch über die Medienförderung

Am 13. Februar stimmt die Schweiz über das soge­nannte Mass­nah­men­paket zugun­sten der Medien ab. Gegner:innen befürchten eine Abhän­gig­keit des Jour­na­lismus vom Staat. Befürworter:innen hoffen dagegen auf mehr wirt­schaft­liche Unab­hän­gig­keit und Medi­en­viel­falt. Eine Einord­nung im Selbstgespräch. 

Wenn ein wich­tiger gesell­schaft­li­cher Entscheid ansteht, machen wir beim Lamm eigent­lich immer dasselbe: Wir fragen die, die davon am meisten betroffen sind, nach ihrer Einschät­zung. Das Medi­en­för­de­rungs­ge­setz erschwert dieses Proze­dere jedoch ein wenig. Als jour­na­li­sti­sches Medium gehören wir schliess­lich selbst zu den Betrof­fenen. Wir sind unserem Vorgehen trotzdem treu geblieben und haben mit uns selbst gespro­chen: Alex und Timo vom Lamm führen ein Gespräch über die Medienförderung.

Alex: Timo, wird das neue Medi­en­för­de­rungs­ge­setz auch die Arbeit beim Lamm verändern?

Timo: Auf jeden Fall. Gerade kleine Online­me­dien wie wir werden jetzt zum ersten Mal staat­liche Unter­stüt­zung erhalten. Das wird einiges verän­dern – wahr­schein­lich verbessern.

Alex: Werden andere Medien denn heute schon gefördert?

Timo: Natür­lich, das aktu­elle Medi­en­för­de­rungs­ge­setz wird nur um zwei zusätz­liche Säulen erwei­tert. Bislang gab es eine Zustell-Ermäs­si­gung für Tages- und Wochen­zei­tungen und für Verbands­zeit­schriften sowie Unter­stüt­zung für private Lokal­ra­dios und Regio­nal­fern­sehen. Ein wich­tiger Teil der Schweizer Medien bekommt also heute schon Geld vom Staat – was sich offen­sicht­lich bewährt hat. Ausserdem gibt es einen kleinen Topf für die Ausbil­dungs­för­de­rung, der im neuen Gesetz stark aufge­stockt wird. Das Lamm fällt in keine dieser Kate­go­rien und geht darum momentan noch leer aus.

Alex: Und was kommt jetzt neu hinzu?

Timo: Im neuen Medi­en­för­de­rungs­ge­setz sind zusätz­liche Posten vorge­sehen für die Früh­zu­stel­lung und für Online­me­dien. Unter­stüt­zung für die Früh­zu­stel­lung finde ich begrüs­sens­wert, wird für das Lamm aber nichts verändern.

Alex: Bleibt also die letzte neue Säule, die Online­för­de­rung. Es leuchtet ein, dass ein reines Online­ma­gazin wie das Lamm von dieser Neue­rung betroffen sein wird. Wie wird das dann konkret aussehen?

30 Millionen CHF für Onlinemedien

Timo: Bei der Abstim­mung im Februar werden für alle Säulen der Medi­en­för­de­rung, die ich gerade aufge­zählt habe, zusätz­lich 120 Millionen CHF locker gemacht. Für Online­me­dien, die bislang gar nichts bekommen haben, sind 30 Millionen vorge­sehen. Gelder, von denen auch das Lamm einen Teil bean­tragen kann, um damit den laufenden Betrieb zu finan­zieren. Was bei uns sicher­lich bedeutet: Erst einmal die Löhne anheben. Konkret würden sich unsere Einnahmen mit den Beiträgen aus der Medi­en­för­de­rung wahr­schein­lich um etwa 50 % erhöhen.

Alex: Sprich: Unser flexi­bler Lohn wäre viel öfter beim Maximum von 22.- CHF/h. Das würde dazu führen, dass wir endlich einen Stun­den­lohn zahlen könnten, von dem man leben kann. Zum Vergleich, die letzten paar Monate lag der Flex-Lohn zwischen 12 und 15 CHF/h. Aber wir hatten auch Monate, in denen wir schluss­end­lich für gerade mal fünf CHF/h gear­beitet haben.

Timo: Wahr­schein­lich müssen wir kurz erklären, was der flexible Lohn beim Lamm ist.

Alex: Stimmt. Die Idee hinter dem flexi­blen oder Flex-Lohn ist ziem­lich simpel: Wir schauen jeden Monat, wie viel Geld rein­ge­kommen ist, ziehen von diesem Betrag alle Fixko­sten ab, machen zur Sicher­heit noch 10 % Rück­stel­lungen und teilen das, was dann übrig bleibt, propor­tional zu den gelei­steten Stunden zwischen uns auf.

Timo: Je mehr Geld also rein­kommt, desto höher ist unser Stun­den­lohn. Das machen wir aber nicht bis ins Unend­liche, sondern nur, bis wir uns 22.- pro Stunde auszahlen können. Das ist der maxi­male Stun­den­lohn. Sollten wir den dank der Medi­en­för­de­rung einmal errei­chen, wird das zusätz­liche Geld für Recher­chen beisei­te­ge­legt oder wir leisten uns mehr Stellenprozente.

Qualität vs. Profit

Alex: Der Max-Lohn garan­tiert, dass Mehr­ein­nahmen ab einer bestimmten Höhe nicht zur persön­li­chen Berei­che­rung der Journalist:innen führen, sondern in die Qualität der Arbeit inve­stiert werden.

Timo: Womit wir bei einem weiteren wich­tigen Thema in Bezug auf die Medi­en­för­de­rung wären. Denn es wäre doch möglich, dass man damit den grossen profit­ori­en­tierten Medi­en­un­ter­nehmen nur zusätz­lich Steu­er­gelder in den Rachen wirft. Gibt es im Gesetz Mecha­nismen, die dieser Gefahr entgegenwirken?

Alex: Laut dem Bundesamt für Kommu­ni­ka­tion (BAKOM) sollen die Mass­nahmen degressiv ausge­stalten sein. Das heisst, klei­nere Medien können einen höheren Prozent­satz bean­tragen als die Grossen. Sie bekommen also prozen­tual mehr.

Timo: Und das ist, wie ich finde, auch ein notwen­diger Ausgleich, weil die Kleinen – da ist das Lamm ganz vorne mit dabei – oft für die Grossen einen Teil der Nach­wuchs­för­de­rung über­nehmen. Bei den Kleinen sind die Einstiegs­schwellen nied­riger und man kann als junge:r Journalist:in schnell anfangen, eigene Texte zu veröf­fent­li­chen. Auch werden die Einsteiger:innen nicht nur nach Elite­kri­te­rien ausge­wählt wie an vielen Journalist:innenschulen, sondern etwa nach Aspekten wie Diver­sität, Inklu­sion, Fairness.

Alex: Das ist Ausbil­dungs­ar­beit, die die Kleinen für die Grossen leisten, die aber leider nicht abge­golten wird. Die neue Medi­en­för­de­rung könnte hier einen gewissen Ausgleich schaffen.

Timo: All das zuge­standen, bleibt für mich die Frage: Wollen wir wirk­lich, dass Ringier und Co. zusätz­li­ches Geld aus der Steu­er­kasse bekommen?

Alex: Nein, das wollen wir nicht. Natür­lich ist es proble­ma­tisch, wenn Gelder am Schluss bei Leuten in der Tasche landen, die jetzt schon sehr viel verdienen. Aber das Problem ist hier ja eigent­lich nicht, dass die Medien unter­stützt werden, sondern dass gewisse Medi­en­un­ter­nehmen diese Unter­stüt­zung in Profit über­führen werden. Wir müssten also eher darüber reden, wie wir verhin­dern wollen, dass sich grosse Konzerne zusätz­lich berei­chern. Und das gibt es ja bei Weitem nicht nur im Jour­na­lismus. Unser Geld fliesst fast überall zumin­dest teil­weise in Profit ab: beim Nutel­la­bröt­chen genauso wie beim iPhone oder der Wohnungs­miete. Bei der Medi­en­för­de­rung würde das Geld einfach den Umweg über unsere Steu­er­rech­nungen nehmen. Cool finde ich das auch nicht, aber eben: Nicht nur einige Medi­en­un­ter­nehmen funk­tio­nieren so, sondern ein grosser Teil unserer Wirt­schaft. Das Lamm versucht, einen anderen Weg zu gehen.

Timo: Ich denke, man wird schwer verhin­dern können, dass mäch­tige und reiche Unter­nehmen zusätz­lich Geld bekommen. Inter­es­sant ist, dass in der Medi­en­för­de­rung durchaus ein Sicher­heits­me­cha­nismus vorge­sehen ist. Dieser greift aber ausschliess­lich bei der Unter­stüt­zung von Nach­rich­ten­agen­turen. Es heisst in der Vorlage, dass Nach­rich­ten­agen­turen keine Divi­denden auszahlen dürfen, während Förder­gelder vom Bund fliessen. Warum das nur für Agen­turen gilt, aber nicht für die Medi­en­häuser, erschliesst sich mir aller­dings nicht.

Alex: Das macht wenig Sinn. Ich hätte es gut gefunden, wenn mit der Medi­en­för­de­rung grund­sätz­lich nur Medi­en­häuser unter­stützt würden, die nicht profit­ori­en­tiert wirt­schaften. Ist aber leider nicht der Fall. Doch auch wenn das Gesetz hier stren­gere Mass­stäbe setzen würde und neben den Agen­turen auch die Medi­en­häuser keine Divi­denden ausschütten dürften, blieben andere grund­le­gende Fragen. Allen voran die nach der Unab­hän­gig­keit. Die Gegner:innen des Medi­en­för­de­rungs­ge­setzes argu­men­tieren oft, dass gerade die Kleinen in eine finan­zi­elle Abhän­gig­keit getrieben werden, wenn sie Geld vom Staat bekommen. Und dass dies lang­fri­stig auch die Bericht­erstat­tung beein­flussen könnte. Ihre Logik: Ich beisse ja nicht in die Hand, die mich füttert. Wie stehst du zu dieser Befürchtung?

Viele Formen der Abhän­gig­keit sind möglich

Timo: Wenn man immer nur die Abhän­gig­keit vom Staat betont, verdeckt man damit viele andere Abhän­gig­keiten, die auch sehr proble­ma­tisch sind. Zum Beispiel die Abhän­gig­keit von poli­ti­schen Parteien und Orga­ni­sa­tion. Gerade in der Schweiz zeigt sich nicht selten, wie Medien durch Mäze­na­tentum und Macht­kämpfe in der Führung poli­tisch komplett umge­krem­pelt werden können. Das gleiche gilt für die Einfluss­nahme aus der Wirt­schaft: Medi­en­kon­zerne verleiben sich klei­nere Medien ein, machen sie abhängig vom eigenen Nach­rich­ten­an­gebot und der Konzern­linie und verein­heit­li­chen die schwei­ze­ri­sche Nachrichtenlandschaft.

Die Medi­en­för­de­rung vom Staat könnte solchen Abhän­gig­keiten entge­gen­wirken und die Wider­stands­kraft der Kleinen stärken. Auch weil bei einer Abhän­gig­keit vom Staat zumin­dest stimm­be­rech­tigte Bürger:innen weiterhin mitreden können. Staat­liche Einfluss­nahme steht also theo­re­tisch immer zur Debatte, Richt­li­ni­en­an­pas­sungen müssen vors Volk, minde­stens vor das Parla­ment. Damit ist eine gewisse demo­kra­ti­sche Kontrolle gewährleistet.

Alex: Ein gutes Argu­ment. Ausserdem zeigen andere Berufs­felder, dass eine staat­liche Finan­zie­rung nicht auto­ma­tisch zu Hörig­keit gegen­über den staat­li­chen Insti­tu­tionen führen muss. Das sehen wir zum Beispiel bei den Gerichten oder in der Bildung. Oder andersrum: Von Lehrer:innen erwartet man schliess­lich auch nicht, dass sie sich mit einem Crowd­fun­ding den Lohn zusam­men­kratzen und die Richter:innen müssen sich nicht mit Werbung auf ihrer Robe finan­zieren. Trotzdem – oder gerade deswegen – gehen wir davon aus, dass beide in ihren Ämtern unab­hängig und kritisch sind.

Timo: Hier würde ich doch ein biss­chen wider­spre­chen. Die meisten anderen Berufe, die vom Staat finan­ziert werden, haben einen staat­li­chen Auftrag: Bildungs­auf­trag bei Lehrer:innen, Bindung an die bezie­hungs­weise Wahrung der gesetz­li­chen Ordnung bei Richter:innen. Für den Jour­na­lismus gilt das aus gutem Grund nicht. Er ist unter anderem eine Art Kontroll­organ für die Gesamt­heit all dessen, was als staat­liche Ordnung wahr­ge­nommen wird. Das ist kein Totschlag­ar­gu­ment gegen die Medi­en­för­de­rung, fordert aber trotzdem auf, genau hinzu­sehen. So sehr der Jour­na­lismus sich vor zu grosser Einfluss­nahme aus der Privat­wirt­schaft schützen sollte, damit er nicht einfach Teil profit­ori­en­tierter Bericht­erstat­tung wird, muss er sich auch vor dem Staat in Acht nehmen. In beiden Fällen sind viele Möglich­keiten subtiler Einfluss­nahme denkbar.

Alex: Das stimmt. Trotzdem fallen mir für die Schweiz konkrete Beispiel nur für die Einfluss­nahme aus der Wirt­schaft ein. Zum Beispiel Migros und Coop, die beiden Unter­nehmen, die in der Schweiz das meiste Werbe-Geld raus­schmeissen. Die Repu­blik hat 2019 aufge­zeigt, dass die kriti­sche Bericht­erstat­tung über die zwei orangen Riesen deshalb ziem­lich mau war. Ein weiteres Beispiel: Die TX Group (ehemals Tamedia) ist bei Helpling betei­ligt – also einer Vermitt­lungs­platt­form für Putz­kräfte. Ich glaube nicht, dass der Tagi eine kriti­sche Bericht­erstat­tung über schlechte Anstel­lungs­be­din­gungen für Reiniger:innen bei dieser Platt­form schreiben würde. Das Lamm schon: Erst kürz­lich haben wir über die Grün­dung einer kollektiv orga­ni­sierten Alter­na­tiv­platt­form namens Auto­nomía berichtet.

Timo: Ja, zumin­dest in der Schweiz dürfte die Einfluss­nahme durch Wirt­schaft und Werbe­indu­strie wohl das grös­sere Problem für den Jour­na­lismus sein. Ausserdem schadet der wach­sende Fokus auf die Werbe­fi­nan­zie­rung beson­ders den kleinen und darum oft sehr unab­hän­gigen Medien. Für effi­zi­ente Werbe­fi­nan­zie­rung braucht es zum Beispiel eine ganze Abtei­lung, mit eigener Infra­struktur und eigenem Budget. Dafür sollten wir unser Geld auf keinen Fall ausgeben.

Alex: Nein, wirk­lich nicht. Denn mehr Werbung heisst auch immer mehr Konsum. Und das ist eigent­lich das Letzte, was wir in Zeiten der Klima­krise brau­chen können. Dann lieber das Geld über die Medi­en­för­de­rung in noch mehr quali­tativ hoch­wer­tigen Jour­na­lismus stecken.


Jour­na­lismus kostet

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