Rüge durch den Pres­serat und Stel­lung­nahme zur Causa Binswanger

Am 25. August fällte der Pres­serat sein Urteil im Fall Michèle Bins­wanger vs. das Lamm. In diesem Text nimmt die Chef­re­dak­tion von das Lamm Stel­lung zum Entscheid und erklärt, worum es dabei geht und wie es dazu gekommen ist. 

Teile dieses Beitrags sind unserer Stel­lung­nahme entnommen, die wir dem Pres­serat als Reak­tion auf die gegen uns erho­bene Beschwerde zukommen liessen. Die ganze Stel­lung­nahme ebenso wie der Entscheid des Pres­se­rats finden sich am Ende dieses Texts.

Am 13. März 2020 publi­zierte das Lamm den Artikel „Bins­wanger und die Frau­en­demo: Oppor­tu­nismus über Soli­da­rität“, verfasst von unserer Co-Chef­re­dak­torin Natalia Widla und unserer Kolum­ni­stin Miriam Suter.

Unsere Autorinnen kriti­sierten im Artikel die Tages­an­zeiger-Redak­torin und Welt­woche Kolum­ni­stin Michèle Bins­wanger. Anlass dafür war ein Text Bins­wan­gers über die Demon­stra­tion am 8. März. Die Jour­na­li­stin hatte die Demo-Teil­neh­menden darin als „revo­lu­tionär dumm“ bezeichnet.

Um zu verdeut­li­chen, dass sich Michèle Bins­wanger nicht zum ersten Mal anderen, beson­ders akti­vi­sti­schen Frauen gegen­über kritisch bis herab­las­send geäus­sert habe, fügten die Autorinnen dem Artikel einen kurzen Exkurs zur Causa Spiess-Hegglin bei.

Im Text hiess es, Bins­wanger hätte unzäh­lige Artikel gegen Spiess-Heglin verfasst. Sie habe eine regel­rechte Hetz­kam­pagne gegen ein mutmass­li­ches Opfer sexua­li­sierter Gewalt geführt. Sie betreibe einen oppor­tu­ni­sti­schen, bevor­mun­denden Jour­na­lismus, der die Meinung einer privi­le­gierten Person als hege­mo­nial zemen­tieren wolle.

Bins­wanger, so unsere Autorinnen weiter, argu­men­tiere so, wie es auch ein Jour­na­list der Welt­woche tun würde. Zum Zeit­punkt der Veröf­fent­li­chung dieses Textes war Frau Bins­wanger nach unserem Wissens­stand noch nicht für die Welt­woche tätig.

Nach Veröf­fent­li­chung des Arti­kels suchte Michèle Bins­wanger den Kontakt zu das Lamm, und sie reichte beim Pres­serat eine Beschwerde ein. Einer ihrer zentralen Forde­rungen kam die Redak­tion sogleich nach: Es stimme nicht, dass sie unzäh­lige Artikel zum Thema geschrieben habe. Tatsäch­lich war diese Aussage nach­weis­lich falsch; ihre Kritik war gerecht­fer­tigt. Bins­wanger hatte drei Artikel zum Thema geschrieben.

Das Lamm hat die entspre­chende Stelle umge­hend geän­dert, den Artikel mit einem Korri­gendum versehen und für den vorge­fal­lenen Fehler um Entschul­di­gung gebeten.

In ihrer Beschwerde bemän­gelte Bins­wanger weiter, dass es nicht zutreffe, dass sie mit Vorliebe gegen Frauen anschreibe, die sich gegen Unge­rech­tig­keit wehrten. Und dass sie nicht zu den schweren gegen sie erho­benen Vorwürfen ange­hört worden sei.

Auszug aus der Stel­lung­nahme des Pres­se­rats: „Vor dem Hinter­grund ihrer Repu­ta­tion als femi­ni­sti­sche Autorin sei der Vorwurf, sie schreibe gene­rell gegen Frauen, schwer.“ Den Redaktor*innen von das Lamm war diese Repu­ta­tion nicht bekannt. Die beiden Verfas­se­rinnen des Arti­kels halten nach wie vor an der entspre­chenden Aussage im Artikel fest.

Michéle Bins­wanger forderte von uns, eine Gegen­dar­stel­lung bei das Lamm publi­zieren zu dürfen. Diese Forde­rung lehnten wir in unserer Stel­lung­nahme aus den folgenden vier Gründen ab:

1) Wir sehen uns nicht in der Pflicht, in einem solchen Fall eine Stel­lung­nahme zu gewähren.

2) Die zu Recht kriti­sierte Stelle wurde korri­giert, und zu den übrigen Aussagen des Arti­kels stehen wir nach wie vor.

3) Michèle Bins­wanger passt in ihrer poli­ti­schen Ausrich­tung nicht als Autorin in unser Format, und sie für „das Lamm“ schreiben zu lassen, wider­spricht unserer jour­na­li­sti­schen Ausrich­tung und Authentizität.

4) Wir fühlen uns als kleines, unab­hän­giges Magazin nicht dazu verpflichtet, Frau Bins­wanger, die Zugriff auf die grösste mediale Platt­form der Schweiz hat, noch eine weitere Platt­form zu gewähren.

Der vierte und letzte Grund hat an zusätz­li­chem Gewicht gewonnen, seit Frau Bins­wanger kürz­lich als Kolum­ni­stin für die Welt­woche zu arbeiten begonnen hat. Diese Tatsache stützt zudem den Punkt 3), und wir halten den Entscheid, Frau Bins­wanger keine Platt­form auf daslamm.ch zu gewähren, nach wie vor für richtig.

Der Entscheid des Presserats

Diese Woche erreichte uns die Stel­lung­nahme des Pres­se­rats vom 25. August zu den gegen uns erho­benen Vorwürfen. Wir messen diesem Urteil viel Gewicht bei und respek­tieren den Entscheid des Pres­se­rats vollumfänglich.

In seiner Stel­lung­nahme hält der Pres­serat fest, dass er Frau Bins­wan­gers Beschwerde teil­weise gutheisst. Konkret: Es trifft zu, dass wir mit unserer Aussage, Bins­wanger habe unzäh­lige Artikel zum Thema verfasst, das Wahr­heits­gebot verletzt haben. Er bestä­tigt damit, was wir bereits wenige Tage nach Veröf­fent­li­chung unseres Arti­kels selbst einge­standen und korri­giert haben.

Darüber hinaus weist der Pres­serat Michèle Bins­wan­gers Beschwerde in allen anderen Punkten ab.

Und was die Frage einer allfäl­ligen Gegen­dar­stel­lung betrifft, so sei nicht der Pres­serat dafür zuständig, sondern das Zivilgericht.

Wir halten dies­be­züg­lich an unserem Stand­punkt fest, wie wir auch in unserer Stel­lung­nahme festhielten:

„Es ist uns abschlies­send wichtig zu betonen, dass wir uns als kleines Magazin durch Frau Bins­wan­gers Verhalten in der Tona­lität und Vehe­menz, welche sie dabei wählte, sehr unter Druck gesetzt fühlten und wir es deswegen als noch wich­tiger erachten, uns nicht davon einschüch­tern zu lassen oder uns für unsere Bericht­erstat­tung zu entschuldigen.

Wir sind der Meinung, dass eine Beschwerde in diesem Ausmass und zum momen­tanen Zeit­punkt keinen weiteren Zweck erfüllen soll, als denje­nigen, die weitere kriti­sche Bericht­erstat­tungen über die Person Michèle Bins­wanger zu unter­binden. Das wollen wir uns nicht bieten lassen.“

Gezeichnet,
die Co-Chef­re­dak­tion von das Lamm

Anhänge:
Die Stel­lung­nahme des Pres­se­rats
Die Stel­lung­nahme von das Lamm


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