Russi­sche Fahne über Luzern

Eigent­lich mögen sie es leise und diskret, die reichen Geschäfts­leute aus Russ­land, die in der Schweiz ihr Kapital ange­sie­delt haben. Seit dem Beginn von Putins Angriffs­krieg gegen die Ukraine sind sie aber schlag­artig in den Fokus der Öffent­lich­keit geraten. Auch von der Zentral­schweiz aus bestehen Verbin­dungen in den Kreml. 
Friedlich flattert die Fahne Luzerns über dem Château Gütsch. Doch die engen Beziehungen des Besitzers Kirill Androsov zum Kreml lassen das Hotel nicht los. (Foto: Wanja Manzardo)

Dieser Text erschien zuerst im 041 – Das Kultur­ma­gazin (04/2022).

Hoch über der Stadt Luzern weht eine Fahne. Fried­lich flat­tert der blau-weisse Fetzen Stoff auf der höch­sten Spitze des Château Gütsch, des märchen­haften Wahr­zei­chens auf dem Hügel neben der Basel­strasse. Im Januar 2022 werde das reno­vierte Schloss­hotel in „frischer Farbe und Erschei­nung“ wieder­eröffnet, so schreiben die Betreiber:innen in einem eigenen Werbe­ar­tikel für die Luzerner Zeitung Ende Dezember 2021.

Einen neuen Anstrich hatte offenbar nicht nur das 134-jährige Schloss nötig, sondern auch dessen Besitzer, Kirill Androsov. Nachdem er das Hotel im Sommer 2021 vom russi­schen Olig­ar­chen, einstigen KGB-Agenten und späteren Kreml-Oppo­si­tio­nellen Alex­ander Lebedew gekauft hatte, liess er für 153’000 Franken von einer Schweizer Firma seine Spuren im Internet verwi­schen, wie die Sonn­tags­Zei­tung im Oktober 2021 schrieb. Als Quelle dienten die damals veröf­fent­lichten Pandora Papers, die bis anhin grössten Leaks zu Steu­er­oasen, in denen Androsov auftauchte – in Verbin­dung mit mehreren Offshore-Firmen und unter anderem wegen einer illegal gemie­teten Lagune auf den Male­diven, wo er ein Resort zu bauen beabsichtigte.

Berüh­rungs­punkte mit dem Kreml

Natür­lich bestreitet Androsov die Vorwürfe der Sonn­tags­Zei­tung und betont, nicht rechts­widrig gehan­delt zu haben. Und es scheint, als wolle er im deutsch­spra­chigen Internet um keinen Preis schlecht dastehen oder gar als russi­scher Olig­arch gelten, der mit dem Kreml in Verbin­dung steht. Die Berüh­rungs­punkte lassen sich jedoch nicht von der Hand weisen: Bevor er sich 2017 als Geschäfts­mann selbst­ständig machte, war Androsov Vorsit­zender der grössten russi­schen Flug­ge­sell­schaft Aero­flot, Vorsit­zender der staat­li­chen Russi­schen Eisen­bahnen und in verschie­denen Rollen für die russi­sche Regie­rung tätig. Unter anderem als Berater von Wladimir Putin, als Vize-Stabs­chef im Kreml sowie als Vizeminister.

Vor der Inter­net­ver­schö­ne­rung hätten Google-Anfragen denn auch vor allem zu Arti­keln geführt, die Andro­sovs Nähe zu Putin und zum Kreml thema­ti­sieren, wie es in der Sonn­tags­Zei­tung hiess. Auffal­lend ist zudem, dass Andro­sovs deutsch­spra­chiger Wiki­pedia-Artikel ein durch und durch unkri­ti­sches Bild des 49-Jährigen zeichnet – und ledig­lich mit dem russisch­spra­chigen, nicht aber mit dem weitaus kriti­scheren Artikel in Englisch verlinkt ist. Dieser geht auch auf Andro­sovs Auftau­chen in den Pandora Papers ein und thema­ti­siert dessen direktes Enga­ge­ment für Putin als Berater zwischen 2008 und 2012.

Dass diese Infor­ma­tionen nicht zu promi­nent im deutsch­spra­chigen Internet vertreten sein sollen, könnte daran liegen, dass Androsov in der Schweiz einen guten Ruf aufbauen möchte. Wohl kaum von unge­fähr: Die Schweiz ist einer der wich­tig­sten Nieder­las­sungs­orte für russi­sche Oligarch*innen und Firmen. Über 80 Prozent des russi­schen Rohstoff­han­dels werden über die Schweiz abge­wickelt, während der Verkauf von Öl und Gas gut die Hälfte des russi­schen Staats­haus­halts ausmacht. Mit der russi­schen Inva­sion in die Ukraine und den Sank­tionen der USA, der EU und schliess­lich auch der Schweiz richtet sich der Fokus deshalb auch auf die hier­zu­lande tätigen Personen. Wer sind sie? Und wer hilft ihnen, ihr Geld hier zu verwalten?

Ferrari und Sanktionen 

Am 24. Februar 2022 über­fiel die russi­sche Armee die Ukraine. Am selben Tag liess Wladimir Putin 37 der wich­tig­sten russi­schen Olig­ar­chen im Kreml versam­meln. Einer davon ist Suleyman Kerimov. Der russi­sche Milli­ardär und Besitzer der Invest­ment­firma Nafta Moskau wurde einst mit dem Handel von Öl und Metallen reich, seit 2018 steht er unter US-Sank­tionen. Und seit das Staats­se­kre­ta­riat für Wirt­schaft (Seco) Mitte März seine Liste der von der Schweiz sank­tio­nierten Einzel­per­sonen erwei­tert hat, steht auch dort der Name Kerimovs.

Das Seco schreibt in seiner Begrün­dung: „Die Tatsache, dass er zu diesem Treffen einge­laden wurde, zeigt, dass er zum engsten Zirkel der Olig­ar­chen rund um Wladimir Putin gehört und dass er Hand­lungen oder Stra­te­gien unter­stützt oder umsetzt, die die terri­to­riale Inte­grität, Souve­rä­nität und Unab­hän­gig­keit der Ukraine bedrohen sowie die Stabi­lität und die Sicher­heit in der Ukraine.“ Und weiter: „Er ist daher ein führender Geschäfts­mann, der in Wirt­schafts­sek­toren tätig ist, die eine beträcht­liche Einnah­me­quelle für die Regie­rung der Russi­schen Föde­ra­tion darstellen, die für die Anne­xion der Krim und die Desta­bi­li­sie­rung der Ukraine verant­wort­lich ist.“

2017 sass Kerimov zwischen­zeit­lich in Frank­reich in Haft. Der Vorwurf: Geld­wä­scherei und Steu­er­be­trug. Wegen Verdachts auf Beihilfe zur Steu­er­hin­ter­zie­hung ermit­telte die fran­zö­si­sche Justiz damals auch gegen den Luzerner Treu­händer Alex­ander Stud­halter, wie die Luzerner Zeitung berich­tete. Später wurde dieser frei­ge­spro­chen. Der eng mit Kerimov verbun­dene Stud­halter gab 2017 gegen­über dem Blick an, „Geschäfts­partner und Freund“ von Kerimov zu sein. Das Kenn­zei­chen des Ferraris, mit dem Kerimov 2006 in Nizza einen Auto­un­fall verur­sachte, lautete auf Studhalter.

Seit 2007 ist die von Kerimov gegrün­dete Suleyman Kerimov Foun­da­tion, die sich laut Handels­re­gi­ster für wohl­tä­tige und gemein­nüt­zige Zwecke einsetzt, in Luzern gemeldet. Im Dezember 2018, einige Monate nachdem Stud­halter vom Vorwurf der Beihilfe zur Steu­er­hin­ter­zie­hung frei­ge­spro­chen wurde, änderte der Name der Stif­tung zu Human Diver­sity Foun­da­tion. Deren Präsi­dent: Alex­ander Studhalter.

Am 28. Februar 2022 gab die Stif­tung ihre Auflö­sung bekannt. Just an jenem Tag also, an dem der Bundesrat entschied, die Sank­tionen der EU gegen Russ­lands Wirt­schaft und Finanz­wesen wie auch gegen regi­me­nahe Einzel­per­sonen zu über­nehmen. Ein Zufall? Zu diesem Zeit­punkt war Kerimov noch nicht von Sank­tionen betroffen, doch es war damit zu rechnen, dass dies in naher Zukunft geschehen würde.

Auf Anfrage gibt Alex­ander Stud­halter an, dass die Stif­tung nie von Sank­tionen gegen Kerimov betroffen gewesen sei. „Er war ein Spender von vielen“, sagt er. Die Stif­tung habe ihren Zweck erfüllt, deshalb sei sie nun aufge­löst worden. Auf die Frage, was mit dem noch vorhan­denen Geld passiere, verweist Stud­halter auf einen Artikel in der Luzerner Zeitung, in dem er angibt, dass sämt­liche Mittel ausge­schüttet worden seien. Ob das stimmt und wie viel Geld insge­samt von Kerimov in die Stif­tung geflossen sind, lässt sich nicht über­prüfen. Stud­halter will dazu keine Angaben machen.

Er stehe nicht mehr in Kontakt mit Kerimov, sagt er heute. Und meint gleich­zeitig: „Eine Freund­schaft bleibt; Busi­ness kommt und geht. Ich habe schon lange Jahre keine Geschäfts­tä­tig­keit mehr mit ihm.“ Bis zur Inva­sion in diesem Jahr habe es keine Probleme in der Zusam­men­ar­beit mit Russ­land gegeben, sagt er ausserdem. „Wie viele andere Geschäfts­leute arbei­tete man mit Russ­land normal zusammen“, so Studhalter.

Keine Angaben

Dass private Geschäfte über die Jahre hinweg nicht die einzige Tätig­keit von Oligarch*innen wie Kerimov waren, das vermutet der Histo­riker und Alt-Natio­nalrat Jo Lang, der sich unter anderen mit russi­schen Rohstoff­firmen in Zug ausein­an­der­setzt. „Bei denje­nigen Olig­ar­chen, die nach Beginn der Inva­sion im Kreml am Olig­ar­chen-Treffen anwe­send waren, muss man davon ausgehen, dass sowohl von ihnen als auch von ihren Firmen Gelder in die Kriegs­kasse geflossen sind“, so Lang. Die inter­na­tio­nalen Sank­tionen, die nach Beginn der russi­schen Inva­sion auch von der Schweizer Regie­rung über­nommen wurden, würden die Vergan­gen­heit nicht rück­gängig machen. „Mit diesem Geld führt Putin Krieg“, sagt Lang.

Dass russi­sche Firmen und Oligarch*innen im Ausland oft Stif­tungen gründen, um Orga­ni­sa­tionen zu unter­stützen, sei über­dies ein bekanntes Muster. Laut der NGO Trans­pa­rency Inter­na­tional Schweiz, die sich für die Bekämp­fung von Korrup­tion einsetzt, stehen für die entspre­chenden Firmen und Stif­tungen oft hiesige Stroh­männer im Handels­re­gi­ster. Der Ertrag korrupter Hand­lungen fliesse meist über sie oder über Brief­ka­sten­firmen in die Schweizer Finanzinstitute.

Auch Jo Lang beob­achtet, dass solche Firmen oft über Stif­tungen agierten. „Oder sie unter­stützen ganz diskret lokale Sport­ver­eine, so wie die Betrei­ber­ge­sell­schaft von Nord Stream 2 in Zug das Jugend­pro­gramm des FC Aegeri.“ So hat auch die Human Diver­sity Foun­da­tion diverse regio­nale und über­re­gio­nale Projekte unter­stützt. Zum Beispiel das Zurich Film Festival mit einer halben Million Schweizer Franken. Oder den FC Luzern Frauen, Luzern Tourismus und das Blue Balls Festival.

Seit Beginn des russi­schen Kriegs gegen die Ukraine distan­zieren sich unzäh­lige Firmen und Unternehmer*innen öffent­lich von den Bezie­hungen zu russi­schen staat­li­chen Firmen und Oligarch*innen. Zuvor schienen deren Geschäfts­tä­tig­keiten für viele kein Problem gewesen zu sein – trotz der zuneh­mend auto­ri­tärer werdenden Politik des Kremls unter Putin, seiner brutalen Kriege unter anderem in Syrien, Libyen und in der Ostukraine sowie der Krim-Anne­xion im Jahr 2014.

Auf die Nach­frage, wie viel Geld der FC Luzern Frauen insge­samt von der Human Diver­sity Foun­da­tion erhalten habe und wie der Verein zu solchen Geldern stehe, geht bis Redak­ti­ons­schluss keine Antwort ein. Auch das Blue Balls Festival zeigt sich wort­karg und verweist auf einen Artikel in der Luzerner Zeitung aus dem Jahr 2017, in dem von 10’000 Franken die Rede ist. Für weitere Auskünfte wird auf die Stif­tung verwiesen, die bekannt­lich keine Angaben machen will.

Um bei der offi­zi­ellen Adresse der Stif­tung nach­zu­fragen, gelangt man zur selben Adresse, an der sich auch die Anwalts­kanzlei von Philipp Stud­halter befindet: Alex­ander Stud­hal­ters Bruder, ehema­liger FCL- und aktu­eller Präsi­dent der Swiss Foot­ball League. Dass auch er mit der Stif­tung in Verbin­dung steht, über­rascht nicht: 2016 brachten die Panama Papers ans Licht, dass Philipp Stud­halter einen Vertrag mit Kerimov unter­schrieben haben soll, in dem es um 160 Millionen US-Dollar ging, wie die Sonn­tags­Zei­tung im Juli 2017 schrieb.

Haupt­re­prä­sen­tant der Stif­tung war jedoch stets Alex­ander Stud­halter. Dieser beteuert: „Man hält sich an die Gesetze, damit ist man am besten beraten. Was war, ist so, und was kommt, wird sich zeigen.“ Weshalb die Stif­tung Geschäfte mit russi­schen Oligarch:innen früher für legitim hielt und ob solche Geschäfte heute vertretbar sind, darauf antwortet Stud­halter nicht.

Klar ist jedoch, dass der Schweizer Finanz­platz, der immer wieder in Geld­wä­scherei- und Steu­er­flucht­skan­dale verwickelt ist, seit jeher von einem sehr weit gesteckten legalen Rahmen profitiert.

Beschwich­ti­gender Verwaltungsrat

Und damit zurück zu Kirill Androsov. Als dieser im Sommer 2021 das Château Gütsch kaufte, lag seine Tätig­keit für die russi­sche Regie­rung schon eine Weile zurück. Und die Enthül­lungen um dubiose Offshore-Firmen sollten erst einige Monate später in den Pandora Papers auftau­chen. Androsov, der sich in Singapur nieder­ge­lassen hat, liess damals den Verwal­tungsrat der Château Gütsch AG mit lokalen Persön­lich­keiten besetzen.

Dazu gehört unter anderem der FDP-Lokal­po­li­tiker Damian Hunkeler. Er sitzt seit 2020 erneut im Grossen Stadtrat und seit 2011 im Kantonsrat. Auf Anfrage von das Lamm, ob eine geschäft­liche Zusam­men­ar­beit mit dem ehema­ligen Putin-Berater Androsov für ihn damals mora­lisch vertretbar gewesen sei, antwortet er: „Selbst­ver­ständ­lich ist es aus meiner Sicht vertretbar, sonst hätte ich das Amt nicht ange­nommen.“ Und weiter: „Solange mir persön­lich keine Umstände bekannt sind, die eine aktu­elle Verbin­dung, geschweige denn eine Unter­stüt­zung, zwischen Herrn Androsov und dem russi­schen Regime aufzeigen, besteht für mich kein Handlungsbedarf.“

Hunkeler meint, ihm sei neu, dass „Kirill Androsov ‚enge Bezie­hungen‘ zu Putin unter­halten haben soll“. Dieser sei Mitar­beiter der russi­schen Regie­rung gewesen „und hatte somit in seiner beruf­li­chen Funk­tion Kontakt zum dama­ligen Premier­mi­ni­ster“. Der dama­lige Premier­mi­ni­ster – es handelt sich um die Jahre 2008 bis 2012 – war niemand anderes als Wladimir Putin.

Während dieser Periode amtierte Dmitri Medwedew als Präsi­dent der Russi­schen Föde­ra­tion, während Putin zwischen­zeit­lich das zweit­höchste Amt im Staat über­nahm, bevor er selbst wieder als Präsi­dent kandi­dierte. Dass Androsov für vier Jahre Putins leitender Berater gewesen ist scheint Hunkeler nicht unter „engen Bezie­hungen“ zu klassifizieren.

Ein weiteres Mitglied des Gütsch-Verwal­tungs­rats ist dessen Präsi­dent Benno P. Hafner, der zudem als Anwalt von Kirill Androsov tätig ist. Gegen­über das Lamm sagt er, dass das Gütsch nicht von Sank­tionen betroffen sei. „Wir haben dies mit unserer Schweizer Bank und dem Seco gelöst.“

Wäre Androsov heute noch Vorsit­zender von Aero­flot und der Russi­schen Eisen­bahnen, er wäre wahr­schein­lich schon jetzt sank­tio­niert worden. Das offen­bart ein Blick in die am 16. März 2022 aktua­li­sierte Sank­ti­ons­liste des Seco. Darin steht zum einen Witali Sawe­lyew. Bis November 2020 amtierte er als CEO von Aero­flot, seither ist er Verkehrs­mi­ni­ster der Russi­schen Föde­ra­tion und laut der Webseite der Flug­ge­sell­schaft mitt­ler­weile als ihr Vorsit­zender tätig. Zudem ist er Vorstands­mit­glied der Russi­schen Eisen­bahnen, deren Vorsit­zender Androsov bis 2015 war.

Zum anderen führt das Seco Mikhail Polub­oya­rinov auf. 2017 trat er die Nach­folge von Kirill Androsov als Vorsit­zender von Aero­flot an, 2020 wurde er CEO. Im Absatz zu Polub­oya­rinov schreibt das Seco: „Aero­flot erbringt nicht nur Dienst­lei­stungen für die russi­sche Regie­rung, sondern gene­riert auch wich­tige Einnah­me­quellen für sie. Aero­flot führte ille­gale Flüge auf die besetzte Krim durch.“ Diese Flüge, die nun vom Seco als Mitgrund für die Sank­tionen aufge­führt werden, wurden schon vor 2017 unter Kirill Androsov als Vorsit­zender von Aero­flot durch­ge­führt, wie der Euro­pean Council on Foreign Rela­tions 2016 berichtete.

Alles lange her, wie Andro­sovs Verwal­tungs­räte in Luzern beteuern.

Benno P. Hafner verweist auf ein kürz­lich veröf­fent­lichtes Commu­niqué, in dem Kirill Androsov den Krieg in der Ukraine verur­teilt. Er habe seine Mandate für den Kreml schon lange abge­geben, da er „nicht mehr mit der Admi­ni­stra­tion arbeiten, sondern als freier inter­na­tio­naler Unter­nehmer tätig sein wollte“. Sowohl Hunkeler als auch Hafner versu­chen in ihren Darstel­lungen, Androsov als Unter­nehmer darzu­stellen, der vor langer Zeit einmal mit der russi­schen Regie­rung auf formaler Ebene zu tun gehabt, sich danach aber von ihr eman­zi­piert und nun nichts mehr mit ihr am Hut habe.

Der lang­jäh­rige Freund

Ein Blick in die russi­schen staat­li­chen Nach­rich­ten­agen­turen lässt Zweifel an dieser Darstel­lung aufkommen. Laut TASS, einer der grössten Agen­turen mit Sitz in Moskau, lud Wladimir Putin am 11. März 2020 zu einem „Inve­storen-Treffen“ in seiner Resi­denz Nowo-Ogar­jowo ausser­halb Moskaus ein. Am selben Tag veröf­fent­lichte der Kreml ein Bild vom illu­stren Treffen, am Tisch sitzen neun Personen. Eine davon: Kirill Androsov.

Ange­spro­chen auf die Berichte und das Bild will FDP-Verwal­tungsrat Damian Hunkeler keine Stel­lung nehmen. Auch Hafner äussert sich zunächst nicht dazu. Statt­dessen erhält das Lamm ein State­ment von Kirill Androsov selbst, in dem dieser schreibt: „Es war in der Tat das Treffen des russi­schen Präsi­denten und des russi­schen Premier­mi­ni­sters mit ‚Inve­storen‘. Aber Inve­storen von Wagnis­ka­pital.“ Dies unter­streiche seinen Status als bekannter Wagnis­ka­pital-Inve­stor mit einer Firma in Singapur, Lang Capital Fund.

Das State­ment von Androsov kommen­tiert Benno P. Hafner wie folgt: „Kirill Androsov gilt als sehr bekannter Venture Capi­ta­list mit einem sehr breiten Bezie­hungs­netz, so ist er unter anderem auch ‚Young Global Leader‘ beim WEF, und sein Rat wird – nicht nur in Russ­land – sehr gesucht und geschätzt.“ Das unter­streiche noch keine enge Bezie­hung zum Macht­zirkel von Russ­lands Präsi­dent Putin, so Hafner. „Dieses Inve­stor Meeting fand am 11. März 2020 statt, also lange bevor die ganze Ukraine-Krise aufkam“, schreibt Hafner ausserdem.

Man kann es nicht anders sagen: Dass der Verwal­tungs­rats­prä­si­dent des Gütschs weder auf den seit 2014 in der Ostukraine währenden Krieg noch auf die völker­rechts­wid­rige Anne­xion der Krim, noch auf die zuneh­mend eska­la­tive Aggres­sion des Kremls gegen die Ukraine eingeht, steht fast schon sinn­bild­lich für die über Jahre einge­spielte Igno­ranz von Schweizer Unternehmer*innen, die dem russi­schen Kapital hier­zu­lande ihre Dienste anbieten.

Die Pandora Papers berichten auch von inten­siven Geschäfts­be­zie­hungen Andro­sovs zu Herman Gref, dem Chef von Sber­bank, der grössten staat­li­chen Bank Russ­lands. Seit 2007 ist Gref Vorstands­chef der Sber­bank und gehört somit zum inner­sten Zirkel des kreml­schen Macht­ap­pa­rats. Auch Sber­bank unter­liegt west­li­chen Sank­tionen. Das deut­sche Manager Magazin nannte Gref im Februar 2022 eine „Schlüs­sel­figur in Putins Kriegswelt“.

Herman Gref und Kirill Androsov gelten als lang­jäh­rige enge Freunde, wie die Anti-Korrup­tions-Stif­tung FBK des promi­nenten inhaf­tierten Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kers Alexej Nawalny in einer im Oktober 2021 auf YouTube publi­zierten Recherche berichtet hat.

Das unab­hän­gige russi­sche Magazin ISto­ries berich­tete im selben Monat, dass Gref im Jahr 2011 einen Trust – also einen Vertrag zum Zusam­men­schluss mehrerer Unter­nehmen – bei Asia­citi Trust in Singapur habe einrichten lassen, um sein 55 Millionen US-Dollar umfas­sendes Fami­li­en­ver­mögen zu verwalten. Asia­citi Trust hat laut Pandora Papers unzäh­lige Brief­ka­sten­firmen und Trusts in Steu­er­oasen geschaffen, und gemäss ISto­ries hat Gref den Trust mit seinem Fami­li­en­ver­mögen zunächst an seinen Neffen Oskar Gref über­tragen, der in der Schweiz lebt. Da der Trust 2017 aber liqui­diert worden sei, habe das Vermögen in Sicher­heit gebracht werden müssen.

Gemäss FBK ist das Geld 2018 schliess­lich an den Grand Invest­ment Trust über­tragen worden. Dessen Besitzer: Kirill Androsov – der Chef des Hotels mit der Luzerner Fahne, die hoch oben auf dem Gütsch über der Stadt weht. Benno P. Hafner, sein Anwalt und Präsi­dent des Gütsch-Verwal­tungs­rates, möchte dazu keine Stel­lung nehmen. Und auch Damian Hunkeler will sich nicht dazu äussern.


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