Schweizer Waffen­ge­schäfte mit chile­ni­schen Mili­tärs: wenig bekannt, aber verheerend

Die Geschichte Chiles in den 60er und 70er Jahren ist geprägt von mili­tä­ri­scher Gewalt. Was kaum bekannt ist: Zum Einsatz kamen beson­ders viele Waffen von Schweizer Rüstungs­firmen, die, flan­kiert vom Bundesrat, die Aufrü­stung gezielt vorantrieben. 
Mowag-Panzer und SIG-Gewehre beim Militärputsch im Jahr 1973

Es ist 1962. Eine Hand­voll chile­ni­scher Mili­tärs reist in die Schweiz. Mit dem Auftrag, neue Waffen für ihre tech­no­lo­gisch veral­teten Truppen anzu­schaffen. Sie werden fündig. Unter anderem bei zwei Schweizer Waffen­fa­bri­kanten: der Thur­gauer Motor­wagen-Fabrik (Mowag) und der Schwei­ze­ri­schen Indu­strie­ge­sell­schaft (SIG). Die Reise in die Schweiz und der damit verbun­dene Kauf neuer Schweizer Waffen wird eine Phase der regio­nalen mili­tä­ri­schen Aufrü­stung einleiten. Und ein Bündnis zwischen Schweizer Waffen­fa­bri­kanten und chile­ni­schen Mili­tärs schaffen, das die Geschichte des südame­ri­ka­ni­schen Landes bis heute prägt, aber in der Schweiz kaum bekannt ist.

Die Handels­be­zie­hung entsteht während einer Notsi­tua­tion, in der sich die chile­ni­schen Streit­kräfte Anfang der sech­ziger Jahre befinden. Ihre Ausrü­stung ist tech­no­lo­gisch veraltet. Gleich­zeitig sind die Bezie­hungen zu allen Nach­bar­län­dern ange­spannter denn je, während das Land selbst geprägt ist von sozialen Span­nungen: Sowohl in den Städten als auch auf dem Land fordern soziale Bewe­gungen vehe­ment Demo­kra­ti­sie­rung und die Umver­tei­lung der Eigen­tums­ver­hält­nisse. In einem Land, das zu diesem Zeit­punkt von Gross­grund­be­sitz, einer stein­rei­chen Olig­ar­chie und grosser Armut geprägt ist. Die unru­hige Lage in den Nach­bar­län­dern mit ihren Guer­ril­la­be­we­gungen bewegt das Militär und die Polizei schliess­lich dazu, ihr Waffen­ar­senal zu erneuern. Um die Unruhen gewaltsam nieder­zu­schlagen und die Grenzen vertei­digen zu können.

MOWAG-„Roland“-Panzer in den 1960er Jahren im Einsatz bei der chile­ni­schen Polizei. Bilder aus einer Werbe­bro­schüre der MOWAG

In der Schweiz stossen die Gene­räle mit ihrem Anliegen, Waffen zu kaufen, um sie gegen die eigene Bevöl­ke­rung zu richten, auf offene Arme. Das hiesige Militär hat soeben sein Waffen­ar­senal erneuert und die produ­zie­renden Unter­nehmen suchen drin­gend nach neuen Absatz­märkten. Ein mögli­cher Verkaufs­schlager: das bis heute verwen­dete Sturm­ge­wehr der SIG. Es gilt als eines der präzi­se­sten Sturm­ge­wehre der Welt. Die Mowag sucht derweil Abnehmer für ihren neu entwickelten Leicht­panzer, der laut firmen­ei­gener Werbung auf die soge­nannte „Dritte Welt“ spezia­li­siert ist.

Aber nicht nur die Rüstungs­firmen sind glück­lich über die südame­ri­ka­ni­schen Gäste, sondern auch die offi­zi­elle Schweiz. Der Bundesrat unter­stützt das Geschäft, indem er Unter­nehmen wie der Mowag und der SIG de facto eine Export­ga­rantie gewährt. Die aber nicht so bezeichnet, sondern „Ausfall­ga­rantie“ genannt wird. Falls die Zahlung eines Käufers ausbleiben würde, sollen die Unter­nehmen vom Bund dabei unter­stützt werden, den geschul­deten Betrag einzu­for­dern. Falls das nicht funk­tio­niert, über­nimmt der Bund einen Teil des Verlustes.

Was bewegt den Bundesrat zu einem solch weit­ge­henden Zuge­ständnis an die Waffen­in­du­strie? Laut internen Doku­menten gibt es dafür drei Gründe: die Erhal­tung der Konkur­renz­fä­hig­keit der Schweizer Unter­nehmen; der Zwang, durch hohe Produk­ti­ons­zahlen einen für die Schweiz vorteil­haften Preis beizu­be­halten – und die guten Bezie­hungen zu Chile.

Wett­rü­sten. Made in Switz­er­land.

Grund für die gute Bezie­hung zwischen dem südame­ri­ka­ni­schen Land und der Schweiz ist Eduardo Frei. Der Christ­de­mo­krat ist ab 1964 chile­ni­scher Präsi­dent. Was sein Nach­name vermuten lässt, bestä­tigen sowohl Doku­mente des Bundes als auch der chile­ni­schen Botschaft in Bern: Frei ist der Sohn eines Schweizer Sied­lers, was ihm inner­halb der Schweizer Bevöl­ke­rung viel Sympa­thie verschafft. Auch in der inter­na­tio­nalen Diplo­matie sind die Schweizer gerne unter sich.

Das freut die helve­ti­sche Waffen­in­du­strie. Die Schweizer Unter­nehmen Oerlikon-Bührle, Contraves – und eben die SIG und die Mowag expor­tieren massen­weise Waffen in den Anden­staat. Aber nicht nur nach Chile. Auch die südame­ri­ka­ni­schen Nach­bar­länder zeigen Inter­esse an den Schweizer Waffen, und auch sie kaufen kräftig ein. Unter den Staaten entwickelt sich in der Folge ein Wett­rü­sten. Made in Switzerland.

Das versetzt wiederum die chile­ni­schen Auto­ri­täten in Unruhe. Schliess­lich wird das Land neben den sozialen Unruhen eben auch von Grenz­strei­te­reien geplagt. Der Waffen­in­du­strie kann das recht sein, sie ist die grosse Gewin­nerin des Wett­rü­stens. Bern wird dies späte­stens 1966 klar, als ein interner Bericht die briti­sche Zeitung New Statesman zitiert. Im Artikel wird über den zeit­glei­chen Verkauf von Über­schall­jä­gern an Peru, Chile und Argen­ti­nien berichtet. Unter anderem werden jene Flug­zeuge gekauft, die sieben Jahre später während des Mili­tär­putschs den Regie­rungs­pa­last bombardieren.

Allein der chile­ni­sche Staat kauft während dieses Wett­rü­stens bis 1971, laut den unvoll­ständig vorhan­denen Doku­menten im Bundes­ar­chiv, Waffen und Muni­tion im Wert von minde­stens 46 Millionen Franken in der Schweiz ein. Zum Vergleich: Das sind 15 Millionen Franken mehr als der Kredit, den die Stadt Zürich 1971 für den Bau des Tram­tun­nels nach Schwa­men­dingen aussprach.

Die ansäs­sigen Waffen­firmen heizen den Wett­streit an, indem sie die chile­ni­schen Botschafter und Gene­räle frei­zügig über die Einkäufe der Nach­bar­länder informieren.

Das Ende einer Freundschaft?

Die enge Bezie­hung hält aller­dings nicht ewig an: 1971 bricht der Export von Waffen nach Chile ein. Die Schweizer Regie­rung hegt gegen­über dem neuen Präsi­denten Miss­trauen. Der sozia­li­sti­sche Salvador Allende passt dem Bundesrat weit weniger gut ins Programm als der Export­schweizer Frei. Hinzu kommt das Problem der finan­zi­ellen Schwie­rig­keiten in Chile. Das Land darbt unter anderem an der feind­li­chen Wirt­schafts­po­litik gegen­über der sozia­li­sti­schen Regie­rung seitens west­li­cher Staaten. Mit dabei: die Schweiz.

Gleich­zeitig wird in der Schweiz immer mehr Kritik am Waffen­ex­port laut. 1972 wird die Initia­tive für ein komplettes Waffen­aus­fuhr­verbot mit 49,6 Prozent Ja-Stimmen nur knapp abge­lehnt. Das Abstim­mungs­re­sultat wird bei Unter­re­dungen mit der chile­ni­schen Botschaft von Schweizer Regie­rungs­ver­tre­tern immer wieder als Argu­ment genannt, um keine neuen Waffen­ex­porte zu erlauben. Auch die unru­hige Lage im Land, das von gewalt­samem Wider­stand gegen die Links­re­gie­rung geprägt ist, wird als Argu­ment gegen Waffen­ex­porte angebracht.

Für den Schweizer Waffen­fa­bri­kanten Oerlikon-Bührle ist das aber kein Hindernis. Die Firma betreibt eine Fabrik in Italien – und fertigt die Waffen für Chile ab 1972 dort an.

Die Lage ist also ange­spannt. Bis am 11. September 1973 das Militär in Chile putscht. Nicht zuletzt dank der früher erwor­benen Schweizer Waffen. Sie ermög­li­chen einen schnellen Sieg der Streit­kräfte. Unter Einsatz des Sturm­ge­wehrs der SIG und der Radpanzer der Mowag ist es dem Militär möglich, schnell Kontrolle über den verein­zelten Wider­stand zu erlangen. Und die ‚guten‘ Erfah­rungen des chile­ni­schen Mili­tärs mit Schweizer Waffen führen dazu, dass auch nach dem Mili­tär­putsch enge Verbin­dungen zu den Schweizer Unter­nehmen fort­ge­führt werden.

Die Schweizer Präzi­si­ons­waffen werden in den kommenden Jahren dazu beitragen, dass die chile­ni­sche Armee sich zu einer der stärk­sten Latein­ame­rikas entwickelt. Und eine blutige Mili­tär­dik­tatur über 16 Jahre aufrecht erhält.

 


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