„Tsch-Tsch“: Toxi­sche Grillade auf Kosten des Klimas

Jedes Jahr aufs Neue bombar­dieren uns Detailhändler*innen mit fleisch­la­stiger Grill­wer­bung. Diese schreibt den Geschlech­tern verstaubte Ernäh­rungs­mu­ster zu und negiert, dass der Fleisch­konsum gravie­rende soziale und umwelt­schäd­liche Konse­quenzen mit sich bringt. Wir haben Coop gefragt, weshalb sie so vehe­ment an dieser vorsint­flut­li­chen Stereo­ty­pi­sie­rung festhalten. 
Symbolbild (Foto: Daan Stevens/ Unsplash)

Auch wenn sich der Sommer langsam dem Ende zuneigt, erin­nern uns die omni­prä­senten Werbe­pla­kate der Detailhändler*innen zuver­lässig daran, keinen lauen Sommer­abend verstrei­chen zu lassen, ohne den Grill anzu­schmeissen: „Jetzt chame gril­liere!“, schreit es seit Monaten pene­trant von jeder erdenk­li­chen Werbe­fläche. Auf den Rost kommt, was schmeckt: gefüllte Pilze, mari­niertes Gemüse, Hall­oumi und natür­lich Fleisch. Für Tsch-Tsch-Tschen­nifer gibt’s Gemüse aller Art, Tsch-Tsch-Tschimmy gönnt sich Fisch und Tsch-Tsch-Tsche­remy geniesst Spare­ribs. Das Problem? Fehlende Vitamine auf den Tellern der männ­li­chen Esser. Kurz: Die Coop-Werbung sugge­riert, dass sich Frauen tenden­ziell vege­ta­risch oder vegan ernähren, während­dessen ihre männ­li­chen Kollegen Fleisch und Fisch auf den Grill schmeissen, bis sich die Rost­stangen biegen.

Grund­sätz­lich erstaunt dieses Bild wenig, hat Coop doch bereits in den letzten Jahren in diversen Werbe­spots mit steilen, aus femi­ni­sti­scher Sicht frag­wür­digen Thesen um sich geworfen. So startet ein Spot von 2017 damit, dass eine hinter dem Grill stehende Frau mit den Worten „Ganz falsch! Für das brucht’s doch viel meh Erfahrig“, aufge­schreckt wird. Und das Werbe­film­chen aus 2013 wird auf Youtube mit folgenden Worten ange­teasert: „ ‚Tsch Tsch‘ ist zum festen Bestand­teil des Schweizer Wort­schatzes geworden. Auch Feuer­wehr­männer, Einbre­cher, Mili­tär­haupt­männer und sogar Ausser­ir­di­sche brau­chen heute ‚Tsch Tsch‘ als fixen Ausdruck.“ Genauso wie die geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Zutei­lung von Gemüse und Fleisch in der aktu­ellen Werbe­kam­pagne legt auch diese Aufzäh­lung „rich­tiger“ Männer­be­rufe offen, dass Coop in Sachen Gril­lieren von einer männer­do­mi­nierten Welt ausgeht. In dieser gehören Frauen zwar hinter den Herd, aber die Königs­dis­zi­plin des Gril­lie­rens sollen sie gefäl­ligst dem anderen Geschlecht über­lassen. Doch entspricht das in der Werbung gezeich­nete Bild wirk­lich der Realität?

Begrüs­sens­werter Trend

Auf der Suche nach einer Antwort erkun­digen wir uns bei Dani­elle Cotten, Medi­en­spre­cherin des Inter­es­sen­ver­bands Swissveg nach der Entwick­lung von Ernäh­rungs­trends. Sie bestä­tigt, dass sich tatsäch­lich mehr Frauen für die fleisch­lose Ernäh­rung begei­stern lassen. Ein Blick auf die schwei­ze­ri­sche Stati­stik zeigt trotzdem ein durchaus erfreu­li­ches Bild: Obwohl ein Unter­schied zwischen den Geschlech­tern besteht, nimmt auch die Anzahl Vege­ta­rier konti­nu­ier­lich zu.

Tenden­ziell sind es die jüngeren Gene­ra­tionen, die sich für eine vege­ta­ri­sche oder vegane Lebens­weise inter­es­sieren. Cotten von Swissveg stellt jedoch fest, dass die Offen­heit gegen­über einer weniger fleisch­be­tonten Ernäh­rung in den letzten Jahren auch bei Menschen mitt­leren Alters stetig zuge­nommen habe. Ein Grund dafür könnte sein, dass die nega­tiven Folgen des Fleisch­kon­sums immer mehr im Bewusst­sein der Bevöl­ke­rung ankommen. Diese Beob­ach­tung führt zum zweiten Problem der Tsch-Tsch-Werbung: Das fleisch­la­stige Essver­halten der Darsteller blendet die damit einher­ge­henden Umwelt­be­la­stungen, die unwür­dige Tier­hal­tung, die gesund­heit­li­chen Folgen sowie den exor­bi­tanten Ener­gie­ver­brauch des Fleisch­kon­sums komplett aus.

Rinder domi­nieren die Debatte

Im Zentrum vieler Diskus­sionen rund um die Klima­krise steht das Treib­hausgas Methan, das für etwa einen Viertel des globalen Treib­haus­ef­fekts verant­wort­lich ist. Mehr als die Hälfte dieser Emis­sionen wiederum entsteht aufgrund mensch­li­cher Akti­vi­täten. Zu einem grossen Teil stammen sie aus der Rinder- und Schaf­hal­tung, also sowohl aus der Fleisch­pro­duk­tion wie auch aus der Herstel­lung von Milch­pro­dukten. Immerhin haben im Jahr 2017 die drei­zehn grössten Milch­wirt­schafts­be­triebe in der Summe mehr Emis­sionen verur­sacht als die zwei umwelt­schäd­lich­sten Akti­en­ge­sell­schaften, der Berg­bau­kon­zern BHP und der Ener­gie­kon­zern Cono­co­Phil­lips, zusammen.

Ein weiteres oft aufge­grif­fenes Thema sind Soja­im­porte, die der hiesigen Tier­füt­te­rung dienen: Neben den USA, die in der Soja­pro­duk­tion markt­füh­rend sind, stehen Argen­ti­nien und Brasi­lien auf der Liste der grössten Sojaproduzent*innen. In beiden Ländern wird dafür wert­voller Regen­wald abge­brannt, der wiederum für die Absorp­tion des Klima­gases CO2 wichtig wäre. Der Fleisch­konsum befeuert die Klima­ka­ta­strophe also gleich doppelt.

Opfer des profit­ori­en­tierten Systems

Doch die Klischee-Spare­ribs von Tsch-Tsch-Tsche­remy sind nicht nur für das Klima schäd­lich, sondern auch aus ethi­scher Perspek­tive höchst frag­würdig. Rund 25 % der land­wirt­schaft­li­chen Arbeits­kräfte in der Schweiz haben einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund, wie eine Studie im Auftrag der Platt­form für eine sozial nach­hal­tige Wirt­schaft aufzeigt. Die meisten der auslän­di­schen Ange­stellten arbeiten auf Schweizer Höfen zu Nied­rigst­löhnen. So beträgt der vom Schwei­ze­ri­schen Bauern­ver­band publi­zierte Richt­lohn für eine saiso­nale Hilfs­kraft im Durch­schnitt 3300.- Franken brutto, wobei monat­lich 990.- Franken für Kost und Logis abge­zogen werden.

Frap­pant: So richtig publik wurde unsere Abhän­gig­keit von diesen saiso­nalen Hilfs­kräften erst, nachdem viele von ihnen coro­nabe­dingt nicht mehr einreisen konnten, was unsere Ernäh­rungs­si­cher­heit zu bedrohen schien. Nicht grundlos haben sich Italien, Portugal sowie Deutsch­land über­legt, ille­gale Arbeits­kräfte temporär zu lega­li­sieren und Asyl­su­chenden eine Arbeits­er­laubnis zu erteilen. Solche poli­ti­schen Entscheide sind vor allem deshalb wider­lich, weil sie negieren, dass sich diese Menschen oftmals bereits seit Jahren in eben jenen Ländern aufhalten.

Ähnlich sieht es bei den Schlacht­be­trieben aus: In aller Munde war der Corona-Skandal in Deutsch­lands grösstem Schlacht­kon­zern Tönnies, der sein Stamm­werk im nord­rhein-west­fä­li­schen Rheda-Wieden­brück hat. Auch bei Tönnies kommen die meisten Beschäf­tigten aus Nach­bar­län­dern. Etwa 80 % sind über Subun­ter­nehmen ange­stellt und können dadurch zu menschen­un­wür­digen Kondi­tionen unter dem Mindest­lohn beschäf­tigt werden.

Hat Coop nicht mitge­kriegt, dass wir mit einer Klima­krise kämpfen, die den Konsum von solch exor­bi­tanten Fleisch­mengen einfach nicht zulässt? Oder gibt es einen guten Grund, weshalb man sich bei Coop dazu entschieden hat, diese geschlech­ter­ste­reo­ty­pi­schen Ernäh­rungs­mu­ster zu beackern? Wir haben nachgefragt.

Sehr geehrte Damen und Herren von Coop

Sommer­zeit ist Grill­zeit: Dementspre­chend wirbt auch Coop auf Plakaten mit dem Werbe­spot „Gril­lieren verbindet uns“. Mir ist aufge­fallen, dass die männ­li­chen Darsteller zwar ganz viel Fleisch und Fisch, aber kein Gemüse essen. Weshalb ist das so?

Ich danke bestens für die Auskunft und grüsse herzlich,

das Lamm

Die Antwort kam eine Woche später:

Guten Tag liebes Lamm

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne lasse ich Ihnen die gewünschte Antwort zukommen.

Der Fokus bei „Gril­lieren verbindet uns“ liegt auf Produkten, die beson­ders oft auf den Grill kommen. Deshalb werden von den Darstel­le­rinnen und Darstel­lern mehr­heit­lich Fleisch­waren und Fisch gegrillt. In den Szenen werden auch Gemüse und Salate gezeigt, die dazu gegessen werden.

Freund­liche Grüsse,

Coop

Natür­lich freuen wir uns darüber, dass Coop den Darsteller*innen auch ein paar Blätt­lein Salat gönnt. Die von uns gestellte Frage beant­wortet das aber leider nicht, weshalb wir noch­mals nach­fragen mussten:

Sehr geehrte Damen und Herren von Coop

Vielen Dank für Ihre Antwort. Leider beant­worten Sie meine Frage jedoch nicht.

Mich inter­es­siert, weshalb in der Werbe­kam­pagne die männ­li­chen Darsteller alle­samt zu Fisch oder Fleisch greifen, während die vege­ta­ri­sche respek­tive vegane Ernäh­rung ausschliess­lich den Darstel­le­rinnen zuge­teilt wird. Die Werbung sugge­riert somit, dass es keine Vege­ta­rier gibt. Das stimmt jedoch nicht. Tatsäch­lich entscheiden sich nebst Frauen immer mehr Männer dazu, teil­weise oder ganz auf Fleisch und Fisch zu verzichten. Wieso zeigt Ihre Werbe­kam­pagne keine männ­liche Personen, die sich für eine vege­ta­ri­sche Vari­ante entscheiden?

Ich danke Ihnen bestens für Ihre Erklärung.

Freund­liche Grüsse,

das Lamm

Sehr viel später – ausführ­liche Antworten bean­spru­chen schliess­lich Zeit – kam die Rückmeldung:

Guten Tag

[…] Gerne lasse ich Ihnen die gewünschte Antwort zukommen.

Die Auftei­lung des Grill­guts erfolgte unab­hängig vom Geschlecht. Für den Spot wurden Produkte ausge­wählt, die beson­ders oft auf den Grill kommen.

Beste Grüsse,

Coop

Diese diplo­ma­ti­sche Antwort über­rascht wenig. Nur ist sie natür­lich viel­mehr Teil des Problems als Teil der Lösung. Denn sie legt offen, dass es der Kommu­ni­ka­ti­ons­ab­tei­lung nicht einmal bewusst zu sein scheint, dass sie den Geschlech­tern spezi­fi­sche Ernäh­rungs­mu­ster zuschreibt. Damit befeuern sie das leider immer noch weit­ver­brei­tete stereo­ty­pi­sche Bild des fleisch­ver­zeh­renden Kerls, anstatt diesen toxi­schen und klima­schäd­li­chen Geschlech­ter­rollen entge­gen­zu­wirken. Im Jahr 2020 kann von einer Kommu­ni­ka­ti­ons­ab­tei­lung eine sensi­bi­li­sier­tere Haltung erwartet werden – bezüg­lich Klima und Geschlechterrollen.

In jedem lustig klin­genden „Tsch-Tsch“ schwingt neben der Schä­di­gung des Klimas auch ein Stück menschen­ver­ach­tende Ausbeu­tung mit. Das Argu­ment der Detailhändler*innen, dass sie mit ihren Ange­boten ledig­lich auf die Nach­frage ihrer Kund­schaft reagieren würden, lässt sich indes ziem­lich einfach entkräften. Denn Nach­frage ist schliess­lich nur ein Produkt unserer Reali­täts­kon­struk­tion, in welcher Plakate wie die Tsch-Tsch-Werbungen durchaus eine grosse Rolle spielen. Dazu ist Werbung ja da: Sie soll Jeremy und Giuseppe dazu bringen, weiterhin an Welt­vor­stel­lungen fest­zu­halten, in denen es gang und gäbe zu sein scheint, dass sie bei der Sommer­grillade mit ihren männ­li­chen Kollegen an einem Knochen nagen.

Dass diese Einfluss­nahme bei tief einge­brannten, stereo­ty­pi­schen Geschlech­ter­bilder am besten funk­tio­niert, ist klar. Toxisch ist sie trotzdem. Coop hat indes, wie’s scheint, wenig Inter­esse daran, dass sich solche Vorstel­lungen ändern. Weshalb auch? Coop ist Mehr­heits­ak­tio­närin beim Basler Fleisch­ver­ar­bei­tungs­be­trieb Bell AG, einem der grössten Fleisch­kon­zerne der Schweiz. Nach­voll­ziehbar also, möchten sie den Fleisch­konsum mithilfe von plumpen und veral­teten Rollen­bil­dern weiter ankur­beln. Aber im Falle der Tsch-Tsch-Kampagne ist solch ein Vorgehen vor allem eines: klima­schäd­lich und stereo­ty­pi­sie­rend. Kurz: egoistisch.

 


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