Tschüss Fami­li­en­sied­lung, hallo Hochhaus

Die Stadt stimmt ab über den Gestal­tungs­plan der Thur­gau­er­strasse. Die Linke ist gespalten: Die Stadt­zür­cher SP setzt sich für den Plan ein, die Alter­na­tive Liste und die Grünen sind dagegen. Warum? Ein Spazier­gang durchs Grubenackerquartier. 
Blick von der Grubenackerstrasse Richtung Thurgauerstrasse (Bild: Claude Hurni).

Zürich, Leut­schen­bach an einem Diens­tag­morgen. Auf der einen Seite Büro­ge­bäude, gläsern und dunkel. Auf der anderen Seite der vier­spu­rigen Thur­gau­er­strasse: Schre­ber­gärten, schmucke Einfa­mi­li­en­häuser, ihrer­seits mit Gärten.

Blick von der Gruben­acker­strasse Rich­tung Thur­gau­er­strasse. (Foto: Claude Hurni)

Und genau hier – zwischen der lauten Thur­gau­er­strasse und der idyl­li­schen Gruben­acker­strasse – soll eine neue Sied­lung entstehen. So sieht es der Gestal­tungs­plan der Stadt vor: fünf Hoch­häuser, ein Schul­haus, ein Park und Mehr­fa­mi­li­en­häuser. Alle Wohnungen sollen gemein­nützig sein, ein Drittel davon würde subventioniert.*

Am 29. November stimmt die Stadt darüber ab. Und die parla­men­ta­ri­sche Linke ist gespalten: Während die SP für das Jahr­hun­dert­pro­jekt weibelt, wehren sich die Grünen und die Alter­na­tive Liste gegen die Vorlage.

Die Idee, hier etwas zu bauen, findet auch Matthias Probst gut. Aber nicht so, wie es die Stadt einge­plant hat. Der grüne Gemein­derat, selbst wohn­haft im Hunzi­ker­areal, ist im Refe­ren­dums­ko­mitee, das sich gegen das Vorhaben formiert hat.

Matthias Probst setzt sich für Wohnungen für Menschen ein. (Foto: Claude Hurni)

Er nimmt sich Zeit für einen morgend­li­chen Quar­tier­rund­gang; die Vorlage treibt ihn um. „Die Stadt fördert durch diesen Plan nicht eine lebens­werte Stadt, sondern ‚bolzt‘ Gebäude hin“, findet Probst. Dies würde kein Quar­tier­leben fördern, sondern statt­dessen eine Anony­mität, die es an anderen Orten des Leut­schen­bach­quar­tiers schon zur Genüge gäbe. Nur die ange­dachte Verdich­tung und der Umstand, dass ein Drittel der Bauten gemein­nützig genutzt werden sollen, bewertet Probst als positiv.

Aber nicht als positiv genug. Bei einem solchen Baupro­jekt, findet Probst, gehe es doch um die Menschen. „Eine Sied­lung zu bauen bedeutet auch, dieje­nigen Menschen einzu­be­ziehen, die bereits neben oder bei der Sied­lung wohnen.“ In diesem Fall die Bewohner*innen des Grubenackerquartiers.

Der Stadtrat meint, er habe die Bewohner*innen ausrei­chend in die Planung einbe­zogen. Ein Gross­teil von ihnen, so das Refe­ren­dums­ko­mitee, fühlt sich aber ungehört.

Als Antwort darauf grün­deten sie die Inter­es­sen­ge­mein­schaft Gruben­acker und eine eigene Genos­sen­schaft, die Wohn­bau­ge­nos­sen­schaft Gruben­acker. Sie setzt sich für eine parti­zi­pa­tive und inte­gra­tive Gestal­tung ihres Quar­tiers ein. So möchte die Genos­sen­schaft Speku­la­tion auf den Boden im Gruben­acker verhin­dern und statt­dessen die Sied­lung konstruktiv erwei­tern. Statt dafür zu plädieren, dass die Häuser stehen bleiben sollen, will die Genos­sen­schaft sich dafür einsetzen, dass eine zeit­ge­mässe Sied­lung entstehen kann. Und nicht zwei: die Gruben­acker­sied­lung und daneben die Thur­gau­er­stras­sen­über­bauung, so wie es der Gestal­tungs­plan gerade vorsieht.

Verdich­tung durch Hoch­häuser: ökolo­gisch fragwürdig

Eines der Haupt­ziele dieses Gestal­tungs­plans ist die Verdich­tung. Und hierfür zentral sind die geplanten Hoch­häuser. Eigent­lich sind sie so entworfen, dass sich eine Abstu­fung der Gebäu­de­höhe in Rich­tung der Gruben­acker­strasse ergeben sollte. Aber das funk­tio­niert vor allem in der Theorie. Die geplanten Gebäude orien­tieren sich deut­lich an der anderen Seite der Thur­gau­er­strasse: dem Leut­schen­bach­quar­tier mit seinen Hochhäusern.

Dabei sei doch schon länger bekannt, dass Hoch­häuser sowohl aus psycho­lo­gi­scher, wie auch aus ökolo­gi­scher Sicht nicht sinn­voll seien. Der Bau von Hoch­häu­sern verur­sache extrem viel CO2 und auch deren Kühlung und Heizung sei ener­gie­in­tensiv, so eines der Haupt­ar­gu­mente der Gegner*innen. Klar ist: Hoch­häuser verschlingen zwar pro Person weniger Boden aber sie benö­tigt dafür auch mehr tech­ni­sche Einrich­tungen, etwa Fahr­stühle oder aufwen­dige Brandschutzanlagen.

Zudem, so erwähnt Probst, habe er schon mehr­fach gehört, dass es ab dem siebten Stock­werk schwie­riger für die Bewohner*innen sei, den Bezug zur Aussen­welt zu halten, was nicht den Vorstel­lungen des Refe­ren­dums­ko­mi­tees vom Fami­li­en­quar­tier entspricht. Auch das Refe­ren­dums­ko­mitee nimmt Bezug zu diesem Problem und betont, wie fami­li­en­un­freund­lich solche Gebäude seien. Dabei wäre eigent­lich eines der Ziele dieser Über­bauung, Fami­lien anzuziehen.

Probsts grösster Kritik­punkt am Gestal­tungs­plan ist aber, dass von der Stadt das Poten­zial einer Koope­ra­tion mit der ansäs­sigen Bevöl­ke­rung nicht erkannt werde. Eigent­lich könnte das Quar­tier Gruben­acker ein „lässiges“, modernes, ja auch verdich­tetes Quar­tier werden, das sich auszeichnet durch den parti­zi­pa­tiven Prozess seiner Gestaltung.

Wie genau, das macht eben diese Quar­tier­be­völ­ke­rung vor. Nach zunächst destruk­tiver Oppo­si­tion gegen das Projekt haben Bewohner*innen eigen­in­itiativ einen mach­baren Plan dafür vorge­legt, wie sie ihr gesamtes Quar­tier und nicht nur die vorhan­dene Bauland­re­serve umge­stalten wollen. Sie haben eine Genos­sen­schaft gegründet, die auch darauf abzielt, dass die Häuser irgend­wann in die neue Sied­lung einge­glie­dert werden könnten: durch Abriss und Neubau, durch Integration.

Doch statt­dessen hält die Stadt an ihrem Plan fest, der sich vor fast zehn Jahren auszu­bilden begann. Es ist bedenk­lich, dass, statt parti­zi­pativ und sozial auf die Bewohner*innen einzu­gehen, ein Flick­werk mit Anpas­sungen entstanden ist. Dies führte gemäss Probst auch zu grosser Verun­si­che­rung bei den Bewohner*innen: Einige hätten ihr Haus sogar bereits der ZKB verkauft. Auch das ist dem Quar­tier­cha­rakter nicht unbe­dingt dien­lich. Probst nennt sie „Crème­schnitten“: Häuser ohne Charakter, die teure Wohnungen beher­bergen, die keinen Bezug zeigen zu den anderen Gebäuden des Quartiers.

Wir laufen über die Thur­gau­er­strasse, eine der meist­be­fah­renen Achsen der Stadt, weiter in Rich­tung Fern­seh­studio. Hier hat Implenia mehrere Hoch­häuser gebaut: Es ist nicht schwer zu erkennen, dass hier kaum Fami­lien wohnen, ja dass es sich auch um Zweit­woh­nungen handeln könnte. Denn die Balkone und die Eingangs­be­reiche sind leer — keine Blumen, keine Tische, keine Kinder­buggys. Gleich nebenan liegt der teuerste Park der Stadt: ein Schot­ter­garten. Kühl, karg, unfreund­lich. Der Unter­schied zum Gruben­acker­quar­tier fällt wieder auf: Wo wir uns dort in einer dorfähn­li­chen Atmo­sphäre befunden hatten, befinden wir uns hier im urbanen Raum. Es wird wieder klarer, was sich die Bewohner*innen des Gruben­acker­quar­tiers nicht wünschen und wovor sie sich fürchten.

Den Oasen­cha­rakter will das Gruben­acker­quar­tier nicht verlieren. (Bild: Claude Hurni)

Nein, der Gestal­tungs­plan schlägt nicht solch charak­ter­lose Bauten vor, er will auch keine Zweit­woh­nungen ermög­li­chen. Aber inspi­riert ist auch er von den Implenia-Gebäuden. Der Charme, den das Gruben­acker­quar­tier momentan hat, der Oasen­cha­rakter, der leicht zu erhalten wäre – all das ginge verloren.

Wir laufen weiter und gelangen am Schluss unseres Spazier­gangs ins Hunzi­ker­areal, dem dich­te­sten Quar­tier des Kantons Zürich: Nirgends also leben mehr Menschen pro Quadrat­meter Grund­stücks­fläche. Dabei hat es hier gar keine Hoch­häuser und es ist spürbar, dass es von Menschen für Menschen gestaltet wurde: ganz schön fried­lich, irgendwie gemüt­lich. So könnte es auch gehen, oder, Zürich?

* In einer ersten Version schrieben wir fälsch­li­cher­weise, ein Drittel der neuen Wohnungen soll gemein­nützig werden. Tatsäch­lich sollen alle Wohnungen gemein­nützig werden. Wir bitten für den Fehler um Entschuldigung. 

Stel­lung­nahme der Stadt

Im Anschluss an die Publi­ka­tion unseres Arti­kels wandte sich das Hoch­bau­de­par­te­ment der Stadt Zürich an uns.

Die Stadt betont demnach insbe­son­dere, dass sie keine Gebäude «hinbolze». Abge­stimmt werde über einen Gestal­tungs­plan, der die baurecht­li­chen Fest­set­zungen für die näch­sten Schritte macht. Die vorge­se­henen Gebäude würde bei einer Annahme im Rahmen der Vorgaben des Gestal­tungs­plans von Genos­sen­schaften und Stif­tungen geplant und gebaut. Schule und Park, die durch die Stadt selber erstellt werden, sind Teil eines anderen, bereits geneh­migten Gestaltungsplans.

Die bereits konkreten, im Gemein­derat unbe­strit­tenen Projekte Schule und Park liessen sich mit dem Gegen­vor­schlag aus dem Quar­tier nicht reali­sieren. Auch darüber hinaus handele es sich bei der Alter­na­tive nicht um einen „mach­baren“ Plan.

Weiter habe das Hoch­bau­de­par­te­ment das Quar­tier seit Anbe­ginn in die Planung mit einbe­zogen, unter anderem auch im Rahmen eines Work­shops, der gemeinsam mit Grundeigentümer*innen betref­fend die Entwick­lung ihrer eigenen Parzellen durch­ge­führt worden sei. Dass einzelne Eigentümer*innen ihre Grund­stücke und Häuser bereits verkauft hätten, habe nichts mit dem Gestal­tungs­plan zu tun.


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