Coro­na­hilfe für Kunst­schaf­fende – Basel und Zürich testen neue Modelle

Basel und Zürich wollen Künstler:innen mit einer Ausfall­ent­schä­di­gung durch die Corona Krise helfen. Während das Basler Modell bereits Ende Februar ange­laufen ist, wurden die Zürcher vom Bundesrat zunächst zurück­ge­pfiffen. Seit 4. März können auch hier Anträge gestellt werden. 
SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr bei der Pressekonferenz vom 4. März. (Foto: Timo Krstin)

„2020 war für mich noch ganz okay“, sagt Marie Alexis im typi­schen Lock­down-Inter­view via Zoom. Sie ist Vorstands­mit­glied der Tanz­LOBBY IG Tanz Zürich, die sich seit den 80er Jahren für die freie Tanz­szene einsetzt. „Im vergan­genen Jahr habe ich mich noch mit Neben­pro­jekten und einem Forschungs­sti­pen­dium über Wasser gehalten. Für die näch­sten zwei Jahre sehe ich aber ziem­lich schwarz.“

Wie Marie geht es vielen freien Kultur­schaf­fenden in der Schweiz. Die Theater und Tanz­räume sind zu, Konzerte fallen aus, Projekte werden abge­sagt oder gar nicht erst aufge­gleist. „Viele hatten schon 2020 kaum oder gar kein Einkommen“, sagt Marie. „Am Ende sind sie dann auf dem RAV gelandet.“

Gerade dort fällt es freien Künstler:innen aber oft schwer, ihr Einkommen aus ständig wech­selnden Anstel­lungs­ver­hält­nissen und projekt­be­zo­gener Arbeit zu doku­men­tieren. Sie kämpfen mit hohem büro­kra­ti­schen Aufwand, ohne am Ende eine ange­mes­sene Entschä­di­gung zu bekommen. „Und wenn sie dann noch gezwungen werden, berufs­fremde Joban­ge­bote anzu­nehmen, sind sie blockiert, sollte doch wieder ein Projekt reinkommen.“

Eine Abwärts­spi­rale ins beruf­liche Aus, die nicht nur Existenzen zerstört, sondern die Kultur­land­schaft der Schweiz als Ganzes gefährdet.

Unbü­ro­kra­tisch aber nicht bedingungslos

Um dem entge­gen­zu­wirken und freien Künstler:innen unbü­ro­kra­tisch zu helfen, gehen die Kantone Basel und Zürich nun eigene Wege. Soge­nannte pauscha­li­sierte Ausfall­ent­schä­di­gungen sollen es richten. Diese sind unkom­pli­ziert zu bean­tragen und nicht ans indi­vi­du­elle Einkommen gekoppelt.

In Zürich hat SP-Regie­rungs­rätin Jacque­line Fehr ihr eigenes Modell mit dem Namen „Ersatz­ein­kommen“ in die Diskus­sion einge­bracht. Selb­stän­dige profes­sio­nelle Kultur­schaf­fende sollen rück­wir­kend ab Dezember 80% eines fiktiven Durch­schnitts­ein­kom­mens von 4800 Franken erhalten. Etwa 3800 Franken würden direkt auf den Konten der Betrof­fenen landen, abzüg­lich anderer Einnahmen und Unterstützungsgelder.

„Das sorgt dafür, dass gering­ver­die­nende Kultur­schaf­fende über­leben können“, schreibt Jaque­line Fehr dazu auf ihrem Blog.

Weil der nötige Betrag aber zum Teil vom Bund entrichtet werden muss, stellte sich das Bundesamt für Kultur (BAK) zunächst quer. Nicht kompa­tibel mit dem Covid-19-Gesetz von 2020, hiess es. Die pauschale Ausfall­ent­schä­di­gung war fürs erste blockiert.

Anders in Basel: Hier können sich frei­schaf­fende Künstler:innen seit Ende Februar um ein Tage­geld von maximal 98 Franken bewerben. Bean­tragt werden kann die Unter­stüt­zung bis 31. Mai 2021 auch rück­wir­kend für die sechs Monate zwischen November 2020 und April 2021.

Wenig Büro­kratie für wenig Geld

Johanna Heusser, Tänzerin und Choreo­grafin aus Basel, hat den Antrag schon gestellt. Zumin­dest das Verspre­chen von weniger Büro­kratie scheint er zu halten: „Zuerst hatte ich Angst, dass es wieder so kompli­ziert werden würde“, sagt sie. „Aber dann musste ich tatsäch­lich nur die Lohn­aus­weise und den Steu­er­be­scheid einreichen.“

Wenn alles glatt läuft, kann die Perfor­merin mit den vollen 98 Franken pro Tag rechnen. Dies würde zu einem Einkommen von knapp 3000 Franken im Monat führen. Ein spär­li­cher Betrag, der aber für die freie Künstler:in über­le­bens­wichtig ist. „Ich muss im Schnitt mit 17000 bis 18000 Franken pro Jahr auskommen.“ Von diesen ohnehin geringen Einnahmen sind ihr in der Pandemie nochmal etwa 700 Franken pro Monat weggebrochen.

Damit wird auch deut­lich, um welche Dimen­sionen es geht, wenn Unter­stüt­zungs­mass­nahmen blockiert werden.

Um die Züri­cher Blockade zu lösen, hat Jaque­line Fehr ein eigenes Rechts­gut­achten in Auftrag gegeben. Jurist Felix Uhlmann von der Uni Zürich kommt darin zum Schluss, dass das Covid-19-Gesetz von 2020 keines­wegs eine exakte Berech­nung der Ausfälle fordert. „Das Gesetz“, schreibt Uhlmann, „lässt dem Bundesrat ausrei­chenden Spiel­raum, um Verord­nungs­grund­lagen zu schaffen, die mit einem stark pauscha­li­sierten Entschä­di­gungs­mo­dell kompa­tibel sind.“ Das Bundesamt für Justiz hat das Gutachten geprüft und für valide befunden.

Trotzdem verwei­gert der Bund weiterhin eine Betei­li­gung, weshalb der Züri­cher Regie­rungsrat das Heft nun selbst in die Hand genommen hat. Während einer ersten Phase wird die pauscha­li­sierte Ausfall­ent­schä­di­gung komplett vom Kanton finan­ziert. Das Gesuch­s­portal auf der Seite der Fach­stelle Kultur ist bereits freigeschaltet.

Selb­ständig oder freischaffend?

Aber auch wenn Anträge jetzt gestellt werden können, bleibt das Zürcher Modell in einem wich­tigen Punkt hinter seinem Basler Pendant zurück. Es erfasst nur die wirk­lich selb­ständig Beschäf­tigten. Also Künstler:innen, die auf eigene Rech­nung arbeiten und die Sozi­al­ver­si­che­rung ohne externe Arbeitgeber:innen abrechnen.

Marie Alexis weiss aus ihrem Enga­ge­ment bei der Tanz­LOBBY, dass viele der bedürf­tigen Künstler:innen gar nicht unter diese Kate­gorie fallen. Sie arbeiten zwar frei und mit hohem persön­li­chem Risiko, sind aber keine Selb­stän­digen, sondern soge­nannte Freischaffende.

„Meine Erfah­rung ist, dass der Gross­teil entweder frei­schaf­fend ist oder in Misch­formen arbeitet, das heisst, einer­seits selb­ständig gemeldet ist, sich ande­rer­seits aber auch immer wieder für Projekte anstellen lässt. Darum macht es nicht viel Sinn, mit der Unter­stüt­zung nur die Selb­stän­digen abzudecken.“

Der Unter­schied ist für Künstler:innen im Alltag oft kaum erkennbar. Selb­stän­dige wie Frei­schaf­fende hangeln sich ohne grosse Absi­che­rung von Projekt zu Projekt. Einziger Unter­schied: Selb­stän­dige schreiben eine Rech­nung, während die Frei­schaf­fenden jeweils für kurze Zeit ange­stellt werden. Die sehr kurzen Anstel­lungs­ver­hält­nisse ändern jedoch wenig am beruf­li­chen Risiko. Auch Frei­schaf­fende sind in der Krise im Wesent­li­chen auf sich gestellt.

„Von den Leuten, mit denen ich zusam­men­ar­beite, sind viel­leicht 15 bis 20 Prozent wirk­lich selb­ständig. Der Rest ist frei­schaf­fend“, schätzt Marie. Dies würde bedeuten, dass 80 Prozent zumin­dest der freien Tanz- und Thea­ter­schaf­fenden von der pauscha­li­sierten Ausfall­ent­schä­di­gung von vorn­herein ausge­schlossen sind. Und weil ihre Projekte oft ganz ausfallen, profi­tieren sie auch nicht vom Kurz­ar­beits­geld. Die Abwärts­spi­rale geht weiter. Am Ende winkt wieder das RAV oder sogar das Sozialamt.

Basel geht neue Wege

Basel scheint dieses Problem zumin­dest erkannt zu haben. In der offi­zi­ellen Verlaut­ba­rung zum Tage­geld heisst es, eine Gesuchsteller:in ist „entweder selb­stän­dig­er­wer­bend oder übt eine Kombi­na­tion aus selb­stän­diger und ange­stellter Tätig­keit aus oder ist unselb­ständig frei­schaf­fend tätig. Darunter versteht man Personen, die in Kurz­zeit­ar­beits­ver­hält­nissen projekt­be­zo­gene Tätig­keiten mit häufig wech­selnden Arbeit­ge­bern ausüben.“

Die Defi­ni­tion mag etwas sperrig daher­kommen, trifft aber auf die tatsäch­li­chen Beschäf­ti­gungs­ver­hät­nisse in der freien Kunst- und Kultur­szene zu. Das Basler Vorgehen könnte daher für die gesamte Schweiz beispiel­haft werden und auch über die Pandemie hinaus Wirkung zeigen. Denn viele sozi­al­staat­liche Mass­nahmen zielen nach wie vor an der Lebens- und Arbeits­rea­lität von freien Künstler:innen vorbei.

Dass Basel sich so fort­schritt­lich geben kann, liegt unter anderem am Finan­zie­rungs­mo­dell. Das Basler Tage­geld kommt zu hundert Prozent aus kanto­nalen Töpfen. Damit ist es nicht an eine Zustim­mung aus dem BAK gebunden und muss auch keine Rück­sicht auf das Covid-19-Gesetz von vergan­genem Jahr nehmen, mit dem Ausfall­ent­schä­di­gungen auf die „echten“ Selb­stän­digen beschränkt werden.

„Nur deswegen konnte ich das Tage­geld über­haupt bean­tragen“, bestä­tigt Johanna Heusser, die frei­schaf­fend, aber nicht als selb­ständig gemeldet ist und so oft durch alle Raster fällt. Ein klas­si­scher Fall.

In Zürich hätte sie da weniger Glück. Denn obwohl die erste Phase nun eben­falls aus Kantons­töpfen finan­ziert wird, muss die Fach­stelle Kultur weiter an ihrer Defi­ni­tion von Selb­stän­dig­keit fest­halten. „Das ist eine sehr unbe­frie­di­gende Situa­tion“, gibt die stell­ver­tre­tende Leiterin Lisa Fuchs auf der Pres­se­kon­fe­renz vom 4. März zu. Mit Blick auf die zweite Phase, die der Bund wieder mitbe­zahlen soll, bliebe Zürich aber keine andere Wahl.

Dies bedeutet, dass sich die grosse Zahl der Frei­schaf­fenden wohl weiterhin durch den Büro­kra­tie­dschungel wühlen muss, nur um am Ende wieder auf dem RAV zu landen.

Und das, obwohl es um Beträge geht, von denen man in den grossen Städten der Schweiz ohnehin kaum leben kann „Ich werde mit 3000 Franken über die Runden kommen“, sagt Johanna Heusser. „Aber auch nur, weil ich keine Familie zu ernähren habe. Bei Menschen mit Kindern wird das Geld natür­lich hinten und vorne nicht reichen.“

Auch deswegen beginnt es in der Zürcher Szene allmäh­lich zu rumoren. Marie von der Tanz­lobby hat Jaque­line Fehr persön­lich ange­schrieben und Unter­stüt­zung ange­boten. „Ich warte noch auf die Antwort. Je nach dem werden wir uns dann mit den anderen Verbänden abspre­chen und Aktionen planen.“ Gleich­zeitig formieren sich unab­hän­gige Gruppen über Tele­gramm-Chats, die auch das Problem der Frei­schaf­fenden einer grös­seren Öffent­lich­keit bekannt machen wollen.


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