„Wenn Sie die Liefer­kette nach­voll­ziehen wollen, müssen Sie neben den Steinen herlaufen.“

„Die Idee ist gut, nur sind alle mensch­li­chen Gesetze sinnlos“, sagt Rolf Zibung. Der luzer­ni­sche Diaman­ten­händler hält die Konzern­in­itia­tive entspre­chend für unnütz und plädiert statt­dessen für mehr Vertrauen und Selbst­ein­sicht. Ein Gespräch mit einem Diaman­ten­händler über die Konzernverantwortungsinitiative 
Diamantenhändler: Ein Hochrisikoberuf (Symbolbild: Unsplash)

„Wenn ich hier warte und der Zug dann tatsäch­lich recht­zeitig einfährt, dann denke ich mir immer: Das gibt es auch nur in der Schweiz!“ Mit diesen Worten begrüsst mich Rolf Zibung lächelnd am Bahnhof Sursee. Lässig führt er mich zu seinem schwarzen Porsche und beginnt sofort, von seinen Geschäften zu erzählen, von Kolle­gInnen aus dem Busi­ness-Yoga-Retreat auf Ko Samui.

Er kenne hier jemanden, der ein Café führe. Ob es für mich in Ordnung sei, dorthin zu fahren. „Klar“, antworte ich, bemüht darum, dem Gespräch zu folgen und mir Notizen zu machen. Er parkiert direkt vor dem Café und stellt die Uhr auf eine halbe Stunde.

Rolf Zibung ist Diaman­ten­händler. Schon lange. Bis vor drei Jahren bei Buch­erer, dem grössten Juwe­lier in der Schweiz. 2016 hat er sich selbst­ständig gemacht. Wenn man seine Home­page besucht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass das Unter­nehmen vier Mitar­bei­te­rInnen an zwei Stand­orten zählt. Tatsäch­lich ist es ein Ein-Mann-Betrieb. In der Welt der Edel­steine zählt eben die Äusser­lich­keit, der Eindruck. So auch bei der Zibung Diamond Invest­ment GmbH. Das Büro liegt nicht etwa an der Zürcher Bahn­hofstrasse, sondern im luzer­ni­schen Rain. In Zürich und Düssel­dorf betreibt er soge­nannte Satel­li­ten­büros – also Büros an einer guten Lage, in denen er Bera­tungen durch­führt, die er aber mit anderen Miete­rInnen teilt.

Rolf Zibung ist in einem soge­nannten Risi­ko­be­reich tätig. Darunter fallen neben dem Edel­stein- auch der Gold- und der Rohstoff­handel. Bei Annahme der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive wird das Parla­ment für klei­nere und mitt­lere Unter­nehmen, welche in diesen Wirt­schafts­sek­toren tätig sind, Verord­nungen erlassen. Konkret werden die KMUs dazu verpflichtet, ihre Liefer­ketten lücken­frei auszu­weisen. Und sie werden für allfäl­lige Verlet­zungen der Sorg­falts­pflicht haftbar gemacht.

Der Kimberley-Prozess – einst revo­lu­tionär, heute umstritten

Der Diaman­ten­handel gilt bis heute als blutiges Geschäft. Beson­ders der Film Blood Diamonds mit Leonardo DiCa­prio von 2006 prägte dieses Bild der Öffent­lich­keit. Soge­nannte Blut­dia­manten wurden und werden in Konflikt­ge­bieten geschürft und von Rebel­len­gruppen dazu verwendet, Konflikte zu finan­zieren und so zu verlängern.

Vertre­te­rInnen der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive spre­chen in diesem Zusam­men­hang oft von einem Versagen der Selbst­re­gu­lie­rung in der Rohstoff­branche. Es gab schon Bestre­bungen, den Diaman­ten­handel trans­pa­renter zu gestalten, etwa der 2003 von der Diaman­ten­in­du­strie verab­schie­dete Kimberley-Prozess. Nachdem Bemü­hungen der UNO gegen den Blut­dia­man­ten­handel in Angola geschei­tert waren, trafen sich im Mai 2000 mehrere Diamanten schür­fende Staaten im südafri­ka­ni­schen Kimberley. In der Folge entstand ein kompli­ziertes Zerti­fi­zie­rungs­sy­stem: der Kimberley-Prozess. Alle Steine, die gehan­delt werden, müssen mit einem staat­li­chen Herkunfts­zer­ti­fikat ausge­stattet sein. Und obwohl der Prozess weder Verbes­se­rungen der Arbei­te­rIn­nen­rechte, Umwelt­stan­dards in den Minen noch grif­fige Kontroll­me­cha­nismen brachte, wurde das Abkommen zwischen – Stand heute – 81 Ländern von der Indu­strie und NGOs glei­cher­massen als zukunfts­wei­sender Schritt gefeiert.

Aller­dings verlor der Kimberley-Prozess mit der Zeit immer mehr von seinem Glanz. Als Erstes verliess die NGO Global Witness 2011 das Zerti­fi­zie­rungs­sy­stem als Beob­ach­terin, andere Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen folgten. Grund dafür war die gewalt­same Über­nahme der Marange-Minen­felder durch die simbab­wi­sche Armee. Trotz der offen­sicht­li­chen Verstrickung von Lang­zeit-Diktator Robert Mugabe und dessen Umfeld wurden Konzes­sionen zum Abbau verteilt – der Kimberley-Prozess war gran­dios gescheitert.

Die simbab­wi­schen Steine waren auf dem Markt und wurden auch in Europa zum Verkauf ange­boten. Rolf Zibung erin­nert sich: „Obwohl ich Robert Mugabe nicht persön­lich kannte, habe ich mir als Chef­ein­käufer bei Buch­erer gesagt, dass ich keine Steine aus Simbabwe kaufen werde.“ Als er seine Liefe­ranten auf den auffällig günstigen Preis ansprach, gerieten diese in Erklä­rungsnot. „Für mich war dann schnell klar, dass die Steine aus Simbabwe stammten. Und so verzich­tete ich.“

Probleme mit dem Kimberley-Prozess bestehen bis heute: 2016 berich­tete die NGO Part­ner­ship Africa Canada (PAC), dass Diamanten von der Zentral­afri­ka­ni­schen Repu­blik nach Kamerun geschmug­gelt wurden. Dort wurden sie mit Kimberley-Zerti­fi­katen versehen und als konflikt­frei verkauft. Sie halfen auf diese Weise, den Konflikt in der Zentral­afri­ka­ni­schen Repu­blik weiter zu finanzieren.

Herkunft von Diamanten ist nicht bestimmbar

Diese Episode illu­striert ein grund­le­gendes Problem der Diaman­ten­in­du­strie: „Bis heute haben Gemmo­logen [Edel­stein­kundler, Anm. d. Red.] keinen Weg gefunden, die Herkunft von Steinen fest­zu­stellen“, sagt Zibung, selber ausge­bil­deter Gemmo­loge. „Wenn Rohdia­manten in einer Ladung zusam­men­kommen, dann kann man mit keiner Methode fest­stellen, aus welchem Land oder aus welcher Mine die einzelnen Steine kommen.“ Auch wenn für alle Steine das Kimberley-Zerti­fikat ange­geben sei, sei es ein Leichtes, Steine zu schmug­geln. „Wenn Sie die Liefer­kette Schritt für Schritt nach­voll­ziehen wollen, dann müssen Sie neben dem Stein herlaufen“, meint Rolf Zibung und nimmt einen Schluck von seinem Espresso. Und Edel­steine reisen auf ihrem Weg nicht selten um die ganze Welt.

In seiner Broschüre steht aber, dass er — dank dem Kimberley-Prozess — schrift­lich garan­tieren könne, dass er ausschliess­lich legal geför­derte Diamanten anbiete und verkaufe. Wie ist das möglich? „Ich muss meinen grossen Liefe­ranten vertrauen, wenn sie sagen, dass die Steine aus einer verläss­li­chen Quelle stammen”, meint Zibung. „Diese produ­zieren nicht nur selber, sondern kaufen auch Steine von klei­neren Händ­lern ein.” Eigent­lich mache er nicht gerne solche Aussagen wie in der Broschüre, aber in der Diaman­ten­in­du­strie sei die Rede von 100% konflikt­freien Diamanten eine weit­ver­brei­tete Marke­ting­stra­tegie. „Der Anteil von Konflikt­dia­manten ist sehr klein. Wir können nicht allen nach­rennen.” Aber auch er könne nicht zu 100% garan­tieren, dass seine Steine keine Konflikt­dia­manten sind.

In der Indu­strie werden seit längerem Methoden für die trans­pa­rente Nach­ver­fol­gung disku­tiert und gete­stet – unter anderem eine Block­chain oder eine Kenn­zeich­nung durch Nano­par­tikel. Doch im grossen Stil können bis jetzt nur kana­di­sche Minen eine voll­stän­dige Nach­ver­fol­gung ihrer Edel­steine garan­tieren. Alle Steine werden dort mit einer Seri­en­nummer versehen, welche eine trans­pa­rente Liefer­kette garantiert.

Wer darf Richter sein?

Rolf Zibung verwendet gerne Sprach­bilder. Spricht er über Edel­steine, dann nennt er sie je nach Qualität entweder Ricardo Rodri­guez oder Neymar. Brasi­lia­ni­sche Favelas werden zum Wilden Westen, die Villen­viertel zum goldenen Käfig. Wenn es um die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­i­ta­tive geht, klingt das so: „Grund­sätz­lich finde ich die Idee gut“, sagt der gelernte Kauf­mann, „nur sind alle mensch­li­chen Gesetze sinnlos. Im Gegen­satz zu Natur­ge­setzen wirkt mensch­li­ches Recht immer nur dann, wenn jemand – zum Beispiel die Polizei – es durch­setzt.“ Wirk­liche Verän­de­rung könne nur erreicht werden, wenn jedeR Unter­neh­merIn auf das eigene Gewissen hört. „Ein weiteres Gesetz hilft da gar nichts.“ Ausserdem sei das Leben von Klein­un­ter­neh­me­rInnen in der Schweiz schon genug schwer mit all den büro­kra­ti­schen Hürden.

Für Zibung ist es eine Frage nach mora­li­scher Legi­ti­mität, nach Eigen­ver­ant­wor­tung. „Bevor wir nicht alle vor unserer eigenen Türe aufge­räumt haben, müssen wir nicht auf andere schauen“, sagt der Diaman­ten­händler und zitiert den indi­schen Philo­so­phen Jiddu Krish­na­murti: „Beob­achten ohne zu bewerten, das ist die höchste Form der mensch­li­chen Intelligenz.“

Mit seiner Lebens­part­nerin führt Zibung ein Busi­ness-Yoga-Zentrum, in welchem Einzel­per­sonen oder Firmen Work­shops oder Retreats buchen können. Er ist faszi­niert von den buddhi­sti­schen Lehren und möchte diese auf sein Unter­nehmen anwenden. Inspi­riert hat ihn das Buch The Diamond Cutter von Geshe Michael Roach, das ein Modell eines buddhi­sti­schen Lebens­ent­wurfs für Unter­neh­me­rInnen entwirft. Auf seiner Home­page listet Rolf Zibung die wich­tig­sten Grund­züge dieser Geschäfts­phi­lo­so­phie auf. Der oberste Punkt: „Wir versu­chen, das Wohl­ergehen und den Wohl­stand anderer zu fördern.“

Warum also trotzdem Diamanten aus Bots­wana oder Südafrika kaufen, wenn man nicht voll­ständig ausschliessen kann, dass mit diesen Diamanten Menschen zu Schaden kommen? Warum gegen eine Initia­tive sein, die faire Bedin­gungen in der ganzen Liefer­kette durch­setzen möchte, die sich an UN-Richt­li­nien orien­tiert? Zibung unter­bricht: „Ja, aber die UNO-Charta besagt auch, dass man nicht grundlos andere Länder angreifen darf – und was haben die USA in Libyen oder in Jugo­sla­wien gemacht?“ Man müsse sich doch fragen, wer denn diese Richter seien, die bestimmen, was zulässig ist und was nicht? Wer denn genau das Recht habe zu bestimmen, was menschen­würdig ist und was nicht? „Wenn wir dann nicht mehr bei diesen Ländern Diamanten einkaufen, bin ich gespannt, was die Minen­ar­beiter davon halten werden.“ Er sei noch nie in einer Mine gewesen, aber wo immer es Licht gebe, da falle auch Schatten.

„Nach­hal­tige Verän­de­rung rührt von innen her!“

Rolf Zibung nimmt sich viel Zeit für das Gespräch. Er habe nicht so viel zu tun, seit er 2016 sein eigenes Unter­nehmen gegründet hat. Immer wieder schweift sein Blick weg zu seinem Porsche – eine halbe Stunde ist schon lange vorbei, und wir sitzen immer noch im Café. Er ist aufmerksam, enga­giert und verfolgt das Gespräch mit einem wachen Geist, der ihn manchmal zur Kapi­ta­lis­mus­kritik, manchmal zu buddhi­sti­schen Versen oder Fuss­ball­me­ta­phern führt.

Wer behauptet, die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive sei eine Mogel­packung, über­treibt fraglos. Doch die Initia­tive trifft tatsäch­lich nicht nur multi­na­tio­nale Gross­kon­zerne aus Zug oder Vevey, sondern auch Ein-Mann-Unter­nehmen wie die Zibung Diamonds Invest­ment GmbH aus dem luzer­ni­schen Rain. Was für die Befür­wor­te­rInnen selbst­ver­ständ­lich und konse­quent ist, dient den Gegne­rInnen als Haupt­ar­gu­ment gegen die Initia­tive: Laut Econo­mie­su­isse droht den KMUs „gren­zen­lose Büro­kratie“ und „stei­gende Erpress­bar­keit“. Rolf Zibung ist einverstanden.

Was die konkreten Folgen für die Diaman­ten­in­du­strie bei einer Annahme der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive sein werden, ist unklar. Das Parla­ment hätte dann die Aufgabe, eine Verord­nung auszu­ar­beiten. Es sei nicht die Absicht der Initi­an­tInnen, dass der Diaman­ten­handel mit Bots­wana und Südafrika einge­stellt werde, heisst es vom Initia­tiv­ko­mitee. Viel­mehr sollen sich die Unter­nehmen im Dialog mit den Ländern für fairere Bedin­gungen für Mensch und Umwelt einsetzten.

Rolf Zibung glaubt nicht, dass Verän­de­rung von aussen erreicht werden kann. „Das ist alles nur Symptom­be­kämp­fung.“ Nach­hal­tige Verän­de­rung könne nur von innen herrühren. „Was wir als Menschen noch nicht begriffen haben, ist die Tatsache, dass es mir nur gut gehen kann, wenn es allen Menschen gut geht“, sagt der Diaman­ten­händler zum Schluss. Wenn der Mensch mit sich im Reinen sei, dann brauche es keine Gesetze. Selbst­re­gu­lie­rung durch Selbst­ein­sicht also.


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