„Wir sehen die Pestizid-Initia­tive klar als Zukunfts­per­spek­tive für Kleinbetriebe“

Am 13. Juni kommen Trink­wasser- und Pestizid-Initia­tive zur Abstim­mung. Beide Vorlagen zielen in die gleiche Rich­tung: Reduk­tion des Pesti­zid­ver­brauchs in der Schweizer Land­wirt­schaft. Die Mittel, mit denen das Ziel erreicht werden soll, unter­scheiden sich jedoch in wich­tigen Punkten. Barbara Küttel von der Klein­bauern-Verei­ni­gung über Unter­schiede und Chancen der beiden Agrarinitiativen. 
Diversifizierte kleine Betriebe können auf Schädlingsbefall besser reagieren. (Foto: Zoe Schäffer / Unsplash)

Das Lamm: Frau Küttel, Sie sind Co-Geschäfts­lei­terin der Klein­bauern-Verei­ni­gung, eines Vereins, der sich nach eigenem Bekunden für die Inter­essen kleiner und mitt­lerer land­wirt­schaft­li­cher Betriebe einsetzt. Am 13. Juni werden zwei Initia­tiven zur Abstim­mung kommen, die deut­lich in die Land­wirt­schafts­po­litik der Schweiz eingreifen. Wie posi­tio­niert sich ihr Verband dazu?

Barbara Küttel: Das ist ganz einfach. Die Klein­bauern-Verei­ni­gung hat eine Ja-Parole für die Pestizid-Initia­tive (PI) und Stim­men­frei­gabe für die Trink­was­ser­initia­tive (TWI) beschlossen.

Beide Initia­tiven werden oft inhalt­lich in einen Topf geworfen. Wo liegen für Sie die wich­tig­sten Unterschiede?

Wir setzen uns für die PI ein, weil sie ein ganz simples Ziel hat: das Verbot synthe­ti­scher Pesti­zide. Der Pesti­zid­be­griff ist dabei sehr klar formu­liert. Es geht um synthe­ti­sche Pesti­zide, die im biolo­gi­schen Landbau, den wir fördern wollen, ohnehin nicht verwendet werden. Der zweite wich­tige Punkt ist: Das Verbot wird nicht nur für die Land­wirt­schaft gelten, sondern auch für alle anderen Pestizidanwender:innen, zum Beispiel im privaten und kommer­zi­ellen Gartenbau oder auch bei der SBB. Die Bäuer:innen werden also gleich wie alle anderen Anwender:innen behandelt.

Und bei der TWI ist das nicht der Fall?

Die TWI hat im Wesent­li­chen die gleiche Stoss­rich­tung. Das finden wir begrüs­sens­wert. Sie will das Ziel der Pesti­zid­frei­heit aber nicht durch ein gene­relles Verbot errei­chen, sondern verfolgt einen libe­ra­leren Ansatz. Die Steue­rung soll über das Strei­chen von staat­li­chen Geldern für gemein­wirt­schaft­liche Leistungen, soge­nannte Direkt­zah­lungen, geschehen. Nur noch Landwirt:innen, die auf Pesti­zide verzichten, werden von den Direkt­zah­lungen profitieren.

Die „Initia­tive für eine Schweiz ohne synthe­ti­sche Pesti­zide“, kurz Pestizid-Initia­tive (PI), fordert ein gene­relles Verbot synthe­ti­scher Pesti­zide in der Schweizer Land­wirt­schaft. Synthe­ti­sche Pesti­zide defi­niert der Initia­tiv­text als Mittel mit einer in der Natur nicht vorkom­menden chemi­schen Zusam­men­set­zung. Nicht vom Geltungs­be­reich betroffen, heisst es, „sind Bio-Hilfs­stoffe, biolo­gi­sche Pesti­zide, Nütz­linge, orga­ni­sche, mecha­ni­sche, elek­tri­sche sowie ther­mi­sche Pesti­zide und alle anderen Alter­na­tiven, die keine chemi­schen Gift­stoffe enthalten.“ Das Anwen­dungs­verbot soll mit einer Frist von zehn Jahren umge­setzt werden und erstreckt sich auch auf impor­tierte Lebens­mittel, womit gleiche Wett­be­werbs­be­din­gungen für schwei­ze­ri­sche und auslän­di­sche Produzent:innen garan­tiert werden sollen.

Die „Initia­tive für sauberes Trink­wasser und gesunde Nahrung – Keine Subven­tionen für den Pestizid- und den prophy­lak­ti­schen Anti­bio­tika-Einsatz“ (TWI) zielt auf eine Reduk­tion von Pesti­ziden und Anti­bio­tika in der Land­wirt­schaft und fordert im Initia­tiv­text einen Tier­be­stand am Hof, der mit dem auf dem Betrieb produ­zierten Futter ernährt werden kann. Diese letzte Forde­rung wurde bereits abge­schwächt. Nun ist nur noch die Rede von einem Tier­be­stand, der mit Schweizer Futter ernährt werden kann. Regio­naler Futter­handel würde also möglich bleiben. Im Gegen­satz zur PI sollen die Ziele nicht über ein gene­relles Verbot, sondern über struk­tu­rellen Zwang durch die Strei­chung staat­li­cher Gelder, der soge­nannten Direkt­zah­lungen, erreicht werden. Die Umset­zungs­frist beläuft sich auf acht Jahre.

Wo liegt das Problem?

Direkt­zah­lungen sind Gelder vom Staat, die Betriebe bekommen, wenn sie sich an bestimmte ökolo­gi­sche Stan­dards halten, die im soge­nannten Ökolo­gi­schen Leistungs­nach­weis fest­ge­schrieben sind. Gerade stark spezia­li­sierte Betriebe, die relativ viele synthe­ti­sche Pesti­zide einsetzen, wie zum Beispiel im Gemü­se­anbau, kriegen schon jetzt wenige Direkt­zah­lungen. Wenn man diesen Betrieben Direkt­zah­lungen kürzt, stört es sie kaum. Die Steue­rungs­wir­kung wäre in diesem Fall also nicht zwin­gend gegeben. Gleich­zeitig wären viel­fäl­tige Betriebe, die stärker auf Direkt­zah­lungen ange­wiesen sind, vermehrt betroffen.

Hier kommen wir auf eine verbrei­tete Kritik an der TWI zu spre­chen. Es heisst, dass gerade Biolandwirt:innen geschä­digt werden, weil sie propor­tional mehr Direkt­zah­lungen bekommen. Wenn die Subven­tionen wegfallen, könnten sie gezwungen sein, auf den profi­ta­bleren konven­tio­nellen Landbau umzu­steigen. Sehen Sie diese Gefahr?

Möglich wäre es, aber das hängt sehr vom einzelnen Betrieb ab. Ein klas­si­scher Misch­be­trieb, konven­tio­nell oder bio, mit verschie­denen Betriebs­zweigen, wird nicht aus den Direkt­zah­lungen aussteigen. Sie bilden einen zu wich­tigen Anteil an den jähr­li­chen Einnahmen.

Gibt es noch weitere Probleme mit der TWI?

Ein anderer Aspekt sind die Futter­mit­tel­im­porte. Die TWI fordert zusätz­lich, dass nur noch auf dem Hof selbst produ­ziertes Futter verfüt­tert werden darf. Damit zielt sie auf den proble­ma­tisch hohen Import von energie- und eiweiss­rei­chen Futter­mit­teln aus dem Ausland ab, wie sie bei der Hühner- und der Schwei­ne­mast in grossen Mengen verwendet werden. Nun gibt es aber auch kleine Betriebe mit wenig Fläche, die eben­falls auf Hühner- oder Schwei­ne­mast setzen. Wenig Fläche bedeutet, dass kaum Eigen­futter verwendet wird. Und diese Betriebe wären bei einer strengen Ausle­gung der TWI natür­lich stark betroffen.

Ist diese strikte Ausle­gung zu erwarten?

Nein, das ist sehr unwahr­schein­lich. Die Forde­rung wurde von den Initiant:innen schon im Vorfeld aufge­weicht, sodass ein regio­naler Futter­handel sicher weiterhin möglich bleiben würde.

Das heisst, die TWI bietet grös­sere Heraus­for­de­rungen auch für klei­nere oder viel­fäl­tige Betriebe. Was macht die PI besser?

Das grund­sätz­liche Verbot von synthe­ti­schen Pesti­ziden hiesse – im Gegen­satz zur Direkt­zah­lungs­kür­zung – dass alle glei­cher­massen auf diese Mittel verzichten müssten. Darum sehen wir die PI ganz klar als Zukunfts­per­spek­tive für Klein­be­triebe, die sich über reine Effi­zienz nicht profi­lieren können, wohl aber über Qualität und Natur­nähe. Im Gegen­satz zur TWI werden bei der PI ausserdem auch impor­tierte Produkte berück­sich­tigt. Auch sie müssen in Zukunft ohne synthe­ti­sche Pesti­zide herge­stellt worden sein. Das bedeutet: gleiche Wett­be­werbs­be­din­gungen für die Lebensmittelproduzent:innen hier und im Ausland sowie keine Verla­ge­rung der Umwelt­schäden ins Ausland.

Ist ein allge­meiner Umstieg auf biolo­gi­schen Pflan­zen­schutz denn über­haupt für alle Bereiche möglich?

Es gibt sicher Anbau­me­thoden und Kulturen, wo es etwas schwie­riger wird. Das Beispiel Rosen­kohl wird oft genannt. Aber auch dafür gibt es Lösungen. Man muss versu­chen, über neue biolo­gi­sche Mittel oder über die Pflan­zen­zucht zu besseren Ergeb­nissen zu kommen. Gute Pflan­zen­zucht ist länger­fri­stig sowieso ein Schlüssel zur Reduk­tion chemi­scher Pesti­zide. Die Initia­tiven lassen aus diesem Grund zehn (PI) bzw. acht (TWI) Jahre Zeit für die Umsetzung.

„Das Gemüse muss heute perfekt aussehen. Wenn man hier die Ansprüche verän­dert, werden gewisse chemisch-synthe­ti­sche Mittel überflüssig.“

– Barbara Küttel, Kleinbauern-Vereinigung

Und dann sollte natür­lich auch der Handel Einfluss nehmen, indem die Ansprüche etwas zurück­ge­schraubt werden. Heute geht es da sehr stark um opti­sche Krite­rien. Das Gemüse muss perfekt aussehen. Das hat aber mit Geschmack und Nähr­wert nichts zu tun. Wenn man hier die Ansprüche verän­dert, werden gewisse chemisch-synthe­ti­sche Mittel überflüssig.

Könnte es bei völligem Verzicht auf synthe­ti­sche Pesti­zide trotzdem zu Ernte­aus­fällen kommen?

Es gibt immer das Risiko von Ernte­aus­fällen. Aber mit solchen Entwick­lungen muss man umgehen und darf nicht immer irgendein chemisch-synthe­ti­sches Zauber­mittel erwarten.

Wie ginge man konkret damit um?

Eine Lösung ist, dass man auf verschie­dene Kulturen setzt. Oder, wie wir es nennen: Das Risiko diver­si­fi­zieren und den Hof viel­fältig gestalten, damit man nicht in die Mono­kul­tur­falle tappt und am Ende ohne Chemie gar nicht mehr auskommt. Ausserdem haben klei­nere diver­si­fi­zierte Betriebe den Vorteil, dass mehr durch Hand­ar­beit gemacht wird, sodass man bei Problemen schnell reagieren kann. Das geht auf einem grossen und wenig diversen Betrieb nicht so einfach, weil er hoch spezia­li­siert ist und verhält­nis­mässig wenig Personal hat.

Gegen beide Initia­tiven wird gerne ins Feld geführt, dass sie regio­nale Produkte verteuern. Stimmt das?

Natür­lich sind Biopro­dukte ein biss­chen teurer. Aber würde man mit rich­tigen Preisen rechnen, die auch die Umwelt­ko­sten enthalten, sähe es ganz anders aus. Dann wären Biopro­dukte immer günstiger als konven­tio­nelle. Heute wird die Diffe­renz indi­rekt über Steuern und Umwelt­ko­sten begli­chen, die zum Beispiel beim Trink­wasser entstehen, weil es in gewissen Gebieten intensiv gerei­nigt werden muss, mit millio­nen­teuren Anlagen.

Wie würde die Klein­bauern-Verei­ni­gung im Weiteren vorgehen, wenn beide Initia­tiven ange­nommen würden?

Wir werden uns mit unserem Präsi­denten, der auch im Natio­nalrat ist, dafür einsetzen, dass die Initia­tiven ihre Ziele auf einem reali­sti­schen Weg errei­chen können und Landwirt:innen die notwen­dige Unter­stüt­zung erhalten. Dafür müsste man die Forschung inten­si­vieren und die Direkt­zah­lungen entspre­chend umla­gern. Neben dieser bäuer­li­chen Perspek­tive ist für uns von der Klein­bauern-Verei­ni­gung aber auch die Konsument:innenseite sehr wichtig.

Wie ist das zu verstehen?

Es ist eine schiefe Vorstel­lung, dass nur die Bäuer:innen bestimmen sollen, wie produ­ziert wird, allein wegen der vielen Gelder, die in die Land­wirt­schaft fliessen. Das ist ein gesell­schaft­li­cher Prozess und den müssen wir gemeinsam gestalten. Anders gesagt: Es kann ja nicht nur darum gehen, an der Produk­tion zu drehen, wenn die Nach­frage die gleiche bleibt. Und darum verstehen wir uns als Konsument:innen- und Bäuer:innenorganisation. Wir versu­chen also, beide Seiten zusammenzubringen.

Pesti­zide wirken sich nicht nur auf die Umwelt aus, sondern auch direkt auf die Bäuer:innen, die damit umgehen müssen. Gibt es Erkennt­nisse zu Gesund­heits­schäden durch Pestizide?

In der Schweiz wurden da leider nie Zahlen erhoben. Das ist in anderen Ländern ganz anders. In Frank­reich ist zum Beispiel Parkinson als Berufs­krank­heit von Landwirt:innen aner­kannt. In gewissen Ländern werden alle Bäuer:innen, die aus irgend­einem Grund ins Kran­ken­haus kommen, erst mal auf anti­bio­ti­ka­re­si­stente Bakte­rien gete­stet. Daran sieht man, dass das Thema in anderen Ländern viel aufmerk­samer ange­gangen wird als in der Schweiz.

Wenn es auch keine offi­zi­ellen Zahlen gibt: Haben Sie persön­liche Erfah­rungen mit Pestiziden?

Ich bin auf einem Bauernhof aufge­wachsen, den mein Bruder jetzt als Biobe­trieb leitet. Mein Vater hat früher konven­tio­nell ange­baut und dabei auch chemisch-synthe­ti­sche Pesti­zide einge­setzt, die er meistens ohne jeden Schutz ausge­bracht hat. Auf der Land­wirt­schafts­schule wird der Einsatz dieser Mittel seit Jahr­zehnten ganz selbst­ver­ständ­lich gelehrt. Alter­na­tiven sind dabei immer noch viel zu wenig Thema. Und das sollte heute nicht mehr sein. Dass darüber gespro­chen wird, ist schon ein erster kleiner Erfolg der beiden Initiativen.

Sollten sie am Ende trotzdem an der Urne schei­tern: Wie wird es dann weitergehen?

Wir hoffen natür­lich auf ein möglichst gutes Resultat. Denn es ist ja klar, dass das Thema damit nicht abge­schlossen sein wird. Es gibt zu viele Bereiche in der Land­wirt­schaft und Ernäh­rung, die ange­packt werden müssen. Darum wird es sicher zu weiteren Abstim­mungen und Initia­tiven kommen.


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