Corona hat die Arbeitswelt grob in zwei Gruppen geteilt: Die eine Seite bilden die Angestellten, die andere die Selbstständigen und die Personen in sogenannt arbeitgeberähnlicher Stellung, also Leute, die in ihrer eigenen AG oder GmbH arbeiten. Oft sind diese Kleingewerbler die einzigen Angestellten in ihren Firmen und befinden sich dementsprechend in einer sehr ähnlichen Situation wie die Selbstständigen. Die einen bekamen schnell und langfristig Hilfe vom Staat. Die anderen mussten hart um Unterstützung kämpfen – nur um nach kurzer Zeit wieder fallen gelassen zu werden.
Mit dieser behördlichen Ignoranz schien nicht einmal die Bundespräsidentin gerechnet zu haben, wie ein ziemlich missglückter Medienauftritt von Sommaruga zeigt. An der bundesrätlichen Pressekonferenz vom 27. Mai (Minute 54) wurde sie von Kassensturz-Journalist Ueli Schmezer gefragt, weshalb Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen auf Ende Mai der Anspruch auf pauschal 3’320 Franken Corona-Hilfe pro Monat wieder gestrichen wurde. Schliesslich sei klar, dass die Wirtschaft nicht in allen Branchen sofort wieder anlaufen werde. Sommaruga reagierte verständnisvoll: „Der Bundesrat hat sich dazu noch nicht geäussert. Aber ich denke, der Auftrag und die Stossrichtung ist klar.“ Nämlich: Man werde die Zahlungen nicht einfach einstellen können, so Sommaruga. Das klang vielversprechend, aber auch ein bisschen so, als würde die Bundespräsidentin aus dem Bauch heraus antworten.
Und tatsächlich: Bereits zwei Tage später korrigierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) den empathischen Kurs der Bundespräsidentin. Am Point du Presse vom 29. Mai (ab Minute 30) erklärte Boris Zürcher, Leiter der Direktion Arbeit beim SECO, auf die Frage einer Journalistin, dass nicht vorgesehen sei, die Unterstützung für die GmbHler und AGler zu verlängern. Es sei vielmehr so, dass „mit den Öffnungsschritten, die der Bundesrat auf den 6. Juni hin verkündet hat, eigentlich kein triftiger Grund mehr besteht, um diese Leistung fortzusetzen.“ Die in ihren eigenen AGs und GmbHs angestellten Personen könnten nicht mehr als Härtefälle eingestuft werden. Am Ende stellte Zürcher klar: „Diese Leistung wird per Ende Monat aufgehoben.“ Ähnlich sieht es bei den Selbstständigen aus. Ihnen hat das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) bereits Mitte Mai den Geldhahn zugedreht.
Aus den linken Parlamentsreihen wurde Kritik an diesem Vorgehen und die Forderung laut, die Unterstützung der Selbstständigen und Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung noch vor den Sommerferien erneut zu besprechen, und zwar in einer ausserordentlichen Session. Daraus wird nun aber nichts, da die nächste Sondersession erst auf September angesetzt wurde. Bis dahin bleibt es wohl bei der bundesrätlichen Entscheidung, die Unterstützung zu streichen.
Warum macht der Bundesrat das überhaupt?
Doch warum beendete der Bundesrat die Hilfe an Selbstständige und an Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen, während Unternehmen generell bis Ende August mit Kurzarbeitsentschädigungen rechnen können? Das wollten wir von den zuständigen Behörden SECO und Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) wissen.
Liebe Leute vom SECO, liebe Leute vom BSV
Seit Mitte Mai erhalten die meisten Selbstständigen kein Corona-Taggeld mehr. Seit Ende Mai kriegen auch die Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung keine Unterstützung mehr. Unternehmen können hingegen bis nach den Sommerferien mit Kurzarbeitsentschädigungen rechnen. Das führt zu speziellen Situationen. Hierzu zwei Beispiele, damit Sie meine Fragestellung besser einordnen können.
Viele FotografInnen, vor allem, wenn sie auf Eventfotografie spezialisiert sind, haben immer noch kaum Aufträge. Sind sie bei einem Unternehmen angestellt, erhalten sie über die Kurzarbeitsentschädigung (KAE), die ihr Unternehmen für sie beantragen kann, jedoch weiterhin den Grossteil ihres Lohnes. FotografInnen, die ihre eigene kleine „Ein-Personen-Agentur“ in Form einer GmbH gegründet und sich bei dieser GmbH selbst angestellt haben, wurde die Unterstützung über die KAE jedoch auf Ende Mai gestrichen. Ist das nicht seltsam?
Ähnlich sieht die Situation bei den TaxifahrerInnen aus. Wer als angestellteR TaxifahrerIn tätig ist, kann über die KAE, die das Taxiunternehmen noch mehrere Monate beantragen kann, mit einem sicheren Einkommen rechnen. Wer jedoch als selbstständigeR TaxifahrerIn unterwegs ist, wurde als indirekt betroffener Härtefall eingestuft. Diesen wurde die Unterstützung in Form von Corona-Taggeld auf den 16. Mai wieder gestrichen.
Deshalb meine Frage: Wie können sie diese Ungleichbehandlung rechtfertigen?
Vielen lieben Dank und freundliche Grüsse
Das Lamm
Zuerst erreicht uns eine ausgiebige Antwort vom SECO. Hier kommt sie. Aber Achtung: Seid gefasst auf eine grosse Ladung Behördendeutsch.
Liebes Lamm
[…] Die Arbeitslosenversicherung (ALV) ist eindeutig eine Arbeitnehmer-Versicherung. Selbstständige und Arbeitgeberähnliche sind grundsätzlich von Leistungen ausgeschlossen. Der Bundesrat hat mittels Notrecht hier zusätzliche Leistungsansprüche während dieser ausserordentlichen Lage geschaffen. […]Die Aufhebung der Anspruchsberechtigungen für KAE bei Mitarbeitenden mit arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitenden Ehegatten oder eingetragenen Partnern erfolgt in Abstimmung mit der dritten Etappe (8. Juni 2020) der wirtschaftlichen Öffnung. Der Zeitpunkt der Öffnung wird nicht mit einer vollständigen Arbeitsaufnahme der Unternehmen gleichgesetzt, da zahlreiche Faktoren das Tempo und den Umfang der Arbeitsaufnahme beeinflussen (Hygienevorschriften und Schutzkonzepte, Entwicklung der in- und ausländischen Nachfrage etc.).
Eine Arbeitsaufnahme ist aber ab dem 8. Juni 2020 grossmehrheitlich möglich und dringend erwünscht. Gerade für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung, mitarbeitende Ehegatten oder eingetragene Partner, welche in der Regel Führungspositionen besetzen und Entscheidungsträger sind, ist das Risiko eines Stellenverlusts im Gegensatz zum potenziellen Missbrauchsrisiko gering.
Aktuell sind die Konditionen für den Bezug von KAE attraktiv, da es weder eine Wartefrist noch eine Karenzzeit gibt. Das kann zur Folge haben, dass die Unternehmen nur sehr zögerlich den Betrieb wieder aufnehmen. Dies trotz Entspannung der epidemiologischen Situation und Lockerung der Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Der Sachverhalt eines Härtefalls ist vor diesem Hintergrund bei arbeitgeberähnlichen Angestellten sowie Ehegatten und eingetragenen Partnern nicht mehr gegeben. Eine Ausnahmeregelung für diese Personen ist somit nicht mehr gesetzmässig.
Dies bedeutet, dass sowohl Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung bei der ALV (wie Selbstständige via EO) grundsätzlich keinerlei Ansprüche gehabt hätten, hätte der Bundesrat nicht mittels Notrecht hier zusätzliche Leistungsansprüche während dieser ausserordentlichen Lage geschaffen.
Freundliche Grüsse
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO
Nur kurz nach der Antwort vom SECO erreicht uns auch eine Mail vom BSV. Auch dieses Bundesamt verteidigt das eigene Vorgehen.
Liebes Lamm
Ergänzend zur Antwort des SECO erhalten Sie hier noch die Stellungnahme des BSV. Das SECO hat den Grund für die unterschiedliche Situation von Angestellten und Selbstständigen bereits erklärt: Für Erstere und ihre Arbeitgebenden gibt es eine Sozialversicherung für den Fall von Arbeitslosigkeit, für Letztere nicht. Wir möchten Ihnen dazu diese Überlegungen weitergeben:
Wer selbstständig erwerbstätig ist, hat sich für die Freiheit der Selbstständigkeit entschieden (Arbeitszeiten, ‑inhalt, ‑umfang, ‑bedingungen, erzielbares Einkommen, Steueroptimierung usw.) und hat dafür Selbstverantwortung u. a. für die Erzielung seines Einkommens übernommen. Wer in Anstellung arbeitet, verzichtet auf viele Freiheiten der Selbstständigen und geniesst dafür den Schutz eines Arbeitgebers. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind der obligatorischen Arbeitslosenversicherung unterstellt, haben für diesen Schutz Beiträge bezahlt und haben dafür Anrecht u. a. auf die KAE. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, dass nun die Pandemie Auslöser der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist. Als vorübergehende Notmassnahme wegen Corona wurde der Anspruch auf KAE auf „Mitarbeitende mit arbeitgeberähnlicher Stellung“ ausgeweitet, die normalerweise nicht unter dem Schutz der Arbeitslosenversicherung stehen.
Bei den Selbstständigen, für die keine solche Sozialversicherung besteht, ist der Staat notfallmässig mit Steuergeldern eingesprungen. Er hat einen Schutzschirm aufgespannt. Da nun das Geschäft der meisten der betroffenen Selbstständigen wieder an Fahrt aufnimmt, hat der Staat seinen Schutzschirm wieder mehrheitlich geschlossen und die betroffenen Selbstständigen müssen die selbst gewählte Verantwortung für ihr Einkommen wieder alleine tragen. Ob auch für Selbstständige eine obligatorische Arbeitslosenversicherung Sinn machen würde oder ob sie sogar notwendig wäre, ist vor allem eine politische Frage und eine, die den Selbstständigen selbst gestellt werden sollte.
Wir hoffen, Sie damit bei der Bearbeitung des Themas unterstützt zu haben.
Freundliche Grüsse
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV
Die Antworten der beiden Bundesämter werfen Fragen auf. Wie kann man sich beim SECO einerseits bewusst sein, dass in vielen Branchen die Umsätze aufgrund von Schutzkonzepten und Hygienevorschriften noch eine Weile ausbleiben werden, und gleichzeitig davon überzeugt sein, dass GmbHler und AGler ab dem 8. Juni wieder ganz normal arbeiten können? Wieso ist das SECO der Meinung, dass Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen den Schock der wegfallenden Unterstützung brauchen, um zurück in die Erfolgsspur zu finden? Den „normalen Firmen“ verpassen die Ämter ja auch noch keinen Schubser. Und auch bei denen besteht momentan die Gefahr, dass sie die attraktiven KAE-Bedingungen ausnutzen.
Und: Ist es wirklich so, dass die Menschen die vermeintliche Freiheit der Selbstständigkeit selber wählen und sich bewusst gegen den Schutz entscheiden, den eine Anstellung bieten würde? Gerade in der immer wieder diskutierten Taxibranche dürfte das kaum der Fall sein. Vielmehr drückt sich der Plattformbetreiber Uber seit Langem erfolgreich dagegen, seine FahrerInnen anzustellen und für sie Verantwortung zu übernehmen.
Ein Fragezeichen ist jedoch so gross, dass man es glatt übersehen könnte: Denn das Kernargument von SECO und BSV ist, dass Selbstständige nicht Teil des ALV-Systems sind. Nach dem Motto: Sie haben nichts einbezahlt, also steht ihnen auch kein Geld zu. Natürlich wäre es unfair, wenn die Selbstständigen Geld aus einem Topf kriegen würden, zu dessen Füllung sie nichts beigetragen haben. Nur: Der Grossteil des Geldes, das nun via Kurzarbeitsentschädigung an die Unternehmen und ihre Angestellten verteilt wird, stammt gar nicht aus der ALV.
Kurzarbeit und Corona-Taggeld wurden mit Steuergeldern bezahlt
In normalen Zeiten gibt die Arbeitslosenkasse fünf bis sieben Milliarden Franken pro Jahr aus. Um die ganzen Corona-Anträge stemmen zu können, musste der Bundesrat nun aber 20 Milliarden Franken aus dem allgemeinen Bundeshaushalt dazugeben. Das ist auch gut so. Nur kommen diese 20 Milliarden nicht von den ALV-Abgaben der ArbeitnehmerInnen und ‑geberInnen, sondern von den SteuerzahlerInnen. Und zu diesen gehören auch Selbstständige und Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen.
Zwar kamen auch die Selbstständigen in den Genuss von Steuergeldern. Denn: Die Corona-Taggelder wurden ebenfalls aus der Bundeskasse bezahlt. Bis jetzt hat uns das aber gerade einmal 0.6 Milliarden gekostet (Stand 21.6.2020). Und da momentan alle Taggeldzahlungen, bis auf die Kompensationszahlungen aufgrund des Veranstaltungsverbots, eingestellt wurden, wird dieser Betrag nicht mehr allzu sehr in die Höhe gehen. Denn die aufgrund des Veranstaltungsverbots ausbezahlten Taggelder machten bis anhin mit 0.034 Milliarden nur einen sehr geringen Teil aus.
Selbstständige werden hängen gelassen
In der Schweiz gibt es eine halbe Million Selbstständige [1]. Für sie wurden rund 0.6 Milliarden Steuergelder abgezweigt. Für die fünf Millionen Angestellten [2] hat der Bund hingegen 20 Milliarden in die ALV-Kassen eingeschossen. Das sind drei- bis viermal so viele Steuerfranken pro ArbeiterIn. Während Selbstständige und Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen nichts mehr bekommen sollen, geht das SECO davon aus, dass die 20 Milliarden für Kurzarbeit in den Unternehmen bis Ende August noch aufgebraucht werden. Von Gleichbehandlung also keine Spur. Dafür hätten die Selbstständigen zumindest einen Zehntel der 20-Milliarden-Spritze für die ALV bekommen müssen. Also etwa zwei Milliarden. Spannenderweise war ursprünglich sogar ein Betrag in dieser Grössenordnung budgetiert worden.
Auf die Konti der Selbstständigen wird dieses Geld nun aber nicht fliessen. Harald Sohns von der Kommunikationsabteilung des BSV findet das nicht schlimm. Er schreibt uns: „Wenn Kreditmittel schlussendlich nicht verwendet werden, entsteht dadurch kein Schaden.“ Was für das Budget des BSV stimmen mag, muss in den Ohren der Selbstständigen wie blanker Hohn klingen.
Update: Der Bundesrat hat am 1. Juli 2020 beschlossen, sowohl die Unterstützung für die Personen in arbeitgeberähnlichen Stellungen wie auch für die Selbstständigen bis zum 16. September zu verlängern. Erstere werden jedoch nur unterstützt, wenn sie aus der Event- und Veranstaltungsbranche kommen (Nachtrag 11.9.2020). Hier der Link zur Pressemitteilung.
[1] Bundesamt für Statistik, Strukturerhebung, 2016 — 2018.
[2] Bundesamt für Statistik, Beschäftigungsstatistik, 1 Quartal 2020.
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