Tegucigalpa, Honduras, 2. Juni 2020. Drei Polizeioffiziere überreichen der abgehenden Verantwortlichen der Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz mit Honduras eine Medaille zur Anerkennung ihrer Kooperation mit der nationalen Polizei. Chantal Felder, die abgehende Beamtin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), bedankt sich für die Wertschätzung und fügt an, dass „heute die Honduraner stolz auf ihre Polizei sein können“.
All dies könnte eine normale Abschiedszeremonie jeglicher Entwicklungszusammenarbeit sein. Doch in Honduras hat sie eine gewisse Brisanz: Seit dem Putsch von 2009 wird das Land von Gewalt, politischer Repression und gefälschten Wahlen heimgesucht. Zeitgleich mit der Zeremonie gab es landesweit Proteste gegen die Sozialpolitik der Regierung, die mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurden. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kamen mindestens sechs Personen ums Leben.
Die Schweiz erneuerte 2012 seine Entwicklungszusammenarbeit mit Honduras. Sie arbeitet dabei im Bereich der Umweltpolitik, der Wirtschaftsentwicklung und auf der Sicherheits- und Justizebene. Der letzte Teil schliesst die Unterstützung der lokalen Justiz- und Polizeibehörden sowie die Stärkung der Kooperation zwischen staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen ein.
Was bedeutet ein solches Programm in einem Land, in dem Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind? Kann es tatsächlich dazu beitragen, die Menschenrechtslage zu verbessern? Oder wird dadurch ein Regime legitimiert und die Repression gestärkt?
Rechtsstaat und Drogengeschäfte
Seit dem Staatsstreich von 2009 wird Honduras von einer Elite regiert, die korrupt und in Drogenschäfte verwickelt ist. So drückt es der honduranische Menschenrechtsanwalt Joaquín Mejía aus. Er sagt: „Honduras ist kein Rechtsstaat mehr.“
„Während auf der einen Seite hart gegen angebliche Vergehen der Opposition vorgegangen wird, lassen Verfahren wegen Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung auf sich warten“, so Mejía weiter. Zudem würden in Honduras die Verfahren gegen hochrangige Politiker:innen wegen Drogenhandels immer durch die USA und nicht durch die honduranische Justiz eröffnet. Mejía sagt: „In Honduras gibt es keine unabhängige Justiz mehr.“
Zu ähnlichen Schlüssen kommt die NGO Human Rights Watch (HRW). In ihrem Bericht zu Honduras schreibt die Organisation von regelmässiger politischer Einflussnahme auf Richter:innen und von der Absetzung mehrerer Verfassungsrichter:innen aus politischen Motiven. Zudem gebe es verschiedene Gesetze, die so schwammig formuliert seien, dass sich mit ihnen die Verfolgung von Oppositionellen und die Einschränkung der Pressefreiheit rechtfertigen liessen.
Der Putsch von 2009 in Honduras
Bis 2009 regierte in Honduras der sozialdemokratische Präsident Manuel Zalaya, der für seinen reformpolitischen Kurs bekannt war. 2009 geriet er in heftige politische Konflikte mit der rechten Opposition. In der Folge setzte Zalaya eine Abstimmung an, in der über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung entschieden werden sollte.
Sowohl das rechtsdominierte Parlament als auch die Armee erklärten die Abstimmung für verfassungswidrig und stürzten den Präsidenten am 28. Juni 2009 mithilfe technischer Beratung und Finanzierung durch die USA. In der Folge wurde die linke Opposition verfolgt und international kam scharfe Kritik auf.
Inzwischen hat das Regime durch Wahlen eine gewisse demokratische Legitimation zurückgewonnen. Allerdings werden immer wieder Vorwürfe der Wahlfälschung laut. Der amtierende Präsident Juan Orlando Hernández wurde 2017 wiedergewählt. Auch diesmal sprach die Opposition von Wahlbetrug.
Die Menschenrechtslage verschlechtert sich in Honduras zunehmend. Die Kriminalität ist hoch und es kommt immer wieder zu Mordanschlägen auf Journalist:innen und Oppositionelle. Diese kritisieren, dass die Regierung die Anschläge unterstütze und mit kriminellen Banden zusammenarbeite.
Auch seien Polizei und Regierung tief in Drogengeschäfte verwickelt. Erst im Oktober 2019 wurde der Bruder des Präsidenten Juan Orlando Hernández wegen Drogenhandels in den USA schuldig gesprochen. Die dortigen Justizbehörden bezeichneten Honduras in diesem Zusammenhang als „Narcoestado“ – einen Drogenhandelsstaat. Der Präsident selber habe laut der New Yorker Staatsanwaltschaft Drogenbosse vor der Justiz geschützt und dafür Schmiergelder erhalten. Und erst kürzlich wurde bekannt, dass die Ausbildungsstätte der honduranischen Militärpolizei als Kokainumschlagplatz genutzt wurde.
Mehr Rechtsstaatlichkeit und Vertrauen
All dies ist dem EDA durchaus bekannt. „Die Schweiz [ist] weiterhin sehr besorgt über die Menschenrechtslage in Honduras“, schreibt Mediensprecherin Elisa Raggi in einer Mail. Deshalb habe die Schweiz entschieden, mit Honduras zusammenzuarbeiten.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) konzentriere ihr Engagement auf die drei Länder mit dem niedrigsten BIP in der Region: „In Lateinamerika/Karibik ist Honduras hinter Nicaragua und Haiti das Land mit der dritthöchsten wirtschaftlichen Unsicherheit.“ Die DEZA-Programme sollen „zur Stärkung der wirtschaftlichen Stabilität, des Friedens und der Sicherheit in der Region“ beitragen.
Seit 2020 ist Nina Astfalck bei der DEZA für ein Programm zuständig, welches Reformprozesse in der honduranischen Polizei unterstützt. Im Gespräch mit das Lamm spricht sie über das Programm: „Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem institution building. Wir wollen die honduranische Polizei bei ihrem Reformprozess unterstützen, um eine höhere interne Kapazität und Integrität zu erreichen. All dies mit besonderem Schwerpunkt auf Menschenrechte, Meritokratie und Gender.“
Der Beitrag der DEZA an die Bürger:innensicherheit in Honduras hat drei Hauptprogrammpunkte: Unterstützung der Polizei bei ihrem Reformprozess, insbesondere in der Erneuerung ihrer Ausbildungsinfrastruktur und dem Auf- und Umbau interner Strukturen. Ausserdem wird in den Schwerpunktregionen, Golfo de Fonseca und der Mosquitia, ganz im Süden und Osten des Landes, an einem gemeinschaftlichem Sicherheitskonzept zur Prävention von Gewalt, Verbesserung der Sicherheitslage und Stärkung der Justiz gearbeitet. In Mosquitia sollen beispielsweise die Sicherheits- und Justizinstitutionen, die Gemeinden sowie die Bevölkerung bei der gemeinsamen Erarbeitung lokaler Sicherheitspläne unterstützt werden.
Astfalck nennt ein Beispiel aus der Polizeiausbildung: „Über unseren Partner DCAF (Geneva Centre for Security Sector Governance) unterstützen wir die Polizei beim Aufbau eines Mentoringsystems für angehende Polizist:innen.“ Beim Einstieg in die Arbeit würden diese begleitet werden und es gäbe regelmässigen Austausch, um so die Umsetzung konkreter Menschenrechtsstandards zu fördern.
Um den Reformprozess der Polizei zu unterstützen, „berät DCAF die Polizei bei der Durchführung einer Selbstevaluation im Bereich Gender. Ziel ist unter anderem, dass die Polizei Strukturen schaffen kann, in denen Männer und Frauen besser gleichgestellt sind.“
Derzeit befindet sich ein grosser Teil der laufenden Projekte in der Planungsphase. Doch die Zeit für konkrete Massnahmen drängt. Im Jahr 2022 endet das Programm der DEZA offiziell. Danach will das Amt noch zwei weitere Jahre in Honduras tätig sein.
Denn wie Bundesrat Ignazio Cassis im Februar 2020 angekündigt hat, wird sich die Schweiz in ihrer Entwicklungszusammenarbeit aus ganz Lateinamerika zurückziehen. Begründet wird dies unter anderem damit, dass dort „eine merkliche Reduktion der Armut und eine Verbesserung der Grundversorgung“ stattgefunden habe. Eine Behauptung, die früh von verschiedenen NGOs kritisiert wurde.
Doch genau bei dem engen Zeitplan liegt das Problem: Bis 2020 bescheinigt eine externe Kontrolle des Programms der DEZA in Honduras im Grossen und Ganzen eine gute Arbeit. Dies gilt vor allem für die Gemeinschaftsarbeit im Golf von Monseca. Jedoch kritisiert der Bericht das Fehlen eines Ausstiegsplans. Der Schluss liegt deshalb nahe, dass manche angebrochenen Projekte auf halben Weg enden könnten. Eine Befürchtung, die vom Honduras Forum Schweiz geteilt wird.
Ohne Ausweg
Telefon mit Menschenrechtsanwalt Joaquín Mejía. Ich erreiche ihn in Spanien, wo er inzwischen zur Hälfte lebt. Er sei für seine Tochter weggezogen, sagt er. „Die Situation in Honduras ist so brutal, dass ich es meiner Tochter nicht antun konnte, dortzubleiben. Sie soll in Freiheit und Sicherheit aufwachsen.“ Die andere Hälfte des Jahres ist er nach wie vor in Honduras. Um weiter für die Menschenrechte zu kämpfen. Gerade bereitet er seinen nächsten Flug vor.
Mejía hat gemeinsam mit den Expert:innen der DEZA an der Ausbildung für Polizist:innen gearbeitet. Er kennt das Projekt von innen: „Die Strategie war sehr gut. Die neuen Polizist:innen kommen mit einem deutlich besseren Verständnis für Menschenrechte aus der Ausbildung.“ Doch dann begännen die Probleme, sagt der Anwalt. Im Beruf treffen die Polizist:innen auf verkrustete und extrem hierarchische Strukturen. Wer Befehle verweigere oder über illegale Ereignisse berichte, müsse mit ernsthaften Folgen rechnen. Mejía kommt zum ernüchternden Schluss: Das Mentoratssystem funktioniert in der Praxis nicht.
Die honduranische Regierung mit ihren Verbindungen zum Drogengeschäft selbst sei die Wurzel des Übels, ist der Anwalt überzeugt. Mejía hat durch seine Arbeit Kontakt zu verschiedensten Delegationen aus dem Ausland. Er erzählt eine Anekdote: „Ein Botschaftsmitarbeiter hat mir vor ein paar Jahren mal gesagt, um das Problem in der Polizei zu lösen, müsste man alle Offiziere der letzten fünf Generationen entlassen.“
In der honduranischen Polizei werden die verschiedenen Ränge in getrennten Schulen ausgebildet. Während die untersten Ränge nur die Primarschule abgeschlossen haben müssen, werden die mittleren Ränge im Instituto Técnico Policial ausgebildet. Offiziere besuchen die Academia Nacional de Policía de Honduras General José Trinidad Cabañas. Gemäss Mejía liegt das Hauptproblem auf Offiziersebene. Doch anstatt hier anzusetzen, konzentriere sich die Arbeit der DEZA auf die mittlere Ebene, die des Instituto Técnico Policial. Weil sie am falschen Ort ansetze, habe das an sich wertvolle Engagement der Schweizer Entwicklungshilfe also kaum zur Verbesserung der Menschenrechtslage geführt.
Astfalck von der DEZA sieht das anders: „Klar sind die Voraussetzungen in Honduras schwierig. Aber wir konnten in den letzten Jahren verschiedene Akteure innerhalb der Polizei finden, die für eine Veränderung einstehen. Auch in den obersten Rängen.“ Sie gelte es zu unterstützen, „auch wenn es Zeit braucht“.
Internationale Situation von Honduras
Trotz schlechter Menschenrechtslage, politischer Repression und gefälschter Wahlen ist Honduras international nicht isoliert. „Unser Regime steht in Opposition zu linker Politik und wird von den USA unterstützt“, so Mejía. Die Schweiz folgt der internationalen Politik. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass manche Projekte der DEZA unter der Schirmherrschaft der Interamerikanischen Entwicklungsbank stattfinden. Diese wurde unter anderem von den USA gegründet und hat ihren Sitz in Washington. 2020 setzte Donald Trump die Wahl seines Vertrauten Mauricio Claver-Carone zum Präsidenten der Bank durch.
Die Strategie der Kooperation hat ihre Tücken. „Das Regime stützt seine Macht auch auf die internationale Anerkennung“, meint Daniel Langmeier vom Honduras Forum Schweiz. Das Forum will die Lage in Honduras einer breiten Schweizer Öffentlichkeit bekannt machen und engagiert sich für Menschenrechte vor Ort.
„Die honduranischen Regierungen wussten immer sehr gut, wie sie internationale Unterstützung gewinnen konnten“, sagt Langmeier. So habe die internationale Gemeinschaft die Gründung des Menschenrechtssekretariats durch Hernández in Honduras gefeiert – einer Institution, die vom selben Präsidenten ein paar Jahre zuvor geschlossen wurde. „Die neu gegründete Behörde wurde dann mit regierungstreuen Mitgliedern besetzt“, ergänzt Langmeier. Er kritisiert, dass die Schweiz dieses Spiel mitmache und die Menschenrechtsverletzungen nicht viel schärfer kritisiere.
„Die Schweizer Botschaft in Honduras unterstützt zum Teil wichtige zivilgesellschaftliche Projekte. Warum es diese Polizeikooperation gibt, können wir aber nicht verstehen“, führt Langmeier fort. Diese unterstütze das Regime dabei, seine Macht zu festigen, ist er überzeugt. Dem stimmt auch Mejía zu: „Die Schweiz ist ein wichtiger Partner für die Förderung der Menschenrechte. Aber hier ist sie in eine Sackgasse geraten.“
Astfalck hingegen sagt: „Das Engagement der Schweiz in Honduras konzentriert sich auf die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Dabei ist es zentral, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.“
Mejía und Langmeier wünschen sich vom EDA ein klareres Zeichen gegen das Regime und für die Achtung der Menschenrechte. Langmeier schliesst ab: „Die Schweiz ist ein wichtiger Staat. Sie sollte deshalb aus dem Schatten treten und ihre Ideale klar ansagen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass das Regime weiter unterstützt wird.“
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