Zwischen Warenhäusern, Banken- und Versicherungsgebäuden versammelten sich am Samstag Hunderte FINTAQ (Frauen, inter, nichtbinäre, trans, agender und questioning Personen) zum internationalen feministischen Kampftag am 8. März. „Ich bin etwas nervös, aber ich freue mich, dieses Jahr wieder auf der Strasse zu stehen“, meint eine Demonstrantin, die anonym bleiben möchte. Auf dem Kartonschild in ihrer Hand steht „Smash the Patriarchy“ in violetten Schriftzügen.
Drei Tage vor der Demonstration hatten Aktivist:innen den Platz an der Ecke Bahnhofstrasse/Oetenbachgasse zum 8.-März-Platz umbenannt. „Einerseits ermöglichte uns dieser offensive Versammlungsort genau da unbequem zu sein, wo die Herrschenden und das Kapital zusammenhocken“, schreibt das Bündnis 8. März Unite in einem Communiqué. „Andererseits ist das unsere Antwort auf die repressive Politik des Staates, welche in den letzten Jahren immer wieder versucht hat, uns von den Strassen zu vertreiben“, steht weiter.
Wie jedes Jahr fand die Demonstration ohne Bewilligung statt. Laut dem Bündnis sei nämlich bereits die Forderung einer Bewilligung ein repressives Instrument, das vorschreibe, wer in welcher Form auf die Strasse gehen könne.
Hand in Hand die Strasse zurückerobern
Auf dem 8.-März-Platz wurde die Demonstration mit Trommelwirbel, Transparenten, wehenden Fahnen, Parolen und Gesang eingeläutet. Während die Demonstrant:innen auf der Bahnhofstrasse Parolen wie „Eusi Stadt, eusi Quartier, weg mit de Yuppies, weg mit de Schmier!“ oder „Kein Krieg, kein Staat, kein Patriarchat“ riefen, blieben Passant:innen stehen, um das Geschehen zu beobachten oder mit der Kameralinse festzuhalten. Während einige dem Demozug irritiert nachblickten, jubelten andere den Demonstrant:innen zu.
Zu Beginn der Demonstration liess die Polizei verlauten, der Umzug würde via Uraniastrasse, Sihlstrasse und im Kreis 4 toleriert. Wie in den letzten Jahren wurde somit versucht, den Demonstrant:innen die Route vorzugeben und sie möglichst von der Innenstadt fernzuhalten.
Letztes Jahr löste ein Grossaufgebot der Polizei unter dem Vorwand der Einhaltung der damals geltenden kantonalen Corona-Massnahmen die Demonstration mit Wasserwerfern, Pfefferspray und physischer Gewalt sogar auf. Auch diesen Samstag markierte die Polizei mit Vollmontur, Wasserwerfern und Gitterwagen Präsenz. Im Vergleich zu letztem Jahr kam es aber zu deutlich weniger Repressionen.
Strassenabschnitte wie der Löwenplatz in Richtung Innenstadt wurden abgesperrt. Auf der Uraniastrasse beschleunigte sich der Demozug: Hand in Hand eilten die Demonstrant:innen in Seitengassen, um die Polizeisperren zu umgehen. So gelangte die Demonstration in die Löwenstrasse, wo sie mit Wasserwerfern und Reizgas wieder in Richtung Sihlstrasse gedrängt wurde.
Via Sihlbrücke und Stauffacherstrasse ging es zum ebenfalls von Aktivist:innen umbenannten Ni-Una-Menos-Platz (Helvetiaplatz), wo die Demo hätte enden sollen. Jedoch zogen die Demonstrant:innen laut und ausgelassen in Richtung Langstrasse weiter, bis ein Wasserwerfer den Weg zur Langstrassenunterführung blockierte.
Auf dem Ni-Una-Menos-Platz fand im Anschluss an die Demonstration eine Protestkundgebung der Ni-Una-Menos-Gruppe statt. Sie gedachten einer 60-jährigen Frau, die Ende Februar in Basel-Land von einem Mann umgebracht wurde. Es ist der zweite Femizid in der Schweiz in diesem Jahr.
Anti-patriarchal und anti-kapitalistisch
Was im Gegensatz zum Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas in der medialen Berichterstattung wenig aufgegriffen wird, ist die Frage: Wogegen demonstrieren FINTAQ am 8. März genau?
Schon vor Jahren beschrieben Feminist:innen wie die Autorin Laurie Penny Zusammenhänge zwischen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen und Geschlechterverhältnissen, zum Beispiel bei der Care-Arbeit. „Wir sind es, die den grössten Teil der Haus- und Care-Arbeit übernehmen. Und gleichzeitig sind wir es, die überarbeitet, unterbezahlt und ungehört bleiben“, schreibt auch das Bündnis 8. März Unite in seinem Communiqué. Der Grund dafür sei, dass der Kapitalismus darauf aufbaue, dass ein Teil der Gesellschaft einen Teil der systemrelevanten Arbeit gratis erledige.
Der feministische Kampftag ist demnach seit jeher anti-patriarchal sowie anti-kapitalistisch geprägt. In der Broschüre 08 Minuten, die an der Demonstration verteilt wurde, werden gesellschaftliche Zustände beschrieben, die als Folgen eines kapitalistischen und patriarchalen Systems gewertet werden: „Die politische Aktualität gibt uns Grund, unsere Wut zu schüren: die Zunahme der Femizide und der sexualisierten Gewalt während des Lockdowns, die verschärften Lohnungleichheiten, die Annahme des sexistischen und islamophoben Burkaverbots, der x‑te Angriff auf die Frauenrenten... die Gründe sind vielfältig.“
Während der Demonstration wurden weitere Informationsblätter verteilt – zum Beispiel zur Krise im Gesundheits- und Pflegebereich oder den jüngsten Angriffen der SVP auf das Abtreibungsrecht. Thema war auch der Krieg in der Ukraine, wobei die prekäre Lage von FINTAQ hervorgehoben wurde.
„Ich habe mich heute stark und aufgehoben gefühlt“, meint eine Demonstrantin, als die Demo sich am späten Nachmittag auflöst. Für sie sei es ein erfolgreicher Tag gewesen: „Wir haben unseren Widerstand laut, bunt und kämpferisch gezeigt und uns mit den internationalen antikapitalistischen und feministischen Kämpfen solidarisiert, die tagtäglich ausgetragen werden.“
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