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Musli­misch, weib­lich, links – und Hass­ob­jekt der Rechtsextremen

Seit Monaten wird die 19-jährige Muslima und SPlerin Vera Çelik von Rechts­extremen bedroht. Sie erlebt Stal­king, Gewalt- und Mord­dro­hungen. Die Stadt­po­lizei Zürich erkennt keinen Rassismus in den Angriffen und bleibt weit­ge­hend tatenlos. 
"Sie wollen mich mobben, bis ich mich zurückziehe", sagt Vera Çelik über die rechtsextremen Angriffe. Aber das lässt sie sich nicht gefallen. (Bild: Kira Kynd)

Inhalt­war­nung: Expli­zite Wieder­gabe von Hass­nach­richten, Mord‑, Verge­wal­ti­gungs- und Gewaltandrohungen 

„Du kleine Muslima und deine Drecks­re­li­gion haben in der Schweiz nichts verloren. Euch sollte man alle töten!” Das ist bei weitem nicht die gewalt­tä­tigste Nach­richt, die die 19-jährige Vera Çelik in den letzten Monaten erhalten hat. Der „Itali­an­badboy”, wie die E‑Mailadresse des Verfas­sers lautet, schützt sich wie alle anderen Angreifer durch die Anony­mität des Inter­nets. „Du willst mich anzeigen? Viel Spass! Das ist eine geklaute E‑Mailadresse”, beendet der Absender seine Hassnachricht.

Die Aufmerk­sam­keit der anonymen Gewalt­täter zog Çelik zum ersten Mal nach ihrer Teil­nahme an der eidge­nös­si­schen Jugend­ses­sion im Herbst 2024 auf sich. Dort hatte sie, wie andere jugend­liche Politiker*innen, eine Wort­mel­dung gemacht, die sie direkt an ihre „rechts­ge­sinnten Kollegen” richtet: „Stellt euch vor, ihr putzt fünf Tage die Woche Toiletten für euren Boss und verdient weniger als vier­tau­send Franken.” Mit diesen Worten plädiert die 19-Jährige für höhere Löhne im Care-Sektor.

Als Çelik ihren Auftritt im Internet teilt, verbrei­teten Rechts­extreme das Video auf der Platt­form X, bedrohen die 19-Jährige mit dem Tod und beschreiben haar­klein, welche Gräu­eltat sie der jungen Frau antuen wollten. „Keine der anderen 300 Teilnehmer*innen musste so etwas erleben”.

Polizei bleibt tatenlos

Ein beson­ders aufdring­li­cher User, der unter verschie­denen Vari­anten des engli­schen Pseud­onyms „Purger” auftritt, schreibt: „Es müsste wieder ein Öster­rei­cher kommen und euch in Lager stecken, wie es schon mal passiert ist.” Der User­name bedeutet soviel wie „der Säuberer” – und erin­nert an den bekannten Horror­film „The Purge”, in dem einmal im Jahr sämt­liche Gewalt­ver­bre­chen straf­frei bleiben. Eine Vari­ante seines Pseud­onyms ist mit der Zahl „88” versehen – ein rechts­extremer Code für „Heil Hitler”.

Im November 2024 erstattet die Poli­ti­kerin Vera Çelik erst­mals Anzeige gegen den anonymen Täter. Er schickt ihr wieder­holt Hass­nach­richten, auch an ihre beruf­liche E‑Mail-Adresse. Eine davon zielt direkt auf ihre reli­giöse Zuge­hö­rig­keit ab: „Was hat so ein Drecks­kopf­tuch in der Schweizer Politik verloren?”

Das unfrei­wil­lige Rampen­licht durch Stefan Büssers SRF-Show verschlim­merte den Hass auf Çelik massiv.

Dennoch erkennt die Polizei in Oerlikon keine Isla­mo­phobie in den Hass­nach­richten. „Wir sind nicht sicher, ob diese Nach­richten rassi­stisch sind.” Weil die Polizei den Fall nicht als Rassen­dis­kri­mi­nie­rung einstuft, handelt es sich nicht um ein Offi­zi­al­de­likt – sprich: Die Straf­ver­fol­gung erfolgt nicht auto­ma­tisch, sondern nur auf ausdrück­li­chen Antrag der Betroffenen.

Dass der Täter anonym im Internet auftritt, erschwert die Ermitt­lungen, macht sie aber nicht unmög­lich. Rassi­sti­sche Äusse­rungen – etwa in Foren oder sozialen Medien – können auch anonym ange­zeigt werden. Jede Person darf dies tun, auch wenn sie nicht selbst betroffen ist. Eine Recherche von Reflekt zeigt jedoch, dass die Polizei dieses Gesetz oft nicht kennt und geltendes Recht entspre­chend falsch anwendet.

Obwohl Vera Çelik als Muslima erkennbar ist und sich ein Teil der Hass­nach­richten ausdrück­lich gegen ihre reli­giöse Zuge­hö­rig­keit richtet, bleibt ihr Gang zur Polizei ohne Folgen. Nicht erst, aber beson­ders im aktu­ellen Kontext des Geno­zids an den Palästinenser*innen nimmt der Hass auf Muslim*innen spürbar zu – befeuert durch eine mediale Bericht­erstat­tung, die den Islam häufig einseitig mit Terro­rismus oder Extre­mismus in Verbin­dung bringt.

Unfrei­wil­lige Aufmerksamkeit

Manche finden, Vera Çelik müsse als SP-Poli­ti­kerin in der Öffent­lich­keit solche Angriffe hinnehmen. „Aber niemand sollte solchen Hass einfach akzep­tieren”, sagt sie.

Im Mai 2025 geriet Çelik unfrei­willig ins Rampen­licht, als Stefan Büsser sie in seiner SRF-Late-Night-Show mit dem als isla­mi­sti­schen Terro­ri­sten verklei­deten SVP-Poli­tiker Nils Fiechter verglich. Der isla­mo­phobe Witz kata­pul­tierte sie ins Visier des rechts­extremen Inter­net­mobs. „Ich erhielt Dutzende Mord­dro­hungen”, so Çelik.

Çelik wird nicht nur wegen ihrer Reli­gion, sondern auch als Frau zur Zielscheibe. 

Die Verant­wor­tung dafür trage nicht allein das SRF. „Anti­mus­li­mi­scher Rassismus ist ein Problem unserer ganzen Gesell­schaft.” Über 500 Beschwerden gingen im Mai bei der Ombuds­stelle ein, die den Beitrag als „diskri­mi­nie­rend und menschen­wür­de­ver­let­zend” einstufte. Das SRF entschul­digte sich nicht und bedau­erte ledig­lich, falls Çeliks „reli­giöse Gefühle” verletzt worden seien. „Aber darum geht es über­haupt nicht”, so Çelik.

Nach der Ausstrah­lung eska­lierte die Gewalt gegen Çelik: „Ich werde mit dir machen, was die Hamas mit christ­li­chen Frauen gemacht hat”, schrieb der User „Purger” – und schil­derte detail­liert, wie er die 19-Jährige verge­wal­tigen wolle. „Ich warte auf dich … Ich habe dich schon mehr­mals in der Stadt gesehen.” Ironisch ergänzt er, er hoffe, sie laufe nicht der rechts­extremen Gruppe Junge Tat in die Hände.

Çelik wird nicht nur wegen ihrer Reli­gion, sondern auch als Frau zur Ziel­scheibe. Als sie die sexua­li­sierten Drohungen auf TikTok veröf­fent­lichte, sperrte die Platt­form nicht den Täter, sondern sie. Der „Purger” meldete ihr Profil – TikTok sperrte es wegen angeb­li­cher „sexu­eller Belä­sti­gung”. „Mit dem Verlust meines Profils gingen viele Beweise verloren”, sagt Çelik.

„Das soll eine Drohung sein?”

Anfang Juni geht Çelik erneut zur Stadt­po­lizei Zürich, diesmal im Kreis 4. Wieder legt sie die Nach­richten des „Purgers” vor und schil­dert die letzten Monate. Doch die Polizei nimmt die 19-Jährige nicht ernst. „Haben Sie über­haupt Angst? Sie sehen gar nicht so aus”, zwei­felte ein Poli­zist Çeliks Situa­tion an.

„Bei einem Mann hätten sie sich wohl nicht gewun­dert, wenn er nicht in Tränen ausge­bro­chen wäre”, sagt Çelik über die Reak­tion des Poli­zi­sten. Die Polizei wisse anschei­nend nicht viel darüber, wie sich Menschen in trau­ma­ti­schen Situa­tionen verhielten.

Wenn das alles wirk­lich stimme, sei das eine ernste Situa­tion und sie würden sich den Täter schnappen, habe der Poli­zist weiter zu ihr gesagt, erin­nert sich Çelik. Zwei Stunden lang schil­derte sie erneut, was sie in den letzten Wochen ertragen musste.

„Das soll eine Drohung sein?”, fragt der Poli­zist, nachdem er die Hass­ti­raden gelesen hat. Für ihn handelt es sich nicht um Mord­dro­hungen, sondern um Ehrver­let­zung. Letz­tere ist – im Gegen­satz zu Mord­dro­hungen – kein Offi­zi­al­de­likt und wird nicht auto­ma­tisch verfolgt, auch nicht bei unbe­kannten Tätern oder Drohungen im Internet.

Dann liest ein Prak­ti­kant eine der Hass­nach­richten laut vor: „Ich werde dich zwölf Stunden lang miss­brau­chen und massa­krieren”. Seiner Meinung nach sei das brutal genug, meint der Poli­zi­sten­an­wärter zu seinem Vorge­setzten. Dieser ist sich weiterhin unsicher.

„Massa­krieren ist doch ein Synonym für umbringen?”, fragt Çelik die Beamten schliess­lich. Das zeigt Wirkung: Die Polizei gestattet ihr endlich, eine Anzeige wegen Mord­dro­hung zu machen. Doch obwohl die junge Muslima mehr­mals auf den rassi­sti­schen Inhalt der Mord­dro­hungen hinweist, stellt die Polizei auch diesmal keinen Straf­an­trag wegen Rassendiskriminierung.

„Das schlimmste war, nicht ernst genommen zu werden”

Vera Çelik, Opfer von rechts­extremer Gewalt über die Polizeiarbeit

Im Gegen­satz zur ersten Anzeige legt die Polizei Çelik dieses Mal aber ein Doku­ment zum Unter­schreiben vor und beteuert, der Sache nach­zu­gehen. „Da es sich um einen Fake-Account handelt, könnte das aber schwer werden”, habe der Poli­zist gemeint.

Schutz­mass­nahmen gab es für die 19-Jährige keine. „Rufen Sie 117 an, wenn etwas passiert”, habe der Poli­zist Çelik zum Abschied gesagt.

Zur Verfol­gung anonymer Hass­dro­hungen im Netz könnte die Polizei verschie­dene Mittel der Straf­pro­zess­ord­nung nutzen: Etwa digi­tale Spuren wie IP-Adressen oder Inhalte sichern und von Platt­formen oder Provi­dern Benutzer- und Verbin­dungs­daten sowie Gerä­te­in­for­ma­tionen verlangen.

„Sie wollen mich mobben, bis ich mich zurück­ziehe – aber das werde ich nicht”

„Das schlimmste war, nicht ernst genommen zu werden”, sagt Çelik über die Arbeit der Stadt­po­lizei Zürich. Selbst wenn die Ermitt­lungen ins Leere laufen würden – der Zweifel an ihrer Situa­tion sei beson­ders zermür­bend. Selbst das städ­ti­sche Bedro­hungs­ma­nage­ment, das sich der Präven­tion ziel­ge­rich­teter Gewalt­taten verpflichtet, habe ihr nicht weiter­helfen können und sie ledig­lich erneut mit demselben Poli­zi­sten tele­fo­nisch verbunden.

Dass sich offi­zi­elle Stellen der Stadt Zürich, die sich gerne als offen, divers und multi­kul­tu­rell darstellen, so igno­rant verhalten, macht der jungen SP-Poli­ti­kerin Angst.

„Alle ziehen sich aus der Verant­wor­tung”. Die Rechts­extremen wollten offen­sicht­lich, dass sie aufgebe. Aber das liesse sich Çelik nicht gefallen, weder persön­lich, noch poli­tisch. „Sie wollen mich mobben, bis ich mich zurück­ziehe – aber das werde ich nicht”.

Sie fühle sich ohnmächtig und habe alles Mögliche versucht, um Schutz zu finden. „Aber das Justiz­sy­stem erlaubt nicht mehr”. Wie sich ihre Situa­tion verschlim­mern würde, würde sie poli­ti­sche Mandate ausüben und so noch mehr in der Öffent­lich­keit stehen, möchte sich die 19-jährige Muslima gar nicht vorstellen.

Trotzdem habe sie vor, für den Gemein­derat zu kandi­dieren. „Ich werde erst aufhören, wenn es diese poli­ti­sche Arbeit nicht mehr braucht.”


Auf Anfrage von das Lamm beteuert die Medi­en­stelle der Stadt­po­lizei Zürich, die „Ermitt­lungen einge­leitet” und „den Rapport erstellt” zu haben. Angaben dazu, wie ihre Ange­stellten hinsicht­lich der Erken­nung von Rassismus geschult werden, oder wie die Polizei sicher geht, dass ihre Beamten rele­vante Synonyme treff­si­cher erkennen können, machte die Stadt­po­lizei nicht. Auch keine Auskunft machte sie darüber, wie ihre Ange­stellten im Umgang mit und Ermitt­lung von digi­taler Gewalt ausge­bildet würden.


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