Rocker­kutten mit Festnahmerecht

„Blue Knights“, „Gun Figh­ters“, „Punisher“: So heissen die Motor­rad­clubs, in denen Polizist*innen auf Motor­rä­dern Outlaws spielen. Einige Führungs­fi­guren aus Zürich bedienen sich dabei rechter Symbolik. 
Mitglieder des Blue-Knights-Chapters 18 in New York am jährlichen "Law-Ride". (Foto: Wikicommons)

Diesen Sommer erhielt die Schweiz einen tiefen Einblick in eine Szene, deren Mitglieder sich sonst lieber jenseits der öffent­li­chen Aufmerk­sam­keit bewegen: die Schweizer Motor­rad­club-Szene. Beim Prozess in Bern im Juni standen 22 Mitglieder der „Hells Angels“, „Broncos“ und „Bandidos“ vor Gericht. 

Kurz vor Prozess­be­ginn in Bern fand im aargaui­schen Hallwil eine Schlä­gerei zwischen zwei Motor­rad­clubs statt: Die „Hells Angels“ über­fielen gemäss Recher­chen des Blick mit befreun­deten Clubs das neue Lokal der „Punisher“. Der Vorfall in Hallwil wirft Licht auf eine zweite, paral­lele Motor­rad­club-Szene inner­halb der Schweiz. Denn die Mitglieder der „Punisher“ setzen sich fast ausschliess­lich aus Polizei‑, Justiz- und Zoll­be­amten – in diesem Fall nur Männer – zusammen. 

Sie sind Teil der LEMC – der Law Enforce­ment Motor­cycle Clubs – einer Szene, in denen Polizist*innen auf schweren Maschinen und in Leder­kutten Pass­strassen hoch­don­nern und das Leben von Gesetz­losen spielen. Doch die Szene gerät unter Druck, auch in Zürich.

„Ja, wir haben ein Agreement“

Dabei konnte die Szene bisher darauf zählen, dass Medien und Politiker*innen sie nicht allzu kritisch betrachtet. Als die „Blue Knights“, der älteste Polizist*innen-Motorradclub der Schweiz, 2008 in Savo­gnin sein erstes Meeting mit Mitglie­dern aus ganz Europa feierte, sass der dama­lige Sicher­heits­di­rektor und heutige FDP-Stän­derat Martin Schmid auf dem Beifah­rer­sitz. Auf dem Weg machte der Konvoi halt, die Blau­licht-Rocker über­gaben einem Heim für Menschen mit Behin­de­rung einen Scheck. 

Gegründet wurden die „Blue Knights“, aber auch die „Punisher“ und die „Gunfigh­ters“ in den USA. Dann, vor gut zwanzig Jahren, eröff­nete ein Berner Poli­zei­be­amter in Belp die erste Nieder­las­sung eines Blau­licht-Motor­rad­clubs: Die „Blue Knights Schweiz“ waren geboren. Inzwi­schen gibt es gemäss Home­page vier soge­nannte Chapter. Mitglied werden können seither alle Polizeibeamt*innen, Grenzwächter*innen und andere poli­zei­liche Dienst­stellen, sofern sie Fest­nah­me­recht haben. 

Doch bevor die „Blue Knights“ losbret­tern konnten, wurden sie bei den Platz­hir­schen der Schweizer MC-Szene, den „Hells Angels“, vorstellig und respek­tierten so die Hier­ar­chie der Szene. Es ist genau dieser Schritt, den die „Punisher“ über­sprangen und was zum Vorfall in Hallwil führte. Gegen­über der Sonn­tags­zei­tung sagte der heutige Chef der „Hells Angels“ 2021: „Ja, mit den ‚Blue Knights‘ haben wir ein Agree­ment.“ Gemeinsam hätten sie die Spiel­re­geln fest­ge­legt, an die sich beide Szenen halten würden.

Das bestä­tigt auch Valentin Land­mann, SVP-Kantonsrat und seit Ende der 1970er-Jahre eng mit den „Hells Angels“ verbunden, in seinem Büro. Er selbst habe als Anwalt bereits mit Mitglie­dern der „Blue Knights“ beraten. Stellt die Abma­chung mit den „Hells Angels“, die sonst für die Aner­ken­nung eines neuen Clubs eine strenge Loya­lität voraus­setzt, kein Pro­blem für die Unab­hän­gig­keit der Poli­zi­sten dar? Land­mann winkt ab – die beiden Biker­szenen seien voll­kommen getrennt voneinander.

Rechte Schlag­seite

Tatsäch­lich erscheinen beson­ders die „Blue Knights“ auf den ersten Blick eher als Bieder­männer denn als Rebellen: Hier ein lauschiger Höck im zürche­ri­schen Hütten, da eine gemein­same Stern­fahrt ins Entle­buch. Wer aber auf den sozialen Medien recher­chiert, merkt, dass dort einige führende Mitglieder ihre poli­ti­sche Schlag­seite offenbaren. 

Etwa der Präsi­dent des „Blue Knight“-Chapter Zürich / Inner­schweiz, seiner­seits pensio­nierter Stadt­po­li­zist. Auf verschie­denen Bildern auf Face­book sieht man, dass er auf seiner rechten Brust ein Tattoo mit dem Zahlen­code 848 trägt, ein Code, der für „Heil dir Helvetia“ steht und gemäss Tages-Anzeiger „eine beliebte Chiffre der Schweizer Neonazis“ ist. Auf Anfrage sagt der ehema­lige Zürcher Stadt­po­li­zist und SVP-Gemein­derat in Küsnacht, das Tattoo habe keinen Zusam­men­hang mit der rechten Szene. Auf die sonstige Bedeu­tung will er am Telefon aber nicht eingehen.

Auch ein anderer Präsi­dent schmückt sich mit frag­wür­diger Symbolik. Der Präsi­dent eines anderen Chap­ters und Stadt­po­li­zist im Dienst hat mehrere Profil­bilder auf Face­book mit der soge­nannten Thin Blue Line – einem Symbol aus den USA, mit dem beson­ders auch Rechts­extreme ihre Unter­stüt­zung für das brutale Eingreifen von Polizist*innen gegen Demon­strie­rende ausdrücken. 

Ein anderes „Blue Knight“-Mitglied, seiner­seits Zürcher Kantons­po­li­zist, postet regel­mässig grenz­wer­tige poli­ti­sche Inhalte: Ein Bild von Alain Berset („Ein Arsch“), ein Beitrag eines ehema­ligen AfD-Abge­ord­neten („[I]ch habe die Schnauze voll vom perma­nenten und immer reli­giöser werdenden Klima-Geschwafel […]“) oder Beiträge aus coro­na­skep­ti­schen Facebook-Gruppen.

Der Druck steigt

Bisher wurde das alles – die Outlaw-Atti­tüde, die Abma­chung mit den „Hells Angels“, die rechte Schlag­seite einiger Führungs­fi­guren – kaum öffent­lich thema­ti­siert. Doch seit den Ausschrei­tungen in Hallwil steht die Szene in der Kritik. Der Kanton Aargau hat im Juli seinem Poli­zei­korps verboten, in einem der Blau­licht-Motor­rad­clubs Mitglied zu sein. „Eine Mitglied­schaft in einem solchen Club ist mit den Werten der Kantons­po­lizei Aargau unvereinbar.“ 

Auch in Zürich sind die LEMC wegen dem Vorfall in Hinwil auf der poli­ti­schen Bühne ange­kommen. In einer schrift­li­chen Anfrage wollen Nata­scha Wey (SP) und Luca Maggi (Grüne) vom Stadtrat wissen, ob es auch Stadt­zür­cher Polizist*innen gibt, die Mitglieder von LEMC sind und ob der Stadtrat ein Verbot wie im Kanton Aargau prüfe. SVP-Kantonsrat Valentin Land­mann sieht kein Problem in der Mitglied­schaft von Polizist*innen in LEMCs: „Auch Polizist*innen haben ein Recht auf Frei­zeit und können ausser­halb ihres Dien­stes machen, was sie wollen, sofern sie sich ans Gesetz halten.“ 

Es gehe nicht darum, dass man Polizist­*innen vorschreiben wolle, wie diese ihre Frei­zeit zu gestalten hätten, entgegnet Luca Maggi auf Anfrage. „Aber da der Beruf Voraus­set­zung für den Beitritt bei der LEMC ist, ist die Tren­nung zwischen Beruf und Frei­zeit nicht so klar. Die Polizei ist Hüterin des staat­li­chen Gewalt­mo­no­pols. In einem so sensi­blen Bereich bedarf es darum vertiefte Abklärungen.“ 

Die „Blue Knights“ waren nicht zu einem Gespräch bereit. „Unter Inkauf­nahme einer einsei­tigen Bericht­erstat­tung durch die Medien werden die ‚Blue Knights Switz­er­land‘ keine entspre­chenden Fragen beant­worten“, heisst es in einer E‑Mail.

Dieser Artikel ist zuerst bei der P.S.-Zeitung erschienen. Die P.S.-Zeitung gehört wie das Lamm zu den verlags­un­ab­hän­gigen Medien der Schweiz.


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