„Kennst du die EKR?“ fragte ich neulich einen Freund, als wir an einem dieser Werbeplakate mit kolonialem Anstrich vorbeischlenderten. „EKR? Das ist doch dieser Mundart-Rapper?“, entgegnete er leicht verunsichert. „Nein, nicht Eki… die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus!” — „Nö, kenn’ ich nicht. Sollte ich die kennen? Was macht die denn?“ Gute Frage, dachte ich mir. Was macht die denn?
Mein Freund ist keineswegs unbelesen. Täglich besucht er Newsportale, hört des öfteren Nachrichten im Radio und schaut abends gelegentlich die Tagesschau. Doch die EKR ist ihm auf seinen Streifzügen durch den News-Dschungel noch nie untergekommen. Ihre Aktivitäten haben die Nachrichtenredaktionen nur selten auf dem Schirm. Höchste Zeit also, sich das Gremium ein wenig genauer anzuschauen.
Prävention statt Kontrolle
Die EKR wurde 1995 vom Bundesrat mit dem Ziel ins Leben gerufen, das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Formen von Rassismus aus dem Jahr 1965 umzusetzen. Es stellte nicht nur rassistische Propaganda und Taten unter Strafe, sondern verlangte auch, dass dem Rassismus präventiv entgegengewirkt wird. Das Ziel: Alle „Menschen ungeachtet ihrer ethnischen oder nationalen Herkunft, Aussehen oder Religion“ sollen gleich behandelt werden.
Versammelt sind in der EKR ExpertInnen und VertreterInnen bestimmter Interessengruppen. Ihre Mitglieder werden vom Bundesrat ernannt, wobei dieser dabei auf eine ausgewogene Zusammensetzung nach Geschlecht, Sprache, Alter und Interessengruppe achtet. Dementsprechend sind Religionsgemeinschaften, Minderheiten, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie die Konferenzen der kantonalen Erziehungs- und der Polizeidirektoren (EDK) vertreten. Aktuell gehören der EKR 16 Kommissionsmitglieder an. Darunter sind etwa Wolfgang Bürgstein von der eidgenössischen Bischofskonferenz, die Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin oder der Experte für Sinti und Roma Stefan Heinichen.
Die EKR sei „keine Rassismuspolizei“, stellte die Präsidentin der EKR, die FDP-Politikerin Martine Brunschwig Graf, in einem Interview mit dem Tagesanzeiger klar. Will heissen: Sie geht nicht im Auftrag der Justiz Vergehen nach, sondern sorgt proaktiv dafür, dass es gar nicht erst zu solchen kommt. Ihre Aufgaben lassen sich grob in fünf Bereiche gliedern.
Sensibilisierung der Bevölkerung
Erstens sensibilisiert die EKR mittels Kampagnen, öffentlichen Auftritten und Stellungnahmen die Öffentlichkeit. In einer Medienmitteilung im März 2016 wies sie beispielsweise darauf hin, dass die Publikation von Adolf Hitlers Mein Kampf nur im Rahmen einer kritischen Edition mit entsprechender historischer Kontextualisierung erlaubt sei. Am 1. Januar 2016 war nämlich das Urheberrecht Bayerns auf das Pamphlet abgelaufen. Man musste dementsprechend darauf aufmerksam machen, dass dies kein Freipass für sendungsbewusste, kopierwütige Neonazis ist. Neben solchen Interventionen gibt sie halbjährlich das Magazin Tangram heraus. Es widmet sich jeweils einem Schwerpunktthema und kann gratis heruntergeladen oder bestellt werden. Die letzte Ausgabe handelte von Rassendiskriminierung und dem Zugang zur Justiz.
Beratung von Behörden und Departementen
Zweitens steht die EKR Behörden und Departementen beratend zur Seite. Sie nimmt an Vernehmlassungen teil, gibt Empfehlungen ab oder verfasst Gutachten. Auch Kantone und Gemeinden können auf dieses Beratungsangebot zurückgreifen. So gab die EKR kürzlich ein Rechtsgutachten bei der Universität Zürich in Auftrag, das die grundrechtliche Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden beleuchtet. Auf dessen Basis wies die EKR den Bund, Kantone und Gemeinden schliesslich darauf hin, dass „subjektiv wahrgenommene Gefühle der Verunsicherung oder diffuse Ängste“ nicht ausreichen, „um die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden einzuschränken.“
Beobachten gesellschaftlicher Tendenzen
Drittens beobachtet und analysiert die EKR gesellschaftliche Tendenzen, indem sie selbständig recherchiert. Dementsprechend verfügt das Sekretariat über eine umfassende Dokumentation von Zeitungsartikeln und wissenschaftlicher Literatur. Für Laien hilfreich ist hierbei der von der EKR zusammengestellte Reader „Begrifflichkeiten zum Thema Rassismus im nationalen und im internationalen Verständnis“. Darin werden die wichtigsten Begriffe wie Rassismus, Antisemitismus oder Diskriminierung kurz erklärt und im Kontext der gängigen Rechtslage erläutert.
Monitoring von Gerichtsurteilen
Eng damit verknüpft ist viertens das Monitoring. Die EKR sammelt Gerichtsurteile, die im Zusammenhang mit der Rassismusstrafnorm gefällt werden. In den letzten Jahren häuften sich Strafbefehle aufgrund von rassistischen Äusserungen auf Facebook und Twitter. Laut der EKR hängt dies mit der Flüchtlingskrise zusammen.
Opferberatung
Fünftens bilden die Präsidentin und das Sekretariat der EKR eine Anlaufstelle für Opfer rassistisch motivierter Übergriffe. Die EKR geht den Vorfällen nach und vermittelt in Konfliktfällen.
Diesen Aufgaben geht die EKR oft gemeinsam mit anderen regionalen oder internationalen Organisationen nach, zum Beispiel mit der NGO humanrights.ch oder der verwaltungsinternen Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB des Eidgenössischen Departements des Innern. Im Gegensatz zur EKR berät die FRB keine Opfer von Diskriminierung und sie darf bei Konfliktfällen nicht vermittelnd eingreifen. Dafür kann die FRB Projekte von Dritten finanziell unterstützen, was der EKR untersagt ist. Der grösste Unterschied liegt aber in ihrer Autonomie.
Als ausserparlamentarische Kommission ist die EKR an keine Weisungen eines Ministeriums gebunden und kann sich daher jederzeit frei äussern. SVP-Nationalrat Gregor Rutz wollte 2014 das Recht auf öffentliche Stellungnahmen seitens ausserparlamentarischer Kommissionen verbieten lassen. Sein Vorstoss scheiterte aber am Ständerat. Seither sieht sich die EKR darin bestätigt, „dass die Information und öffentliche Meinungsbildung Teil ihres Auftrags ist.“ Eine Gemeinsamkeit zwischen der EKR und E.K.R. gibt’s also doch: Mund verbieten? Fehlanzeige!
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 20 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1300 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 700 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 340 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?