Verbot von Sexar­beit: Aus dem Gesetz, aus den Augen — aber nicht verschwunden

Die Frau­en­zen­trale Zürich spricht sich für ein indi­rektes Verbot von Prosti­tu­tion mittels Frei­er­be­stra­fung nach dem Vorbild Schwe­dens aus. Damit setzt sie auf eine altbe­kannte Schein­lö­sung. Ein Verbot ist nicht nur ein löch­riger Deck­mantel für die zugrun­de­lie­genden Probleme, sondern gefährdet ganz direkt auch dieje­nigen, die jetzt schon am Rand der Gesell­schaft stehen. Ein Kommentar. 
Die Frauenzentrale Zürich möchte den Kauf von sexuellen Dienstleistungen in der Schweiz verbieten. (Symbolbild: Unsplash)

Es brodelt in der Schweizer Frau­en­po­litik. Auslöser für den Unmut ist der Vorschlag der Zürcher Frau­en­zen­trale, den Kauf von sexu­ellen Dienst­lei­stungen in der Schweiz zu ille­ga­li­sieren, indem Freier unter Strafe gestellt werden. Ende Juni lancierte die Zentrale eine medi­en­in­ten­sive Kampagne unter dem Titel „Stoppt Prosti­tu­tion“ und löste damit vehe­mente Reak­tionen aus. „Wenn man die Freier krimi­na­li­siert, krimi­na­li­siert man das ganze Gewerbe“, sagt Susanne Seytter, Geschäfts­füh­rerin der Fach­stelle Frau­en­handel und Frau­en­mi­gra­tion Zürich (FIZ). „Der Vorstoss fordert, dass die Frauen geschützt werden sollen, schneidet sie mit diesem Vorgehen jedoch vom Zugang zu den wenigen Rechten ab, die sie haben.“ Man schütte quasi das Kind mit dem Bade aus, sagt Seytter.

Keine Arbeit wie jede andere

Der tiefe Graben, der bei diesem Thema durch die frau­en­po­li­ti­sche und akti­vi­sti­sche Land­schaft geht, tut sich bereits bei der Benen­nung auf: Die einen, die Zürcher Frau­en­zen­trale oder auch das Frau­en­netz­werk Schwyz, welches die Kampagne unter­stützt, spre­chen von Prosti­tu­tion – einem Begriff mit schier unüber­wind­barem Stigma. Die anderen, wie die FIZ in Zürich, die Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tion Amnesty Inter­na­tional oder die solo­thur­ni­sche Fach­stelle Lysi­strata spre­chen hingegen von Sexar­beit als Gewerbe. Lysi­strata schreibt hierzu auf ihrer Website: „Wir verwenden bewusst den Begriff ‚Sexar­beit‘ und ‚Sexar­bei­tende‘, da wir es mit Frauen, Männern und Trans­gender zu tun haben, die – in unter­schied­li­chem Grade selbst- oder fremd­be­stimmt – ein Gewerbe betreiben (…). Gemeinsam ist allen Sexar­bei­tenden, dass ihre Arbeit darin besteht, sexu­elle Dienst­lei­stungen anzu­bieten und zu erbringen (…)“. Prag­ma­tisch fällt die Defi­ni­tion von Sexar­beit bei der FIZ aus: „Sexar­beit ist Arbeit“, heisst es auf der Website, und weiter: „Aber keine Arbeit wie jede andere.“

Diese Betrach­tungs­weisen wider­spre­chen im Kern der Aussage von Andrea Gisler, Präsi­dentin der Frau­en­zen­trale Zürich, mit denen sie sich vom SRF auf dessen Website zitieren lässt. Gisler will eine Schweiz ohne Sexge­webe: „Prosti­tu­tion ist ein Verstoss gegen die Menschen­würde“, sagt Gisler. „Prosti­tu­tion ist sexu­elle Gewalt und ein Hindernis auf dem Weg zur Gleichstellung.“

Diese Aussage impli­ziert eine Homo­ge­nität im Sexge­werbe, die nicht nur illu­so­risch, sondern schlicht inexi­stent ist. „Menschen­handel und Sexar­beit werden oft im glei­chen Atemzug genannt“, sagt Seytter von der FIZ, „aber das sind unter­schied­liche Dinge. Das eine ist eine schwere Menschen­rechts­ver­let­zung, da braucht es vor allem Opfer­schutz, das andere ist ein Gewerbe und braucht vor allem eine Entstigmatisierung.“

Die FIZ arbeitet mit den im Sexge­werbe tätigen Frauen auf Augen­höhe: „In den Bera­tungs­ge­sprä­chen erleben wir die Sexar­bei­te­rinnen als Frauen, die sehr wenig Optionen auf ein Erwerbs­leben haben und sich selbst­be­stimmt für die Tätig­keit entschieden haben. Die Probleme, mit denen sie an uns heran­treten, sind sehr konkreter Natur. Die meisten leiden deut­lich mehr unter der Stig­ma­ti­sie­rung ihrer Tätig­keit, als unter der Tätig­keit selber. Sexar­bei­te­rinnen sind Menschen in einer unsi­cheren Arbeits­rea­lität, man müsste an der Stär­kung ihrer Posi­tionen und Anliegen ansetzen — nicht an deren Illegalisierung.“

Nicht Sache der Sittenpolizei

Sexar­beit gilt als unmo­ra­lisch. Entspre­chend schwierig gestalten sich für die Frauen Gespräche mit Behörden, Ämtern oder der Polizei: „Es kommt etwa vor, dass ihre Fähig­keiten als Mütter durch Aufsichts­be­hörden ange­zwei­felt werden. Beim Antrag um Verlän­ge­rungen von Aufent­halts­be­wil­li­gungen wird den Frauen oft die Wirt­schaft­lich­keit ihrer Arbeit aberkannt, und wenn die Frauen Lohn einklagen müssen, stossen sie wegen der Sitten­wid­rig­keit ihrer Arbeit oft auf Ableh­nung.“ Die Probleme der Sexar­bei­te­rinnen, so Seytter, seien meist struk­tu­reller Natur.

Sexar­beit ist in der Schweiz seit 1942 legal. Für den Schutz der Frauen wird von staat­li­cher und städ­ti­scher Seite jedoch bisweilen wenig getan. Viel­mehr gestaltet sich die Politik hierzu seit Jahren nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Die städ­ti­sche Aufwer­tungs- und Vertrei­bungs­po­litik schlägt in dieselbe Kerbe. Die Zürcher Verrich­tungs­boxen am Stadt­rand sind nur eines von vielen Beispielen für diese Politik des Unsichtbar-Machens. Der Vorstoss der Frau­en­zen­trale setzt hier direkt an, indem mit Hilfe eines Verbots die voll­kom­mene Unsicht­bar­keit des Gewerbes erreicht werden soll.

Wohin nach dem Verbot? 

Im emotio­nalen Kampa­gnen­video der Frau­en­zen­trale fällt folgendes State­ment: „80% der Prosti­tu­ierten würden gerne aufhören. Wenn sie könnten.“ Eine Antwort auf die Frage, ob sich dieses State­ment auf die Schweiz oder welt­weit bezieht, bleibt das Video schuldig. Es spielt hier aber auch keine Rolle: Was würde es für diese hypo­the­ti­schen 80% Prozent bedeuten, wenn Prosti­tu­tion indi­rekt verboten würde? Ein Verbot bringt diesen Frauen weder ein Einkommen, noch einen Wohn­sitz, noch Sicher­heit in Bezug auf Menschen­handel. Ein Verbot verschafft den betrof­fenen Frauen weder einen gere­gelten Status, noch eine sichere Möglich­keit, sich Hilfe zu holen.

Im ange­spro­chenen Kampa­gnen­video wird auch gesagt, dass 75% der Prosti­tu­ierten in der Schweiz Migran­tinnen seien. Die Stati­stik wird jedoch nicht weiter ausdif­fe­ren­ziert. Jenen, die ganz ohne gültige Papiere in der Schweiz leben und arbeiten – die Dunkel­ziffer dürfte erheb­lich sein –, verschafft auch ein Verbot keinen gere­gelten Aufent­halts­status. Viel­mehr befeuert es den Abstieg in weitere gesetz­lich fixierte Ille­ga­lität und Unsi­cher­heit. Es ist zudem reines Wunsch­denken anzu­nehmen, dass ein Verbot gerade jenen Frauen hilft, die aufgrund von Menschen­handel und unter Zwang sexu­elle Dienst­lei­stungen anbieten müssen. Susanne Seytter: „Diese Frauen sind erpressbar und abhängig, ihre Situa­tion wird nicht verbes­sert. Gerade diese Frauen brau­chen einen vertrau­li­chen und sicheren Zugang zu Hilfe und Polizei. Eine weitere Ille­ga­li­sie­rung ihrer Person spielt nur krimi­nellen Netz­werken in die Hände“.

Ein Ausschnitt aus dem emotio­nalen Kampa­gnen­video der Frau­en­zen­trale Zürich. Sexar­bei­te­rinnen kommen darin nicht zu Wort. (Screen­shot)

Eine klare Diffe­ren­zie­rung zwischen Menschen­handel und Prosti­tu­tion ist auf der Kampa­gnen­web­site nicht zu finden. „Man versucht den Markt als Ganzes auszu­trocknen, verschiebt ihn aber nur als Ganzes ins Zwie­licht“, sagt Seytter. Entspre­chend vehe­ment reagierte die FIZ in einem verkürzten State­ment auf den Vorschlag der Frau­en­zen­trale: „Ein Verbot der Sexar­beit trägt das Problem von frau­en­ver­ach­tenden Geschlech­ter­ver­hält­nissen auf dem Rücken der Sexar­bei­te­rinnen aus. Ein Verbot bringt die Sexar­beit nicht zum Verschwinden, sondern führt dazu, dass die Arbeit unter noch prekä­reren Bedin­gungen ausgeübt werden muss. Der Kampf gegen Frau­en­ver­ach­tung muss ein Kampf gegen struk­tu­relle Bedin­gungen sein und nicht gegen die wenigen Optionen, die Migran­tinnen in der Schweiz haben, ihr Leben und das ihrer Familie zu ermög­li­chen.

Mora­li­sti­sches Wunsch­denken und Verbotskultur

Letzt­end­lich geht die Diskus­sion im Kern auf eine uralte Spal­tung inner­halb der Frau­en­be­we­gung und des Femi­nismus ein. Es geht um nichts Gerin­geres als um die Frage nach der Frau, die als schüt­zens­wert gilt, und jener, die das für sie entscheidet. „Wie kann man über dieje­nigen urteilen, die bereits das schwächste Glied in der Kette sind? Wie kann man Sexar­bei­te­rinnen die Entschei­dungs- und Hand­lungs­macht undif­fe­ren­ziert abspre­chen?“, fragt Seytter entsprechend.

Mit dieser Kampagne beweist die Frau­en­zen­trale, wie weit sie sich von jenen entfernt hat, mit denen sie eigent­lich einen Dialog auf Augen­höhe führen müsste um fest­zu­legen, wie sie, als starke Insti­tu­tion mit Reich­weite, diese Frauen in ihren Anliegen unter­stützen kann. Denn eine Frau­en­zen­trale sollte nicht nur die Moral­vor­stel­lungen von Frauen aus der Mittel­schicht reprä­sen­tieren, sondern eben auch jenen als Sprach­rohr dienen, die in prekären Arbeits­ver­hält­nissen, in Abhän­gig­keits­ver­hält­nissen und ohne andere Optionen, ohne Papiere dastehen.

Der Unter­titel der Stopp-Prosti­tu­tion-Kampagne lautet: „Für eine Schweiz ohne Freier“. Das liest sich, banal herun­ter­ge­bro­chen, wie „Für eine Schweiz ohne Mari­huana“ oder „Für ein Zürich ohne Kokain“. Über die Effi­zienz dieser Verbote muss hier nicht geschrieben werden. Eine vorsich­tige, meta­pho­ri­sche Paral­lele betref­fend Verbots­wirk­sam­keit darf aber gezogen werden, frei­lich nur unter dem Vorbe­halt, dass es hier nicht um Rausch­mittel geht, sondern um Menschen.

„Für eine Schweiz ohne Freier“ ist zudem irre­füh­rend, denn dass nicht primär die Freier, sondern die Sexar­bei­te­rinnen damit in die Ille­ga­lität getrieben werden, geht unter. Die Kampagne der Frau­en­zen­trale schiesst an der Wirk­lich­keit vieler Frauen direkt vorbei. Denn solange die Nach­frage besteht, solange es Frauen gibt, die in der Sexar­beit tätig sein wollen, solange viele Frauen gar keiner anderen Tätig­keit nach­gehen können, solange es Menschen gibt, die zum Über­leben auf Sexar­beit ange­wiesen sind – solange wird es auch Sexar­beit geben. Ein Verbot elimi­niert nicht die Sexar­beit, sondern erodiert das letzte biss­chen gere­gelten Boden, auf dem sie momentan steht. Damit verlieren nicht die Freier, die im schlimm­sten Fall mit einer Geld­strafe rechnen müssen, sondern die Sexar­bei­te­rinnen. Für sie könnte der Preis von noch unsi­cherer und unkon­trol­lier­ba­rerer Arbeit im schlimm­sten Fall ihr Leben sein. Viel vernünf­tiger wäre deshalb eine Kampagne, welche die Schweiz dazu aufruft, sich für die Rechte und den Schutz der Sexar­bei­te­rinnen stark zu machen.

 


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