„Das eigene umwelt­freund­liche Verhalten ist für unser Umfeld ein wich­tiger Anker“

Im letzten Teil unserer Mini­serie über Argu­mente gegen verant­wor­tungs­be­wusstes Handeln gehen wir im Inter­view mit der Umwelt­psy­cho­login Karen Hamann der Frage nach, warum Menschen sich ihre Fakten gern zurecht­biegen, statt etwas zu verän­dern. Und warum Demon­strieren doch mehr bringt, als man denkt. 
Wir sollten uns in der Umweltkommunikation bewusst sein, dass Informationen über den Zustand der jetzigen Welt Schmerz auslösen, und deshalb Menschen damit nicht allein stehen lassen." Die Umweltpsychologin Karen Hammann (Foto: Daniel Löschinger)

Karen Hamann ist Umwelt­psy­cho­login an der Univer­sität Koblenz-Landau und forscht zu psycho­lo­gi­schem Empower­ment von Enga­gierten im Umwelt­schutz. Sie ist Vorstands­mit­glied des Wandel­werk e.V., Stipen­diatin der Deut­schen Bundes­stif­tung Umwelt und Autorin der Publi­ka­tion Psycho­logie im Umwelt­schutz — Hand­buch zur Förde­rung nach­hal­tigen Handelns.

das Lamm: Wie würden Sie kogni­tive Disso­nanz in einem Satz definieren? 

Karen Hamann: Kogni­tive Disso­nanz ist ein unan­ge­nehmer Span­nungs­zu­stand, der eintritt, wenn unser Verhalten nicht mit unseren Werten über­ein­stimmt bzw. wenn zwei Werte sich widersprechen.

Der Span­nungs­zu­stand, der durch kogni­tive Disso­nanz entsteht, ist unan­ge­nehm. Ist es also urmensch­lich, kogni­tive Disso­nanzen auflösen zu wollen? 

Ja, das ist in der Tat so. Insbe­son­dere, wenn Menschen im Umwelt­schutz mit Angst­bot­schaften oder starken Schuld­zu­wei­sungen konfron­tiert werden. Wer sich nicht nach­haltig verhält, aber um die Bedro­hung durch die Klima­ka­ta­strophe weiss, kann Schmerz verspüren. Umso mehr, wenn er oder sie darauf aufmerksam gemacht wird.

Gene­rell gilt: Wir sollten uns in der Umwelt­kom­mu­ni­ka­tion bewusst sein, dass Infor­ma­tionen über den Zustand der jetzigen Welt Schmerz auslösen, und deshalb Menschen damit nicht allein stehen lassen. Es braucht Räume, um mit dem Schmerz umgehen zu lernen und Moti­va­tion fürs Handeln zu entwickeln. Es braucht also quasi eine problem­ori­en­tierte Umgangs­weise mit den kogni­tiven Dissonanzen.

Gibt es auch Menschen, die gut und gerne mit diesen Span­nungen leben? 

Letzt­lich leben eigent­lich alle Menschen mit diesen Span­nungen in der ein oder anderen Form. Durch soge­nannte emotio­nale Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien ist es uns möglich, Probleme zu igno­rieren oder klein­zu­reden – die Span­nungen also für eine gewisse Zeit zu lindern. Das sind Schutz­me­cha­nismen, die in vielen Situa­tionen ange­bracht sind, in denen wir glauben, nichts tun zu können.

Zwei unter­schied­liche Beispiele: Ob ich eine Mutter mit ökolo­gi­schen Werten bin, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fährt oder ein Hard­core-Akti­vist, der das Privileg, zu einer Univer­sität zu gehen wahr­nimmt, auch wenn er es verwerf­lich findet, dass dies Menschen in anderen Ländern nicht möglich ist: Die Mecha­nismen der kogni­tiven Disso­nanz in diesen Situa­tionen sind ähnlich. Wenn wir sie bei uns selbst kennen, hilft uns das, andere Menschen besser zu verstehen.

Das „Nicht­wahr­nehmen, Leugnen oder Abwerten von Infor­ma­tionen“ kann gemäss Wiki­pedia eine Stra­tegie zur Span­nungs­re­duk­tion sein. Kann man sagen, dass auch Klima­wan­del­leug­ne­rinnen und ‑leugner an kogni­tiver Disso­nanz leiden? 

Das kann man meiner Meinung nach nicht so verein­fa­chen. Es gibt Klima­wan­del­leugner, die von der falschen Tatsache ausgehen, dass Klima­wandel nicht existiert. Dies begründet sich zum Beispiel in fehlendem Vertrauen gegen­über Poli­ti­kern und Poli­ti­ke­rinnen. Dann gibt es aber auch dieje­nigen Klima­wan­del­leugner, die den Klim­wandel schon als Gefahr wahr­nehmen, aber seine Schnel­lig­keit oder Inten­sität leugnen.

Während der erstere Fall wahr­schein­lich keine kogni­tive Disso­nanz beinhaltet, da keine Werte in Konflikt stehen, könnte dies im zweiten Beispiel schon sein. Dort redu­ziert jemand Span­nung, indem Infor­ma­tion abge­wertet oder umge­deutet wird. Ein weiteres Beispiel: Herr Grenz sieht abends im Fern­sehen einen Beitrag über die Fridays-for-Future-Demon­stra­tionen. Obwohl er weiss, dass der Klima­wandel menschen­ge­macht ist und derar­tige Werte vertritt, sagt er zu sich selbst: „Diese Jugend will immer alles sofort haben.“ Mit dieser Stra­tegie wertet er die Infor­ma­tionen einer bestimmten Gruppe ab, weil es sonst bedeuten würde, dass er sein eigenes Leben ändern und seinen Werten mehr anpassen müsste.

Warum lösen viele Menschen kogni­tive Disso­nanz mit Schein­lö­sungen und Ausreden? Sind die meisten Menschen so sehr getrieben von der sozialen Aner­ken­nung durch ihr Umfeld, dass sie eigenes Fehl­ver­halten gegen innen und gegen aussen nicht gerne zugeben? 

Ja, das Bedürfnis nach Aner­ken­nung kann in diesen Situa­tionen zentral sein. Jedoch würde ich die Frage anders beant­worten: Sie finden Ausreden, weil es ihnen von ihrem Umfeld einfach gemacht wird. Die meisten Menschen befinden sich in einem Umfeld, wo die Soll-Norm (Meinung anderer, dass es gut ist, sich umwelt­schüt­zend zu verhalten) gerade nicht mit der Ist-Norm (wie sich Menschen tatsäch­lich verhalten) übereinstimmt.

Wenn meine Nach­barin sich für den Kohle­aus­stieg ausspricht, aber selbst keinen Ökostrom bezieht, beein­flusst mich das immens in meinem eigenen Verhalten. Ihr Verhalten ist dabei die beste Recht­fer­ti­gung, selbst auch inkon­si­stent zu sein. Inkon­si­stenzen in sozialen Normen spie­geln sich deshalb in unserer eigenen kogni­tiven Disso­nanz wider – und machen es einfa­cher, Span­nungen auszuhalten.

Die indi­vi­du­elle und die gesell­schaft­liche Ebene sind also zwei Pole, die sich gegen­seitig verstärken und eine Nega­tiv­spi­rale bilden. Ist das mit ein Grund, warum es sehr schwierig ist, aus diesem Denk­mu­ster auszubrechen? 

Grund­sätz­lich stimme ich Ihrer Annahme zu, dass soziale Normen es einem sehr schwer machen können, die eigenen klima­schüt­zenden Werte in Verhalten münden zu lassen. Ich würde jedoch nicht sagen, dass die indi­vi­du­elle und die gesell­schaft­liche Ebene per se Nega­tiv­spi­ralen bilden. Genauso können Posi­tiv­spi­ralen einsetzen, etwa indem meine Nach­barin von ihrem Urlaub in der Region schwärmt. Wenn ich selbst dies­be­züg­lich immer einen Druck gespürt habe, meinem Umfeld von tollen Urlauben in fernen Ländern zu berichten, nimmt dieser Druck daraufhin ab. So hilft sie mir, werte­kon­former zu handeln und meiner Disso­nanz mit einer Verhal­tens­än­de­rung entge­gen­zu­treten. In Deutsch­land ändern sich beispiels­weise gerade soziale Normen als Posi­tiv­spi­rale bei der Ernäh­rung, weil immer mehr Menschen entscheiden, sich vegan oder vege­ta­risch zu ernähren.

Im Inter­view mit dem Zeit­punkt sagen Sie: „…kogni­tive Disso­nanz tritt dann ein, wenn ich mich entgegen meinen Werten und Über­zeu­gungen verhalte. In diesem Fall habe ich eigent­lich zwei Möglich­keiten: Entweder passe ich meine Werte an oder ich ändere mein Verhalten.“ Nun könnte man sagen, dass Werte uns als Menschen ja defi­nieren. Warum werden sie beim Auflösen der kogni­tiven Disso­nanz trotzdem oft negiert? 

Zum einen sind Werte nicht das einzige, worüber wir uns defi­nieren. Zum anderen wird die kogni­tive Disso­nanz schlüs­siger, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir nicht nur einen Wert, sondern viele verschie­dene Werte in uns tragen, die sich je nach Situa­tion auch wider­spre­chen können. Ein promi­nentes Beispiel ist der Konflikt zwischen der Offen­heit für andere Kulturen und Umwelt­schutz. Der eine Wert legt lange (Flug-)Reisen nahe, der andere spricht ganz klar dagegen. Auf gesell­schaft­li­cher Ebene zeigen sich diese Ziel- und Werte­kon­flikte bei den Sustainable Deve­lo­p­ment Goals: Was passiert zum Beispiel, wenn das Ziel der nach­hal­tigen Stadt­ent­wick­lung sich mit dem Ziel des Wirt­schafts­wachs­tums widerspricht?

In Teil 1 dieser Arti­kel­serie schreibt Alex­andra Tiefen­ba­cher darüber, welche Argu­mente Klima­strei­kenden und anderen verant­wor­tungs­be­wussten Menschen in der Debatte um Zukunfts­fä­hig­keit entge­gen­ge­halten werden. Beispiel: Du isst kein Fleisch? Ja, aber deine Soja­pro­dukte kommen ja auch aus dem Regen­wald und sind keinen Deut besser. Wir erleben diese Debatte im persön­li­chen Leben, aber auch gerade auf Social Media  sehr intensiv. Was ist die beste Stra­tegie, würden Sie sagen, um diese Argu­mente zu kontern? 

Es kommt ganz auf die Bezie­hung an, die ich zu der gegen­ar­gu­men­tie­renden Person habe. Ist es jemand, der oder die mir sehr wichtig ist, würde ich nahe­legen, eine posi­tive Bezie­hung aufrecht­zu­er­halten und die Grund­be­dürf­nisse der anderen Person, wie etwa Aner­ken­nung, nicht zu gefährden. Dabei kann man versu­chen, die andere Person nach wie vor bedin­gungslos zu schätzen, während man jedoch auch deut­lich macht, dass man manche ihrer Verhal­tens­weisen kritisiert.

Und: Auch, wenn wir in unserem direkten Umfeld nicht versu­chen zu missio­nieren, ist doch unser umwelt­schüt­zendes Verhalten auch für diese Personen ein Anker. In anderen Kontexten verweise ich gerne auf den Minder­hei­ten­ein­fluss. Als Minder­heit ist es wichtig, sach­lich zu argu­men­tieren und am besten andere Befür­wor­tende zu gewinnen, die sonst für gewöhn­lich eine Mehr­heits­mei­nung vertreten. Für das Fleisch-Beispiel heisst dies, dass ich zwei valide Quellen senden würde, die den Soja-Verbrauch für die Fleisch­pro­duk­tion zeigen und darstellen, dass biolo­gisch zerti­fi­ziertes Soja in den meisten Fällen aus Europa stammt. Wir können uns jedoch darauf einstellen, dass andere Menschen daraufhin nicht sofort ihre Meinung ändern werden, denn Minder­hei­ten­ein­flüsse entfalten erst langsam ihre Wirkung.

Ist das umwelt­schüt­zende Verhalten zwangs­weise immer ein Anker? Wie gross ist die Gefahr, dass für Menschen solche Vorbilder einfach nur mora­lin­saure Spass­bremsen sind und in Zukunft gemieden werden? Oder dass daran Freund­schaften zerbrechen? 

Wenn ich der anderen Person etwas bedeute und nicht gleich­zeitig immer den Zeige­finger erhebe, dann kann mein Verhalten ein klarer Anker für sie oder ihn sein. Und selbst wenn wir jemanden nicht gut kennen, stellt unser Verhalten einen Teil der wahr­ge­nom­menen Ist-Norm da. Ob man ein Vorbild sein möchte, das einen nach­hal­tigen Lebens­stil komplett durch­zieht, oder lieber eigene Inkon­si­stenzen behält, kann meiner Meinung nach jeder und jede für sich selbst entscheiden. Dabei ist zu beachten: Wenn man authen­ti­scher handelt, nimmt man sich selbst als wirk­samer wahr und wird auch von anderen als kompe­tenter angesehen.

Schwie­riger wird es wahr­schein­lich, wenn man in einer Freund­schaft gemeinsam Entschei­dungen treffen möchte wie ein Urlaubs­ziel wählen oder sich für ein Restau­rant entscheiden. Dass Freund­schaften so komplett zerbro­chen sind, habe ich persön­lich noch nie erlebt oder mitbe­kommen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ein nach­hal­tiger Lebens­stil genauso wie andere Lebens­stil­ver­än­de­rungen (etwa ein neues Hobby, Wohn­orts- oder Jobwechsel, Kinder bekommen) die Freund­schaft zu manchen Menschen schwä­chen und zu anderen stärken kann.

In Ihrer Forschung unter­su­chen Sie Selbst­wirk­sam­keits­er­fah­rungen. Wie können diese helfen, kogni­tive Disso­nanz durch das Verän­dern der Hand­lungen aufzulösen? 

Einer der Gründe, warum Menschen lieber den Klima­wandel klein­reden statt ihr Verhalten zu ändern oder auf die Strasse zu gehen, ist der fehlende Glaube daran, dass sie etwas bewirken können. Deshalb liegt ein Schlüssel zu umwelt­schüt­zendem Handeln in der Selbst­wirk­sam­keit. Konkret heisst dies: Statt immer mehr Probleme müssen wir an Menschen Lösungen heran­tragen, die ihnen machbar scheinen. Auch das Handeln in einer Gruppe — wie etwa in einem Demon­stra­ti­onszug, in der Schule oder mit der Familie — kann die Annahme stärken, etwas bewegen zu können.

Was wären andere Möglich­keiten, Selbst­wirk­sam­keits­er­fah­rungen zu sammeln? 

Der wohl wich­tigste Einfluss für Selbst­wirk­sam­keit sind Erfolgs­er­leb­nisse. Wenn wir etwas schaffen, zum Beispiel erfolg­reich Gemüse anzu­bauen, bringt uns dies nicht nur Freunde, sondern auch den Glauben daran, etwas bewirken zu können. Ein anderes Beispiel wären Proteste, durch die dann wirk­lich poli­ti­sche Entschei­dungen getroffen werden, wie wir es etwa in der Anti-Atom-Bewe­gung gesehen haben. Deshalb ist es essen­ziell, dass wir gesell­schaft­liche Räume schaffen, in denen Menschen diese Art von posi­tivem Feed­back bekommen. Weil es jedoch im privaten Umwelt­schutz oft schwierig ist, die ökolo­gi­schen Konse­quenzen sichtbar zu machen, ist hier insbe­son­dere soziales Feed­back rele­vant. Anderen für ihre klima­schüt­zenden Bemü­hungen Aner­ken­nung zu schenken und ihnen aufmerksam zuzu­hören, verstärkt so weitere Verhal­tens­än­de­rungen. Auch stell­ver­tre­tende Erfolgs­er­leb­nisse, zum Beispiel ein Best-Prac­tice-Beispiel der auto­freien Innen­stadt aus einer anderen Stadt als meiner, und die bereits erwähnten Ist-Normen (wenn sie in eine umwelt­schüt­zende Rich­tung weisen) können Selbst­wirk­sam­keit fördern.

Momentan ist aber die Forschung zu den Vorbe­din­gungen von Selbst­wirk­sam­keit im Umwelt­schutz noch am Anfang – genau aus diesem Grund schreibe ich darüber meine Doktor­ar­beit. Aus meiner eigenen Forschung ergeben sich noch weitere Vorbe­din­gungen wie spezi­fi­sches Wissen und Kompe­tenzen, Wahr­neh­mung von Schnee­ball­ef­fekten oder die Vision einer sozial-ökolo­gisch orien­tierten Gesellschaft.

Ich erlebe in Diskus­sionen oft, dass wir beispiel­weise auf das Thema Urlaub kommen und es sich dann zufäl­li­ger­weise heraus­stellt, dass ich mit dem Zug in die Ferien gefahren bin. Oft spüre ich dann, dass sich mein Gegen­über „schuldig“ fühlt und das Gefühl hat, es müsse jetzt seinen Euro­pa­flug recht­fer­tigen. Obwohl dieses Mora­li­sieren eigent­lich nicht meine Absicht war. Was kann man in diesen Situa­tionen besser machen? 

Auch wenn dieser Zustand für Sie unan­ge­nehm ist, kann er sinn­voll sein. Allein Ihr Verhalten führt dabei nämlich dazu, dass die kogni­tive Disso­nanz der anderen Person akti­viert wird. In Gesprä­chen wird die Person dann wahr­schein­lich versu­chen, diese Span­nung wieder zu redu­zieren, indem sie das Problem klein­redet oder darauf hinweist, was sie schon alles tut. Ich würde in dieser Situa­tion deshalb der anderen Person deut­lich machen, dass ich sie als Person so oder so schätze, aber im glei­chen Zug ganz klar bei der Meinung bleiben, dass mein eigenes Verhalten das für mich mora­lisch rich­tige ist.


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