Die Party geht weiter – nicht alle sind eingeladen

Die Stadt bestimmt darüber, wie der öffent­liche Raum gestaltet wird und grenzt dabei kräftig aus. Der urbanen Mittel- und Ober­schicht ist die Entwick­lung in Rich­tung Konsum und Kommerz recht, wie sich letzten Abstim­mungs­sonntag in Zürich zeigte. Ein Kommentar. 
Symbolbild (Claudio Schwarz / Unsplash)

Der belieb­teste Platz der Stadt Zürich bleibt weiterhin in fester Hand von Weih­nachts­markt, Circus Knie, Film-Festival und Co.: Die Initia­tive „Freier Sech­se­läu­ten­platz“ schei­terte letzten Sonntag am Gegen­vor­schlag des Gemein­de­par­la­mentes. Die Initia­tive wollte verbind­lich fest­legen, dass der Sech­se­läu­ten­platz nur noch an 65 Tagen pro Jahr besetzt werden darf. 61,5 % der Stim­menden zogen der Initia­tive aber den Gegen­vor­schlag vor. Er verlangt eine Ober­grenze von 180 Tagen.

Die Diskus­sionen rund um die Platz­be­le­gung dauerten lange, und sie waren zuweilen bissig. Am 1. April 2017 berich­tete der Tages­an­zeiger, dass die Stadt aufgrund der wegen der Initia­tive zu erwar­tenden Einkom­mens­aus­fälle einen Sponsor für den Sech­se­läu­ten­platz suche. Als mögli­cher Kandidat wurde der ameri­ka­ni­sche Inter­net­riese und welt­weit führende Daten­krake Google gehandelt.

Natür­lich war der Artikel ein Scherz. Er unter­streicht aber die Proble­matik, welche die Initi­an­tInnen ange­führt hatten: Wie viel Kommerz verträgt ein Platz, der umgeben ist von bürger­li­chen Insti­tu­tionen wie dem NZZ-Haupt­sitz, dem Opern­haus und dem über­teu­erten Konsum­tempel Globus? Wie viele Veran­stal­tungen mit Eintritt und Konsum­zwang können statt­finden, bevor der öffent­liche Raum nicht mehr öffent­lich ist?

Es sind Fragen, die von enormer poli­ti­scher Rele­vanz sind. Schon im alten Grie­chen­land spielten sich die grossen poli­ti­schen Verwer­fungen in der Agora ab – einem zentral gele­genen Platz. Der Platz war so ausge­legt, dass sich die Bürger frei darauf bewegen, begegnen und austau­schen können. Umgeben war die Agora von staat­li­chen Insti­tu­tionen, Bildungs­an­stalten und Kulturpalästen.

Aber schon im alten Grie­chen­land wurden ganze Bevöl­ke­rungs­schichten von Versamm­lungen in diesem Raum ausge­schlossen – etwa Frauen, Sklaven und Kinder. Und auch heute noch muss um die Öffent­lich­keit des öffent­li­chen Raums gekämpft werden. Ein roter Teppich für Berühmte, ein artun­ge­rechter Zoo oder ein hoch­prei­siger Weih­nachts­markt schränken die Frei­heit ein, sich lethar­gisch nieder­zu­lassen, mit Freun­dInnen ein Bier zu trinken oder seinem Kind das Velo­fahren beizu­bringen. Beson­ders stark davon betroffen sind Menschen, die ohnehin an die Ränder unserer Gesell­schaft gedrängt werden. Die Bedeu­tung der öffent­li­chen Plätze ist für sie speziell gross – die Kommer­zia­li­sie­rung schliesst sie davon aus. Beson­dere Schlag­kraft entwickelt dieser Ausschluss in Verbin­dung mit dem Wegwei­sungs­ar­tikel (wir berich­teten): Gemeinsam führen Poli­zei­ge­walt und Kommerz zu einer demo­kra­tie­ge­fähr­denden Bubble-Bildung im öffent­li­chen Raum.

Ein Luxus auf Kosten der Schwächsten

Immer wieder habe ich gehört, dass es doch toll sei, wenn auf dem Platz etwas laufe. Der Platz sei so ausla­dend gross, so unbe­deckt. Kleine Stände und Zelte seien da eine will­kom­mene Abwechs­lung. Diese Haltung ist verständ­lich, aber auch Ausdruck von Wohl­stand. In den zwei linken Städten Bern und Zürich ist die Festi­vali­sie­rung beson­ders weit fort­ge­schritten. Und viele erfreuen sich daran. Das 3‑tägige Volley­ball-Turnier auf dem Berner Bundes­platz etwa mag für Sport­be­gei­sterte ein toller Zeit­ver­treib sein – spon­sored by Coop. Spricht man aller­dings mit den Gassen­ar­bei­te­rInnen von Bern, klingt es eher nach Ausgren­zungs­me­cha­nismen und Verdrän­gung für „Rand­stän­dige“.

Google wäre als Haupt­sponsor für den Sech­se­läu­ten­platz viel­leicht gar keine so schlechte Idee. Wie hinter dem öffent­li­chen Raum, stand auch hinter den Inter­net­ko­lossen aus dem Silicon Valley mal die Idee, eine neue Öffent­lich­keit für freien Meinungs­aus­tausch und alle Lebens­welten zu gestalten. Heute wissen wir, dass Google, Face­book und Co. ihr Verspre­chen nicht halten konnten. Die Daten der Menschen werden als Ware kommer­zia­li­siert, jede freie Fläche ist mit Bannern und ‚native adver­ti­sing‘ bepfla­stert und in den unsicht­baren Ecken des Inter­nets florieren Rassismus, Sexismus und Ausgren­zungen aller Art. Würde das Google-Logo als Schriftzug in den Sech­se­läu­ten­platz eingra­viert werden, hätte die Schweiz wenig­stens ein Mahnmal dafür, was passiert, wenn man dem frei­heit­li­chen Charakter des öffent­li­chen Raumes nicht Sorge trägt.


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