Der beliebteste Platz der Stadt Zürich bleibt weiterhin in fester Hand von Weihnachtsmarkt, Circus Knie, Film-Festival und Co.: Die Initiative „Freier Sechseläutenplatz“ scheiterte letzten Sonntag am Gegenvorschlag des Gemeindeparlamentes. Die Initiative wollte verbindlich festlegen, dass der Sechseläutenplatz nur noch an 65 Tagen pro Jahr besetzt werden darf. 61,5 % der Stimmenden zogen der Initiative aber den Gegenvorschlag vor. Er verlangt eine Obergrenze von 180 Tagen.
Die Diskussionen rund um die Platzbelegung dauerten lange, und sie waren zuweilen bissig. Am 1. April 2017 berichtete der Tagesanzeiger, dass die Stadt aufgrund der wegen der Initiative zu erwartenden Einkommensausfälle einen Sponsor für den Sechseläutenplatz suche. Als möglicher Kandidat wurde der amerikanische Internetriese und weltweit führende Datenkrake Google gehandelt.
Natürlich war der Artikel ein Scherz. Er unterstreicht aber die Problematik, welche die InitiantInnen angeführt hatten: Wie viel Kommerz verträgt ein Platz, der umgeben ist von bürgerlichen Institutionen wie dem NZZ-Hauptsitz, dem Opernhaus und dem überteuerten Konsumtempel Globus? Wie viele Veranstaltungen mit Eintritt und Konsumzwang können stattfinden, bevor der öffentliche Raum nicht mehr öffentlich ist?
Es sind Fragen, die von enormer politischer Relevanz sind. Schon im alten Griechenland spielten sich die grossen politischen Verwerfungen in der Agora ab – einem zentral gelegenen Platz. Der Platz war so ausgelegt, dass sich die Bürger frei darauf bewegen, begegnen und austauschen können. Umgeben war die Agora von staatlichen Institutionen, Bildungsanstalten und Kulturpalästen.
Aber schon im alten Griechenland wurden ganze Bevölkerungsschichten von Versammlungen in diesem Raum ausgeschlossen – etwa Frauen, Sklaven und Kinder. Und auch heute noch muss um die Öffentlichkeit des öffentlichen Raums gekämpft werden. Ein roter Teppich für Berühmte, ein artungerechter Zoo oder ein hochpreisiger Weihnachtsmarkt schränken die Freiheit ein, sich lethargisch niederzulassen, mit FreundInnen ein Bier zu trinken oder seinem Kind das Velofahren beizubringen. Besonders stark davon betroffen sind Menschen, die ohnehin an die Ränder unserer Gesellschaft gedrängt werden. Die Bedeutung der öffentlichen Plätze ist für sie speziell gross – die Kommerzialisierung schliesst sie davon aus. Besondere Schlagkraft entwickelt dieser Ausschluss in Verbindung mit dem Wegweisungsartikel (wir berichteten): Gemeinsam führen Polizeigewalt und Kommerz zu einer demokratiegefährdenden Bubble-Bildung im öffentlichen Raum.
Ein Luxus auf Kosten der Schwächsten
Immer wieder habe ich gehört, dass es doch toll sei, wenn auf dem Platz etwas laufe. Der Platz sei so ausladend gross, so unbedeckt. Kleine Stände und Zelte seien da eine willkommene Abwechslung. Diese Haltung ist verständlich, aber auch Ausdruck von Wohlstand. In den zwei linken Städten Bern und Zürich ist die Festivalisierung besonders weit fortgeschritten. Und viele erfreuen sich daran. Das 3‑tägige Volleyball-Turnier auf dem Berner Bundesplatz etwa mag für Sportbegeisterte ein toller Zeitvertreib sein – sponsored by Coop. Spricht man allerdings mit den GassenarbeiterInnen von Bern, klingt es eher nach Ausgrenzungsmechanismen und Verdrängung für „Randständige“.
Google wäre als Hauptsponsor für den Sechseläutenplatz vielleicht gar keine so schlechte Idee. Wie hinter dem öffentlichen Raum, stand auch hinter den Internetkolossen aus dem Silicon Valley mal die Idee, eine neue Öffentlichkeit für freien Meinungsaustausch und alle Lebenswelten zu gestalten. Heute wissen wir, dass Google, Facebook und Co. ihr Versprechen nicht halten konnten. Die Daten der Menschen werden als Ware kommerzialisiert, jede freie Fläche ist mit Bannern und ‚native advertising‘ bepflastert und in den unsichtbaren Ecken des Internets florieren Rassismus, Sexismus und Ausgrenzungen aller Art. Würde das Google-Logo als Schriftzug in den Sechseläutenplatz eingraviert werden, hätte die Schweiz wenigstens ein Mahnmal dafür, was passiert, wenn man dem freiheitlichen Charakter des öffentlichen Raumes nicht Sorge trägt.
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