Die Stimmung ist feierlich an diesem 10. Juli. Insgesamt 515 dunkelblaue kugelsichere Westen in SBB-Transportkisten werden auf einem Vorplatz von Sicherheitskräften bewacht. Es seien gespendete Westen der Stadtpolizei Zürich, heisst es. Und diese Schenkung, sagt der anwesende Generalkommandant der bolivianischen Polizei, widerspiegle die Brüderlichkeit zwischen der Polizei in Zürich und der Polizei in Bolivien.
Der Anlass ist gut dokumentiert: Die bolivianische Regierung widmet der grosszügigen Geste eine Medienmitteilung, andere Medien greifen das Thema auf. Auf Twitter postet die bolivianische Polizei unter dem Hashtag #CooperaciónInternacional Bilder von der Übergabe. Auch das staatliche Fernsehen ist live dabei – und überträgt eine pathetische Rede der zurzeit mächtigsten Bolivianerin: „Wir fühlen uns Ihnen zu Dank verpflichtet“, sagt die Interimspräsidentin Jeanine Añez.
Repression mit Hilfe von Paramilitärs
Jeanine Añez trat ihr Amt vergangenen November an, einen Tag nachdem sich ihr Vorgänger Evo Morales nach Mexiko ins Exil absetzte. Die stramm rechte und religiöse Vertreterin der weissen Wirtschaftselite trat offiziell nur dafür an, möglichst bald Neuwahlen durchzuführen. Und tatsächlich war recht bald ein Termin dafür gefunden: der 3. Mai 2020.
Die Wahl wurde später aber verschoben, mindestens bis zum 6. September. Heute ist Añez immer noch diejenige, die Geschenke ausländischer Polizeikorps entgegennimmt. Sie regiert ohne demokratische Legitimation und ohne parlamentarische Mehrheit.
Aber mit harter Hand. Die Regierung unter Añez beschneidet die Meinungsäusserungsfreiheit, verfolgt die Opposition und geht mit erschreckender Härte gegen die Proteste vor, die im ganzen Land ausgebrochen sind. Die Mission des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Bolivien kritisierte erst kürzlich, dass auch paramilitärische Gruppen im Auftrag der Regierung gegen die Bevölkerung vorgehen. Als Añez der Polizei mit einer ihrer ersten Amtshandlungen erlaubte, scharfe Munition einzusetzen, wurden in zwei Massakern 28 Demonstrant*innen von Sicherheitskräften erschossen.
Sie sei mit der Arbeit ihrer Polizei äusserst zufrieden, sagt Añez anlässlich der Spende der Zürcher Stapo. Und sie nutzt die Gelegenheit dafür, hervorzuheben, dass die Gewalt auf den Strassen nicht von den Sicherheitskräften ausgehe – sondern von Demonstrant*innen. „Wir danken der Schweiz“, sagt Añez. Und sie freue sich für die Polizei, die das Material dringend benötige.
Die Szene mutet absurd an. Wieso sollte die Stadtpolizei Zürich eine Schenkung an ein Regime tätigen, das in krasse Menschenrechtsverletzungen verwickelt ist und unter anderem mit paramilitärischen Gruppen zusammenarbeitet, um die Proteste der eigenen Bevölkerung zu unterdrücken?
Wer ist Reyna Luisa Lauber?
Eine mässig befriedigende Antwort liefert die Übertragung des Anlasses im bolivianischen Staatsfernsehen. Dort tritt nämlich eine gewisse Reyna Luisa Lauber auf, die das grosszügige Geschenk übergibt. In ihrer Rede sagt sie: „Wir haben uns für die Spende entschieden, weil wir die Konditionen der Polizei in Bolivien mit der Polizei in der Schweiz verglichen haben.“ Kurz: weil es die bolivianische Polizei nötig habe.
In Medienberichten wird Lauber als Vertreterin der Schweizer Polizei in Bolivien beschrieben. Das macht Eindruck: Die Schweiz unterstützt die bolivianische Regierung. Brüderlich eben. Nur: Im Dienst des Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten EDA steht Frau Lauber nicht, wie dieses dem Lamm auf Anfrage mitteilt. Laut LinkedIn arbeitet Lauber für den Klotener Zahnimplantathersteller Nobel Biocare. Überhaupt gibt das EDA an, an dieser Schenkung nicht beteiligt gewesen zu sein. Immerhin hatte der Bundesrat im November alle Parteien zur Beendigung der Gewalt in Bolivien aufgerufen und diesen Aufruf später noch einmal bekräftigt. Diplomatische Unterstützung klingt anders.
Eine familiäre Angelegenheit
Betreibt die Stadtpolizei eigenhändig internationale Diplomatie? Und wenn ja: Warum hat sie das nicht öffentlich bekannt gemacht? Ausführliche Antworten liefert das Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich, zu dem die Stadtpolizei gehört. Das Departement bestätigt gegenüber das Lamm, dass die Stapo tatsächlich für die Spende verantwortlich ist. Es handle sich dabei um ausgemusterte Westen der Stadtpolizei. „Grundsätzlich ist das Wiederverwenden von ausgemustertem Material besser als Wegwerfen – und da Schutzwesten keine Waffen sind, sondern Menschenleben retten können, sieht die Stapo das Wiederverwenden grundsätzlich als unproblematisch an“, schreibt die Medienstelle.
Aber auch wenn mit Schutzwesten keine Menschen getötet werden: wieso genau jetzt? Wieso genau Bolivien? Auch darauf hat das Sicherheitsdepartement eine Antwort parat: „Die Stapo wurde von einem pensionierten Polizisten angefragt“, schreibt die Medienstelle. „Sein Sohn ist mit einem Major der bolivianischen Polizei verschwägert.“
Die Polizei habe ihm das Material unter der Auflage überlassen, dass er die Westen gratis dem bolivianischen Polizeikorps aushändigen werde. Die Stapo habe sich damit den administrativen Aufwand sparen können; der Pensionär habe die Ausfuhrbewilligung selber eingeholt.
Zentral hierbei ist: Der Westenexport nach Bolivien wurde gemäss Angaben des Sicherheitsdepartements bereits 2018 beschlossen, also lange vor dem Machtwechsel vom letzten November. Dass sie jetzt einer ultrarechten Präsidentin übergeben wurden, konnte damals noch niemand wissen.
Das ändert freilich nichts daran, dass dies heute zutrifft. Nicht nur das: Auch das Sicherheitsdepartement muss zugeben, dass nicht gänzlich auszuschliessen ist, dass die Westen in den Händen von Paramilitärs landen werden.
Hätte die Schenkung angesichts der politischen Entwicklungen nicht abgebrochen werden können? „Jetzt wird die Übergabe der Westen so dargestellt, als würde die Schweiz die neue bolivianische Regierung offiziell unterstützen“, sagt Víctor Gutiérrez, ein Vertreter von Bolivia Plurinacional CH, einer Organisation der bolivianischen Diaspora in der Schweiz. Es wirke so, als unterstütze die Schweiz die Regierung im Kampf gegen die angebliche Bedrohung durch die „bewaffnete Bevölkerung“ Boliviens. Gutiérrez: „Diese Spende wird von der Regierung für ihre Propaganda instrumentalisiert.“
Ein fragwürdiger Alleingang
Die Stadtpolizei Zürich sticht in ein diplomatisches Wespennest. Und die Tatsache, dass sie gänzlich darauf verzichtet hat, die Schenkung von sich aus zu kommunizieren, spricht dafür, dass ihr das bewusst war.
Sicher bewusst war es der Schweizer Botschaft in Bolivien. Gemäss Quellen von das Lamm wurde sie von der bolivischen Regierung angefragt, ob sie an der Übergabezeremonie teilnehmen wolle. Die Schweizer Botschaft habe abgelehnt. Das EDA antwortet auf Anfrage ausweichend, bestätigt aber, dass die offizielle Schweiz an der Zeremonie nicht anwesend war.
Und wer ist Reyna Luisa Lauber, die Frau, die sich in Bolivien als offizielle Vertreterin der Schweizer Polizei ankünden lässt? Eine Verwandte des pensionierten Stadtpolizisten, die per Zufall im Land gewesen sei, sagt das Sicherheitsdepartement. Lauber selbst war für das Lamm nicht erreichbar.
Die Tatsache, dass eine Verwandte eines pensionierten Stadtpolizisten eine Spende übergibt, die in den bolivianischen Medien als offizielle Schenkung dargestellt wird, ist für Víctor Gutiérrez unhaltbar: „Bolivien muss jetzt unbedingt darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass nicht die Schweiz diese Westen gespendet hat“, sagt er. „Sondern eine lokale Polizei, die diesen Entscheid schon vor zwei Jahren gefällt hat.“
*Zuletzt geändert am 20.07.2020 um 17:10: Ausschliesslich Änderung des Titels und leichte Änderung des Leads.
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