Die vier laute­sten Einwände gegen das Ener­gie­ge­setz auf dem Prüfstand

Wenn die Ener­gie­wende kommt, verarmen wir. Das behaupten die Gegne­rInnen der Ener­gie­stra­tegie 2050. Und: Wir geraten in Abhän­gig­keit von Strom­im­porten aus dem Ausland. Aber auch von Umwelt­schüt­ze­rInnen kommt Kritik: Sie befürchten vermehrte Kohle­strom­im­porte und eine geschun­dene Land­schaft. Hier ihre wich­tig­sten Behaup­tungen — und warum sie falsch sind. 
Landschaftsschutz, so weit die Sicht aus dem Wohnzimmer reicht. Dahinter ist dann Schluss. Man solls ja auch nicht übertreiben (Foto: Martin Lopatka)

Behaup­tung 1: Die Ener­gie­stra­tegie 2050 ist viel zu teuer

Die Umset­zung der Ener­gie­stra­tegie koste uns 200 Milli­arden. Oder 3’200 Franken pro vier­köp­figen Haus­halt und Jahr. Das behauptet das Über­par­tei­liche Komitee gegen das Ener­gie­ge­setz aus dem Schlag der SVP. „Hane­bü­chen“, kommen­tierte Bundes­rätin Leuthard diese Luft­pe­tarde der SVP. Sie kommt auf ganz andere Zahlen: Die Erhö­hung des Netz­zu­schlags um 0.8 Rappen pro Kilo­watt­stunde multi­pli­ziert mit dem durch­schnitt­li­chen Strom­ver­brauch eines Vier­per­so­nen­haus­halts von 5’000 Kilo­watt­stunden ergebe 40 Franken Mehr­ko­sten jähr­lich. Oder 450 Millionen Franken. Mit diesem Netz­zu­schlag sollen erneu­er­bare Ener­gien geför­dert werden. Darüber hinaus sind neu noch ein Drittel aller CO2-Abgaben oder maximal 450 Millionen für Gebäu­de­sa­nie­rungen vorge­sehen (Ände­rung des CO2-Gesetzes Art. 34, S. 7722 im Abstim­mungs­text).

Woher kommen dann die paar Milli­arden Franken Unter­schied? Um die progno­sti­zierten Kosten aufzu­blähen, ist dem gegne­ri­schen Komitee fast jedes Mittel recht. Auf die 3’200 Franken pro Haus­halt und Jahr kommen sie zwar nicht gleich mit einer eigens erfun­denen Arith­metik, aber sie speisen ihre Rech­nung mit höchst frag­wür­digen Zahlen. So rechnen sie mit einem jähr­li­chen Aufschlag von 2’010 Franken auf 3000 Liter Heizöl. Dabei ist im Ener­gie­ge­setz nichts über eine Heiz­öl­steuer vermerkt. Im Gegen­teil. Das verän­derte Ener­gie­ge­setz sieht Mittel für Gebäu­de­sa­nie­rungen aus der CO2-Abgabe vor. Diese Gebäu­de­sa­nie­rungen ermög­li­chen es, künftig die Kosten für Heizöl zu senken, schlicht weil viel weniger Heizöl gebraucht werden wird. Das hiesse: Gerin­gere Kosten sogar bei einer mögli­cher­weise künftig erhöhten CO2-Steuer auf Heizöl. Und auch bei künftig stei­genden Erdöl­preisen. Aber so etwas möchte SVP- und Swis­soil-Präsi­dent Albert Rösti natür­lich nicht hören.

Eine weitere Kost­probe aus dem Rechen­block der SVP gefällig? Ohne jegliche (!) quan­ti­ta­tive Grund­lage behauptet sie schlicht, die Umset­zung des Ener­gie­ge­setzes zöge eine einpro­zen­tige Erhö­hung der allge­meinen Lebens­hal­tungs­ko­sten nach sich. Das alles unter der Annahme, dass Erdöl und der wegbre­chende Atom­strom und damit auch alle Konsum­güter künftig so billig zu haben seien wie jetzt. So tenden­ziös liest nicht einmal Mike Shiva seinen Kaffeesatz.

Behaup­tung 2: Wir werden abhängig von Strom­im­porten aus dem Ausland

„Die Schweiz braucht auch in Zukunft eine zuver­läs­sige, heimi­sche und bezahl­bare Ener­gie­ver­sor­gung”, und diese sei durch das neue Ener­gie­ge­setz gefährdet, schreibt das Refe­ren­dums-Komitee gegen das Ener­gie­ge­setz. Denn „inbe­son­dere in den Winter­mo­naten” müsste die Schweiz bei Annahme der Geset­zes­re­form „massiv Strom impor­tieren”. Dabei ist es gerade unsere „bewährte” Ener­gie­ver­sor­gung, die empfind­lich von Ener­gie­im­porten abhängig ist: Etwa 75% des schwei­ze­ri­schen Ener­gie­kon­sums wird von impor­tierten Ener­gie­trä­gern gedeckt.

Es grenzt an Schi­zo­phrenie, wie die SVP eidge­nös­si­sche Autarkie bei zeit­gleich massiv­sten Erdöl- und Uran­im­porten unter einen Hut bringen will. In ihrer neue­sten Initia­tive zur Land­wirt­schaft möchte sie die Schweiz weniger abhängig von Lebens­mit­tel­im­porten machen; unser Reduit aber soll weiterhin dank arabi­schem Erdöl und russi­schem Uran eine warme und helle Jass­stube bleiben. Liebe SVP. Es ist eure „bewährte, bezahl­bare und sichere Ener­gie­ver­sor­gung mit Öl, Gas, Benzin, Strom und Holz” (und dem hier verschwie­genen Atom­strom), die in hohem Grade von Importen aus dem Ausland abhängig ist. Denn Erdöl kommt meist aus Saudi­ara­bien. Gas und Uran meist aus Russ­land. Sicher aber kommen sie nie aus der Schweiz. Dort scheint ab und an das Sünneli. Und anson­sten regnet’s. Mit beidem lässt sich Strom machen. Schon davon gehört?

Behaup­tung 3: Wenn wir die Ener­gie­stra­tegie annehmen, werden wir Kohle­strom aus dem Ausland importieren

Sowohl das Umwelt-Komitee gegen Ener­gie­ge­setz als auch das Komitee „Ener­gie­ge­setz so nicht” aus der Kaste der refor­mierten Umwelt­schüt­ze­rInnen behaupten, nach Annahme des Ener­gie­ge­setzes würde vermehrt Kohle­strom aus Deutsch­land impor­tiert, um wetter- und saison­be­dingte Produk­ti­ons­ein­brüche bei den erneu­er­baren Ener­gien zu kompen­sieren. Letzt­lich würde damit eine klima­schäd­li­chere Ener­gie­ver­sor­gung befördert.

Was ist an dieser Behaup­tung dran? Kohle­strom­im­porte sind zwar ein Problem; sie werden aber durch die Strom­markt­li­be­ra­li­sie­rung und nicht durch das neue Ener­gie­ge­setz direkt geför­dert. In einer ersten Tranche der Strom­markt­li­be­ra­li­sie­rung hatte der Bund den Markt für Gross­kunden (wie etwa die Stahl Gerla­fingen) geöffnet. Diese Gross­kunden können nun den billigen Kohle­strom aus Deutsch­land beziehen. In einer zweiten Tranche soll der Strom­markt auch für Privat­kun­dInnen geöffnet werden. Etwas, das bisher nicht möglich war, da die städ­ti­schen oder kanto­nalen Ener­gie­an­bieter (in Zürich ist dies die ewz) das Monopol inne­hatten — und nur inlän­di­schen Strom (also keinen Kohle‑, wohl aber Atom­strom) verkauften.

Aber klar: wenn der Atom­strom schritt­weise wegfällt, wird insbe­son­dere im Winter der Strom knapp, wo die Sonne weniger Energie liefert und zugleich die Strom­nach­frage grösser ist. Hier besteht zusammen mit der Strom­markt­li­be­ra­li­sie­rung tatsäch­lich die Gefahr, dass künftig bequem und günstig auf Kohle­strom aus Deutsch­land ausge­wi­chen würde.

Aller­dings schafft das Ener­gie­ge­setz Anreize, um die Wasser­kraft und damit auch die Spei­cher­ka­pa­zi­täten von Stau­seen auszu­bauen, in denen Strom­über­flüsse abge­spei­chert werden können — zwar bei weitem keine verlust­freie Art der Strom­spei­che­rung, immerhin aber eine, die funk­tio­niert. Damit und mit weiteren Spei­cher­me­thoden (wie etwa der Spal­tung von Wasser zu Wasser­stoff) könnte die sommer­liche Über­pro­duk­tion besser in den Winter hinüber­ge­tragen werden. Und die eben­falls geför­derten Wind­räder könnten einen Teil der Solar­strom­lücken im Winter decken, da im Winter tenden­ziell mehr Wind weht. Schliess­lich würde auch mit der geför­derten ther­mi­schen Isolie­rung von Häusern aus der CO2-Steuer der winter­liche Strom­be­darf für Heizungen (etwa Wärme­tau­scher) und Warm­wasser gesenkt.

Dieses wohl grösste Bedenken steht also mit der Annahme des Ener­gie­ge­setzes aus ökolo­gi­scher Sicht weiterhin im Raum. Aller­dings ist das Nein-Stimmen auch keine Option: Denn die Gegne­rInnen des Ener­gie­ge­setzes haben auf das Problem der Strom­knapp­heit im Winter selbst keine bessere ‚Alter­na­tive’ zu bieten als Strom aus fossiler oder atomarer Produk­tion, also schlicht anderen Drecks­strom als der von der Kohle. Darüber hinaus entfielen alle oben erwähnten Förder­mass­nahmen, die das Problem der Strom­knapp­heit im Winter zu lindern verspre­chen. Es ist also müssig, von den anderen zu verlangen, was man selber gar nicht kann, ja noch schlechter zu machen verspricht.

Behaup­tung 4: Die Ener­gie­stra­tegie wird unsere Land­schaft verschandeln 

Nicht nur unsere schöne Land­schaft werde von Wind­rä­dern zerpflückt, sondern auch 100’000 Vögel, wenn wir noch mehr Wind­ener­gie­an­lagen in die Land­schaft pflanzten, rechnet uns das Umwelt-Komitee gegen Ener­gie­ge­setz vor.

Zuge­geben: so ein Wind­park sieht nicht immer schön aus. Und land­wirt­schaft­lich nutz­bare Flächen mit Solar­pa­nels zuzu­decken ist auch wenig sinn­voll, wenn dann als Konse­quenz noch mehr Soja aus Brasi­lien impor­tiert werden muss. Aber Solar­pa­nels kann man ja auf Dächern von bestehenden Gebäuden errichten. Und Wind­räder dort, wo es schon welche hat: z.B. auf dem Mont Soleil. So ein kleines Holland in den Frei­bergen sieht zumin­dest freund­li­cher aus als der AKW-Kühl­turm in Gösgen. Nebenbei fördert das neue Ener­gie­ge­setz ja auch die Ener­gie­ef­fi­zienz, sprich auch das Ener­gie­sparen. Wenn wir nicht soviel brau­chen, dann lässt auch der Druck auf die Kultur- und meinet­wegen Konsum­land­schaft nach.

Was an den Land­schafts­schüt­ze­rInnen stos­send ist: ihre Vorstel­lung von Land­schaft als museales Vergnügen fürs Auge. Derweil das Klima meerauf geht und der strah­lende Müll sich für die näch­sten paar hundert­tau­send Jahre stapelt. Sieht so ‚echter’ Umwelt­schutz aus? Oder einfach nur der fürs Auge sicht­bare, nicht der für den Verstand? Meines Wissens verzichten auch Land­schafts­schüt­ze­rInnen nicht auf Strom und Benzin. Deshalb ist ihre ‚Sorge’ um die Umwelt besten­falls einseitig, schlimm­sten­falls heuchlerisch.

Fazit:

Die SVP tischt haar­sträu­bende Zahlen auf, um das Ener­gie­ge­setz zu bekämpfen. Und sie labert von Autarkie, während sie weder vom arabi­schen Öltropf noch vom russi­schen Uran­ku­chen loskann. Aber nicht nur die Ökorüppel um Albert Öl-Röschti kämpfen gegen das Ener­gie­ge­setz, sondern auch einige refor­mierte Umwelt­schüt­ze­rInnen. Ihre Ängste vor Kohle­strom­im­porten sind zwar berech­tigt, aber sie selbst haben nur die noch schlech­tere Alter­na­tive Weiter wie bisher” parat. Und die unver­sehrte Land­schaft aus dem ölbe­heizten Wohn­zimmer mag zwar ihr Auge beglücken. Aber wenn anderswo die Meere steigen oder strah­lende Berge das Wasser verseu­chen, dann darf das kein Trost für das Leiden anderer sein.

**

Und was möch­test du wissen zur Ener­gie­stra­tegie 2050?

Unser ener­gie­po­li­ti­scher Lügen­de­tektor Jérôme Léchot prüft für euch Argu­mente von Gegne­rInnen und Befür­wor­te­rInnen. Was möch­test du geprüft haben? Schreib uns unter redaktion@daslamm.ch, auf Face­book oder Twitter.

**

 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 24 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1508 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel